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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 15.07.2024

E+Z 2/2024

RUSSLAND UND CHINA

Neuer Wettkampf um Afrika

Verschiedene Regierungen interessieren
sich für die Ressourcen Afrikas und möchten
militärisch Fuß fassen. Die Mitglieder der
BRICS koordinieren ihre Politik dabei jedoch
nicht, wie Vladimir Antwi-Danso von der
ghanaischen Streitkräfte-Hochschule im E+Z/
D+C-Interview erläutert.

Vladimir Antwi-Danso im Interview mit Hans Dembowski

Russland scheint westafrikanischen Militärregimen Stabilität zu versprechen. Geht es
dabei mehr um Gewaltanwendung und Unterdrückung von Dissens?

Die gescheiterte Intervention Frankreichs,
welche die Sahel-Region stabilisieren sollte, hatte kinetische und nichtkinetische Dimensionen. Kinetisch bedeutet Gewaltanwendung. Einerseits sollten Aufständische
bekämpft werden, andererseits aber sollten
der Bau von Dingen wie Straßen und Krankenhäusern sowie Demokratieförderung
Herzen und Köpfe gewinnen. Aus offensichtlichen Gründen verlassen sich Militärs
auf Gewaltanwendung. Nichtkinetische
Dinge bleiben wichtig, aber Russland zeigt
daran kaum Interesse. Ich sage seit Langem, dass Frankreich und seine Verbündeten, also auch Deutschland, beim Versuch, nichtkinetisch zu agieren, tief liegende Probleme nicht verstanden haben.

Und zwar?

Am wichtigsten ist, dass große ethnische
Gruppen – besonders die Tuareg – sich nicht
mit den Nationalstaaten identifizieren, zu
denen sie gehören sollen. Die Tuareg fordern seit Langem einen eigenen Staat und
kämpfen auch dafür. Sogenannte „Islamisten“ stützen sich im Norden des Sahel auf
seit Langem schwelenden, örtlichen Ärger.
Wie ich Ihnen vor einigen Monaten sagte,
halte ich Glaubensfragen für relativ unwichtig. Entscheidend ist, dass es in den Problemgegenden eigentlich nie Staatlichkeit
gab, außer wenn Sicherheitskräfte Gewalt
anwendeten. Daran hat auch das französische Militär nichts geändert. Auch die russischen Söldner, die früher für Wagner im Einsatz waren und jetzt unter neuem Namen
direkt dem Moskauer Verteidigungsministerium unterstehen, werden das nicht tun.

Bekommen sie die Aufständischen in den Griff?

Das ist schwer zu beurteilen. Unabhängige
Faktenchecks sind praktisch unmöglich.
Wenn eine staatliche Stelle erklärt, soundso viele „Terroristen“ seien ausgeschaltet
worden, wissen wir nicht, wie viele von ihnen wirklich Gewalt ausgeübt haben und
wie viele zivile Opfer es gab. Vielleicht sind
sogar nur unschuldige Zivilist*innen gestoren. Frankreich hat weitgehend ignoriert,
dass die vermeintlichen Terroristen oft lokale Gemeinschaften politisch vertreten haben. Russland hält das nicht anders.

Was motiviert die Militärregime?

Sie sind eine Reaktion auf drohenden Staatskollaps. Sie interessieren sich nicht sonderlich für Nichtkinetisches, sorgen sich aber
um militärische Ressourcen. Angesichts
knapper Haushalte und Schuldendruck
wurden vielerorts Verteidigungshaushalte
gekürzt. Das mögen Militärs nicht. Russische Unterstützung schätzen sie dagegen.

Welche Erfahrungen gibt es mit Russland und Rohstoffausbeutung?

Das Muster ist in ganz Afrika gleich. Wenn
russische Kräfte intervenieren, fordern sie
nicht Geld, sondern Rohstoffe. Ihnen wird
dann die Ausbeutung von Minen überlassen. So was unterliegt dann der Geheimhaltung, sodass es kaum öffentliche Rechenschaft gibt. Das gefällt beiden Seiten, der
jeweiligen afrikanischen Regierung und
ihrem russischen Gegenüber. Wir können
also darauf wetten, dass beide Seiten auch
keinen großen Wert auf Arbeitsrecht oder
Umweltschutz legen.

Gibt es Hinweise darauf, dass Russland und
China ihre Politik mit Blick auf Sicherheit,
Staatsfinanzen oder Wirtschaftsbeziehungen koordinieren?

