Beitrag vom 09.11.2024
Die Tagespost
In den ideologischen Ketten des Westens
Wie Deutschland, die Europäische Union und die USA Abtreibungen und LGTBQ-„Rechte" auf dem afrikanischen Kontinent fördern.
Veronika Wetzel
Svenja Schulze ist auf Mission. Sie tritt topgestylt im blauen Blazer vor die Mikrofone, die ihr entgegengestreckt werden, über ihr strahlt die Sonne vom Himmel. Sie lächelt. Es ist ein großer Tag für sie. Denn heute stellt sie das Programm vor, das die Entwicklungspolitik der deutschen Bundesregierung für die nächsten Jahre bestimmen soll. In ihren Händen hält sie das bunte Programmheft, das mit dem Titel "Feministische Entwicklungspolitik - für gerechte und starke Gesellschaften weltweit" überschrieben ist.
Der Westen ist Afrikas Katholiken fremd
Ein Blick in das Heft verrät, was sich hinter den schönen Worten verbirgt: Es geht um die Förderung von LGBTQ-"Rechten", es geht um die Förderung von Abtreibung. So will das BMZ LGBTQI+-Personen helfen, "ihre sexuellen und reproduktiven Rechte zu kennen und einzufordern". Noch deutlicher wird das Ministerium beim Thema Abtreibung: "Das BMZ wird (...) unter anderem den Zugang zu (...) sicherem Schwangerschaftsabbruch (...) im Rahmen der Gesundheitssystemstärkung weiter fördern sowie finanzielle Barrieren abbauen." Das Programm erläutert auch, wie diese Agenda umgesetzt werden soll: über Mitwirkung an Gesetzgebungsprozessen, über wirtschaftliche Entscheidungsprozesse und über die EU-Budgethilfen in der Entwicklungszusammenarbeit auf europäischer Ebene. Für die Umsetzung vor Ort sollen feministische Akteure und LGBTQI+-Organisationen sorgen, die vom BMZ finanziell bevorzugt werden.
Schulze rennt mit feministischer Politik keine offenen Türen ein
Doch Entwicklungsministerin Schulze rennt mit ihrer feministischen Politik wohl nicht offene Türen ein, vorsichtig heißt es in dem Programm, "der politische Wille unserer Partner*innen, Veränderungen anzustoßen, unterscheidet sich von Land zu Land". Deshalb nimmt das Ministerium eine Gruppe in den Blick, die den zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort helfen soll, eine "langfristige positive Verhaltensänderungen in der Bevölkerung" in Bezug auf Familienplanung zu bewirken: religiöse Autoritäten. Das Prinzip erfreut sich immer größerer Beliebtheit in der Entwicklungsarbeit Deutschlands, der EU und der USA, wo das Konzept entstanden ist. Dass das Thema "sexuelle und reproduktive Rechte", was der geschönte Ausdruck unter anderem für Abtreibungen ist, höchste Priorität auf der Agenda des BMZ hat, zeigt sich an der Summe, die für die Umsetzung vorgesehen ist: Rund 100 Millionen Euro pro Jahr. Besonderer Fokus liegt dabei auf Afrika, das immer noch größter Empfänger von Entwicklungshilfe ist.
Mit seiner neuen Leitlinie liegt das Entwicklungsministerium auf Kurs der EU, die mit dem "Gender Aktionsplan III" die Richtung für ihre Mitgliedsstaaten vorgegeben hat. Die EU-Leitlinie, die die "Förderung der Gleichstellung der Geschlechter" zum zentralen politischen Ziel der EU-Außen- und Sicherheitspolitik erklärt hat, schreibt vor, dass bis 2025 drei Viertel der zur Verfügung gestellten Mittel in der Außenpolitik Geschlechtergerechtigkeit gewidmet werden. Die Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit läuft über das "Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit der EU", das das Programm zu "Menschenrechten und Demokratie" beinhaltet, welches von 2021 bis 2027 läuft. Die "erste Priorität" dort ist die "Förderung der Gleichstellung, Inklusion und Achtung der Vielfalt für alle, einschließlich Frauen, (...) Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle". Daran soll folglich auch nicht gespart werden: für die sieben Jahre stellt die EU dafür rund 700 Milliarden Euro zur Verfügung.
