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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 22.07.2024

welt.de

Schulze Ministerium: „Überambitioniert und unrealistisch“

Die dürftige Bilanz deutscher Entwicklungshilfe

Von Thorsten Jungholt

Ministerin Svenja Schulze (SPD) beklagt eine „Diffamierung von Entwicklungspolitik“. Doch eine interne Auswertung zahlreicher ihrer millionenschweren Projekte zeigt: Die Treffsicherheit ist mitunter äußerst dürftig. Es seien sogar „nicht intendierte negative Wirkungen“ erzielt worden.

Svenja Schulze (SPD) ist unzufrieden mit dem Entwurf der Bundesregierung für den Haushalt 2025. Für den Etat der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind knapp 10,3 Milliarden Euro vorgesehen, rund eine Milliarde Euro weniger als im laufenden Haushaltsjahr.

Es sei ihr immerhin gelungen, „handlungsfähig“ zu bleiben, sagte Schulze. Doch eigentlich brauche sie viel mehr Geld: „Der Etat liegt unter dem, was erforderlich wäre in einer Welt voller Krisen und Konfrontationen.“ Für ihr Ministerium seien die Haushaltsverhandlungen besonders herausfordernd gewesen, klagte die Ministerin beim Evangelischen Pressedienst, „weil parallel eine Diffamierung von Entwicklungspolitik stattfand, die Deutschland in diesem Ausmaß selten erlebt hat“.

Damit meinte Schulze vor allem die nach ihrer Ansicht „verhetzende“ Debatte über Radwege in Peru. Politiker von AfD, Freien Wählern, CSU und FDP hatten den Bau eines Radschnellwegs in der Hauptstadt Lima in den vergangenen Monaten als Musterbeispiel für unsinnige Entwicklungsprojekte entdeckt – freilich auf wackliger Datenlage. So wurden Kosten von über 300 Millionen Euro kolportiert.

Tatsächlich hatte das Entwicklungsministerium noch unter Schulzes Vorgänger Gerd Müller (CSU) im Jahr 2020 einen Zuschuss von 20 Millionen Euro für den Aufbau eines Fahrradschnellwegenetzes in Lima zugesagt. Die Ampel-Koalition legte 2022 weitere 24 Millionen Euro nach. Diese 44 Millionen Euro seien ein Beitrag zu „der Entwicklung eines umweltfreundlichen und effizienten Mobilitätssystems“, so das Ministerium, dessen Schwerpunkt auf dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in Lima liege.

Die unter Dauerstaus ächzende Metropole mit mehr als elf Millionen Einwohnern baue derzeit im Rahmen eines milliardenschweren Großprojekts seine Metrolinien aus, an dem überwiegend von privaten Banken finanzierten Vorhaben seien „auch deutsche Unternehmen als Unterauftragnehmer und Lieferanten“ beteiligt. Die Radwege würden als Zubringer für die U-Bahn gebraucht.

Kurz: Deutschland engagiert sich nach Darstellung des Schulze-Ressorts mit einem überschaubaren Zuschuss für klimaneutralen Stadtverkehr in Peru, gewährt für das übergeordnete Gesamtkonzept zur Verbesserung der Mobilität darüber hinaus (nicht haushaltsrelevante, weil zurückzuzahlende) Kredite in Höhe von 170 Millionen Euro – und sichert quasi nebenbei noch den Ausbau der Handelspartnerschaft und damit deutsche Arbeitsplätze.

So unsauber die Kritik am Radwege-Projekt war, so fragwürdig ist die Argumentation des Ministeriums. Denn ob die Formel „Zuschussgewährung plus Kredite ergeben Klimaschutz und Aufträge für deutsche Firmen“ aufgeht und die deutschen Maßnahmen tatsächlich kausal für eine Verbesserung der Lage vor Ort sind, wird erst eine Evaluation in den kommenden Jahren ergeben. Ein Blick in jüngst abgeschlossene Bewertungen anderer Projekte lässt jedenfalls Zweifel an der Treffsicherheit der deutschen Entwicklungspolitik aufkommen.

