Beitrag vom 01.08.2025
FAZ
Vom Problem zur Krise
Von Carlota Brandis
Malaria breitet sich in Afrika rapide aus. Lösungen wären mit genug Finanzierung greifbar nah – aber die Entwicklungshilfe wird gekürzt.
Olivia Ngou beschreibt den Kampf gegen Malaria in ihrem Heimatland Kamerun als Rennen gegen die Zeit. Da ist zum einen die knappe Frist, die man zwischen dem Stich einer Mücke mit Malariaerreger und dem Ausbruch schwerer Malaria hat – Ngou spricht von 48 Stunden, in denen die Erreger noch gut behandelt werden können. „Wenn die Person keine angemessene Behandlung erhält, führt das unweigerlich zum Tod“, sagt die Geschäftsführerin der Nichtregierungsorganisation Impact Santé Afrique und Landeskoordinatorin von „Malaria No More“ in Kamerun. Dann ist da die Resistenz der Mücken gegen die verfügbare Behandlung – sie breitet sich mit der Zeit immer weiter aus. Und zuletzt beginnt gerade auch noch die Regenzeit in Zentralafrika und damit die Hochphase für Mücken und Mückenstiche. Wenn aber die Ausrottung von Malaria ein Rennen gegen die Zeit ist, dann sind diesem Bemühen die Beine gefesselt – durch die Kürzungen des globalen Entwicklungshilfeetats.
Kamerun ist einer der jüngeren Partner der „U.S. President’s Malaria Initiative“ (PMI). Seit 2017 sind darüber weit über 90 Millionen Dollar (etwa 77 Millionen Euro) in das afrikanische Land für das Gesundheitssystem geflossen. Gesundheitspersonal wurde trainiert, Moskitonetze sowie Testkits wurden geliefert und Arzneimittel gelagert. Trotzdem ist die Zahl der Malariafälle in Kamerun von 2019 bis 2023 laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) um 1,2 Millionen auf über sieben Millionen Infizierte angestiegen. Allein 2023 sollen Schätzungen zufolge 11.600 Menschen in dem Land an Malaria gestorben sein. Weltweit haben sich laut WHO im selben Jahr ungefähr 263 Millionen Menschen mit Malaria infiziert, knapp 89 Prozent davon auf dem afrikanischen Kontinent.
Olivia Ngou war Anfang dieses Jahres dennoch optimistisch. Gerade war ein weiterer Impfstoff auf den Markt gekommen, außerdem habe die kamerunische Regierung einen nationalen Strategieplan für Malaria vorgestellt. PMI und die amerikanische Entwicklungshilfebehörde USAID haben dafür laut Ngou einen wesentlichen Teil an Finanzmitteln zugesagt. „Wir haben uns im Land darauf gefreut, die Bemühungen zu beschleunigen“, erinnert sie sich an die Ausgangslage vor nur wenigen Monaten. Außerdem habe man sich für noch mehr öffentliche Entwicklungshilfe aus dem Ausland beworben. Und das laut Ngou mit einem guten Grund: „wegen der Größe des Problems und wegen der sehr konkreten Lösungen“.
37 Prozent der globalen Finanzmittel kamen aus den USA
Doch das Jahr lief anders als von Ngou gehofft. Trotz Ankündigungen des US-Präsidenten Donald Trump, mit der Kürzung von Auslandsprogrammen Geld einsparen zu wollen, hatte sie den dann vollzogenen Kahlschlag der Entwicklungshilfe nicht erwartet. Trump setzte die allermeisten Auslandsprojekte aus, löste USAID auf und kürzte die Mittel für PMI stark ein. Laut WHO haben die USA 37 Prozent der globalen Finanzmittel für den Kampf gegen Malaria seit 2010 zur Verfügung gestellt. Drei Viertel der 108 Ländervertretungen der internationalen Organisation hätten demnach „über Unterbrechungen der Gesundheitsdienste infolge der Unterbrechung der Entwicklungshilfe aus dem Ausland“ berichtet. Auch andere traditionelle Geberländer wie Deutschland oder das Vereinigte Königreich haben ihr Budget für Entwicklungshilfe im vergangenen und in diesem Jahr gekürzt.
