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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 04.02.2025

FAZ

Entwicklungszusammenarbeit in Niger

Deutschlands Kampf gegen Fluchtursachen

Von Carlota Brandis

Niger war ein wichtiger Partner zur Unterbindung von Migrationsströmen nach Europa. Dann putschte sich das Militär an die Macht – wie umgehen mit einem Land, mit dem man nicht die Werte teilt, dafür aber Probleme?

Niger galt lange als Hoffnungsland in der von Umstürzen und Krisen geplagten Sahelzone in Afrika. Nachdem Militärjuntas in Guinea, Tschad, Burkina Faso und Mali an die Macht kamen, rückte die deutsche Bundesregierung im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und der Verteidigung zunehmend Niger in den Fokus. „Ob wir es wollen oder nicht: Was im Sahel passiert, geht uns etwas an“, stellte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Anfang Mai 2023 klar, als sie die Neuausrichtung der Sahelpolitik der Bundesregierung verkündete. Der damalige prowestliche Präsident in Niamey Mohamed Bazoum sei ein verlässlicher Partner, sagte Baerbock wenige Monate später. Im Sommer des gleichen Jahres putschte sich das Militär dann auch in Niger an die Macht.

Die deutschen Interessen in der Region sind breit: Es geht um Maßnahmen gegen den Klimawandel und den Kampf gegen islamistische Terrororganisationen im Sahel. Zudem ist Niger eines der ärmsten Länder der Welt, knapp 17 Prozent der Bevölkerung sind von humanitärer Hilfe abhängig. Dafür ist es wie viele afrikanische Länder reich an Rohstoffen wie etwa Uran oder Rohöl. Außerdem weitet Russland eigene Partnerschaften in der Region schon seit Längerem aus. In erster Linie aber war Niger vor dem Putsch eines für Deutschland: ein wichtiger Partner für die Unterbindung der Migrationsströme nach Europa.

Fachleuten zufolge zieht ein Großteil der Migranten aus westlichen und südlichen Ländern Afrikas durch Niger, um über die Nachbarländer Libyen oder Algerien in den Norden zu kommen. Nicht alle von ihnen wollen nach Europa, einige gehen auch als Arbeitsmigranten in die Nachbarländer. Aber laut der Plattform „Info Migrants“ hat die Anzahl derjenigen, die über Niger ans Mittelmeer gelangen wollen, im vergangenen Jahr wieder zugenommen. Georg Klute leitet seit zwanzig Jahren Entwicklungsprojekte in der Region, seit mehr als zwölf Jahren in Niger. Er spricht am Telefon mit der F.A.Z. kurz nach seiner Ankunft in Deutschland aus Agadez, einer Provinz im Norden Nigers, direkt an der Grenze zu Libyen und Algerien. Dort ist das Geschäft mit den weiterziehenden Migranten eine der Haupteinnahmequellen für die Bevölkerung. Klute sagt: „Das Geschäft boomt wie eh und je.“

Offensive in Vorgehen der EU eingebettet

2016 reiste die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Niger, um die bilaterale Zusammenarbeit mit dem Land zu stärken. Unter anderem zur Unterbindung irregulärer Migration sollten vor Ort neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden. Schon im Jahr zuvor hat die Regierung in Niamey ein Gesetz zur Kriminalisierung des Geschäfts mit irregulärer Migration verabschiedet. Und seit 2016 wurden die Grenzen deutlich stärker bewacht. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) verließen 2016 trotzdem noch mehr als 300.000 Migranten Niger, 2017 waren es allerdings nur noch knapp 70.000. In den vergangenen Jahren hat die Anzahl laut IOM wieder stark zugenommen.

Die deutsche diplomatische Offensive war eingebettet in ein Vorgehen der gesamten EU. Im Gegenzug für das härtere Vorgehen gegen Migration versprach Brüssel nämlich schon 2015 weitgehende Investitionen in das Land, auch um das lukrative Geschäft mit Migration, das nun illegal war, zu ersetzen. Laut einer Analyse des Bischöflichen Hilfswerks Misereor finanzierte Deutschland von 2015 bis 2022 Projekte in Niger mit insgesamt 561 Millionen Euro. Knapp 30 Prozent davon – also 166 Millionen Euro – hingen demnach direkt mit Migration zusammen. Die EU investierte laut Misereor im gleichen Zeitraum zusätzlich 687 Millionen Euro in Niger.

Projekte wie die von Georg Klute konnten davon profitieren. Mit einem Handwerkszentrum und einer eigenen Berufsschule versucht er bis heute die Beschäftigungsmöglichkeiten von Einheimischen und „Transmigranten“, wie er sie nennt, in Agadez zu verbessern. Außerdem baut er eine Kamelmilchfarm auf, da sich ihm zufolge die meisten Menschen in der Region von Pulvermilch ernährten und Kamelmilch viel vitaminhaltiger sei. Dann ist da noch die mobile Klinik, in der Kranke und Verletzte auch in abgeschiedenen Wüstenregionen versorgt werden sollen. Und der Versuch, eine ökologische Agroforstwirtschaft lokal aufzubauen.