„Wichtige Beiträge“ für Afghanistan, aber...

Auf Anregung des Bundesrechnungshofs erließ das Ministerium 2021 „Leitlinien zur Evaluierung der Entwicklungszusammenarbeit“. Zwar mangelt es Schulzes Etat laut einem Bericht der Rechnungsprüfer für den Bundestag vom September 2023 „weiterhin an Transparenz. Diese muss das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) deutlich verbessern.“ So würden „mehrfach Mittel für denselben Zweck bei unterschiedlichen Titeln veranschlagt“, kritisiert der Rechnungshof. Mit den Leitlinien aber bekenne sich das Ministerium zu seiner Verpflichtung, Haushaltsmittel „zweckentsprechend, sparsam und wirksam einzusetzen“.

Durchgeführt werden die Projektbegutachtungen in der Mehrzahl vom „Deutschen Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit“ (DEval), einer gemeinnützigen GmbH, die zu 100 Prozent von der Bundesregierung kontrolliert wird, vertreten durch das Schulze-Ministerium. Viele Evaluierungen laufen noch, die letzte abgeschlossene ist der Ende 2023 vorgelegte „Bericht zum Engagement des BMZ in Afghanistan“.

Danach verausgabte das Ministerium am Hindukusch im Evaluierungszeitraum von 2013 bis 2021 rund 1,725 Milliarden Euro für 213 Vorhaben in Sektoren wie gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Wirtschaftsentwicklung, Bildung oder Wasserversorgung. Fazit des DEval: „Rückblickend ist festzustellen, dass die gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft beschlossenen politischen Ziele – vor allem der Aufbau tragfähiger staatlicher und ökonomischer Strukturen – nicht erreicht wurden.“

Zwar habe das Ministerium „wichtige Beiträge zur Verbesserung der Lebensbedingungen der afghanischen Bevölkerung“ geleistet, doch seien die vorübergehender Art gewesen: „Es gelang jedoch kaum, strukturbildende Veränderungen anzustoßen. So waren Vorhabenkomponenten, die auf die strukturelle Stärkung der Verwaltungs- und Regierungssysteme sowie der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zielten, lediglich in geringem Maße effektiv.“

Die Ziele seien insgesamt „überambitioniert und unrealistisch“ gewesen, dennoch habe man „trotz des zunehmenden Wissens um diese Problematik“ daran festgehalten, mögliche Alternativen nie ernsthaft geprüft. Insgesamt habe es an „einer gemeinsamen deutschen Strategie für Afghanistan“ gefehlt.

Das Ministerium habe viele Themen wie Förderung von Frauen und Mädchen, Konfliktsensibilität oder die Inklusion marginalisierter Gruppen „nur teilweise systematisch verfolgt“ und „weder auf strategischer noch auf operativer Ebene ausreichend berücksichtigt“. Der Grund seien „mangelnde länderübergreifende Vorgaben, das Fehlen einheitlicher Konzepte und die unzureichende Anwendung von grundsätzlich geeigneten Instrumenten“ gewesen, so das DEval.

Es seien im Gegenteil sogar „nicht intendierte negative Wirkungen“ erzielt worden, so eine Stärkung des von externen Geldern abhängigen „Rentierstaats mit ausgeprägten Patronage-Netzwerken“. Die Korruption sei befördert, die Taliban indirekt mit Ressourcen unterstützt und legitimiert, die Konkurrenz zwischen ethnischen Netzwerken vergrößert worden. „Das BMZ und die anderen deutschen und internationalen Akteure insgesamt setzten sich nur unzureichend mit negativen Wirkungen auseinander“, schreiben die Gutachter. Kurz: Es habe eine „begrenzte Wirksamkeit der Maßnahmen bei gleichzeitig außerordentlich hohen Kosten“ gegeben.