Hunderte von Mitarbeitern im Gesundheitssystem, vor allem in entlegenen Regionen, wo die Bevölkerung besonders gefährdet ist, könnten nicht mehr arbeiten, berichtet Ngou über die Lage in Kamerun. Zwar seien die allermeisten Freiwillige gewesen und damit theoretisch nicht von den Finanzmitteln abhängig, aber das Weiterlaufen der Programme selbst schon. Einige Helfer müssten nun neue Jobs suchen, das über Jahre aufgebaute Wissen und die Infrastruktur gingen so verloren. „Es kostet nicht nur Geld, sondern auch viel Zeit“, hebt sie hervor.
Öffentliche Entwicklungshilfe stellt einen signifikanten Teil des Haushalts in Kamerun dar – insbesondere wenn es um das Gesundheitssystem geht. Olivia Ngou und andere Vertreter der Zivilgesellschaft hatten deswegen kürzlich ein Treffen mit der Regierung und Parlamentariern. Es ging um die Frage, wie die Lücke gefüllt werden kann. Dabei sei ihnen versprochen worden, dass sich das nationale Budget für die Malariabekämpfung verdoppeln werde, erzählt Ngou. Doch schon wieder spielt Zeit eine zentrale Rolle.
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Das neue Budget könne im Parlament erst im November verabschiedet werden, sagt die Malariaaktivistin, also nach der im Oktober anstehenden Präsidentenwahl. Danach brauche es weitere Monate von der Zuteilung der Finanzmittel bis zur Auszahlung, meint sie. Ngou schätzt, dass die Mittel aus dem neuen Etat im April 2026 eingesetzt werden können – „und leider haben wir bei Malaria diese Zeit nicht mehr“. Vor allem macht sie sich um die Versorgung ab Anfang des kommenden Jahres Sorgen, denn die Bestellungen und Zahlungen müssten etwa ein halbes Jahr vorher eingehen. Also jetzt.
Nicholas Enrich, der ehemalige stellvertretende Leiter der Abteilung „globale Gesundheit“ bei USAID, warnte in einem von der „New York Times“ veröffentlichten Memo kurz nach seiner Beurlaubung im März vor der Einstampfung der Gesundheitsprogramme der Behörde. „Die Aufrechterhaltung dieser Programme ist nicht nur eine rechtliche und humanitäre Verpflichtung, sondern auch eine entscheidende strategische Investition, um Amerika sicherer und wohlhabender zu machen“, heißt es darin. Er schätzt, dass es ohne die Mittel von USAID und PMI im Jahr zu 12,5 bis 17,9 Millionen zusätzlichen Malariafällen kommen würde sowie zu bis zu 166.000 zusätzlichen Todesfällen – das sei eine Zunahme um knapp 39 Prozent.
Die Malariaaktivistin Ngou will nicht, dass das Gesundheitssystem in Kamerun von den USA oder anderen ausländischen Geldgebern abhängig ist. Es sei gut, wenn die Regierung mehr Verantwortung übernehme – auch wenn, wie sie betont, die fiskalischen Spielräume beschränkt seien. „Aber wenn das Land einen Übergangsplan hätte, der ermöglicht, dass die Programme in den nächsten Jahren nicht eingestellt werden, dann hätte das Land Zeit, sich auf diesen Übergangsplan vorzubereiten und tatsächlich andere Lösungen vor Ort zu finden.“ Sie kritisiert also vor allem den plötzlichen und „brutalen“ Einschnitt der US-Kürzungen, der den Kontinent unvorbereitet getroffen hat. Niemand habe die Zeit gehabt, ein Konzept auszuarbeiten, um lebenswichtige Programme aufrechtzuhalten.
