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Für eine andere Entwicklungspolitik!

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Kommentar

Di. 2 Sep 2008 - 19:56

Günter Bonnet, Bonn
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Ich begrüße und unterstütze im Prinzip die Absicht der Initiatoren, die Entwicklungspolitik, insbesondere für Afrika, durch einen Aufruf zu ändern und voranzubringen.

Umso mehr bedauere ich, dass ich diesen Aufruf nicht unterzeichnen kann. Hierfür gibt es mehrere, zum größten Teil fundamentale Gründe, die ich hier nur kurz skizzieren möchte:

1. Ich teile die schon lange bestehende Einsicht, dass der "Norden" Afrika nicht entwickeln kann und dass die Hybris, er könne es, mehr geschadet als genutzt hat. Umso mehr erstaunt mich, dass Aufruf im ersten Absatz der bisherigen Entwicklungspolitik vorwirft, sie habe versagt, da Afrika sich nicht entwickelt habe, gleichzeitig aber im letzten Satz den Anspruch erhebt, mit Erfüllung der vier unausgegorenen Forderungen des Aufrufs wäre Afrikas Entwicklung in 50 Jahren möglich.
2. Entwicklungspolitik ist nur ein - oft überschätzter - Politikbereich, mit dem der "Norden" die Entwicklung Afrikas mit beeinflusst. Ein Aufruf, der die Inkohärenz der bisherigen Politik des "Nordens" - z.B. in Handels- und Landwirtschaftspolitik - nicht als einen der Hauptgründe des Versagens nennt, prügelt auf den falschen Esel ein.
3. Es ist richtig und schon lange in der EZ-Fachwelt anerkannt, dass die einfache Gleichung "mehr Geld = mehr Entwicklung" nicht aufgeht. Aber der in dem Aufruf erweckte Eindruck, der "Norden" würde zu viel Entwicklungskapital nach Afrika pumpen, ist angesichts der marginalen Größenordnung der Entwicklungszusammenarbeit - verglichen z.B. mit der "Entwicklungshilfe" der alten Bundesländer an die neuen Bundesländer, der EU-internen Förderprogramme oder der weltweiten Rüstungsausgaben - falsch. Richtig ist, dass der Mittelzufluss makroökonomisch sensibel gesteuert werden und die Mittelverwendung entwicklungsorientiert sein muss.
4. Entwicklung kann nur stattfinden, wenn die (internen und externen) Rahmenbedingungen es zulassen. Sie sagen in Ihrer Erläuterung, der Aufruf würde auf die internen entwicklungsfördernden Rahmenbedingungen (good governance) nicht eingehen, um die Anstoßkraft des Aufrufs nicht zu schwächen. Damit verfallen Sie aber in den alten Fehler der Hybris, wir müssten nur unsere Entwicklungspolitik radikal ändern, dann entwickele sich Afrika.
5. Das Ausklammern von Good Governance als Voraussetzung von Entwicklung führt auch zu einer einseitigen Bevorzugung der Zivilgesellschaft als Träger von Entwicklung. Dies gilt m.E. aber nur für die Gruppe der failed states und nur für einen Übergangszeitraum, in dem vorrangig humanitäre Hilfe und weniger strukturbildende Zusammenarbeit gefordert ist. Zukunftsfähige Gesellschaften brauchen sowohl aktive, gestaltende und fordernde Zivilgesellschaften als auch den entwicklungsorientierten Staat. Wenn der "Norden" die Entwicklung solcher Gesellschaften fördern will, so sollte er sowohl die Zivilgesellschaften stärken als auch mit den staatlichen Organen zusammenarbeiten. Die zweite Forderung des Aufrufs halte ich daher für viel zu einseitig. Ich unterstütze die Förderung der Zivilgesellschaft, um sie zu befähigen, von ihrer Regierung gute Arbeit einzufordern. Den Staat aber von außen durch NRO-Förderung zu unterminieren, ist eine neue Form des Kolonialismus.
6. Die implizite Ablehnung der afrikanischen Regierungen im Aufruf macht auch die Ablehnung des Instruments der Budgethilfe verständlich. Weil ich der Auffassung bin, dass sich die afrikanischen Menschen, ihre Gesellschaften und ihre Staaten selbstbestimmt entwickeln müssen, bin ich ein klarer Befürworter von Budgethilfe in allen dafür geeigneten Fällen. Das Argument, damit würden Korruption und Unterschlagung erleichtert, halte ich für ein Vorurteil gegen die afrikanischen Regierungen. Wie hieß es früher so schön: "Keine Mark ohne (deutschen EZ-)Mann" - dem Afrikaner ist eben nicht zu trauen. Die richtig gestaltete Budgethilfe vermeidet gerade durch Transparenz der Budgets und Kontrolle durch (afrikanische) Rechnungshöfe und Kontrolle durch die eigene Zivilgesellschaft (möglichst in Form gewählter Parlamente) Korruption und Unterschlagung.
7. Der ersten Forderung des Aufrufs kann ich durchaus zustimmen. Ich weiß aber nicht, ob ich das gleiche meine wie die Autoren. In Verbindung mit der dritten Forderung zeichnet sich für mich ein Grundproblem der deutschen Entwicklungspolitik ab, die Rolle des eigenständigen BMZ ohne eigenen "Unterbau" in den Partnerländern. Hier bin ich für sehr viel klarere Forderungen. Ich bin für die Integration des Politikbereichs Entwicklung in das AA (möglichst mit einem Staatsminister im Kabinettsrang für Entwicklungspolitik), die Zusammenfassung aller staatlichen EZ-Organisationen (d.h. den überwiegenden Teil des bisherigen BMZ, den EZ-Bereich der KfW, wesentliche Teile von GTZ, InWEnt, DED und CIM) in einer dem AA unterstehenden, in Bonn ansässigen EZ-Durchführungsorganisation), die - dezentral organisiert - innerhalb der Botschaften für die EZ zuständig ist.
8. Probleme habe ich auch mit der vierten Forderung des "Bonner Aufrufs". Sind das die Bereiche, die die "Afrikaner" von uns als Unterstützung ihrer Entwicklungsanstrengungen wünschen? Oder sind es die Bereiche, mit denen wir sie beglücken möchten? Damit bin ich wieder bei meinem ersten Punkt.

Bemerkenswert finde ich, dass der Aufruf einen Tag vor Beginn der Accra-Konferenz zur Steigerung der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit vorgestellt wird ohne auf diese Konferenz auch nur mit einem Wort einzugehen.

Dr. Günter Bonnet
MinDirig a.D.
bis Ende 2007:
Unterabteilungsleiter im BMZ

Do. 4 Sep 2008 - 17:38

Dr. Hartmut Schellhoss, Köln
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Welch ein Tempo! Das BMZ hat am 2.9.08 eine Stellungnahme zu dem "Bonner Aufruf" vom 1.9.08 abgegeben. Es wurde nicht erst mal ein Arbeitskreis eingesetzt. Sehr gut! Das ist aber auch alles, was gut ist. Es wird behauptet, dass der Aufruf mit der aktuellen Entwicklungspolitik wenig zu tun habe und nicht frei von Parteipolitik sei; mit letzterem ist wohl gemeint, dass einige Aufrufer Mitglieder einer Partei sind, was ja auch unerhört ist. Dann wird fast nur noch neben der Sache geschrieben: Frau Ministerin nehme an einer internationalen Konferenz teil, na toll; die Militärausgaben seien viel größer als die für Entwicklungshilfe, der "Bonner Aufruf" habe diesen Skandal nicht angesprochen; der "Bonner Aufruf" konterkariere die Bemühungen des Bundespräsidenten um ein differenziertes Afrika-Bild, ein seltsamer Hinweis.
Man muss schon den Eindruck gewinnen, dass das BMZ den "Bonner Aufruf" nicht verstanden oder sogar nicht gelesen hat. Dessen Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass der Aufruf als erster Anstoß zu verstehen und damit "holzschnittartig" sei; er solle vertiefende Diskussionen auslösen.

Do. 4 Sep 2008 - 18:06

Gerli Lantzberg, Burggen
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Die Stellungnahme des BMZ bestätigt eindringlich genug die Sorge, die uns zu dem Bonner Aufruf veranlasst hat.
Die Selbstgerechtigkeit, mit der auf die bestehende Praxis und die internationale Diskussion verwiesen wird, verhindert ja gerade eine Umorientierung der Entwicklungspolitik, die mit dem Ende des kalten Krieges keineswegs sich grundlegend verändert hat und deren Erfolge auch bei wohlwollendster Betrachtung nicht feststellbar sind. Immer noch werden Projekte von Regierungsvertretern entworfen und brechen nach Ende der Laufzeiten zusammen.
Würden die Regierungsvertreter von Geber -und Empfängerländern - wie die Unterzeichner des Aufrufs - die Länder Afrikas nicht im VIP Auto und Tempo bereisen, könnten sie all die kaputten Brunnen, Bewässerungskanäle und Straßen, die zerfallenen Lehmöfen und Krankenstationen, die Schulen ohne Lehrer, die Landwirtschaft und Berufsbildung ohne Material und Beratung sehen und würden nicht die gefälschten Statistiken zur Aidsansteckungsrate, zum Schulbesuch oder zur Armutsbekämpfung so bereitwillig akzeptieren.
Wir sind gerne bereit, unsere Feststellungen zu belegen und einen Dialog zu beginnen.

Fr. 5 Sep 2008 - 00:11

Dr. André Munzinger, Köln
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"Antiquiertes Verständnis von Entwicklungspolitik" lautet das Urteil der Grünen Koczy und Hoppe zum Bonner Aufruf. Entwicklungspolitik müsse vielmehr nationale und internationale Strukturpolitik betreiben. Zunächst: Ohne legitimierte Strukturen, in denen alle Betroffenen zu Beteiligten werden, gefährdet die global stattfindende Ausbeutung - sozialer Identitäten, ökologischer Balance und weltweiter Ressourcen - das gemeinsame Überleben auf unserem Planeten. Darauf machen uns namhafte Wissenschaftler seit Jahren aufmerksam. In diesem Sinne fordert William Easterly dazu auf, den Armen eine Stimme zu geben, und zwar durch "Sucher" und nicht "Planer". Ich kenne derzeit kein besseres Beispiel eines Suchers als Muhammed Yunus, der keine Antworten hatte, sondern die Frauen in Bangladesch gefragt hat, was sie denn machen wollen und können. Der Erfolg spricht für sich: Partizipation, Solidarität und Freiheit werden dort materiell anfassbar. Das ist die Mikroebene, die schöpferische Quelle, neuen Wirtschaftens und Regierens. Kann das eine internationale Rahmenbedingung diktieren? Bisher nicht. Wenn das Suchen auf der gesellschaftlichen Ebene vor Ort im Vertrauen auf die Ideen der Ärmsten antiquiert ist, bin ich gerne antik.

Fr. 5 Sep 2008 - 13:35

Prof. Dr. Winfried Pinger, Köln
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Die Spitzen des BMZ und die Abgeordneten der Grünen sind offensichtlich in keiner Weise beeindruckt von den miserablen Ergebnissen der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika in den letzten Jahrzehnten. Das Motto lautet: "Weiter so". Dann wird man nach weiteren 50 Jahren Entwicklungspolitik mit Afrika erneut feststellen müssen, daß Milliarden von finanziellen Hilfen keine wesentliche Besserung für die Armen und Ärmsten gebracht haben. Dies zeigt, wie notwendig der "Bonner Aufruf" ist und wie wichtig es ist, daß dieser Aufruf sofort von über 40 hervorragenden Kennern Afrikas als Politiker, Wissenschaftler, Journalisten und Experten unterschrieben worden ist.

Sa. 6 Sep 2008 - 15:47

Dr. Wilfried Hoffer, Frankfurt
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Keiner der Freunde und Bekannten mit Erfahrung in diesem Bereich, denen ich den Aufruf geschickt habe, hat positiv reagiert, wobei sich die Kritik zum Einen an die wenig 'kommunikative' Art des Aufrufs richtete - einen Text ohne Diskussion zu unterschreiben (statt erst einen Entwurf zu schicken, was freilich wesentlich arbeitsaufwendiger gewesen wäre), zum Anderen an die Forderungen - mit der Analyse herrschte überwiegend Einverständnis.
Meine Kritik im Einzelnen:
- die Aussage "eine klare Durchsetzung der Verantwortlich-keiten" ist inhaltsleer
- "die Entscheidungsbefugnis über bilaterale Entwicklungs-zusammenarbeit auf die deutschen Botschaften zu übertragen" befremdet am meisten: die genuinen Partner der
Botschaften sind die Regierungen, sie haben in der Regel - so vielfältige Erfahrungen - kaum Kontakt zu gesellschaft-lichen Gruppen, Ausnahmen bestätigen die Regel und hängen von der Persönlichkeit des Botschafters ab; die EZ-Referenten/innen haben meist wenig Erfahrung, verhalten sich aber als hoheitliche Vertreter und nolens volens als Sprachrohr des BMZ oder der herrschenden Ideologie
- die "Zusammenarbeit: wo immer möglich, weg von staatlichen Partnern und hin zu gesellschaftlichen Gruppen" kann angestrebt werden, bedeutet jedoch wesentlich höheren Arbeits- und Personalaufwand und damit höhere Transaktionskosten
- "unsere Hilfe auf das zu konzentrieren, was sich als besonders förderungswürdig erwiesen hat" - auf Grund welcher Kriterien? Ausserdem sind solche universellen Aussagen immer problematisch.
Zum Schluss: sollte der Aufruf in erster Linie Entscheidungs-träger überzeugen, ist er zu apodiktisch - wer lässt sich schon gern sagen, dass er total versagt hat?