„Ein besseres Verständnis von der Stimmung im Land“ entwickeln

Vor allem die auf Migration ausgelegte Wirtschaft in der Provinz Agadez litt unter dem neuen Migrationskurs ab 2016. Der ehemalige Präsident Bazoum hatte ausbleibende bedeutende Investitionen aus Europa beklagt. „Wir haben mithilfe der Europäischen Union versucht, Projekte zu fördern, die alternative Beschäftigungsmöglichkeiten bieten“, sagte er 2019 der Zeitung „Die Welt“. „Deutschland hat auch dazu beigetragen, aber um ehrlich zu sein, sind wir nicht sehr zufrieden mit den Investitionen, die zur Schaffung neuer Arbeitsplätze getätigt wurden.“

Lisa Tschörner, die sich für die Stiftung Wissenschaft und Politik auf die Sahelregion sowie Niger spezialisiert, sagt im Gespräch mit der F.A.Z., dass sich die Stimmung in der ehemaligen Kolonie Frankreichs damals gegen den Westen gewendet habe. Tschörner lebte viele Jahre in Niger, war dort auch für Entwicklungsprojekte tätig. Die Putschisten hätten große Unterstützung von der Bevölkerung gehabt, sagt sie. Bazoum sei von vielen als Marionette des Westens gesehen worden, der die Souveränität des Landes aufs Spiel gesetzt habe. Demonstranten warfen – kurz nachdem Bazoum vom eigenen Militär gefangen genommen wurde – Steine auf die französische Botschaft. Nach dem Putsch haben die neuen Machthaber um General Omar Tchiani das in der EU gefeierte Gesetz gegen Migration wieder aufgehoben.

„Ich denke, dass die Bezeichnung Nigers als Stabilitätsanker vielmehr einer Wunschvorstellung als der Realität entsprach“, sagt Tschörner zu der deutschen Perspektive auf das Land vor dem Militärputsch. Für eine nachhaltigere Zusammenarbeit wäre es wichtig gewesen, ein besseres Verständnis von der Stimmung im Land zu entwickeln, der Bevölkerung zuzuhören – „nicht nur der politischen Elite Glauben zu schenken“. Nach dem Putsch schloss Tchiani engere Allianzen mit den Militärregierungen in den Nachbarländern. Und als die nigrischen Machthaber das Sicherheitsabkommen mit der EU aufkündigten, verkündigten sie noch am gleichen Tag eine engere militärische Kooperation mit Russland.

Geld regierungsfern umgesetzt

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beschloss indes einen Stopp der bilateralen Zusammenarbeit. Trotzdem fließt aus dem Ministerium weiterhin Geld nach Niger. Aber auch das BMZ habe 2024 rund 36 Millionen Euro „für die Unterstützung der nigrischen Bevölkerung im Kampf gegen Hunger und Armut“ zur Verfügung gestellt, wie eine Sprecherin des Ministeriums der F.A.Z. bestätigte. Im Jahr vor dem Putsch seien es demzufolge noch 61 Millionen Euro gewesen, also haben sich die finanziellen Mittel aus dem BMZ seit dem Putsch nicht einmal halbiert. Allerdings würden keine Zahlungen mehr direkt an die ni­grische Regierung geleistet, so die Sprecherin. Das Geld werde nun regierungsfern umgesetzt. Die humanitäre Hilfe aus dem Auswärtigen Amt blieb weitgehend bestehen.

Im vergangenen Jahr gab es mehrere Gespräche mit Vertretern der neuen Machthaber in Niger. Das BMZ teilte der F.A.Z. mit, dass der zuständige Referatsleiter für die Sahelregion Mitte November nach Niamey gereist sei. Dort habe ein Gespräch mit dem amtierenden Staatssekretär im Außenministerium stattgefunden. Bei den Gesprächen sei eine „an die neuen Umstände angepasste regierungsferne Zusammenarbeit“ erörtert worden. Ein Ziel dabei ist laut der Sprecherin immer noch, „die Fluchtursachen zu verringern“. Man arbeite „auch mit Regierungen, mit denen man nicht alle Werte in vollem Umfang“ teile, in angepasster Form zusammen, sofern dies den deutschen Interessen entspreche.

Ministerium muss fast eine Milliarde einsparen

Georg Klute wurde eigenen Angaben zufolge Anfang 2024 von Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) zu einem Gespräch eingeladen. Ihm sei damals mitgeteilt worden, dass fortan insbesondere Projekte von Nichtregierungsorganisationen wie seinem Verein Tamat zunehmend unterstützt werden sollen. Klute sagt, dass der Wille des BMZ, die Zusammenarbeit in Niger auszubauen, zwar spürbar zugenommen habe, es scheine aber an Geld zu mangeln. Er sei in dem Gespräch mit dem Entwicklungsministerium darauf hingewiesen worden, dass er nur noch einen Antrag auf Förderung stellen könne – und nicht wie zuvor jeweils einen für jedes Projekt.

Klute hat sich für die Kamelmilchfarm entschieden. „Mich hat sehr beeindruckt, was hier in kurzer Zeit geleistet worden ist“, berichtet er von seinem letzten Besuch. Es gebe schon einen eigenen Verkaufsladen in der Stadt, und auf dem Land hätten sich einige Nomadenfamilien der Kooperation angeschlossen. Diese Dynamik will Klute jetzt nicht unterbrechen. Außerdem sei die Farm dem Ziel all seiner Projekte – dass sie sich mittelfristig selbst finanzieren könnten – schon sehr nah. 150.000 Euro brauche der Verein dafür trotzdem noch für die nächsten drei bis vier Jahre, sagt er.

2025 dürften die Ausgaben des BMZ in Niger wohl eher nicht steigen. Fast eine Milliarde Euro muss das Ministerium im Vergleich zum Vorjahr einsparen. Vor Ort hat sich die Sicherheitslage nach der Machtübernahme der Militärjunta Beobachtern zufolge kaum verbessert. Zudem werden deutlich mehr Migranten verschiedener Nationalitäten wegen des härteren Vorgehens Libyens und Algeriens nach Niger abgeschoben. Die Nothilfe „Alarm Phone Sahara“ berichtet von überfüllten Flüchtlingscamps – insbesondere in der Region Agadez. Dort treffen nun ohnehin schon zu knappe Ressourcen auf noch mehr Menschen.