Beitrag vom 01.03.2009
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Thomas Scheen: Die Ausbeutung des Hungerkontinents
Zuhauf streicheln Prominente in Afrika die Köpfe von schwarzen Kindern. Und denken dabei vor allem ans eigene Marketing. Sie wissen nicht, was sie anrichten.
Johannesburg. Salma Hayek war unlängst in Sierra Leone. Salma Hayek, das muss man wissen, ist nicht nur Schauspielerin mexikanischer Abstammung, sondern auch ehrenamtliche Unicef-Botschafterin. Sierra Leone wiederum ist ein kleines Land in Westafrika, das einen der schlimmsten Bürgerkriege des Kontinents hinter sich hat, heute als Drehscheibe für den Transport von südamerikanischem Kokain nach Europa dient und damit vom Regen in die Traufe geraten ist. Das weiß natürlich kein Mensch. Das zu ändern, nämlich kraft ihrer Prominenz Aufmerksamkeit auf die Situation der Menschen in Sierra Leone zu lenken, war der Zweck von Hayeks Reise.
Nun tat Salma Hayek in Sierra Leone etwas, das man zumindest als ungewöhnlich bezeichnen kann: Sie nährte einen fremden Jungen an ihrer Brust. Das sei eine spontane Entscheidung gewesen, sagte sie anschließend, was man ihr schon deshalb nicht abkauft, weil die Dame zu lange im Showbusiness ist, um nicht zu wissen, wie man aus einer Mücke einen Elefanten macht. Das Filmchen über ihre Barmherzigkeit verkaufte sich prächtig, und die Schauspielerin, um die es beruflich in letzter Zeit stiller geworden war, genießt wieder weltweite Aufmerksamkeit. Seither wissen wir, dass Hayek einen Milchüberschuss hat, dass sie Gewissensbisse gegenüber ihrer eigenen Tochter hat, weil die vielleicht neidisch auf den kleinen schwarzen Jungen sein könnte, und wir wissen außerdem, dass die Hayek gerade einen französischen Milliardär geheiratet hat, dem sie vorübergehend den Laufpass gegeben hatte, weil der nebenher mit der Justizministerin seines Landes geknutscht haben soll. Von dem Jungen in Sierra Leone aber wissen wir nicht einmal den Namen.
Die kleine Geschichte um die Mexikanerin in Sierra Leone ist symptomatisch für die Zweckehe, die Prominente und Hilfsorganisation zum Wohle der gegenseitigen Profilierung eingegangen sind. Prominente, zumal Schauspieler, scheinen die Rettung Afrikas zur Ehrensache erklärt zu haben, doch was dabei herauskommt, ist nicht weniger als die eigene Profilierung auf Kosten derer, die sich nicht wehren können. Es gibt kaum ein Flüchtlingslager, das etwa vor Brad Pitt und seiner tätowierten Lebensabschnittsgefährtin Angelina Jolie sicher wäre, wo sie Kinder herzen, das Böse in der Welt anprangern und solche Sätze hauchen wie: "Wir müssen das Morden stoppen", während der mitreisende Leibfotograf seine Kamera malträtiert, weil die People-Magazine die Bilder gar nicht schnell genug drucken können. Spätestens in solchen Augenblicken möchte man dem amerikanischen Schriftsteller Paul Theroux um den Hals fallen - wie Brangelina den schwarzen Kindern -, wenn er sagt, die beiden erinnern ihn bei ihren Auftritten in der Wüste immer an "Tarzan und Jane". Die weniger amüsante Seite dieses grotesk kitschig inszenierten Elendstourismus ist aber, dass nicht nur Pitt und Jolie es auf dem Umweg über ihre vermeintliche Anteilnahme meisterlich verstehen, sich jede Woche auf mindestens zwei Dutzend Titelseiten zu plazieren.
Natürlich wird das alles vehement bestritten, und die Hilfsorganisationen rechtfertigen ihren All-inclusive-Service für Promis mit der Notwendigkeit von "öffentlicher Bewusstseinsschaffung" für ansonsten im Strom der Nachrichten untergehende Krisenmeldungen. Das ist an sich nichts Ehrenrühriges, doch ist der Spieß längst umgedreht worden. Die Frage ist doch, wer hier wen benutzt. George Clooney etwa hat sein Herz für Darfur entdeckt und hat bei gleicher Gelegenheit sein Playboy-Image gegen das eines politischen Kopfes eingetauscht, weil er so langsam in ein Alter kommt, in dem Charakterrollen locken. Doch die Clooneys sind nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt kaum ein Sternchen, das sich nicht für arme kleine Kinder in Afrika engagiert, und selbst die C-Prominenz bis hinunter in die deutsche Provinz bedient sich längst des vermeintlichen Hungerkontinents zur Beförderung des eigenen Marktwertes.