So. 7 Sep 2008 - 13:33

Hans-Albrecht Max Schraepler, Bonn
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Die deutschen (europäischen) Interessen und Afrika
--- Ein Ansatz für eine effektive, zukunftsorientierte Eingliederung Afrikas im Zeitalter des globalisierten Miteinanders in die eigene Interessenlage ---

A.
1. Die Lageentwicklung in Afrika südlich der Sahara zeigt Veränderungen auf, die durch allmähliche Umschichtung und Interdependenzwirkungen die deutsche (europäische) politische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessenlage mit Zukunftswirkung beeinflussen, auch wenn die offizielle deutsche Politik darüber hinweg zu gehen scheint. Sie wirft Fragen zur deutschen (europäischen) politischen und wirtschaftlichen Interessenlage auf, sowohl zu Ansatz, Akzenten und Ziel.

2. Die weltweite Staatenstruktur hat sich seit dem Ende des Ost-West Konfliktes mit dem Ende der Sowjetunion als zweiter Weltmacht (Bipolarität) bedeutungsmäßig zu einer Pyramidenstruktur hin entwickelt. Strategisch ruht Deutschland nicht mehr zwischen zwei Weltmächten, was ihm bis dahin ein interessantes, weit gefächertes internationales Mitspracherecht eingeräumt hatte. Die Pyramidenspitze wird heute von den USA besetzt.
Trotz ihres bedeutenden Hilfsprogramms hat die Europäische Union wegen einer fehlenden, wenn auch sich untereinander verbessernden gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik nur auf den unteren weltpolitischen Etagen einen Platz gefunden.

3. Politisch universell werden die derzeitigen Weltgeschäfte, machtmäßig abgestuft, schlecht und recht von den USA beherrscht. Ein Wechsel an der Spitze der USA dürfte hier weder wesentliche noch schnelle Änderungen herbeiführen.

4. System und Inhalt der internationalen Zusammenarbeit hat sich seit dem Ende der Ost-West Konfrontation geändert, die die politischen Karten weltweit umverteilte. Die bis dahin geltenden Politziele wurden von politischen Abwehrtendenzen und Politiken in den Bereichen Energie, Klima, Terrorismus, Religion und Kultur als Tops abgelöst.
In welche Gruppierung die Idee des sich fortsetzenden Irakkrieges, der neben der Lage in Afghanistan die Frontseiten der Tageszeitungen negativ erfüllt, endlich und schließlich einzuordnen ist, bleibt abzuwarten (Motivations- und Interessenanalyse). Zu viele neue, und in alle Himmelsrichtungen zielende Fragen und Probleme, die sich auch auf Europa auswirken, wurden durch ihn aufgeworfen. Antworten wurden bisher kaum gefunden. Afrika rückte politisch ins Abseits.

B.
1. Deutlich zeichnet sich ab, dass sich neben internationalen Institutionen (VN, Weltbank, IWF, EU, ev. auch die Afrikanische Union) sechs Akteure mit unterschiedlicher Akzentuierung und wechselndem Erfolg eine Rolle spielen: 1. USA als Weltmacht (Interesse an Erdölvorkommen); 2. Frankreich und Großbritannien als Ständige Mitglieder des VN-Sicherheitsrates und als Noch-Verwalter eigener sentimentaler und wirtschaftlicher kolonialer Restbestände; 3. Nigeria; 4. Südafrika; 5. das Commonwealth mit britischen Einflüsterungen; 6. Die politische Rolle Chinas erscheint wenig klar, sein Interesse an wirtschaftlicher Nutzung der immensen Rohstoffvorräte des Kontinents mit allen ihm verfügbaren Mitteln umso mehr.
Die Europäische Union und die Mehrzahl ihrer Mitglieder finanzieren in Afrika ein nicht immer untereinander abgestimmtes, bedeutsames Hilfsprogramm. Die allseitig allgemein formulierten und immer wieder bekräftigten Zielvorstellungen haben bisher keine politischen Zugänge sowohl für die Europäische Union und ihre Mitglieder in Afrika wie für die afrikanischen Staaten in Europa auf der Basis der Gegenseitigkeit und Gleichwertigkeit mit Wechselwirkung geschaffen, die den afrikanischen Staaten Mitsprache im internationalen globalen Geschehen eingeräumt hätten. Afrika mit seinen fünf Regionen hat bisher noch kein eigenes Glück gefunden.
Der Europäischen Union mangelt es in Afrika nach wie vor, auch auf Grund fehlender einheitlicher Vorstellungen ihrer Mitgliedstaaten, an gemeinsamen politischen Zielvorstellungen und gemeinsamen Interessenlagen, schließlich an gemeinsamer, politischer Entschiedenheit, somit an gemeinsamer politischer Durchsetzungskraft. Sie scheint sich dort von den früheren Kolonialmächten bei gegebener politischer Indifferenz der übrigen Mitgliedstaaten leiten zu lassen.

2. Die politische und wirtschaftliche Situation Afrikas südlich der Sahara könnte - trotz immenser Entwicklungshilfe des Auslands, trotz politischem, wirtschaftlichem und persönlichem Einsatzes der unterschiedlichsten Akteure - ohne eine Wertung ihrer politischen Gewichtung für Europa wie folgt skizziert werden:

a. Afrika südlich der Sahara spielt eine politische Randexistenz im internationalen Geschehen;
b. Die Globalisierungsströme gehen über Afrika hinweg;
c. Bürgerkriege, Metzeleien, Coup d'Etats, Staatskrisen, Einkommens- Ungleichheiten, soziale Unterentwicklung, Kontinent- und Kapitalflucht, Krankheiten, Marginalisierung, Verschuldung und Korruption gedeihen unter den Staaten und Völkern Afrikas;
d. Die Vereinten Nationen wie die Afrikanische Union erzeugten bisher keine Durchsetzungskraft;
e. Die afrikanischen internationalen Organisationen haben bis auf wenige Ausnahmen keine politische und wirtschaftliche Wirksamkeit entfalten können;
f. Die Demokratieansätze einiger afrikanischen Staaten haben nicht zu einem höheren Lebensstandard der Mehrheit ihrer Bürger ("Essen vor Demokratie?") geführt und die Kontinentflucht eindämmen können ("kein glückliches Afrika": "Die toten Flüchtlinge auf italienischen Stränden");
g. Weder der Kontinent als Ganzes, noch seine Regionen, noch einzelne Staaten nehmen eindeutige, entscheidungsbereite Positionen im weltweiten sicherheitspolitischen Geschehen ein, die sie zu verantwortungsvollen Partnern der internationalen Staatengemeinschaft, Europas, machen könnten;
h. Die möglichen Ansätze zwischen Deutschland/Europa und den afrikanischen Regionen und Staaten zum Miteinander in einer sich zunehmend globalisierenden Welt werden von beiden Seiten nicht genutzt. Die Politik der Einbahnstraße ist geblieben. Die regionalen afrikanischen Organisationen werden kaum, wenn überhaupt, genutzt.

C.
1. Zeigen sich aus diversen Gründen unter dem Dach der Afrikanischen Union außer verbalen Programmen und Zielen keine Aktionen, die dem geopolitischen und wirtschaftlichen Potential des Kontinents, weltpolitisch und weltwirtschaftlich gerecht werden, empfiehlt sich für die europäischen Staaten aus eigenem Interesse die Prüfung eines anderen Ansatzes.

2. Die Staaten südlich der Sahara verfügen über eine Anzahl nicht uninteressanter, regional arbeitender internationaler Organisationen, die trotz knapper Mittel und Möglichkeiten einige bemerkenswerte Leistungen erbringen konnten. Anzeichen einer zunehmenden regionalen Mentalität und einer regionalen Zusammengehörigkeit sind vorhanden. Oft werden allerdings derartige Absichten durch aktionslähmende Geschehnisse wie Bürgerkriege, grenzüberschreitende Unruhen, Korruption u. a. gemindert, wenn nicht sogar verhindert.

D.
1. Hilfe zu Selbsthilfe?
Deutsche Entwicklungspolitik: Zitat aus: E+Z, Jg. 42. 2001:5:
"Ausgangspunkt deutscher Unterstützung sind nationale Entwicklungsstrategien und -anstrengungen (in IDA-Ländern nationale Strategien zur Armutsminderung); dem Dialog und Austausch mit Staat (Regierung, Parlamente) und Gesellschaft (Nichtregierungs-Organisationen, Frauen, Unternehmern) kommt eine zentrale Rolle zu.
Die deutsche Unterstützung ordnet sich gleichzeitig in den internationalen Kontext ein und orientiert sich an international vereinbarten Entwicklungszielen. Die Wirksamkeit der Unterstützung wird erhöht durch Konzentration auf ausgewählte Kooperationsländer und die Fokussierung der Zusammenarbeit auf Schwerpunkte."

2. Schön und gut. Diese Politik hat trotz geleisteter Milliardenbeträge und menschlichem, oft bewunderungswertem Einsatz der Entwicklungshelfer das politische Verhältnis von afrikanischen Staaten zu Europa, und auch zu Deutschland in den vergangenen 40 Jahren nicht verbessert und nicht zur Einordnung Afrikas und seiner Regionen in die sich globalisierende Welt beigetragen.
Sie hat Ungleichheiten zwischen afrikanischen Staaten und auch zu anderen Kontinenten vertieft. Diese Entwicklung geht zu unseren Lasten (zunehmende Armut in Afrika, Krankheiten, Kontinentflucht, chinesische Präsenz, etc. - Terrorismus?).

3. Der Ansatz unserer Politik gegenüber Afrika sollte überdacht werden, auch um den afrikanischen Staaten im weltweiten Globalisierungsprozess den ihnen politisch, auch wirtschaftlich gebührenden Platz zu geben und sie aus unserem ureigensten Interesse zu Partnern werden zu lassen.
Der globale Ansatz, der noch immer von den Akzenten der früheren Kolonialmächte bestimmt ist, hat bisher trotz Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten vor über vierzig Jahren, trotz guter Landeskenntnisse und Kontakte der ehemaligen Kolonialmächte und der kulturellen und sentimentalen Bande zwischen ihnen und ihren früheren Kolonien keine zeitgemäßen, befriedigenden Lösungen erbracht.

4. Zwei politische Ansätze könnten sich anbieten:

a. Zusammenarbeit mit den regionalen internationalen Organisationen Afrikas;
b. Zusammenarbeit mit den Regionen, ihren Organisationen und ihren Mitgliedstaaten.

5. Ob eine intensivierte Zusammenarbeit nur mit den regionalen internationalen Organisationen die Lösung der politischen und wirtschaftlichen Platzfrage der afrikanischen Staaten im internationalen Prozess bringt, ist sicherlich zu prüfen und könnte uns Europäern nahe liegen. Konstruktiver und auch Erfolg versprechender dürfte die Zusammenarbeit mit den Staaten auf regionaler Basis mit regionalen Akzenten sein. Dies würde die regionalen Organisationen mit einbeziehen. Ein regionaler Approach personalisiert, erzeugt Kommunikation und nutzbares Verständnis.

6. Eine geänderte Annäherung sollte aus unserem ureigensten Interesse erfolgen.
Wenn wir erkennen sollten, dass es schließlich und endlich auch um uns geht, werden wir auch auf Grund der Inhalte unserer Zivilisation zu unserem afrikanischen Nachbar, seinen Regionen ein gleichwertigeres Verhältnis aufbauen als es zurzeit besteht und ein effektiveres Konzept entwickeln, das sich dem weltweiten Umfeld anpasst, es mitbestimmt und weiter entwickelt. Es könnte zu dem wünschenswertem Endziel führen, dass Europa durch Verlust seiner sozialen und mondänen Attraktion in den Augen der afrikanischen Flüchtlinge zu einem Partner der Normalität für die afrikanischen Regionen, für seine Bürger wird.
Dies ist nur dann zu erreichen, wenn Europa für den Afrikaner nicht mehr Endziel seiner Glückserwartung und Lebenshoffnung ist, die auch er beanspruchen kann.
Ein glücklicher Afrikaner in Afrika wird in die interkontinentalen Beziehungen einen neuen, noch nicht bekannten, noch nicht erkannten Akzent einfügen und könnte so für uns, für Europa zu einem effizienten Partner werden.
Partner stehen in den Regionen Afrikas zur Disposition, sowohl auf politisch / wirtschaftlich interessierter Ebene wie auf menschlicher. Diese denken nationalpolitisch, sicherheitspolitisch, wirtschaftlich, kulturell und leben international bezogen.

7. Wer in Deutschland (Europa) nur an den Kontinent Afrika als solchem denkt, handelt anders als der, der regional-afrikanisch denkt und danach agiert.
Die erste Gruppe kennt die negativen Entwicklungen und Tatsachen des Kontinents, pauschaliert, ist erschreckt, reagiert negativ und besucht abgeschlossene Badestrände und Safariregionen ("Neckermann-Tourismus").
Die zweite Gruppe bemerkt Gleiches, findet Ansätze, menschliche, historische, kulturell-soziale, wirtschaftliche und politische, auch um ihrer selbst Willen, um möglicherweise auch sie bedrohenden bedrohlichen Indikationen in den weltweiten Interdependenzen und allumfassenden Globalisierungsströmen begegnen zu können.