„Strategischer Rahmen“ für Klimaschutz? Fehlanzeige

Auch die Maßnahmen zur „Anpassung an den Klimawandel“ hat das DEval-Institut unter die Lupe genommen. Entwicklungspolitik sei ein „Baustein der deutschen Klimapolitik“, zwischen 2011 und 2017 seien bereits rund ein Viertel aller offiziellen Entwicklungsgelder Deutschlands in das internationale klimapolitische Engagement der Bundesregierung geflossen, Tendenz steigend. Das Problem: Die Klimapolitik sei „in mehreren Bundesressorts verortet“, es gebe aber „derzeit weder einen gemeinsamen strategischen Rahmen noch eine systematische, aktive Koordination des gemeinsamen Engagements“, so die Gutachter.

Jedenfalls verfüge die deutsche Entwicklungszusammenarbeit „über keine für sich stehende Klima- beziehungsweise Anpassungsstrategie, das BMZ verortet seine klimapolitischen Schwerpunkte derzeit in einer Vielzahl sektoraler und regionaler Strategien“. Mit jährlichen Neuzusagen in Höhe von über zwei Milliarden Euro sei Deutschland aktuell einer der weltweit größten Geber. Doch die „zur Verfügung stehende Finanzierung übersetzt sich bislang nur eingeschränkt in die Erreichung anpassungsbezogener Ziele und entwicklungspolitischer Veränderungen“, schreibt das Institut. „Insbesondere Ziele in den Schwerpunkten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit werden kaum erreicht.“

Einen Erfolg weist immerhin die Evaluation der „Förderung nachhaltiger Lieferketten durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit am Beispiel des Textilsektors“ aus – jedenfalls wenn man die Schaffung von Bürokratie als Erfolg bewertet. So sei „das BMZ maßgeblich am Zustandekommen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes beteiligt“, stellt das DEval fest. „Mit diesem gibt es erstmals verbindliche rechtliche Vorgaben für einkaufende Unternehmen, ihre unternehmerischen Sorgfaltspflichten aktiver zu erfüllen.“

Doch bei den darüber hinaus gehenden Maßnahmen zur Förderung von Textillieferketten gebe es „kein handlungsleitendes Konzept auf strategischer und operativer Ebene“. Das zeige sich unter anderem bei den deutschen Aktivitäten im Partnerland Bangladesch: „Hier konnten zwar moderate, nachvollziehbare Beiträge zum Schutz von Textilarbeiter*innen vor Arbeitsunfällen und für den Umweltschutz identifiziert werden, diese führten jedoch (bisher) nicht zu grundlegenden Veränderungen“, heißt es in der Evaluation.

Und so geht es in vielen anderen Evaluierungen weiter. Menschenrechte in der deutschen Entwicklungspolitik, theoretisch bereits seit 2011 handlungsleitend, würden in der Praxis „nur teilweise umgesetzt“. In Regierungsverhandlungen würden menschenrechtliche Themen „nur in einzelnen Fällen explizit angesprochen“, es sei „kein eindeutiger und robuster Zusammenhang zwischen Mittelzusagen des BMZ und der Menschenrechtssituation in den Partnerländern erkennbar“.

Trotz dieser durchaus kritischen Ergebnisse der staatlichen Evaluierung tadelt der Bundesrechnungshof auch das DEval selbst. So gebe es „Mängel in der Haushalts- und Wirtschaftsführung“ des Instituts. Personal- und Sachausgaben würden nicht sauber zugeordnet.
„Haushaltsrechtswidrig“? Dann ändert man die Vorgaben

Im Geschäftsgebaren des Ministeriums stellt der Bundesrechnungshof in einem Prüfbericht ebenfalls erhebliche Mängel fest. So fördere das BMZ vermehrt auch privatrechtliche Stiftungen mit Millionenbeträgen aus dem Bundeshaushalt, zwischen 2018 bis 2020 seien das 964 Millionen Euro gewesen. „Der Bundesrechnungshof sieht diese Entwicklung kritisch“, schreiben die Prüfer.

