Beitrag vom 01.08.2025
NZZ
Afrikas Greise wollen weiterregieren
Mehrere über 80-jährige Präsidenten treten zur Wahl an – doch der Widerstand in der Bevölkerung wächst
Samuel Misteli, Nairobi
Der eine ist 92 Jahre alt, der älteste Präsident der Welt und regiert seit 1982. Ein zweiter ist 80, im Amt seit 1986. Ein dritter ist 83, er strebt eine verfassungswidrige vierte Amtszeit an. Die Präsidenten von Kamerun, Uganda und Côte d’Ivoire, wollen sich in den nächsten Monaten wiederwählen lassen. Es ist kein gutes Zeichen für die Demokratie auf dem afrikanischen Kontinent. Kein Erdteil hat im Schnitt ältere Präsidenten als Afrika. Und viele von ihnen halten sich auch nach Jahrzehnten an der Macht für unentbehrlich.
Am Dienstag hat Alassane Ouattara in Côte d’Ivoire angekündigt, bei der Präsidentschaftswahl Ende Oktober noch einmal anzutreten. Er sagte: «Die Verfassung unseres Landes erlaubt mir, eine weitere Amtszeit zu regieren, und meine Gesundheit lässt es zu.» Ouattara regiert seit 2010, eigentlich sind maximal zwei Amtszeiten erlaubt. Doch der Präsident argumentiert, eine Verfassungsänderung habe 2016 die Zahl seiner Amtszeiten auf null gestellt. Nur regierungshörige Juristen teilen diese Ansicht.
Ouattara regiert ein stabiles Land. Côte d’Ivoire hat sich unter der Führung des Präsidenten nach zwei Bürgerkriegen zu Beginn des 21. Jahrhunderts aufgerappelt. Die Wirtschaft des Landes ist stark gewachsen, es ist ein Magnet für Arbeitsmigranten aus der Region.
Doch nun befürchten viele, dass Ouattara diesen Fortschritt gefährdet, indem er an der Macht festhält. Gerichte haben sämtliche aussichtsreichen Oppositionskandidaten unter meist fadenscheinigen Gründen disqualifiziert. Zu den Ausgeschlossenen zählt der ehemalige CEO der Credit Suisse, Tidjane Thiam; ein Gericht urteilte im April, Thiam habe zum Zeitpunkt seiner Registrierung im Wahlregister keine ivoirische Staatsbürgerschaft besessen, weil er gleichzeitig französischer Staatsbürger gewesen sei.
Thiam bezeichnete die Kandidatur von Ouattara in einem Statement als «neuste Attacke» auf die ivoirische Demokratie. «Dieser Präsident und seine Regierung haben den Absprung schon lange verpasst.» Doch es ist so gut wie gesichert, dass Ouattara im Oktober noch einmal gewählt werden wird – die letzte von der Opposition boykottierte Wahl 2020 gewann er mit 95 Prozent der Stimmen.
Trotz Gerüchten: Paul Biya lebt
Ebenfalls im Oktober wird mit grosser Wahrscheinlichkeit der Präsident Kameruns, Paul Biya, wiedergewählt. Das älteste Staatsoberhaupt der Welt ist ausserhalb seines Landes vor allem dafür bekannt, dass er lieber im Luxushotel Intercontinental in Genf residiert als in seiner Heimat. Immer wieder gibt es Gerüchte, Biya sei gestorben, zuletzt Ende 2024, als Biya während Wochen aus der Öffentlichkeit verschwunden war. Seine nächste Amtszeit würde 2032 wenige Monate vor seinem 100. Geburtstag enden. Offenbar finden selbst in Biyas eigener Partei manche, eine erneute Kandidatur sei keine gute Idee. Es gibt Gerüchte, in der Partei rumore es. Doch eine Alternative ist nicht in Sicht.
Ähnlich in Uganda. Dort will sich Yoweri Museveni im Januar 2026 für eine nächste Amtszeit wählen lassen. Museveni war einst ein Revolutionär, er eroberte 1986 nach einem mehrjährigen Guerillakrieg die Macht. Inzwischen lässt seine Partei noch immer T-Shirts drucken, auf denen «Visionärer Anführer» steht. Doch für die meisten Uganderinnen und Ugander klingt dies wie Hohn. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt noch immer mit weniger als zwei Dollar am Tag.
Eine freie, faire Wahl würde Museveni kaum gewinnen. Anders als Ouattara in Côte d’Ivoire und Biya in Kamerun hat Museveni auch einen populären Gegenkandidaten: den ehemaligen Pop-Star Robert Kyagulanyi, besser bekannt als Bobi Wine. Der 43-Jährige wurde von der Polizei mehrfach verhaftet, Mitarbeiter von ihm wurden gefoltert. Trotzdem ist sein Gesicht wieder an vielen Orten im Land auf Plakaten zu sehen. Gewinnen wird Kyagulanyi die Wahl im Januar dennoch nicht – weil die Regierung das Resultat manipuliert.
Auch einige positive Beispiele
Die drei Wahlen mit vorhersehbarem Ausgang zeigen, wie fragil der Zustand der Demokratien auf dem Kontinent mit 54 Ländern ist. Es gibt eine Reihe von ewigen Herrschern: Der Präsident von Äquatorialguinea regiert seit 1979. Der Präsident von Kongo-Brazzaville mit einem Unterbruch von fünf Jahren ebenfalls seit 1979. Es gibt auch Rückschritte. In Tansania zum Beispiel, einem der bevölkerungsreichsten Länder, hat Präsidentin Samia Suluhu zuletzt die Repression verschärft. Ihre Regierung hat den prominentesten Oppositionellen wegen «Verrats» vor Gericht gestellt, Demokratieaktivisten riskieren Gefängnis und Folter. Dabei hatte Suluhu, deren Partei das Land seit der Unabhängigkeit 1961 regiert, nach ihrem Amtsantritt 2021 zuerst Signale der Öffnung ausgesandt. Doch bei der Wahl von Ende Oktober will Suluhus Partei offenbar keine Risiken eingehen.
Es gibt aber auch Fortschritte in Afrika. 2024 wurden fünf Regierungsparteien abgewählt – so viele wie nie zuvor. Manche Kommentatoren sahen schon «winds of change» aufziehen, einen demokratischen Frühling auf dem Kontinent. In Senegal zum Beispiel versuchte eine unpopuläre Regierungspartei die Wahl abzusagen – was das Verfassungsgericht verhinderte. Daraufhin siegte eine vor allem von Jungen getragene Anti-Korruptions-Partei deutlich.
In vielen Ländern zeichnet sich zudem ab, dass gerade junge Leute genug haben von ihren korrupten geriatrischen Eliten. In Moçambique brachen im Oktober grosse Proteste aus, nachdem die Regierungspartei, die seit 1975 regiert, eine fragwürdige Wahl gewonnen hatte. Auch in Togo und Kenya haben in den vergangenen Wochen Anti-Regierungs-Proteste stattgefunden. In Kenya hat die Polizei seit dem vergangenen Jahr mehr als hundert Demonstranten getötet.
Am besten funktioniert Demokratie in Afrika laut manchen Indikatoren auf den kleinen Inselstaaten. Der Think-Tank Freedom House erstellt jedes Jahr den meistzitierten Demokratie-Index. Das afrikanische Land mit der besten Note war dort zuletzt die westafrikanische Inselgruppe Kap Verde. Sie erhielt 92 von 100 möglichen Punkten. Das sind nur vier Punkte weniger als die Schweiz – und acht Punkte mehr als die USA.