Bonn, 2008
Hans-Albrecht Max Schraepler

So. 7 Sep 2008 - 13:40

Sabine Schlak, Giessen
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Ich unterstütze die Forderungen hinsichtlich einer anderen Entwicklungspolitik. Vor allem die Konzentration der Mittel auf bestimmte Bereiche (Bildung, Infrastruktur etc.) und die Dezentralisierung der Verantwortlichkeiten (Einbindung gesellchaftlicher Gruppen etc.) halte ich für sehr relevant. In Bezug auf die Frage nach der Höhe der Mittel bin ich mir unsicher: Einerseits zeigt sich, dass hohe Summen "versickern" bzw. nicht dem eigentlichen Zweck zugeführt werden; andererseits braucht es Geld und zwar kontinuierlich und langfristig. Die Frage nach der Höhe ist aber vielleicht weniger entscheidend als die Frage nach dem "richtigen", entwicklungsförderlichen Einsatz der Mittel. Wenn Entwicklung heißt (nach UNDP Definition), dass jeder die Möglichkeit zu einem Leben erhalten soll, das er bzw. sie wertschätzt, dann zeigt sich daran, dass individuelle und gesellschaftliche Unterschiede viel stärker beachtet werden müssen als dies im bisherigen "Gießkannenprinzip" der Fall ist.

Mo. 8 Sep 2008 - 04:48

Daniel Koss, Boston, USA
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Die zweite Forderung des Aufrufs, dass Entwicklungshilfe nicht mehr immer ueber den Staat abgewickelt werden soll, finde ich spannend, und zwar aus drei Gruenden:
- Angesichts von "bad governance,” der man mit zusaetzlichen Kontrollen wohl kaum beikommen wird, muesste man sehr vielen Laendern die Entwicklungshilfe verwehren. Um die Bevoelkerung aber trotzdem nicht im Stich zu lassen, liegt die Forderung nach Entwicklungshilfe an staatlichen Buerokratien vorbei doch sehr nahe. Nicht dauernd und ueberall, aber als eine zusaetliche Option und nicht nur im humanitaeren Bereich.
- Die Ministerin sagt selbst, dass Entwicklungshilfe in ihrer gegenwaertigen Form viele Buerokratien in Afrika ueberlastet. Leute wie Harvard-Professor Robert Bates weisen seit Jahrzehnten unablaessig nach, wie Hilfsgelder an den Staat den Kampf gegen Korruption konterkarieren. Der Vorschlag des Bonner Aufrufs schafft genau hier Abhilfe.
- Im Zeitalter der Globalisierung findet internationaler Austausch immer oefter auch zwischen Regierungen und auslaendischen nichtstaatlichen Akteuren statt. Das ist eine Bereicherung und ein moderner Souveraenitaetsbegriff sollte nicht von Vornherein diese Form der globalen Zusammenarbeit ausschliessen.

Enttaeuschend finde ich die aus der Huefte geschossene, selbstzufriedene Stellungnahme des BMZ. Denkt man also nur auf internationalen Konferenzen und mit Gleichgesinnten ueber Reformmoeglichkeiten nach, verweigert sich aber einer inhaltlichen Befassung mit den Ideen und Argumenten der eigenen, querdenkenden Buerger? Eine besser ueberlegte Presseerklaerung waere ein minimaler Aufwand gewesen im Vergleich zur teuren Reise nach Accra.

Mo. 8 Sep 2008 - 23:35

Heinrich Kruse, Voerde
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Entwicklung in Afrika (und auch bei uns) funktioniert nur wenn wenn Leute vor Ort beginnen etwas zu verändern. Dazu ist neben Nahrung und Unterkunft vor allem Bildung notwendig. Die staatliche Entwicklungspolitik ist in Afrika bisher gescheitert und ich denke der Aufruf sollte genutzt werden noch einmal grundsätzlich über Entwicklungshilfe nachzudenken. Ich bin persönlich in der Eine Welt Arbeit aktiv und sehe das unserer Partnerschaftsprojekt nur funktioniert mit vielen kleinen Schritten. Organisationen die den Kontakt mit der Basis haben sind erreichen mehr als große staatliche Programme.

Mi. 10 Sep 2008 - 20:23

Wilhelm Wemmer, Bonn
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Ich möchte gern unterstützen, bin aber skeptisch, ob eine Hilfe von außen überhaupt möglich ist. Grund: Ein in unserer Gemeinde tätig gewesener kongolesischer Priester erklärte uns, dass der Afrikaner kaum planen kann. Wer Ressourcen erhält, verteilt sie an seine Familie oder Freunde. Man lebt für den Tag, nicht für die Zukunft. Wenn das stimmen sollte, müsste versucht werden, diese Haltung zu ändern. Ist dies möglich?

Mo. 15 Sep 2008 - 13:38

Rudolf Bäuml, Langen
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Ich unterstütze und fördere seit 24 Jahren in Kamerun Kleinprojekte, die funktionieren.
Es ist schon seit Jahren meine Rede, die ich an vielen Orten kund getan habe,-leider ohne Erfolg- dass die Mittelverteilung
seitens der Regierung anders geregelt werden muß und, und, und.

Di. 16 Sep 2008 - 15:27

Jürgen Fischer, Tirana, Albanien
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Der Bonner Aufruf ist zumindestens die Grundlage einer generellen Diskussion über Entwicklungshilfe, auch wenn man ihn nicht in jeden Punkt unterstützt. Tatsache ist aber, dass täglich Flüchtlinge aus Afrika mit abenteuerlichen Mitteln versuchen, in das "reiche" Europa zu kommen - und das zeigt doch sehr klar, dass die bisherige Entwicklungspolitik sehr fragwürdig ist.
Doch wer hat die Idee gehabt, die Verantwortung den deutschen Botschaften zu übertragen?? Da soll es besser werden? Na ja.

Sa. 27 Sep 2008 - 16:24

Gerog Kunz, Bad Waldsee
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Die sicherste Hilfe ist: Keine in Geld gezahlte (oder gar keine) Hilfe.
Förderung der Bildung vor Ort durch kontrollierbare Aktionen, Lieferung von Beratung und Sachen (Schulbücher, Schulbedarf o.ä.) könnte noch zu akzeptieren sein. Nur mit gebildetem Nachwuchs haben diese Länder eine Chance auf Selbstbestimmung und die Wahl, ob sie mit oder ohne Korruption leben wollen.

(Ich war 3 Jahre in Namibia und komme auch heute noch regelmäßig dort hin.)

G. Kunz

Sa. 27 Sep 2008 - 22:33

Hans Niehaus, Bad Schwartau
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Es geht zuviel verloren auf dem Weg nach Afrika, auch bei
all dem guten Willen, der bei den vielen Projekten dahinter steht. Insofern ist der Bonner Aufruf notwendig und wird hoffentlich kreativ aufgenommen.
Meine Afrikaverbindung: war Lehrer an der DSJohannesburg von 1992 bis 1996; habe weiter viele Kontakte nach SA; meine Tochter arbeitet zur Zeit für die GTZ in Pretoria; hatte die Freude, Botschafter Seitz bei einem Kulturprojekt in Yaundé kennen zu lernen;
MfG
Hans Niehaus

Do. 9 Okt 2008 - 23:33

Rudolf Welter , Hungen
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In keinem anderen Land der Welt ist die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) so umfangreich wie in Äthiopien.
Im Rahmen der TZ wurde das Neuvorhaben ecbp (Kapazitätsaufbau zur Wirtschaftsentwicklung) mit einer Laufzeit von 2005 -2014 auf die Schiene gesetzt. Das Programm besteht aus folgenden Komponenten: Reform der tertiären Bildung (Universitäten) und der beruflichen Aus- und Weiterbildung, Entwicklung von Qualitätsstandards und Normen, Stärkung des privaten Sektors und der entsprechenden Wirtschaftspolitik. Die BMZ-Finanzierung für die laufende Dreijahresperiode beträgt 28 Mio. €, der äthiopische Partner stellt weitere 20 Mio. € bereit. Mit diesen Mitteln bezahlt er z.T. die CIM- und DED -Fachkräfte. Nur für dieses Programm sind bis zu 400 deutsche Fachkräfte eingeplant. Der BMZ-anteil für die gesamte Förderperiode wird ca. 100 Mio. € betragen.

Maßnahmen in dieser Größenordnung stellen eine ganz besondere Herausforderung und Verantwortung für alle Beteiligten dar. Deshalb hat das BMZ eine Zwischen-Evaluierung über das bisher Erreichte im ecbp durchführen lassen. Einige Kritikpunkte sind:

- im Kernbereich des Programms sind nur marginale Erfolge sichtbar, weil nur 15 - 30 % der äthiopischen Stellen besetzt sind.

- Arbeitsbedingungen und -ausstattungen sind häufig so unzureichend, dass die deutschen Fachkräfte, z.Zt. 126, ihre Rolle als change agents nicht erfüllen können.

- Mangelnde notwendige Ernsthaftigkeit bei der Umsetzung der Berufsbildungsreform (lack of commitment).

- Niedriger Nutzen des Einsatzes von 44 CIM-Fachkräften in Berufsschulen, weil das neue Curriculum noch nicht vorlag und weil weder die Schulen noch die Fachkräfte auf ihre Rollen vorbereitet waren.

- Lehrerfortbildungskurse sind nicht wirtschaftlich wegen zu geringer Teilnehmerzahlen.

Erklärungen für die Misserfolge - Wie konnte es dazu kommen?

Aus entwicklungspsychologischer Sicht könnte man sagen, dass am Anfang der Partnerwunsch stand, endlich einen wesentlichen Entwicklungssprung zu machen. Beispiele hierfür fand er bei den asiatischen Tigerstaaten und vor allem im "deutschen Entwicklungsmodell", das zu einem schnellen Wiederaufbau in der Nachkriegszeit geführt hatte. Dieser Wunsch wurde gerne von einflussreichen Politikern und einigen deutschen Experten vor Ort unterstützt. Die notwendigen monetären Zuwendungen und Darlehn kamen von amerikanischen, europäischen und deutschen Partnern und Freunden.
So konnte aus dem äthiopischen Saatkorn in kurzer Zeit eine beachtliche EZ-Pflanze heranwachsen, die über alle anderen Pflanzen hinausragte.

Wer als Entwicklungsplaner immer dasselbe macht, möchte auch einmal neue Ufer erkunden und große Früchte ernten. So kam es, dass sie das große Rad mitdrehten. "Pulling projects is the development planner's maxim" - wobei er sich vorstellt, dass dann irgendwann später einmal alle Maßnahmen wunderbar ineinandergreifen und zusammenpassen (ähnlich wie bei der Schöpfungsgeschichte) zum Nutzen des zu entwickelnden Landes.

Endlich sollte Schluss gemacht werden mit dem üblichen Kleckern, jetzt sollte geklotzt werden, und zwar in jeder Hinsicht: Umsatz, Personal und Konzept.
Bis zu 100 Mio. € TZ bis 2014, 400 Fachkräfte, plus 20 Mio. € vom äthiopischen Partner für die erste Phase und weitere 12 Mio. € für der finanzielle Zusammenarbeit. Das waren die Bausteine, mit denen man das Konzept der personellen und finanziellen Zusammenarbeit aus einem Guss demonstrieren und die Befürworter der Budgethilfe in ihre Schranken verweisen konnte. Außerdem reizten ganz weltliche Anreize wie Umsatzsteigerung, Deckungsbeiträge, Leistungszulagen, Prestige.

Vergleichbares gab es weltweit noch nicht. Die Chance, den großen Wurf zu landen, war zu verlockend und das Risiko, dass die notwendigen Annahmen nicht eintreffen könnten, wurde ausgeblendet. Ebenso versagte man sich einen Blick in die äthiopische Vergangenheit oder in den "Wissens- und Erfahrungsspeicher" der EZ.

Mo. 13 Okt 2008 - 12:41

Rolf Hollender, Karben
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Afrika, der kulturell sehr sensible Kontinent, wurde seit dem Skavenhandel bis heute von den Interessen des "Nordens" und von falscher "Entwicklungshilfe" ausgenutzt. Die Ausbildung der afrikanischen Eliten in westlichen Unis nach westlichen Bedürfnissen ist ebenso verkehrt. Der Aufbau einer Pan-Afrika-Universität mit Fakultäten in verschiedenen afrikanischen Ländern würde die obere Bildungsspitze darstellen unter der dann die weiteren Bildungsebenen abgestimmt auf den afrikanischen Kuturkreis(e) bis zu Dorfschulen erfolgen könnte. Der "Norden" kann die Bildung und Unterhaltung am Beginn und durch Wissenstransfer z.B. in der Grundlagenforschung unterstützen.
Die Infrastruktur könnte wie Sie vorschlagen über die örtlichen kompetenten Vertrauensträger konzipiert und aufgebaut werden. Streng nach der Devise: Hilfe durch Selbsthilfe.
Die westlichen Demokratien sollten nicht denken, daß sie die Weltheilsbringer seien nach der Devise: "Heute gehört uns der "Norden (Westen)" und morgen die ganze ökonomische Welt"

Mi. 15 Okt 2008 - 12:10

Sid Peruvemba, Köln
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Zu vieles in der Entwicklungszusammenarbeit ist getrieben von Besitzstandswahrung und dem Eigeninteresse der Entwicklungsorganisationen des Nordens. Eine Reform der EZ müsste daher unter anderem das Ziel haben, den Löwenanteil wirtschaftlicher Wertschöpfung endlich in den Süden zu bringen.

Sa. 18 Okt 2008 - 18:21

Brigitte von Frankenberg, Rösrath
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Sehr geehrte Damen/Herren,
in der FAS habe ich das Interview mit Volker Seitz entdeckt und kann seiner Ansicht nur zustimmen. Es ist für mich unfassbar, daß die sogenannte Entwicklungshilfe in der jetzigen Form nicht schon längst reformiert wurde.Hilfe sollte natürlich sein, aber diese Gelder dürfen doch nicht in die falschen Kanäle gehen.
Viel Erfolg für Ihre so positive Initiative.
Mit freundlichen Grüßen
B.v.Frankenberg

Do. 23 Okt 2008 - 00:23

Cornelia Parisius, Bonn
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Ich begrüße die Initiave "Bonner Aufruf" und beglückwünsche Sie zu dem Mut, endlich Dinge offen auszusprechen bzw. zu provozieren, zu denen anderen Kennern aus dem EZ-Metier bisher der Mut fehlte. Ich stimme jedoch auch der Reaktion von Hr. Bonnet, insbesondere in Punkt 7. und 8. seiner Ausführungen zu. Hoffentlich wird mit dieser Debatte ein Stein ins Rollen gebracht, der dazu führt, neue Paradigmen zu setzen, für die es sich wieder zu engagieren lohnt!
Der Bonner Aufruf wird übrigens hervorragend bestätigt in einem Artikel im Bonner Generalanzeiger von heute (22.10.08), S. 2 über Botswana: "Gut regieren in Afrika - ja das geht".