Beispielsweise habe das Ministerium „haushaltsrechtswidrig Vorhaben der politischen Stiftungen in Chile und Uruguay“ gefördert. Beide Länder würden seit 2018 nicht mehr als Entwicklungsländer eingestuft, dennoch seien die Förderungen jahrelang weitergelaufen. „Damit verstieß das BMZ wissentlich gegen die Vorgaben des Haushaltsgesetzgebers“, so der Rechnungshof.

Und weiter: „Statt diese haushaltsrechtswidrige Praxis zu beenden, wirkte das BMZ auf eine Änderung des Haushaltsvermerks hin. Seit dem Jahr 2022 kann es nun einen Teil der Mittel für die politischen Stiftungen für Vorhaben in Nicht-Entwicklungsländern – auch in Industrieländern – verwenden.“ Dafür fehle es allerdings an einer Strategie, „um hierfür messbare Ziele zu formulieren. Daher kann das BMZ weder den jährlichen Fördermittelbedarf plausibel ermitteln noch angemessen bewerten, ob es seine Ziele mit der Förderung der politischen Stiftungen erreicht.“

Auch bei den Durchführungsorganisationen wie der „Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) gibt es laut Rechnungshof zahlreiche Mängel. Während andere Bundesbehörden Leistungen nur bis zu einem voraussichtlichen Auftragswert von 1000 Euro ohne Vergabeverfahren als Direktaufträge vergeben dürfen, habe das Ministerium der GIZ eine höhere Grenze von 5000 bis 8000 Euro zugestanden. Die dafür als Grundlage vorgelegte

Wirtschaftlichkeitsuntersuchung sei jedoch „aufgrund von Mängeln als Entscheidungsgrundlage ungeeignet“ gewesen.

Weiter seien „Fehlerquoten bei der dezentralen Beschaffung von Veranstaltungsdienstleistungen auffallend hoch“ gewesen. Die GIZ habe es häufig versäumt, „den Bedarf sowie den Vergabevorgang vollständig zu dokumentieren, eine Leistungsbeschreibung zu erstellen, eine Preisermittlung durchzuführen und die Angebote ordnungsgemäß zu vergleichen“, schreiben die Rechnungsprüfer.

Schließlich lege die Reisekostenrichtlinie der GIZ für Hotelübernachtungen in Deutschland eine Höchstgrenze von 150 Euro brutto ohne Frühstück pro Nacht fest. Bis zu dieser Höhe werden Übernachtungskosten ohne weitere Begründung erstattet. „Diese Grenze liegt mehr als 50 Prozent über den entsprechenden Höchstgrenzen nach dem Bundesreisekostengesetz“, kritisiert der Rechnungshof. Die Empfehlung, die Höchstgrenze anzupassen, habe das BMZ abgelehnt.

Es braucht mithin keine Radwege in Peru, um die Treffsicherheit deutscher Entwicklungshilfe in einer Welt voller Krisen und Konfrontationen infrage zu stellen. Die staatseigenen Gutachter und der Bundesrechnungshof liefern ausreichend Fakten, um den zweckentsprechenden, sparsamen und wirksamen Umgang des Hauses von Svenja Schulze mit Steuergeldern zu problematisieren.

Und so begrüßenswert es ist, dass das BMZ seine Projekte evaluiert – es müsste aus den Gutachten auch Lehren ziehen. „Evaluierungen sollen neben der Kontroll- und Steuerungsfunktion auch eine Lernwirkung entfalten“, urteilt der Bundesrechnungshof. Das Ministerium aber ziehe „aus Projektevaluierungen nur selten übergreifende Schlussfolgerungen“.