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Beitrag vom 10.08.2024

NZZ

Gefährlichere Affenpocken-Variante breitet sich aus

Für Afrika soll der kontinentale Gesundheitsnotstand ausgerufen werden

Stephanie Lahrtz

Die für Afrika zuständige Seuchenkontrollbehörde Africa CDC schlägt Alarm: Ausgehend von Kongo-Kinshasa verbreitet sich rasant eine neue Variante des Mpox-Virus, früher als Affenpocken bezeichnet. In den letzten Tagen haben mehrere Nachbarstaaten die ersten Fälle im eigenen Land gemeldet.

«In den ersten sieben Monaten dieses Jahres gab es in Zentralafrika 14 250 bestätigte Fälle, das sind 160 Prozent mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres», verkündete Jean Kaseya, der Generaldirektor der Africa CDC, am Donnerstagnachmittag an einer Pressekonferenz. Die Fallzahlen haben sich also mehr als verdoppelt. «Dabei war auch schon 2023 ein Jahr mit aussergewöhnlich vielen Infektionen, nämlich fast 80 Prozent mehr als 2022.» Fast alle Fälle wurden in Kongo-Kinshasa entdeckt.

Übertragung durch Hautkontakt

Die neue Virusvariante stammt aus der im Fachjargon als Klade I bezeichneten Mpox-Familie. Vertreter davon zirkulieren seit Jahrzehnten im Herzen Afrikas, vor allem in Kongo-Kinshasa. Die Verwandten der Virusfamilie namens Klade II kommen dagegen vor allem in Nigeria vor. Mpox-Viren befallen normalerweise Affen und Nagetiere. Nur durch engen Kontakt mit Blut und Innereien, zum Beispiel beim Jagen und Schlachten solcher Tiere, können sie auf Menschen überspringen. Infizierte Menschen leiden unter Kopfweh, Fieber, Hals- und Muskelschmerzen, es entwickeln sich Hautläsionen sowie Pusteln voller infektiöser Viren.

Vertreter der zentralafrikanischen Klade-I-Familie waren schon immer gefährlicher als die westafrikanischen Verwandten. Bisher galt: An einer Klade-I-Infektion sterben 1 bis 5 von 100 Patienten, beim Klade-II-Virus hingegen sind es ein Zehntel davon.

Vertreter dieser Mpox-Viren traten im Frühjahr 2022 ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit, als sie den Sprung von Afrika nach Europa und Nordamerika und von dort aus in die ganze Welt schafften. Ihr «Erfolgsgeheimnis»: Sie werden durch enge Hautkontakte zwischen Menschen, vor allem beim Geschlechtsverkehr, aber auch durch kontaminierte Kissen und Bettdecken übertragen.

Genau diese Eigenschaft der Übertragung durch Hautkontakte besitzt nun auch die neue Mpox-Variante aus der zentralafrikanischen Klade-I-Familie. Eine ganz bestimmte Veränderung im viralen Erbgut ist dafür verantwortlich. Laut genetischen Untersuchungen entstand diese Mutation letzten Herbst in der Region Kamituga im Osten von Kongo-Kinshasa.

Zudem ist die neue Mpox-Variante gefährlicher geworden als frühere Virusvarianten. Laut dem Generaldirektor Kaseya von den Africa CDC sterben derzeit 5 von 100 Erwachsenen und sogar 10 von 100 Kindern und Jugendlichen. Allerdings könnte diese Angabe zu hoch sein, weil momentan längst nicht alle Infektionen in den schwer zugänglichen oder von Konflikten heimgesuchten Regionen entdeckt werden. Zudem führt die neue Virusvariante zu einer hohen Rate an Fehlgeburten.

Zum Vergleich: An Covid oder der saisonalen Influenza sterben in Deutschland und der Schweiz im Durchschnitt über die Gesamtbevölkerung gesehen weniger als 1 Person von 100 (in ärmeren Ländern ist die Zahl höher), an Gelbfieber knapp 8 und an Typhus bis zu 20. Unklar ist derzeit, wie viele derjenigen, die sich mit der neuen Mpox-Variante angesteckt haben, schwer erkranken.