Um die "Partner" unter Druck zu setzen, werden auch Handelsabkommen an die Bedingung geknüpft, den EU-Vorschriften Folge zu leisten. So heißt es in dem "Gender-Aktionsplan": "Die EU sollte die Gleichstellung der Geschlechter durch ihre Handelspolitik weiter fördern. Neue Handelsabkommen sollten strenge Bestimmungen zur Gleichstellung der Geschlechter enthalten". Damit die Unternehmen die außenpolitischen Spielregeln der EU nicht verletzen, stellt die Webseite "Germany Trade & Invest", die vom "Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz" gefördert wird, Informationen über die Richtlinien zusammen, an die sich Unternehmen halten müssen, um bei der Erschließung neuer Märkte im Ausland Unterstützung zu erhalten. Ein EU-Dokument zur Rechenschaftspflicht über den verbesserten Zugang zu Diensten im Bereich der "sexuellen und reproduktiven Gesundheit" ist nicht frei zugänglich, man muss erst einen Account erstellen, um es einsehen zu können.
Abtreibung als Millionengeschäft
Der Plan zeigt, dass die Förderung von Abtreibung ein Millionengeschäft geworden ist: Für dieses und nächstes Jahr sind für Subsahara-Afrika 40 Millionen Euro vorgesehen, um "sexuelle und reproduktive Gesundheitsrechte" zu fördern. In dem Beschluss wird nicht erläutert, was darunterfällt, allerdings wird bekräftigt, dass es um die Umsetzung der Beschlüsse des Nairobi-Gipfels 2019 geht. Ein Blick auf die Abschlusserklärung, die 137 Länder auf der Konferenz in Kenia unterzeichneten, zeigt, dass es um Abtreibung geht. Darin verpflichteten sich die Staaten, "Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch in vollem Umfang des Gesetzes, Maßnahmen zur Verhinderung und Vermeidung unsicherer Schwangerschaftsabbrüche und zur Bereitstellung von Betreuung nach dem Schwangerschaftsabbruch, in die nationalen Strategien, Politiken und Programme für eine universelle Gesundheitsversorgung aufzunehmen".
Wie die Unternehmen daran beteiligt werden sollen, die EU-Werte in die afrikanischen Länder zu tragen, wird in dem "Aktionsplan für die afrikanischen Länder südlich der Sahara für 2023-2025" für einen "verbesserten Zugang zu innovativen und lebensrettenden Produkten für die sexuelle und reproduktive Gesundheit in Afrika" klar, der zusätzlich zum genannten Plan beschlossen wurde: Darin heißt es, dass "Marktinvestitionen bei der regionalen Herstellung von Produkten für die Müttergesundheit" gefördert werden sollen. Der Aktionsplan, der eine Umsetzung des "Gender Aktionsplans III" darstellt, hat zum Ziel, Müttersterblichkeit zu reduzieren, andererseits den "Zugang zu Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit" sicherzustellen, unter anderem indem "reproduktive Gesundheit" in nationale Gesetze aufgenommen werden soll.
Auf den rund 30 Seiten wird nur in einer Fußnote erwähnt, dass es sich bei "sexuellen und reproduktiven Gesundheitsrechten" um Abtreibung und die Nachsorgeuntersuchung nach Abtreibung handelt. Auch hierfür nimmt die EU wieder Geld in die Hand: Allein in den drei Jahren, die das Programm läuft, sollen 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden zusätzlich zu den 40 Millionen des genannten Programms. Ebenso wie im Programm des BMZ wird auch hier wieder beklagt, dass das politische und finanzielle Engagement den Fortschritt in einzelnen Ländern behindern würde. Daher sei es von "entscheidender Bedeutung, die schwangeren Frauen mit hohem Risiko zu identifizieren und vorzubeugen, anstatt zu behandeln. Dies hängt von der Verfügbarkeit der richtigen Produkte und der Akzeptanz dieser Produkte bei den Frauen ab".
Plannend Parenthood als Partnerorganisation
Um das "Bewusstsein zu schärfen" und "soziale Normen zu verändern" will die EU "die Partnerschaft mit den Medien über sexuelle und reproduktive Gesundheitspraktiken sicherstellen." All diese Vorhaben werden durch Unternehmen und Nicht-Regierungsorganisationen in den Partnerländern umgesetzt. Auf deutscher Seite ist die "Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit" (GIZ) und die deutsche Entwicklungsbank KfW mit der Umsetzung der Beschlüsse des Entwicklungsministeriums beauftragt. Die GIZ arbeitet mit Partnerorganisationen zusammen, etwa der "International Planned Parenthood Foundation" (IPPF), die größte Abtreibungslobbyorganisation weltweit.