Ruth Moschner etwa. Schon mal von der gehört? Immerhin muss die Frau so bekannt sein, dass eine Informationsreise für Journalisten zur Vorbereitung der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika mit ihr beworben wird. Originalton Pressemitteilung: "Gerne möchten wir Sie im Rahmen dieser Reise zu einem ganz besonderen Termin einladen", nämlich dem Besuch von Frau Moschner in einem Trainingslager für benachteiligte Nachwuchstalente. Wo sie schwarze Köpfe streichelt. Und garantiert einen Fußball spendiert. Die Frechheit daran ist, dass solch Werbung in eigener Sache auch noch als "Information" verkauft wird.
Noch schlimmer als die ohnehin nur schwer zu ertragenden Freizeitweltenretter aber sind Prominente vom Schlage eines Bob Geldof oder Bono, die im Gegensatz zu den mit abgepackten Mineralwasserflaschen durch die Flüchtlingslager stapfenden Selbstdarstellern langjährige Überzeugungstäter sind und deshalb ernst genommen werden. Bob Geldof, das ist der nicht sonderlich erfolgreiche britische Barde, der seine Erleuchtung in den achtziger Jahren in Äthiopien erhielt, dann ein Mega-Konzert zum Wohle der Hungernden dort organisierte und anschließend nicht wusste, wie er das Geld sinnvoll unter die Leute bringen sollte. Bono wiederum ist der Sänger der irischen Popgruppe U2 und derjenige, der sich seit Jahren für eine Entschuldung Afrikas und für eine massive Erhöhung der Entwicklungshilfe starkmacht. Die beiden dinieren mit Staats- und Regierungschefs, sie haben Macht und Einfluss, und sie behaupten, im Dienste der Unterprivilegierten zu stehen.
Interessanterweise aber interessieren sich weder Geldof noch Bono dafür, wie ihr Engagement eigentlich in Afrika ankommt. Der nigerianische Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka jedenfalls findet Bono ausgesprochen unsympathisch. "Der glaubt, dass wir uns nicht selbst helfen können und dass wir deshalb Leute wie ihn brauchen. Damit gibt er zu verstehen, dass er uns für blöde hält. Das ist Rassismus." Die Forderungen des kenianischen Wirtschaftswissenschaftlers James Shikwati nach einem sofortigen Ende aller Entwicklungshilfezahlungen, weil die Korruption befördern und die afrikanischen Staaten an einer Entwicklung aus eigener Kraft hindern, verhallt in diesen Kreisen ebenfalls ungehört. Ein schönes Beispiel dafür war das letzte G-8-Gipfeltreffen in Heiligendamm, bei dem Bono, Geldof und in deren Windschatten der Kirchentagssänger Herbert Grönemeyer die Staats- und Regierungschefs um mehr Entwicklungshilfe angingen. Dabei ertrinkt Afrika in Entwicklungsgeld, was die nationalen Regierungen von der Aufgabe entbindet, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie ihr Steuersystem auf Vordermann bringen könnten. Afrika braucht nicht mehr Entwicklungshilfe, sondern mehr Direktinvestitionen, die aber nur dann fließen, wenn die Staaten ihre Rechtssysteme reformieren, was schon deshalb auf die lange Bank geschoben wird, weil damit das Ende der Vetternwirtschaft entlang ethnischer Verteilungsgräben einhergehen würde. Zu kompliziert für einen Grönemeyer; der war schließlich einmal in Ruanda und weiß seither Bescheid. Das Tragische an diesem Engagement fernab der Wirklichkeit ist der enorme Einfluss, den diese Gutmenschen inzwischen auf die veröffentlichte Meinung haben, wie der ebenfalls aus Heiligendamm überlieferte Seufzer der Kanzlerin nahelegt, schnell 700 Millionen Euro zu finden, "damit der Grönemeyer endlich Ruhe gibt". So wird es kolportiert. Damit aber wird ein System am Leben erhalten, das ursächlich ist für den Zustand Afrikas, den die Bonos dieser Welt doch eigentlich abschaffen wollen.
Und doch kann das Engagement von Prominenten segensreich sein, vorausgesetzt, man heißt nicht Salma Hayek, sondern Ben Affleck. Der Hollywood-Star ist in den vergangenen Jahren ein Dutzend Mal nach Kongo gereist, ohne dies an die große Glocke zu hängen. Er will einen Dokumentarfilm über das unbeschreibliche Elend in diesem Land drehen, und zwar mit seinem Geld und auf eigenes Risiko. Es geht ihm angeblich um Information statt um Entertainment. Das wäre endlich einmal etwas Neues.