Di. 28 Okt 2008 - 17:41

Herta Friede, Bonn
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In meiner beruflichen Tätigkeit in der EZ (seit 1971) war ich insgesamt 21 Jahre mit Afrika beschäfitgt, vor allem dem frankophonen. Aber ich war auch mehrere Jahre für die Zusammenarbeit mit Südkorea zuständig und habe auch in Lateinamerika leitende Positionen innegehabt. Ich habe sowohl in den Institutionen der kirchlichen wie der staatlichen EZ und in einer politischen Stiftung leitende Funktionen ausgeübt.So ist mir die Fragestellung, die Möglichkeiten und Beschränkungen staatlicher und zivilgesellschaftlicher EZ seit Jahrzehnten vertraut und in meinem Verantwortungsbereich gab es auch immer wieder Versuche der Zusammenarbeit zwischen der EZE( die auch mit Bundesmitteln arbeitet) und der GTZ, um Programme zu bündeln. Meine Erfahrungen hierzu sagen, daß die institutionellen Zwänge meistens stark sind und die verantwortlichen LeiterInnen in den Institutionen sich über die gemeinsamen Ziele sehr präzise verständigen müssen.
Aus meinen Erfahrungen in den verschiedenen Institutionen und rückblickend auf die Entwicklung der EZ kann ich die differenzierten Überlegungen von Herrn Messner (DIE) und Herrn Bonnet( ehemals BMZ) nur unterstützen.
Dazu nun aus meinem Erfahrungshintergrund ein paar Anmerkungen:
1: Natürlich muß sich Afrika selbst entwickeln. Dies ist eine Binsenweisheit. Meine Erfahrungen in Lateinamerika haben mir jedoch gezeigt, dass der kulturelle Weg zur Integration in eine Weltgesellschaft oft lang und schwierig ist. Dort haben fünfhundert Jahre noch nicht gereicht, um den Graben zwischen kolonialer weißer Kultur und den indianischen Kulturen zu überwinden und damit ein zentrales Entwicklungshemmnis. Die konfuzianische Basis des Fernen Ostens, einschließlich Südkoreas, ist eine völlig andere Voraussetzung.
2. ich möchte der Behauptung entgegentreten, daß wir zuviel für die Afrikaner, für sie, gemacht haben. Die Entwicklungshilfe wird wie Herr Bonnet auch richtig anmerkt, völlig überbewertet.Hier wird vergessen, daß ein großer Teil der ländlichen Bevölkerung Afrikas weit weg ist von der Entwicklungszusammenarbeit, ihren Segnungen und Verwerfungen. Die ungünstigen, hemmenden Rahmenbedingungen, die ihr schlecht regierter Staat ihnen setzt, berühren sie aber im letzten Dorf. Ich war häufig verblüfft wie genau die Bauern in entlegenen Dörfern,z.B. des Zaires(heute Kongo) darüber informiert waren, welche Rahmenbedingungen ihnen der Staat vorgibt und welche Konsequenzen dies für sie und ihre Familien hat.

2. es ist eine Binsenweisheit, die inzwischen auch in Afrika intensiv diskutiert wird, daß die staatlichen Eliten in Afrika als Entwicklungsmotor eklatant versagt haben. Dabei sollte aber ehrlicherweise hinzugefügt werden, daß wir während der Zeiten des Ost-West-Konfliktes unsere staatliche Entwicklungshilfe häufig geopolitisch ausgerichtet haben, wovon so mancher unappetitliche Diktator meisterlich profitierte. Die mißliebigen und auch gefährdeten Oppositionellen konnten dann bei den Partnern der Kirchen oder der politischen Stiftungen unterkriechen.
Auch heute ist die staatliche EZ eingebunden in staatliche Interessen und entsprechende Rücksichtnahme. Der Freiraum ist jedoch erheblich größer geworden und die Beachtung der staatlichen Rahmenbedingungen hat erheblich zugenommen in der EZ. Das ist die wesentliche und erfreuliche Entwicklung der letzten Jahre.

3. als langjährige Mitarbeiterin der EZE (heute EED), die so manche NGO mit aus der Taufe gehoben hat, kann ich nur warnen vor einer Überbewertung der Förderung der Zivilgesellschaft. Natürlich ist sie sehr wichtig. Aber die Zivilgesellschaft stößt schnell an ihre Grenzen, wenn sie keine Möglichkeit hat, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mitzugestalten. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind die zentrale Frage. Daher ist es auch wichtiger, eine NRO zu befähigen, einen kritischen Dialog in ihrer Gesellschaft zu führen, für Veränderungen erfolgreich einzutreten und sie eventuell durch internationale Verbindungen zu schützen als sich - wie im Bonner Aufruf gefordert- hauptsächlich auf technische Projekte an der Basis zu konzentrieren. Auf der anderen Seite müssen die staatlichen Akteure qualifiziert werden, sich solch einem Dialog zu stellen und Lösungen anzubieten. Die zentrale Frage in vielen Staaten Afrikas in den nächsten Jahren ist wie die beachtlichen Gewinne aus den Rohstoffen in Entwicklung des jeweiligen Landes umgesetzt werden. Dies ist auch eine Aufgabenstellung der EZ, der, die mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeitet und der, die die staatlichen Rahmenbedingungen versucht mehr entwicklungsorientiert zu gestalten. Eine einseitige Bevorzugung ist nicht sinnvoll.

4. dieses Hin und Her von AA und BMZ kenne ich schon aus der Zeit als ich noch studierte! Vielleicht gibt es einmal eine Lösung im Sinne des Vorschlags von Herrn Bonnet.

5. der Bonner Aufruf fällt zurück in die achtziger Jahre. Frustriert durch das ewige Hickhack mit all den kleinen und großen Diktatoren entdeckte damals die staatliche EZ die Zivilgesellschaft. Heute sind die Möglichkeiten jedoch vielfältiger für die staatliche EZ. Dies liegt einerseits im Wegfall des Ost-West-Konfliktes und der damit verbundenen Rücksichtnahmen, andererseits in der stillen Revolution durch die neuen Kommunikationstechnologien.

Herta Friede
zuletzt Landesdirektorin des DED
in Kamerun

So. 2 Nov 2008 - 12:34

Hans-Albrecht Max Schraepler, Bonn
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Hans-Albrecht Max Schraepler
Botschafter a.D.

Zum Artikel von Frau Herta Friede, veröffentlicht am 28. Oktober 2008 in "Ihre Meinung" (Bonner Aufruf)

Auch wenn bekanntermaßen und unbestritten Entwicklungshilfe ein wichtiges Instrument in den internationalen Beziehungen ist, und in Not geratenen Menschen um unserer gemeinsamen Zukunft willen geholfen werden muss, so habe ich mit zunehmendem Erstaunen diesen und die in dieser Rubrik veröffentlichten Beiträge gelesen.

Nach über 40 Jahren deutscher Hilfe an Afrika unter dem Titel "Hilfe zur Selbsthilfe" kann doch nur eines festgestellt werden, dass heute der afrikanische Kontinent südlich der Sahara brennt, nein, er lodert sogar, dass die afrikanische Völkergemeinschaft in Not ist und Flüchtlinge nach Europa strömen, jeden Tag, und ihr Leben riskieren um ein angeblich besseres Leben in der Fremde, bei uns in Europa. Die afrikanischen Vorzeigestaaten sind zu Problemstaaten geworden: Südafrika, Kenia, Côte d'Ivoire.

Trotz jahrzehntelanger Hilfe in Milliardenhöhe, des Einsatzes tüchtiger Entwicklungshelfer aus aller Herren Länder in Afrika und trotz heftig arbeitender internationaler und nationaler Gremien mit Sitzungen, einmal hier, einmal dort, bietet sich dem Bürger dieser triste und zugleich deprimierende Eindruck an.

Wollen wir dies? Genügt dies uns? Doch wohl nicht, denn sonst gäbe es ja nicht den Bonner Aufruf.

Eigentlich wird in keinem, von mir gelesenen Beitrag die deutliche Frage erhoben, welche Gründe für dieses schlechte Ergebnis ausschlaggebend sein könnten. Kann es wirklich nur die jetzige Struktur unserer Entwicklungshilfe sein? Liegt es etwa an der politischen Lage in Afrika, in seinen Staaten? Allein doch wohl kaum. Liegt es vielleicht an der derzeitigen Konzeption der deutschen Entwicklungshilfe, der europäischen? Allein doch wohl kaum. Hilft uns hier die in Deutschland immer wieder aus der Tasche gezogene, griffige, eigentlich nach jahrelanger Nutzung doch recht verbrauchte deutsche Oberthese "Hilfe zur Selbsthilfe"? Allein doch wohl kaum.

Ist dies aber wirklich die Konzeption, die wir benötigen, um Afrika, seine Regionen, die afrikanischen Staaten, also der uns geographisch nächstgelegene Kontinent mit all seinem natürlichen Reichtum zu unserem geschätzten politischen und wirtschaftlichen Partner zu machen?

Was haben wir denn seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa getan, dass unser Kontinent blüht und gedeiht, Krisen überwinden kann und international angesehen ist?

Wir haben politisch und wirtschaftlich miteinander kommuniziert und Programme, Politiken und Ziele entwickelt.

Haben wir das je mit Afrika, seinen Regionen, seinen Staaten in geeigneter Weise getan, versucht sie als politische gleichwertige Partner anzusehen?
Haben wir wirklich versucht, sie anders als Nur-Hilfsempfänger und Stimmpotential bei Abstimmungen in internationalen Gremien anzusehen?
Haben wir mit ihnen politische, politisch-wirtschaftliche Konzepte auf regionaler Ebene (regionale Staaten plus regionale internationale OrganisationenÙ­), auf panafrikanischer Ebene besprochen und entwickelt, wie miteinander politisch, wirtschaftlich und kulturell in Zeiten einer möglicherweise doch irgendwie kontrollierbaren Globalisierung umgegangen werden soll, werden kann, werden muss?

Aber: prüfen Sie sich einfach selbst!

Hans-Albrecht Max Schraepler
Botschafter a. D.

Ù­ Literatur: Paul Yao-N'Dré, Hans-Albrecht Schraepler: "Les Organisations Internationales Africaines", erschienen 1999, Nouvelles Editions Africaines, Abidjan, Côte d'Ivoire (ISBN 2-911725-68-9)

Sa. 15 Nov 2008 - 17:32

Volker Seitz, Six Fours les Plages, Frankreich
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Zur Presseerklärung von Herrn Sascha Raabe vom 13.11.2008
(zu finden in Neues)
Es ist doch schön, wenn man seine Gewissheiten nicht durch die Wucht der Wirklichkeit in Frage stellen muß.
Der Bonner Aufruf wäre doch nicht nötig gewesen, wenn es die "African Ownership", also Verantwortung für die eigene Entwicklung wirklich gäbe. Dann spricht Herr Raabe von "gewählten Parlamenten". Das wird unablässig behauptet.
Aber wo gibt es denn eine demokratische Kontrolle einer Regierung und damit auch der Entwicklungshilfeleistungen?
Ich kenne nur sehr wenige Länder in Afrika, wo der Staat nicht allgegenwärtig ist und wo die Regierung von einem Parlament wirklich kontrolliert werden darf. Wo sind die Gerichte unabhängig? Welche afrikanische Regierung repräsentiert die Interessen der Bürgerinnen und Bürger? In welchem Land werden denn EZ-Projekte dem Parlament vorgelegt oder gar von ihm gebilligt? Solche Fragen hätten wir und die Armen in den betroffenen Ländern gerne einmal beantwortet.
Wenn es keine funktionierenden Haushaltsprozesse und Transparenz der Mittel gibt, können wir noch so viel Geld (vor allem Budgethilfe) in die Länder pumpen und nachher mit uneinholbarer moralischer Überlegenheit behaupten, dass "in den letzten zehn Jahren viel bewegt wurde". Ja, was wurde denn zugunsten der Armen bewegt?
Man könnte auch einmal die Bamiléké-Frauen in Kamerun fragen. Sie sind dynamisch und setzen sich im Wirtschaftsleben durch. Sie schaffen sich selbst Anerkennung und Bedeutung. Die Bamiléké-Philosophie basiert auf der Grundlage, dass sich jeder durch Einsatz und Fleiß den Aufstieg in der Gesellschaftsstruktur schaffen kann und muß.
Sie haben nur einen "großen Fehler": Bis heute haben sie keine besondere Hilfe benötigt und lehnen Förderung von außen ab, da sie sich selber helfen. Statt "hohler Phrasen und theatralischer Gesten" (Paul Theroux) sollte man die Afrikaner selbst fragen. Das Beispiel Botswana zeigt, dass auch afrikanische Länder durch gutes Regieren durchaus eine Entwicklung überwiegend aus eigener Kraft schaffen können.