Viele Fälle bei Minenarbeitern

Eine grosse Sorge sei auch die Tatsache, dass derzeit gut zwei Drittel aller Infektionen mit der neuen Virusvariante bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert würden, führte Kaseya weiter aus. Das wirft auch ein erschreckendes Schlaglicht auf die hauptsächlich betroffene Region, denn dort werden viele Fälle bei Minenarbeitern und Prostituierten festgestellt.

Forscher haben bereits im Frühjahr davor gewarnt, dass sich die neue Mpox-Variante schnell über Kongo-Kinshasa hinaus verbreiten könnte. Dafür sprachen gleich mehrere Gründe. Die Variante ist einfacher übertragbar. Im Osten des Landes herrscht reger Grenzverkehr, auch wegen der instabilen Lage. Und seit kurzem ist die Regensaison vorbei, so dass die Bewohner wieder deutlich mobiler sind.

Genau dieses Szenario ist nun eingetreten. So haben kürzlich Kenya, Uganda und Burundi erste Fälle von Mpox gemeldet. Die Africa CDC wollen daher kommende Woche den kontinentalen Gesundheitsnotstand für Mpox ausrufen. Länder müssten dann Massnahmen zur besseren Früherkennung ergreifen und diese kommunizieren, der Datenaustausch könne so verbessert werden, erläuterte Kaseya. Es dürfte dann auch einfacher werden, finanzielle und personelle Unterstützung aus wohlhabenderen Ländern zu bekommen.

Um den Ausbruch einzudämmen, müsste jetzt dringend mehr medizinisches Personal vor Ort gebracht werden, um schneller Infizierte zu entdecken und ihre Kontakte nachzuverfolgen, so der Chef der Africa CDC. Die zweite wichtige Waffe gegen die Virusverbreitung sind Vakzine. Es gibt zwei Impfstoffe gegen Mpox. Einige Länder wie die USA haben versprochen, aus den eigenen Vorräten Dosen an afrikanische Länder abzugeben. Die Africa CDC haben zudem mit dem Impfstoffhersteller Bavarian Nordic ausgehandelt, dass afrikanische Länder demnächst 200 000 Dosen bekommen. Ein Viertel davon soll an vulnerable Menschen in Kongo-Kinshasa verteilt werden. Die Finanzierung – eine Spritze kostet ungefähr 85 Dollar – könnte die EU übernehmen.

Angesichts des grossen Ausbruchs ist das allerdings ein Topfen auf den heissen Stein. Kongo-Kinshasa und die angrenzenden Länder benötigen laut Kaseya Millionen Vakzine. Der Mainzer Impfstoffhersteller Biontech könnte zum Retter werden. Sein mRNA-Vakzin gegen Mpox befindet sich in klinischen Studien, erste Dosen könnten bereits nächstes Jahr verfügbar sein. Eventuell werden sie sogar in der Region selber hergestellt, denn die Mainzer haben vergangenen Herbst eine Impfstofffabrik in Rwanda aufgebaut.

Widerstand gegen Impfungen

Es existieren aber noch weitere Hürden. Neben Versorgungsengpässen und Transportproblemen gibt es in manchen Bevölkerungsgruppen in der Region Widerstände sowohl gegen Kontaktnachverfolgung wie auch gegen Impfungen.

Je effizienter der Ausbruch in Kongo-Kinshasa eingedämmt wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die neue Mpox-Variante auch weltweit verbreitet und es somit zu einem neuen globalen Ausbruch kommt wie 2022. Noch stufen sowohl die Weltgesundheitsorganisation als auch hiesige Behörden das Risiko einer Ansteckung mit der neuen Virusvariante ausserhalb Afrikas als gering ein.