IPPF hat 2006 den "Aktionsfonds für sichere Schwangerschaftsabbrüche" (SAAF) gegründet, der zahlreiche Organisationen finanziert, die Abtreibungen in Afrika fördern. Dazu zählt das "Nationalkolleg der Gynäkologen und Geburtshelfer von Benin", das "Ärzte, Krankenschwestern und Gynäkologen in sicheren Abtreibungspraktiken und rechtsbasierter Betreuung" schult und sicherstellen soll, dass religiöse Führer das "Recht auf sichere Abtreibung verstehen". Weiter unterstützt SAAF den Verein "SOS Frauen im Kongo", der Frauen in Kongo Brazzaville, wo Abtreibungen verboten sind, Informationen zu selbstdurchgeführten Abtreibungen bietet. In Guinea wird das "Internationale Netzwerk für Frauen von heute", das die Befürwortung für Abtreibung in der Gesellschaft erhöhen möchte, sowohl direkt von Frankreich gefördert als auch von einer Partnerorganisation der deutschen Entwicklungsbank und von einem amerikanischen Aluminiumhersteller.
Die Organisation "Frauen arbeiten für Frauen", die vom SAAF finanziert wird, will lesbische, bisexuelle und queere Frauen sowie Transgender-Männer über einen "sicheren Zugang zu Abtreibungen" aufklären. Die "Gemeinschaftsinitiative zur Gesundheitsfürsorge", die sich für die Lockerung der Abtreibungsgesetzte in Liberia einsetzt und Gesundheitspersonal in der Durchführung von Abtreibungen schult, wird neben dem SAAF direkt von der EU finanziert. Das Zentrum für "internationale reproduktive Gesundheit" in Mosambik schult ebenfalls Gesundheitspersonal und wird neben dem SAAF vom in der Schweiz ansässigen "Global Fund" getragen, zu dem Deutschland jährlich eine Milliarde Euro beisteuert.
Gesetze werden gelockert
Dem Ziel gesellschaftliche Normen über die Zusammenarbeit mit Medien zu verändern, widmet sich das "Zentrum für Lösungsjournalismus" in Malawi, das sich über Medien für die Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung einsetzt und von einer amerikanischen NGO gefördert wird. Seitdem Joe Biden an der Regierung ist, ist das möglich. Denn acht Tage nach seiner Vereidigung als Präsident hob er die Mexico-City-Regelung auf, die es Nicht-Regierungsorganisationen untersagte, Abtreibung als Methode der Familienplanung weder durchzuführen noch aktiv zu fördern. Die Regelung wurde immer wieder aufgehoben und dann wieder in Kraft gesetzt - je nachdem, ob gerade ein Republikaner oder Demokrat im Weißen Haus das Sagen hatte.
Schulze kann zufrieden sein. Deutschlands Entwicklungsministerin, die selbst Patin der Organisation "She decides" ist, die sich weltweit für einen Zugang zu Abtreibungen einsetzt, befindet sich auf dem Siegeszug. In Afrika wurden die Abtreibungsgesetze zuletzt gelockert. Seit 2003 haben 21 Länder ihre Abtreibungsgesetze liberalisiert; elf haben komplette Abtreibungsverbote aufgehoben, in vier Ländern gibt es nun "Abtreibung auf Nachfrage". Die ost-afrikanische Union verabschiedete 2021 ein "Gesetz zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit", das an den Wortlaut der EU- und BMZ-Dokumente erinnert: "Jeder Partnerstaat integriert sexuelle und reproduktive Gesundheitsdienste in die allgemeine Gesundheitsversorgung des Partnerstaates." Hier heißt es, dass es um "sichere und wirksame Abtreibungsdienstleistungen geht". In dem Gesetz wird die Zusammenarbeit mit religiösen Führern herausgehoben. Der Westen scheint also zumindest teilweise erfolgreich damit, den Afrikanern seine ideologischen Ketten anzulegen.