So. 16 Nov 2008 - 12:25

Steve Ebeling, Berlin
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Zur Diskussionsveranstaltung am 13.11.08

Erstens: Das Schwarz-Weiß-Denken Staat oder Zivilgesellschaft, das teilweise auch bei der Diskussion am 13.11. zu erleben war, ist nicht zielführend. Beides muss gefördert werden. Auf der einen Seite ein starker Staat, der natürlich nicht jede Dienstleistung selbst erbringen muss, aber der Regeln setzt und diese auch durchsetzen kann! Und auf der anderen Seite eine Zivilgesellschaft als Gegengewicht zur Regierung. Und: Zwar ist das Engagement von NGOs ehrenwert (die Grünhelme in Afghanistan wurden erwähnt), aber letztlich kann nur der Staat verantwortlich gemacht (Accountability) und eine Regierung von den Bürgern abgewählt werden (demokratische Verhältnisse vorausgesetzt). Insofern stimme ich dem Plädoyer von Nuscheler/Messmer zu, dass es ohne den Staat nicht geht, aber dieser effektiver werden muss.

Zweitens bleibt ein wohl unauflösliches moralisches Dilemma der Entwicklungspolitik allgemein: Auf der einen Seite die Forderung nach Eigeninitiative und Abschaffung eines paternalistischen Denkens VERSUS "Ich kann doch nicht warten bis..." (Dieser Satz fiel bei der Diskussion um Education for All).

Steve Ebeling
Student, FU Berlin

So. 23 Nov 2008 - 15:29

Dr. Helmut Danner, Nairobi, Kenia
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Nach 19 Jahren Tätigkeit als Auslandsmitarbeiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Ägpyten und in Kenia und nun seit 12 Jahren in Nairobi lebend, beschäftigen mich Afrika, das Verhältnis zwischen Afrika und dem ‚Norden' und die Frage der ‚Entwicklung' intensiv. Darum auch begrüße ich den Anstoß des ‚Bonner Aufrufs' zur Diskussion dieser Bereiche. Allerdings stimme ich mit dessen Thesen und Forderungen nur teilweise überein. Ohne ausführlich zu wiederholen, was andere Beiträge zu dieser Diskussion bereits anführen, skizziere ich zunächst meine Position:

1. EZ darf nicht provinziell auf Deutschland allein bezogen werden - es gab bzw. gibt die europäischen Organisationen, die amerikanischen, die Japaner, etc. Kritik an der Entwicklungspolitik der vergangenen Jahrzehnte betrifft alle. Darum ist es nicht ganz verständlich, wenn BMZ, SPD und Grüne meinen, sich gegen den ‚Bonner Aufruf' verteidigen zu müssen. (Ich vermisse Beiträge von CDU/CSU.) Zudem besteht Übereinkunft darüber, dass Afrika trotz Entwicklungshilfe sich nicht ‚entwickelt' hat. Es wäre auch wünschenswert, wenn die angeregte Diskussion über Deutschland hinausginge und nicht zuletzt Afrikaner einbeziehen würde.

2. Ich bin gegen die pauschale Forderung, die berühmten 0,7% des BSP für Entwicklungshilfe zu erreichen und auszugeben. Nicht die Menge des Geldes macht die QUALITÄT der EZ aus. Begrenzte Mittel können eine kreative Herausforderung sein. Zudem müssen die politischen und administrativen Rahmenbedingungen für die Verwendung von Geldern günstig sein. Schließlich ist die Vermittlung von Know-how im Prinzip nachhaltiger als der Transfer von Finanzen. Insgesamt sollte es um die QUALITÄT der EZ gehen.

3. So richtig und wichtig ARMUTSBEKÄMPFUNG ist, so einseitig ist die entwicklungspolitische Konzentration auf sie. Vor allem darf Armutsbekämpfung nicht auf materielle Besserung reduziert werden. Diese tendiert gerade dazu, nicht nachhaltig zu sein. Es geht auch und im Letzten um Mitsprache, um politische Mündigkeit der Armen und der Bevölkerung als ganzer. Armutsbekämpfung wird erst fruchtbar und nachhaltig, wenn die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen dies zulassen. Kleinkredite helfen den Kleinbauern erst dann, wenn die Infrastruktur sie gleichzeitig unterstützen und sie ihre Produkte transportieren und vermarkten können. Passierbare Straßen, Wasser und Strom muss die staatliche bzw. städtische Verwaltung bereitstellen.

4. Darum wäre die Abkehr von einer Zusammenarbeit mit Regierungen als pauschale Forderung falsch. Hier muss differenziert werden. EZ mit zivilen Gruppen und mit der Regierung muss Hand in Hand gehen.

Darüber hinaus möchte ich auf einige grundlegende Zusammenhänge aufmerksam machen, die mir in der Diskussion fehlen:
5. Herrn Pingers Ansicht, es könne "nicht die Aufgabe eines Staates sein…, ein Land zu entwickeln", ist mir unverständlich. Wozu sonst ist - unter anderem - ein Staatsgebilde da, wenn nicht dazu, politische, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen zu schaffen, zu schützen und permanent zu reformieren, damit Entwicklung möglich ist? Ich vermute, dass Herr Pinger einen ENTWICKLUNGSBEGRIFF verwendet, der speziell im Kontext von Entwicklungs-Land, -Politik, -Hilfe, etc. verwendet wird und der dem Gegenstand dieser Entwicklung UNTERENTWICKLUNG unterstellt.
Ich bin zunehmend der Meinung, dass die Entwicklungs-Idee und die Abstempelung als 'Entwicklungs'-Land ein falscher Ansatz ist und zum Misserfolg der EZ beigetragen hat. Beispielsweise hat sich das Land Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg von einem Agrarland zu einem Technologie-Zentrum entwickelt, einhergehend mit der Verbesserung der Lebensbedingungen für die Bevölkerung. Aber niemand redet in diesem Zusammenhang von 'Entwicklung' in jenem Sinne einer ‚Entwicklungs'-Hilfe. Bayern oder Deutschland oder andere europäische Länder waren nie ein 'Entwicklungs'-Land im Sinne von Entwicklungshilfe, obwohl sie sich in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten fortlaufend entwickelt haben. Wenn wir in unserer Wahrnehmung in der Lage wären, einem ‚Entwicklungs'-Land einen gleichberechtigten Status zuzugestehen, dann müssten wir unsere 'Entwicklungs'-Politik und die ‚Entwicklungs'-Hilfe im Sinne von Unterentwicklung zurücknehmen und könnten eher etwa von staatlichen und sozialen Reformen reden. Reformen sind überall und permanent erforderlich, in jedem Land der Welt. 'Reform' wäre ein ideologisch weniger belasteter Begriff. In diesem Sinne müsste in Kenia und in Afrika vieles reformiert werden. Aber man dürfte Begriffe nicht einfach austauschen - Entwicklung mit Reformen -, man dürfte nicht mit einem Reform-Koffer nach Afrika reisen und sagen: So, jetzt macht mal; hier ist die Anleitung, wie es geht. Denn das haben wir großenteils mit ‚Entwicklungs'-Hilfe zu lange getan. Es ginge also um eine Abkehr von der ideologisch belasteten ‚Entwicklungs'-Politik und ‚Entwicklungs'-Hilfe, nämlich von einer Entwicklung als Überwindung von Unterentwicklung zu einer völlig normalen, reformorientierten Entwicklung, oder anders ausgedrückt: es ginge um ein Ernstnehmen der Afrikaner.

6. Neben dieser zentralen Frage, wie wir Entwicklung überhaupt verstehen wollen oder müssen, steht die nicht weniger fundamentale Frage, WER denn die reformorientierte Entwicklung eines Landes BESTIMMEN soll. Der ‚Bonner Aufruf' sagt am Anfang, dieses sei eine falsche Annahme: "Der ‚Norden' könne Afrika entwickeln". Richtig. Die nachfolgenden Forderungen des Aufrufs sprechen dann aber genau wieder davon, wie WIR die EZ organisieren sollen. Es sieht so aus, als käme kaum jemand aus diesem zirkularen Denken heraus. Denn die Argumentation der Initiatoren des Aufrufs sowie vieler Diskutanten denkt im Grunde nur von UNS aus, nämlich wie WIR Entwicklungshilfe und Entwicklungspolitik gestalten sollen. Dazu nur ein Beispiel aus der SPD-Erwiderung vom 13. 11. 2008: "Trotzdem liegt mit Blick auf die UN-Millenniums-Entwicklungsziele noch einiges an Arbeit vor uns"… Es geht lediglich um eine Diskussion der INSTRUMENTE; es geht um die Frage über mehr oder weniger Gelder, über Regierung oder Zivilgesellschaft als Partner, usw, aber es geht nicht darum, VON WEM ENTWICKLUNG AUSZUGEHEN HAT. Es wäre wirklich schrecklich, wenn die Afrikaner uns erklärten, sie brauchen uns nicht - siehe Shikwati…

7. Fortschritte machen afrikanische Länder dort, wo ihre POLITISCHE ELITE politischen Willen zu Reformen hat. Dies ist meistens nicht der Fall, weil Politiker keine Staats-DIENER sind. Sie sind Pseudo-Elders, weil sie zwischen Tradition und Moderne, zwischen patrimonialistischen Strukturen und unverdauten Ideologie-Importen, zwischen ‚Dorf' und ‚Stadt' (als Chiffren verstanden) existieren. Die politische Kaste versteht sich der oberen Schicht der Gesellschaft zugehörig, jener Schicht, die bedient wird, aber nicht selbst bereit ist zu dienen, nur sich zu bedienen. Im Übrigen dürfen wir nicht vergessen, dass jene afrikanischen Ideologie-Importe - Demokratie, Good Governance, Rechtsstaatlichkeit usw. - Ergebnis eines fünf hundert Jahre dauernden Aufklärungs- und Emanzipationsprozesses in Europa sind.
Der erforderliche Wandel von Pseudo-Elders zu Staats-Dienern mit Interesse und Engagement am Gemeinwohl kann nicht von außen, nicht von uns gemacht werden. Dieser Wandel bedarf eines langwierigen, tiefgehenden Aufklärungsprozesses, den Afrika selbst leisten muss. Eine Diskussion um Entwicklungspolitik und -hilfe muss aber diese Zusammenhänge im Auge haben, wenn sie sich aus dem Irrweg des Eurozentrismus befreien will.

Dr. Helmut Danner, Nairobi

So. 23 Nov 2008 - 22:01

Kurt Gerhardt, Köln
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zu Punkt 6. des Beitrags von Dr. Danner, Nairobi (23.11.08):

Die Frage, "WER denn die reformorientierte Entwicklung eines Landes BESTIMMEN soll" (Danner), würde ich gern umformulieren in "wer für ... verantwortlich sein soll". Dass dies zunächst und vor allem die Afrikaner selbst sind und nicht wir! - das deutlich zu machen ist eines der wesentlichen Anliegen des Bonner Aufrufs. Was sonst kann gemeint sein, wenn es darin heißt, dass "Afrika sich nur selbst entwickeln" könne? Dieser Sinn steckt auch in der Feststellung von der "Durchsetzung der Verantwortlichkeiten". Wir müssen den afrikanischen Partnern mit aller Klarheit sagen: "Ruft nicht bei jedem Problem, das Ihr habt, nach ausländischen Helfern und vor allem ausländischem Geld! Seht erst einmal zu, wie Ihr - unter Anspannung aller Kräfte - selbst damit fertig werdet."

Es ist interessant, dass in den Diskussionen, die der Bonner Aufruf ausgelöst hat, auf solche Argument immer wieder eingewandt wird: "Ja, das sind doch Binsenweisheiten! Kein vernünftiger Mensch behauptet, der Norden könne Afrika entwickeln." Was von diesen EZ-Vertretern übersehen wird, ist, in welch hohem Maße die Zusammenarbeit mit Afrika von dieser Haltung beherrscht wird. Die ganze internationale EZ-Welt mit ihren Myriaden von Institutionen, Initiativen, Vereinen, mit ihren unendlichen Agenden, Konsensen, Erklärungen und Konferenzen ist durchzogen von dem Drang der Geber, ständig tun und machen zu müssen - dem eine ebenso verbreitete Lethargie Afrikas gegenübersteht, die wiederum durch die Haltung der Geber verstärkt wird.
Wir haben in der Vergangenheit schlicht zuviel getan!

Für den Bonner Aufruf bedeutet das keineswegs, die EZ einzustellen, sondern klüger vorzugehen als bisher. Und solange wir Handelnde sind, müssen wir - für unseren Anteil am Geschehen - die Frage stellen "wie WIR die EZ organisieren sollen" (Danner). Das widerspricht den Grundsätzen des Bonner Aufrufs nicht.

Di. 2 Dez 2008 - 11:39

Dr. Werner Roggausch, St. Augustin
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Endlich!!! Der Aufruf geht in die richtige Richtung. Er ist aber noch zu zaghaft und inkonsequent. Ausgangspunkt sollte sein, die schlichte Wahrheit auszusprechen: 1000 Milliarden USD seit 1945 für Afrika haben nichts sinnvolles bewirkt. Verantwortlich für dieses Scheitern sind nicht die Industrieländer, sondern die korrupten und kleptokratischen Eliten in den afrikanischen Ländern. Sie stehlen die Entwicklungshilfe-Gelder fast vollständig (die Gelder landen dann in der Schweiz) und finanzieren damit Waffen und Luxus. Die Staats-Chefs sterben alle als Milliardäre.
Mein Konzept wäre: 1. Alle Entw Hilfe sofort einstellen, 2.: Unbedingt den Waffennachschub beenden !!, 3.: keinerlei Kooperation mit all den Mugabes und Kabilas, 4.: für sinnvolle Exporte fairen Zugang zu den Weltmärkten.
Die afrikanischen Länder sollen endlich Verantwortung für die eigenen Angelegenheiten übernehmen. Das fordern übrigens auch zahlreiche Schwarzafrikaner selbst.