Afrika hat eine der am schnellsten wachsenden Bevölkerungen
Es gibt noch einen zweiten großen Geldgeber neben PMI für Maßnahmen gegen Malaria weltweit: den Global Fund. Gemeinsam machen sie über 90 Prozent der verfügbaren Finanzmittel aus, wobei der Global Fund den größeren Anteil trägt – aber auch er finanziert sich unter anderem durch Gelder aus Washington, Berlin und London. Peter Sands, Geschäftsführer des Global Fund, bekräftigt, dass es schon vor den Finanzierungslücken nicht gut um die Bekämpfung von Malaria stand.
Sands weist darauf hin, dass Afrika eine der am schnellsten wachsenden Bevölkerungen weltweit habe – und dort verbreite sich die Krankheit. Dass die Malariafälle zurzeit laut WHO vor allem in Konfliktzonen wie der Demokratischen Republik Kongo und Sudan rapide steigen, erschwert die Versorgung der betroffenen Regionen zusätzlich. Zum anderen hebt auch Sands hervor, dass Moskitos zunehmend resistent gegen die Insektizide würden und der Parasit selbst resistent gegen die herkömmlichen Behandlungsmethoden. Auch der Klimawandel spiele eine wichtige Rolle: Malaria sei eine Krankheit, die sehr sensibel auf Veränderungen in der Umwelt reagiere, so Sands.
„Anfang 2025 habe ich gesagt, dass die Krankheit, über die ich mir am meisten Sorgen mache, Malaria ist“, erzählt er. Der Global Fund unterstützt auch Maßnahmen gegen Aids/HIV und Tuberkulose. Erstere waren ebenfalls weitgehend von USAID abhängig, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent. Jedoch habe man bei Aids/HIV etwas mehr Zeit, meint Sands. „Es ist eine große Herausforderung, aber wir haben eine bessere Ausgangsposition.“ Auch im Kampf gegen Tuberkulose bleibe man aktuell auf einem guten Weg, auch wenn die Budgetkürzungen diesen etwas zurückgeworfen hätten. Bei Malaria ist die Situation laut Sands eine vollkommen andere: „Wir hatten ein Problem, jetzt haben wir eine Krise.“
„Es gibt keinen Grund, warum wir Menschen sterben lassen“
Auch Sands bekräftigt, dass man Länder auf dem „Weg zur Selbständigkeit“ unterstützen müsse. Aber: „Das ist ein Weg, kein Schalter. Und wenn man das zu schnell macht, riskiert man, dass die Fortschritte bei der Bekämpfung der Krankheiten entgleisen“ – wie es nun laut ihm und Ngou bei Malaria der Fall ist.
Das passiert nicht zum ersten Mal. Schon in den Sechzigerjahren machte es sich die WHO mit dem „Global Malaria Eradication Programme“ zum Ziel, die Krankheit mit Insektiziden und Medikament auszurotten – zunächst in mehreren Ländern weitgehend erfolgreich. Doch der Parasit wurde zunehmend gegen das damals eingesetzte Medikament resistent, Geberländer für das Programm kürzten Mittel, und entlegene Regionen, die wie heute am meisten betroffen waren, waren schwer zu erreichen. 1969 wurde das Programm der WHO eingestellt, in den Siebzigerjahren nahmen die Malariafälle dann wieder stark zu – insbesondere in Afrika. Laut Sands musste erst ein neuer Wirkstoff erforscht werden, bis man wieder auf einen guten Weg gekommen sei. „Wir versuchen, diesem Problem diesmal zuvorzukommen, indem wir auf neuere Behandlungen umsteigen, solange die Resistenz noch einigermaßen überschaubar ist.“ Aber auch dafür braucht es Geld.
„Es gibt keinen Grund, warum wir Menschen sterben lassen“, sagt Olivia Ngou. Malaria sei eine Krankheit, bei der man aktuell in der Lage sei, sie zu verhindern und zu behandeln. Aber: „So wie sich die Resistenz ausbreitet, werden wir in einigen Jahren eine Malariaart haben, die wir nicht mehr behandeln können.“ Und das werde dann nicht mehr ein „afrikanisches Problem“, sondern „ein Problem für die ganze Welt sein“.