Sa. 17 Jan 2009 - 14:01

Volker Seitz, Bonn
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Im Kölner Stadtanzeiger ist am 16.01. der Artikel "Exzellente Entwicklungshilfe" erschienen. Es geht um 25 Millionen, die das BMZ deutschen Hochschulen für eine Zusammenarbeit mit Partnerhochschulen in Entwicklungsländern zur Verfügung stellen will. In der Tat, das ist eine exzellente Idee. Allerdings habe ich Bedenken, wenn das Geld dafür benutzt wird, um z.B. afrikanische Wissenschaftler nach Deutschland einzuladen. Es wäre sinnvoller, wenn deutsche Wissenschaftler die Verhältnisse vor Ort besser verstehen lernten. Leider sind afrikanische Staatschefs wenig stolz auf ihre Universitäten und lassen sie oft verkommen. Meist steht weniger Geld zur Verfügung als für die Präsidialverwaltung. Dabei können es sich die Afrikaner ökonomisch nicht leisten, sie verrotten zu lassen. Bildung - nicht nur Hochschulbildung - ist die Fahrkarte aus der Armut.
In Afrika gibt es viele ausbildungsbereite und bildungshungrige Menschen, die man allenthalben antrifft und die ihre Lebenschancen suchen.
Dass Afrika noch keine eigene Generation von Gen- und Nanoforschern hervorgebracht hat, hemmt die Entwicklung moderner Technologien in Medizien und Landwirtschaft und schafft Abhängigkeiten von den patentgeschützten Produkten anderer Länder. Die nötigen Einrichtungen und tiefenwirkenden Strategien könnten die Machteliten aus der Westentasche finanzieren.

Do. 22 Jan 2009 - 10:32

K. Reschke, Berlin
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Endlich! Ich hoffe, Sie finden Gehör und können etwas bewegen. Es ist so bitter nötig!
Vielen Dank für Ihre Initiative und allen Erfolg dieser Welt!

So. 25 Jan 2009 - 20:26

Jürgen Haushalter, Meckenheim
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Bei all den diskutierten Ursachen zur gescheiterten Entwicklungshilfe in Afrika kommen m. E. die schier unüberbrückbaren, sozio-kulturellen Gegensätze entschieden zu kurz.

Die profit- und wachtumsorientierten Industriegesellschaften sind u. a. von Merkmalen wie Effizienz, Produktivität, Innovation, Technologiegläubigkeit, Management, Individualismus und Sozialstaat geprägt. Die Akzeptanz dieser Denk- und Handlungsweisen ist auf dem afrikanischen Kontinent nicht vorhanden. Sie werden nicht als lebensentscheidende Basistugenden gesehen, stehen somit im krassen Widerspruch zur eigenen, traditionellen Lebensphilosophie, die in weiten Teilen Afrikas als "Ubuntu” bezeichnet wird und wie folgt lautet: "Der Mensch wird erst Mensch durch den Menschen”. Mit anderen Worten: Die von außen importierten Entwicklungsideen wie z. B. die Verwirklichung von fremd anmutenden Projektzielen werden - in der Regel unbewusst - nicht übernommen, sondern an erster Stelle steht die seit Generationen alles dominierende Verpflichtung gegenüber Familienmitgliedern und Mitmenschen. Diese Werte Afrikas begreift die westliche Welt nicht.

Jede Expertin und jeder Experte der Entwicklungshilfe, die bzw. der in der Projektarbeit in Afrika tätig ist, wird früher oder später im Rahmen der Tätigkeit auf den stark beeinflussenden, gelebten Ahnenkult, d. h. den Glauben an übernatürliche Kräfte, stoßen, allerdings nicht nachvollziehen können. Ebenso werden die Vertreter der Geberländer größte Schwierigkeiten damit haben, mit Werten wie Gemeinsinn, Teilen, Genügsamkeit, Harmoniebedürftigkeit und Emotionalität konfrontiert zu werden, die in ihren eigenen Gesellschaften nur noch schwach, in den afrikanischen aber stark entwickelt sind. Darüber hinaus sind dem westlichen Experten Verhaltensweisen wie Unterwürfigkeit, Nepotismus, Fatalismus und demokratieferne Strukturen völlig fremd. In dortigen Kulturen haben sie einen traditionell lebenswichtigen Stellenwert. Was die weit verbreitete Korruption betrifft, so ist dieses Gebaren leider nicht nur ein verwerfliches Handlungswerkzeug auf dem südlichen Kontinent. Alles zusammen genommen macht eine erfolgreiche Implementierung der durch Geberländer vorgegebenen Projektziele unmöglich.

Auch dem "letzten” Entwicklungshelfer wird vor Ort bald klar, dass sich aufgrund der sozio-kulturellen Unterschiede Projekte in der Regel nur so lange halten, wie Experten - aus Geberländen wie einheimische - vor Ort sind und die finanzielle Unterstützung gesichert ist. Sowohl regelmäßig zu erstellende Projektberichte an die Zentralen der Entwicklungshilfeorganisationen wie auch unabhängige Projektgutachten lassen allein aus Selbsterhaltungsgründen objektiv existierende, negative Zustände von Projektverläufen nicht zu, sind also faktisch Arbeitserhaltungsmaßnahmen für die Interessenvertreter sowohl der Geber- als auch der Nehmerländer.

Ansätze wie "Hilfe zur Selbsthilfe” oder "Angepasste Entwicklungshilfe” mögen gut gemeinte Strategien sein, werden aber durch die weltweit operierende Entwicklungshilfeindustrie überrollt. Diese Politik ist nicht selten ein strategisches, wirtschaftliches und Ressourcen suchendes Interessenwerkzeug der mächtigen Staaten dieser Welt.

Eine ganz andere, alles überlagernde Tatsache kommt hinzu, nämlich das protektionistische Handelssystem der Industriestaaten, beispielweise das der Agrarwirtschaft. Subventionierte Agrarprodukte in großem Stil zu Dumpingpreisen in die Armutsländer zu exportieren, die dann die dortigen landwirtschaftlichen Familienbetriebe in den Ruin treiben, ist eine menschenverachtende Handelspolitik. Es sind faktisch "Steilvorlagen” für die dann erneut anrückenden Agrarexperten der wirtschaftlichen - partnerschaftlichen (?) - Zusammenarbeit.

Fazit: Die Entwicklungshilfe - sowohl die staatliche als auch die der meisten NRO's -
hat ihre Legitimation verloren. Sie muss völlig neu definiert werden. Sehr wohl stehen die materiell reichen Länder in der Pflicht, in Katastrophenfällen humanitäre Hilfe zu leisten.

Sa. 31 Jan 2009 - 15:32

Sabine Hein, Frechen
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Ein großes Lob an den Bonner Aufruf! Weiter so! Die Bundesregierung muss unbedingt ihre Entwicklungspolitik überdenken und ändern! Wer daran noch zweifelt hat den Grundgedanken der „Unantastbarkeit der menschlichen Würde“ noch nicht begriffen.

So. 1 Feb 2009 - 10:03

Dr. Hartmut Schellhoss, Köln
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Wenn die Entwicklungspolitik nicht grundlegend verändert wird

Tag für Tag erreichen Boote, überladen mit zu Tode erschöpften Afrikanern, mit letzter Not die Insel Lampedusa, ein anderes EU-Gestade - oder kein Land mehr. Wird das so bleiben? Oder ist das das Vorstadium einer Entwicklung, wie wir sie aus der Geschichte Europas kennen?

Zwischen dem 2. und dem 6. Jahrhundert nach Christus "wanderten" viele Germanen nach Westen und Süden. Verschlechterte Lebensbedingungen in ihrer Heimat, insbesondere auf Grund klimatischer Veränderungen, der Einfall ( keine "Wanderung") der Hunnen in Osteuropa und die Kunde von blühenden Landschaften im Römischen Reich ließen sie dorthin völkerwandern. Ursprüngliches Ziel war von der römischen Regierung gesichertes Siedlungsland, nicht die Zerstörung des Römischen Reiches. Allerdings, auch durch die damit verbundenen Auseinandersetzungen, wurde dann die römische Zivilisation weitgehend zerstört. Hier in Deutschland wird das damalige Geschehen nicht negativ, sondern als Beleg für die Potenz unserer Vorfahren bewertet. Diese hatte sich schließlich schon früher gezeigt und ist mit dem Denkmal für den germanischen Buschkrieger im Teutoburger Wald gewürdigt worden.

In weiten Teilen Afrikas sind die Lebensbedingungen wahrscheinlich schlechter, als sie es seinerzeit für die Germanen waren. Einfälle in die Heimat benachbarter Völker gibt es in Afrika auch. Die errechnete Klimaveränderung wird auch in weiten Teilen Afrikas die Lage verschlimmern. Gesundheitsdesaster, Ernährungskatastrophen und Perspektivlosigkeit lassen jetzt eine neue, diesmal schwarze Völkerwanderung beginnen. In Richtung Süd- und Mitteleuropa. Dies umso mehr, als die Kunde von den dort blühenden Landschaften sich anders als seinerzeit für die Germanen konkret aus vielen in der Heimat verfügbaren Medien speist.

Zigtausende machen sich auf den Weg. Die Völkerwanderung endet erst einmal an den West- und Nordküsten des Kontinents. Die Boote der bisher vereinzelt genutzten Art bieten aber nicht genug Platz. Dieses Problem lässt sich jedoch lösen.

Die deutsche Reederei Ballin hat es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorgemacht. Tragende Geschäftsidee war die Vermittlung von Amerika-Passagen für eine sehr große Zahl Deutscher, die ihre Heimat aus existentiellen Gründen verlassen wollten. Später hat Ballin den Transport auch mit eigenen Schiffen übernommen. Nicht in Kabinen mit Seeblick. Auf seine Anregung wurden die großen Überseeschiffe mit Zwischendecks ausgestattet. Hier konnten zu relativ niedrigen Preisen viele Elendsauswanderer zusammengepfercht transportiert werden. Für die dort auf die Ausreise wartenden Emigranten ließ Ballin in Hamburg Schlaf- und Wohnpavillons, Speisehallen, Räume für ärztliche Untersuchungen, Bäder und sogar Kirchen errichten. Die Kosten waren im Preis des Passagiertickets enthalten.

Im Sommer 2009 greift eine Reederei die Ballinsche Geschäftsidee wieder auf. Sie errichtet Wohncontainer in einigen Hafenstädten Afrikas und least große Schiffe. Die Reederei kalkuliert zunächst einmal vorsichtig mit insgesamt 200 Tausend Passagieren. Viele afrikanische Großfamilien legen zusammen, um die wegen des Massengeschäfts kostengünstige Passage für wenigstens einige ihrer Mitglieder zu finanzieren.

In einer ersten Welle gehen Tausende Wanderer an Bord. Wie geht es weiter?

· Die Schiffe stechen in See und legen in Marseille, Rotterdam und Hamburg an, die Völkerwanderer gehen von Bord, sammeln sich erst mal in den Kirchen? Wird ihnen gesicherter Aufenthalt gewährt? Die einheimische Bevölkerung, jedenfalls soweit Germanen im Stammbaum, reagiert verständnisvoll, weil die Vorfahren ja auch mal völkerwanderten? Oder:

· Die EU sagt den Herkunftsstaaten der Flüchtlinge im Gegenzug für deren Wiederaufnahme (diesmal verbindlich) ausreichende Hilfen zu, damit Gründe für die Völkerwanderung entfallen? Oder gar:

· Jedem Völkerwanderer wird ein Geldbetrag geschenkt oder ein zinsloser Kredit gewährt, der zur Gründung einer Existenz im Heimatland ausreicht? Oder eher:

· Der Nato-Rat wird einberufen und beschließt: Flottenverbände des Militärbündnisses laufen aus und hindern die Völkerwanderungsschiffe mit Gewalt am Eindringen in die Hoheitsgewässer der Mitgliedsstaaten? Oder gar:

· Die afrikanischen Häfen werden vermint, damit kein Schiff auslaufen kann? Oder?

Auf jeden Fall wird schnell ein EU-Sondergipfel einberufen, der UN-Flüchtlingskommissar wird mit eingeladen. Wo findet der Gipfel statt? Natürlich, wegen des passenden Ortsnamens, in Heiligendamm.

Di. 3 Feb 2009 - 12:57

Francis Kpatindé, Dakar
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Je trouve l'initiative intéressante en ce sens qu'elle tord d'emblée le cou à quelques idées reçues sur l'Afrique et le développement. Et qu'elle ne se perd pas dans de longs discours.
Il faudrait faire en sorte à lui donner une large diffusion afin que le débat sorte du cercle restreint des spécialistes, des journalistes et des politiques.
Bravo ! J'applaudis (et je signe) des deux mains.

Mi. 4 Feb 2009 - 16:43

Marie-Roger Biloa, Paris
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Dieser Aufruf kommt sehr gelegen, weil es mit der "Entwicklungshilfe" absolut nicht so weitergehen kann, und Sie haben mit Ihrer Ursachenerforschung vollkommen recht: Bevormundung der ersten Betroffenen und falsche Anwendung der Gelder. Ferner stimme ich auch einer größeren Rolle für die deutschen Botschaften zu.

Nun habe ich so meine Vorbehalte mit der Verteufelung des Staates, nur weil er oft sehr schlecht funktioniert, und seinem Ersetzen durch "zivile Gesellschaft" ("gesellschaftliche Gruppen", wie Sie schreiben), weil das wieder eine kurzsichtige Lösung ist: Der Staat bleibt bis auf Weiteres die bessere Form, eine nationale Gemeinschaft zusammenzuschließen und eine gemeinsame Zukunftsvision zu pflegen. Es gilt daher, ihm dabei zu helfen, besser zu werden, um gemeinsame Interessen effizienter wahrzunehmen. Die aktuelle internationale Finanzkrise ist freilich nicht auf "zu viel Staat", sondern auf "zu wenig Staat" zurückzuführen.

Di. 10 Feb 2009 - 00:18

Jürgen Haushalter, Meckenheim
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Die Redebeiträge zeigen erneut, dass jegliche Anzeichen einer kritischen Standortbestimmung in der Entwicklungspolitik ausbleiben. Die Beiträge der meisten Parteienvertreter waren aus meiner Sicht weitestgehend von Gemeinplätzen, Widersprüchen, ja Hilflosigkeit geprägt. Vertreter fast aller Parteien sahen einerseits das Heil zur Erreichung der Millenniumsziele in der Erhöhung der Entwicklungshilfe, andererseits wurden Zweifel geäußert, ob mit mehr Geld allein soziale und wirtschaftliche Probleme des Südens zu überwinden sind. Parteiübergreifend war man sich zudem einig, dass die falsche Verteilung der Mittel und die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise u. a. für die negative Bilanz verantwortlich seien. Einmütig war man der Ansicht, dass das Hauptmillenniumsziel, bis 2015 die Zahl der in absoluter Armut lebenden Menschen zu halbieren, nicht annähernd zu erreichen ist.

Nicht nur die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul, plant daher, die Weltbank mit 100 Millionen Euro zu stützen, um die Ernährungskrise abzufedern. Dass gerade die Weltbank mit ihren Großprojekten und unsäglichen wirtschafts- und sozialpolitischen Auflagen den Empfängerländern keine Chance gibt, eine nachhaltige, auf Kleinbauern zugeschnittene Agrarwirtschaft zu halten bzw. zu entwickeln (Weltagrarbericht vom 4.12.08), wird verschwiegen. Die Ministerin kritisiert die für die Entwicklungsländer katastrophal wirkenden Agrarexporte aus der EU und macht Brüssel dafür verantwortlich, nimmt aber in Kauf, dass ihre Kabinettskollegin, die Agrarministerin Ilse Aigner, für die Wiedereinführung von Agrarsubventionen für Milchprodukte stimmt. Wie alle anderen Redner der Debatte plädiert Frau Wieczorek-Zeul für eine Erhöhung der Entwicklungshilfe auf die "altbekannte” Marke von 0,7 % des BNP bis 2015, um der Welternährungskrise beizukommen. Darüber hinaus fordert sie - zusammen mit der Bundeskanzlerin - eine neue Institution des Global Governance, nämlich einen UN-Weltwirtschaftsrat für wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung!

Thilo Hoppe, MdB der Grünen, prangert in einem Interview des "Parlaments” (2.2.09) die sträfliche Vernachlässigung der Landwirtschaft im Zuge der EZ an. In diese Kritik schließt er ausdrücklich die Entwicklungsländer mit ein und schimpft an anderer Stelle des Interviews auf "uns”, weil wir die Landwirtschaft im Süden durch hoch subventionierte Agrarexporte aus der EU kaputt machten. Um den Hunger zu beseitigen, plädiert Thilo Hoppe für ein weltweites Konjunkturprogramm in Höhe von 40 bis 45 Milliarden Euro pro Jahr!

Die Interessenlage der CDU bringt Christian Ruck mit folgendem Beitrag auf dem Punkt: "Der Haushalt des BMZ ist mittlerweile der zweitgrößte Investitionshaushalt der Bundesrepublik. Von ihm hängen allein in Deutschland zwischen 200 000 und 300 000 Arbeitsplätze ab.” Sinngemäß weiter: Die Weltbank ist bei ihren Sofortmaßnahmen zu unterstützen. Dann im Wortlaut: "Die deutschen Unternehmen bekommen seit vielen Jahren die mit Abstand meisten Aufträge aus den Programmen der Weltbank, Aufträge in einem Volumen, das größer ist als der Betrag, den wir einzahlen. Deswegen habe ich davon gesprochen, dass es an Dummheit grenzt, die Zahlungen zurückzufahren.” - Deutlicher und offener kann man nicht den Begriff der staatlichen Entwicklungshilfe definieren, so meine Schlussfolgerung.

Nicht zuletzt im Licht dieser aktuellen Parlamentsdebatte kommt dem "Bonner Aufruf" m. E. eine besondere Bedeutung zu.

Sa. 28 Feb 2009 - 19:40

George Ayittey, Washington D.C., USA
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Helping Africa of course is noble but the entire process has now been turned into a theater of the absurd - the blind leading the clueless. The first absurdity is the fact that Africa doesn't need aid. Its begging bowl leaks terribly. The aid resources Africa desperately needs can be found in Africa itself by plugging these leakages. Corruption is one huge leakage.
Former Nigerian President Olusegun Obasanjo once claimed that African leaders have stolen at least $140 billion (£95 billion) from their people since independence (London Independent, June 14, 2002. Web posted at www. independent.co.uk). At the Commonwealth Summit in Abuja, Nigeria on December 3, 2003, former British secretary of state for international development, Rt. Hon Lynda Chalker, revealed that 40 per cent of wealth created in Africa is invested outside the continent. Chalker said African economies would have fared better if the wealth created on the continent were retained within. "If you can get your kith and kin to bring the funds back and have it invested in infrastructure, the economies of African countries would be much better than what there are today," she said (This Day, Lagos, Dec 4, 2003).
Then in August 2004, an African Union report claimed that Africa loses an estimated $148 billion annually to corrupt practices, a figure which represents 25 percent of the continent's Gross Domestic Product (GDP) (Vanguard, Lagos, Aug 6, 2004. Web posted at www.allafrica.com).
If the African Union or African leaders were to cut corruption in half, they would find more than enough resources than the paltry $25 billion they receive in foreign aid from all sources.

Fr. 20 Mär 2009 - 22:04

Johannes Christenn, Adelshofen
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Die Kritik des "Bonner Aufrufs" an den Gebern ("am Norden"), bisher auf Grund von falschen Annahmen agiert zu haben, trifft mitten ins Mark auch des kirchlichen Engagements für Afrika. Die Wirkungen solcher Fehleinschätzungen waren in Tansania, dem Musterland deutscher staatlicher und kirchlicher Entwicklungshilfe, nicht zu übersehen.
Die entwicklungspolitischen Foren der Evangelischen Kirchentage der späten 70er, der frühen 80er Jahre waren in Bezug auf Afrika geprägt von überbordender "Helfer-Euphorie", die stark auf Tansania fixiert war. Es war die Zeit visionärer Konzepte und Strategien, die der Projektarbeit unerreichbare Ziele überstülpten. Warnungen der Praktiker blendete man aus.
Der "Bonner Aufruf" sollte von kirchlicher Seite unterstützt werden, auch um die unaufschiebbare Neuausrichtung der Politik und Hilfe für Afrika mit zu verantworten.

Mi. 25 Mär 2009 - 11:09

Joachim Bitterlich, Paris, Frankreich
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Glückwunsch zum Bonner Aufruf plus! Ich bin aus meiner Erfahrung nicht mit allen Aussagen einverstanden, er geht aber in die richtige Richtung. Nur ein radikaler Umbau führt uns weiter. Intensive Besuche und Gespräche in Afrika haben mich in dieser Auffassung bestärkt. "Weiter so" kann nicht die Devise sein!

Mi. 25 Mär 2009 - 19:36

Dr. Rainer Barthelt, Bonn
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Ich teile Ihre Skepsis an der Entwicklungspolitik in weiten Teilen seit langem. Dem BMZ gehörte ich fast von Anfang an an und verließ es nach 36-jähriger Zugehörigkeit als dessen Beauftragter für Sub-Sahara-Afrika. Einen Teil meiner Kritik habe ich in meinem 2005 beim Droste-Verlag Düsseldorf erschienenen Buch „Die Welt vor dem Abgrund“ zu Papier gebracht.

Di. 31 Mär 2009 - 13:17

Jürgen Haushalter, Meckenheim
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Dem Bonner Aufruf Plus, der erfreulicherweise gegenüber der Erstversion nunmehr Substanz erhalten hat, kommt bei mir in Teilen "weichgespült rüber”. Möglicherweise ist dies auf den nicht leicht zu erreichenden Konsens unter den renommierten Autoren zurückzuführen.

Trotzdem ist der aktuellen Version weitestgehend zuzustimmen, z. B. was die Skepsis zur Budgethilfe betrifft. Zu begrüßen ist auch der Gedanke, dass das Subsidiaritätsprinzip im Rahmen einer basisorientierten Unterstützung einen höheren Stellenwert erhalten muss. Ebenso sind eigenverantwortlich aufgebaute Mikrofinanzsysteme - wie beispielweise in Bangladesch erfolgreich praktiziert - zu unterstützen, bei denen durch die Vergabe von Kleinkrediten die Menschen nicht zu Bittstellern werden.

Die diplomatischen Vertretungen allerdings stärker mit entscheidungsbefugten Experten der Entwicklungshilfe zu bestücken steht m. E. nicht im Einklang mit der geforderten radikalen Kursänderung in der Entwicklungspolitik. Keine Frage, die Koordinierung sowie Bündelung der nationalen Programme und Projekte der von staatlichen Stellen und Nichtregierungsorganisationen (NRO) durchgeführten Hilfsmaßnahmen ist unerlässlich, wobei die Botschaften natürlich einzubeziehen sind. Aber macht es Sinn, die im In- oder Ausland tätigen Entwicklungshilfeexperten in großer Zahl an die diplomatischen Vertretungen umzusetzen ? Die Fachleute werden auch in dieser Position kaum in der Lage sein, unabhängige Entscheidungen zu treffen, sind es doch in der Regel von staatlichen Stellen oder von NROs delegierte Bedienstete, die geberorientierte Interessen zu verfolgen haben, nicht zuletzt wirtschaftlicher Art. Die Beendigung der unheilvollen Allianzen von Vertretern der Geberinstitutionen mit denen der Empfängerländer wird damit kaum zu erreichen sein.

Im Aufruf Plus kommt ein anderer, gravierender Aspekt zu kurz, nämlich die Frage "Wie können Vertreter unterschiedlichster Kulturen zu einem gemeinsamen, zukunftsträchtigen Entwicklungsansatz kommen?”. Gemeint sind die extrem schwer zu überbrückenden Gegensätze sowohl im wirtschaftlichen wie auch im sozio-kulturellen Bereich, die in meinem Beitrag vom 25.1.2009 auf dieser Website angesprochen wurden.

Der gesellschaftliche Aufbau westlicher Industrieländer ist bekanntlich in keiner Weise vergleichbar mit afrikanischen Strukturen - eingeschlossen staatliche Stellen - wo Stammesälteste, Chiefs, Familienclans, Stämme, Kirchenvertreter in für uns fremder Weise nicht nur das Wirtschaftsleben, sondern das alles überragende sozio-kulturelle Miteinander bestimmen. Einzig und allein diese sozialen Netzwerke ergeben Sicherheit und sind lebensentscheidend und nicht etwa staatliche Sozialsysteme westlicher Prägung. Die vorgenannten Personen, Institutionen und Gruppierungen mit ihrer afrikanischen Lebensphilosophie, ihren Interessen und Zwängen, aber auch Erfahrungen, wären die maßgebenden Ansprechpartner im Rahmen einer basisorientierten Zusammenarbeit. Es sind also nicht vertraute, institutionalisierte Einrichtungen, auf die der Experte - ausgestattet mit dem westlichen Begriff von Entwicklung - im Geberland stößt.

Weitere sozio-kulturelle Fakten kommen hinzu, die wir zur Kenntnis nehmen müssen,
nämlich Nepotismus, Fatalismus, Ahnenglaube, Korruption u.v.m. Diese Kulturmerkmale und ebenso die afrikanische Weise des subsistierenden Wirtschaftens sowie das durch Gemeinsinn, Teilen, Genügsamkeit, Demut, Emotionalität etc. geprägte Zusammenleben machen es außerordentlich schwierig, einen gemeinsamen Ansatz der Entwicklungshilfe zu finden.

Bedauerlicherweise werden diese zentralen Aspekte von den Initiatoren im Aufruf Plus nicht deutlich genug angesprochen.

Zusammenfassend einige Grundsätze zur Entwicklungspolitik (u.a.):

· Ja zu einer anderen Entwicklungspolitik, die von einer deutlichen Kursänderung bestimmt sein muss.
· Afrikanische Gesellschaften können sich nur selbst entwickeln, schon deshalb, weil Hilfe von außen Eigeninitiative lähmt. Weniger Hilfe ist also oft die bessere Entwicklungshilfe.
· Unsere Vorstellungen von Entwicklungshilfe sind hintenan zu stellen, da sie nur bedingt in afrikanischen Gesellschaften greifen, ja, oft Schaden anrichten. Im übrigen ist es unglaubwürdig, das in vieler Hinsicht schwer angeschlagene "Lebensmodell” der Industrieländer als Vorbild hinzustellen.
· Im Rahmen von Hilfsmaßnahmen sind die Entscheidungsträger der Nehmerländer an eine eigenverantwortliche Mitwirkung zum Wohl der Menschen heranzuführen.
· Wir als Geberland haben wirtschaftliche wie auch sozio-kulturelle Werte und Erfahrungen der empfangenden Gesellschaften anzuerkennen. Entwicklungshilfe ist keine Einbahnstraße, sind uns doch afrikanische Werte wie die oben genannten (Gemeinsinn etc.) verloren gegangen.
· Nur von gegenseitigem Respekt geprägte Entwicklungszusammenarbeit, dieses partnerschaftlich auf Augenhöhe, hat Aussicht auf bessere Perspektiven.

Sa. 11 Apr 2009 - 20:41

Thorsten Becherer, Köln
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Hiermit möchte ich mich hinter diesen Aufruf stellen und begrüsse insbesondere die Knappheit mit der die Punkte gemacht werden.

Viele der Meinungen an dieser Stelle haben recht wenn Sie auf eine größere Komplexität der wahren Situationen vor Ort hinweisen. Durch meine Arbeitserfahrung in der Privatindustrie u.a. in China sowie als DED Berater der Privatwirtschaftförderung in Äthiopien (in dem unten von Rudolf Welter kritisierten Programm ecbp) bin ich jedoch der Meinung dass die unterschiedliche Entwicklung mit weniger Komplexität zu erklären ist.

Es gibt unzählige, sehr komplexe Unterschiede u.a. historischer und kultureller Art zwischen afrikanischen und asiatischen Ländern. Aber in Äthiopien bin ich nicht weniger Menschen als in China begegnet die den absoluten Willen hatten sich zu entwickeln und den eigenen Lebensstandard durch eigene Leistungen zu verbessern. Der Unterschied lag häufig in den Erfahrungen die sie bei dem Einsatz dieses Willens gemacht haben.

Ich möchte an dieser Stelle Kurt Gerhardt (Spiegel Online 11.04.09) zitieren: "Der (...) gigantische internationale Entwicklungshilfeapparat ist zu weit von der Wirklichkeit entfernt. Er dreht sich um sich selber (...)".

Dieser Apparat besteht häufig aus Personen die auf diesen Apparat angewiesen sind (beruflich und / oder privat). Ich unterstelle keinem der Beteiligten dass er deswegen ausschliesslich zum Wohle dieses Apparates agiert, aber aus meiner Erfahrung führt diese Abhängigkeit unterbewusst häufig zu einem Verhalten welches nicht die eigenständige Entwicklung des Partnerlandes zuvorderst stellt. Das Ziel des Apparates ist zu selten sich selbst überflüssig zu machen.

Den Einfluss der EZ auf die Gesellschaften in Afrika ist mMn sehr groß. Deswegen hat jede einzelne Situation, in der ein Mensch die Erfahrung macht dass er ein Problem nicht selbst lösen muß weil Andere das für ihn tun, verheerende Auswirkungen auf die Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft.

Wenn wir das berücksichtigen müßen wir uns später nicht über mangelndes "Commitment" der Afrikaner beklagen.

So. 12 Apr 2009 - 04:13

Thomas Akpe, Frankfurt
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Fassen wir also die Stimmen einmal zusammen und versuchen einen "Ausblick" zu machen:

"Der (...) gigantische internationale Entwicklungshilfeapparat ist zu weit von der Wirklichkeit entfernt. Er dreht sich um sich selber (...)".

Schlussfolgerung:

Dr. Hartmut Schellhoss, Köln
Wenn die Entwicklungspolitik nicht grundlegend verändert wird

Tag für Tag erreichen Boote, überladen mit zu Tode erschöpften Afrikanern, mit letzter Not die Insel Lampedusa, ein anderes EU-Gestade - oder kein Land mehr. Wird das so bleiben?

JA.(Punkt)
Nun fragt der positiv motivierte Mensch in Deutschland: Warum muss das so bleiben? Dazu folgendes:

Tom Weingärtner, Brüssel
.....Die interessante Frage ist, wie die Geberländer ihre Ziele definieren."

Nun, die Ziele sind eindeutig definiert: Nicht Entwicklung steht um Fordergrund, sondern, politische Einflussnahme.

Wenn China in ganz Afrika korrupte Allianzen bildet ( was Frankreich schon seit Jahrzenten macht), wo bleibt das die gut-gemeinte Deutsche Entwicklungs"hilfe"? Gemaess den Gesetzen der Internationalen Politik, muss sich Deutschland "irgendwie" an diese Politik anpassen. Warum sollte ein Afrikanischer Diktator - Deutschland ansonsten Audienz gewaehren?

Somit steht fest. Die Schiffe werden weiter von Ceuta nach Gibraltar fahren. Es wird ein neuer Jeff Sachs kommen und "neue Energie" (=Gelder) verlangen. Es ist ein neuzeitliches Drama, denn: Das Leid in Afrika entsteht tatsaechlich aus dem Willen des einfachen Deutschen der Spendet. Die Deutsche interlektuelle Elite spendet ja nicht. Sie weiss ja dass das Geld nicht ankommt.

Was "koennte" helfen:

Nun werde ich persoenlich und muss mich leider als realist outen:

- Machtvolle Militaerische Eingriffe in den schlimmsten Gebieten ( Ruanda, Somalia, Sudan, Nigeria ( ja, denn wenn nichts geschieht wird das Land bald die Scharia haben)

- Konsequenter Aufbau der Institutionen - auch wenn starker politischer Gegenwindes der zu erwarten ist ( siehe die kuerzlich von President OBAMA vorgeschlagene Angenda fuer den Irak)

Danke.

So. 12 Apr 2009 - 11:20

Hans Werner Schneider, Pristina, Kosovo
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Die Wichtigkeit der Entwicklungshilfe läßt sich doch leicht an den Namen der Minister/ in des BMZ ablesen.
Ruhige Posten für alternde Ex -Grössen.
Die Jetzige hat keinen Schimmer !

So. 12 Apr 2009 - 12:31

Olaf Bachmann, Libreville, Gabun
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Schoenen Gruss vom Aequator.

Die Geber stehen Schlange in Afrika suedlich der Sahara. Da muessen Budgets ausgegeben werden damit diese dann in Folgejahren wieder genauso gross oder groesser werden koennen. Waere doch gelacht wenn man nicht auf schoene ODA Zahlen kaeme...egal wieviel Sinn hinter vielen der Projekte steht. Auf Nehmerseite, genauer, unter den lokalen Eliten, lacht man sich gleichzeitig satt und passt gut auf, dass die 'donors' sich nicht koordinieren.

Das Spiel laeuft schon so lange so gut, wieso sollte man der eigenen Bevoelkerung aus der Armut helfen - diese Armut ist schlieslich die Garantie dafuer, dass weitere Hilfsgelder fliessen.

Es ist wirklich nicht Geld, an dem es hier mangelt - es ist der politische Wille zur Veraenderung.

So. 12 Apr 2009 - 13:27

Sebastian Briesen, Mombasa, Kenia
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Ich begrüße die Initiative Bonner Aufruf. Ein Umdenken mus stattfinden. Ein Punkt, der meiner Erfahrung nach jedoch nicht stimmt, ist der im Aufruf angesproche Verlust der Würde. In Afrika gilt das Sprichwort: "Ein Geschenk wird niemals abgelehnt, auch wenn man es nicht braucht."
Das Fragen nach milden Gaben von Erfolgreicheren oder Reicheren ist selbstverständlich.Ich wage zu behaupten, dass der Begriff der Würde oder Widererlangung von Würde ganz von westlicher Seite auf Afrika projeziert wurde, für die Afrikaner allgemein jedoch kein Problem darstellt, dass es zu beheben gilt. Die Widererlangung von Würde ist kein Anreiz zu einer Veränderung der Verhältnisse vor Ort. Wer dies annimmt, irrt.

So. 12 Apr 2009 - 19:33

Gerhard Mueller , Quito, Peru
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Sehe ich genau so! War selbst bereits fuer die GTZ und das Auswaertige Amt in Ostafrika taetig.

So. 12 Apr 2009 - 19:36

Hermann Tebbenhoff , Bogota, Kolumbien
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Diese Position vertrete ich schon seit mehr als zwanzig Jahren! Häufig wird man damit aber als Rassist bestenfalls als ahnungslos diffamiert! Dabei ist klar, dass die bisherige Art der "Entwicklungshilfe" vollkommen versagt hat und nur zu Abhängingkeit, Passivität, Bettelei sowie Verschwendung der eingesetzten Mittel geführt hat. Bestenfalls wurden die Konten der Oberschicht gefüllt und , in geringerem Maße, gute Verdienste für GTZ-Mitarbeiter u.ä. generiert! Es bleibt zu hoffen, dass es eine radikale Kehrtwendung gibt, um den wirklich Bedürftigen zu einem besseren Leben zu verhelfen!

So. 12 Apr 2009 - 19:39

Rainer Holstein , Juba, Südsudan
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In Kuerze und eigentlich gibt's da viel mehr zu sagen: Lieb gedacht und wieder mal fast was ganz Neues. Ich mache die Diskussion seit 40 Jahren mit, schon damals gab es aehnliche Vorschlaege. Die Analyse von Kurt Gerhard kann ich groesstenteil nachvollziehen, doch mit Krediten und einer gewuenschten neuen Art von Selbsthilfefoerderung ist kein Problem geloest. Wer soll die Kredite zurueckzahlen und wer soll das Personal auf beiden Seiten der Selbsthilfefoerderung sein? Wer hat in Afrika schon mal ernshaft ueber Kreditrueckzahlung nachgedacht (vielleicht ausser ein paar Geschaeftsleuten, die laufende Kredite fuer Geschaeftszwecken brauchen). Wer soll Selbsthilfe foerdern? Etwa die BMZ-Buerokratie und angehaengte Organisationen (GTZ, KfW, NROs)? Das wird nichts , die foerdern was sie fuer richtig oder notwendig halten. Zudem gibt es administrative Zwaenge. Da stoeren doch andere Vorstellungen nur. Die Partner im Entwicklungsland sind auch nur wohlgelitten wenn sie auf die Experten hoeren. Und die Partner selbst? Gibt es den Boss einer lokalen (selbstverstaendlich gesponserten) NRO, der nicht im Landcruiser durch die Gegend faehrt? Haeufig sind die Bosse Teil der lokalen Oberschicht-Kleptokratie. Natuerlich gibt es ein paar Ausnahmen und ein paar Erfolge fuer einige Engagierte. Natuerlich produzieren die Effizienzbolzen der GTZ auch Erfolgsprojekte (von denen nach ein paar Jahren keiner mehr spricht, weil verschwunden). Aber letztendlich kommt unten, bei der Bevoelkerung kaum etwas an. Wie auch? Entlang den Strassen passiert schon mal etwas, aber was ist weiter drin? Der Alltag der Menschen dort ist das Kochen auf drei Steinen, die Kerosinfunzel, das Wasserschleppen, Krankheiten fast ohne Behandlungsmoeglichkeiten, beschraenkte Bildungsmoeglichkeiten, Ausbeutung und Unterdrueckung von Maedchen und Frauen im traditionellen System etc.pp.
Dazu kommt ein viel gravierenderes Problem, das wohl noch gar nicht so recht wahrgenommen wird: die Bevoelkerungsentwicklung: Die - allerdings nur relativ - gesunkene Kindersterblichkeit brachte und bringt eine Bevoelkerungsexplosion, die in keioner Relation zum Wirtschaftswachstum stand und noch steht. So gab es 1968 etwa 10 Millionen Ugander, jetzt sollen es ueber 30 Millionen sein, projektiert sind fuer 2050 so um die 50 Millionen oder mehr. Irgendwann gibt es dann nichts mehr zu essen, Wasser fehlt etc. Das laesst sich jetzt schon besichtigen in weiten Teilen Kenias und da hilft dann auch die begrenzte Nahrungsmittelhilfe nichts. Zudem: gelingt es in der Entwicklungszusammenarbeit die Nahrungsproduktion zu steigern, so steigt analog dazu die Kinderzahl. Frauen in Uganda haben durchschnittlich 7 Kinder, je mehr Nahrung vorhanden desto besser die Ueberlebensfaehigkeit.

Was tun? Noch ein neuer Ansatz. Wohl kaum. Doch sollte weiter geholfen werden wo das Elend zu augenscheinlich ist. wir koennen uns dem nicht verschliessen. Und vielleicht kann durch mehr Geld fuer Bildung, Information und Meinungsaustausch eine Art sozio-kultureller Einstellungswandel (change of attitude) vorangebracht werden. Das braucht viel Zeit, die Afrika eigentlich nicht mehr hat. Letzteres muss auch den Afrikanern klargemacht werden. (So wie es eine ganze Latte von Dingen gibt, die auch den Deutschen mal klargemacht werden sollten).

So. 12 Apr 2009 - 19:41

Gerhard Brockschmidt , Kairo, Ägypten
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Entwicklungshilfe soll ja den Armen helfen. Das geht eigentlich nur durch Unterstützung von NGOs, Bildungs- und Mikrokreditprojekte, denn nur so kommen die eingesetzten finanziellen Mittel den Armen unmittelbar zu. Infrastrukturprojekte dienen nach meinen Erfahrungen den örtlichen Machthabern nur dazu, Mittel für sich abzuzweigen. Sobald die Mittel geflossen sind, haben sie ihren Zweck erfüllt, d.h. die Infrastruktur kann zerfallen, ja noch besser wird gar nicht richtig fertiggestellt, denn dann kann man noch mal kassieren durch Bestechungsgelder bei der Abnahme der unvollständigen Baumaßnahme.

So. 12 Apr 2009 - 22:09

Volker Seitz, Bonn
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Ich möchte allen, die Gutes tun wollen den exzellenten Artikel von Daniel Ammann aus der "Weltwoche" über seinen Besuch bei dem peruanischen Ökonomen Hernando de Soto ans Herz legen: "Der Mann, der heilige Kühe in Goldesel verwandeln kann." Der Artikel ist zwar aus dem Jahre 2005, aber de Sotos Vorschläge sind nicht veraltet.Er beklagt mit Recht, "das Vorurteil, dass es die Menschen in den Entwicklungsländern einfach nicht packen können.Es ist pure Arroganz, wenn jemand glaubt, er könne im Arbeitszimmer einer amerikanischen Universität (gemeint ist J. Sachs) eine Lösung für die Dritte Welt ausbrüten"

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