Nein, sie sind beide in den aktuellen Wettkampf um Afrika eingestiegen, aber sie kooperieren nicht strategisch. Als die ersten
Schlagzeilen über die BRICS, das lose Bündnis von Brasilien, Russland, Indien, China
und Südafrika, aufkamen, hofften viele
Menschen in Afrika, Südafrika würde eine
Führungsrolle übernehmen und Anstrengungen der BRICS zur Entwicklung unseres Kontinents koordinieren. Stattdessen
hat sich Südafrika nur als eines von vielen
afrikanischen Ländern erwiesen, das hofft,
von der Großzügigkeit der anderen BRICS-Mitglieder durch Investitionen und sonstige
Unterstützung zu profitieren. Diese Allianz
ist keine Alternative zur G7, der Gruppe der
etablierten Wirtschaftsmächte. Derweil zei-
gen auch andere Staaten – wie etwa die Türkei und Saudi-Arabien – wachsendes Interesse an unserem Kontinent. Alle wollen Öl,
Erze, Holz und andere Rohstoffe. Alle wollen auch militärisch Fuß fassen. Das ähnelt
dem alten Kolonialismusmuster, wobei aber
neue Länder jetzt auch Ansprüche erheben.

Wie beurteilen afrikanische Regierungen die Lage?

Großenteils denken sie vermutlich gar nicht
viel über die Zukunft ihrer Nation nach, sondern versuchen, kurzfristig alle Chancen,
die sich irgendwie ergeben, zu ergreifen.
Ihre Priorität ist der Machterhalt. Es fehlt
ihnen an starken staatlichen Kapazitäten,
um die Zukunft ihrer Länder zu gestalten.

Stört es sie nicht, dass China zwar ein wichtiger Kreditgeber geworden ist, sich aber
weigert, Schulden zu streichen, selbst wenn
diese untragbar geworden sind?

Typischerweise vertagt China Zahlungen
auf später oder lässt sich auf eine Form von
Tauschhandel ein. Verschuldeten Regierungen gefällt das, weil es kurzfristig den Druck
reduziert.

Was bedeuten fragile Staatlichkeit und der
neue Wettkampf um afrikanische Ressourcen für die Zukunft der westafrikanischen
Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS – Economic Community of West African States)?

Die ECOWAS hat große Probleme, aber die
wichtigsten sind älter als die russischen
Interventionen in Sahelländern oder die diversen Verträge mit China. Entscheidend ist
vor allem,
dass in den Mitgliedsländern die nationale politische Führung nicht sonderlich
geschickt agiert und
dass alle Mitgliedsländer Demokratiedefizite aufweisen.
Korruption ist beispielsweise weitverbreitet, aber die überstaatliche Regionalorganisation kann daran nichts ändern. Es
gibt zu vielen Dingen schöne ECOWAS-Protokolle, die in der Praxis aber leider wenig
bedeuten.

Bitte nennen Sie ein Beispiel.

Es gibt ECOWAS-Regeln, wie einem gewaltsamen Sturz der Demokratie entgegengewirkt werden soll, sie lassen sich aber oft
nicht anwenden. Umfassende Militärinterventionen sind nicht praktikabel, und
andere Sanktionen sind zu schwach. Zugleich hat der Staatenbund keine Regeln
gegen missbräuchlichen Machterhalt von
Amtsinhaber*innen, wenn beispielsweise
Präsident*innen für verfassungswidrige
dritte Amtszeiten kandidieren. Das ist in
der Côte d’Ivoire geschehen und kürzlich
auch im Senegal. In der Côte d’Ivoire setzte sich Präsident Alassane Ouattara durch.
Im Senegal sorgte eine Protestbewegung
dafür, dass Macky Sall zurücktrat und es
Neuwahlen gab. In beiden Fällen versagten
die Institutionen. Für viele Menschen klingt
es plausibel, wenn Militärdiktaturen sagen,
von gewählten Regierungen unterschieden
sie sich doch kaum. Tatsächlich kann die
ECOWAS nicht korrigieren, was auf der nationalen Ebene falsch läuft.

Und das gilt besonders dort, wo – wie Sie
eben ausführten – es mangels funktionierender örtlicher Verwaltungen keine positive
Staatlichkeit gibt.

Genau. Dort sind Ärger und Frustration besonders gefährlich.

Demonstrationen feierten zuletzt nach Militärputschen die neuen Regime und deren
russische Verbündete. Hat Russland Herzen
und Köpfe gewonnen?

Das lässt sich noch nicht sagen. Klar ist,
dass die Leute die ehemalige Kolonialmacht
Frankreich leid sind. Ich glaube jedoch weder, dass die Militärregime die gravierenden
Probleme ihrer Länder lösen können, noch,
dass sie von Russland diesbezüglich guten
Rat bekommen werden. Vermutlich werden
die Leute auch Russland bald leid sein. Ob
sie das dann artikulieren dürfen, ist eine andere Frage.

Die Klimakrise ist ein gewaltiges Weltproblem. Im Sahel wird das Wasser noch knapper. Westliche Regierungen bemühen sich
um Klimaschutz, auch wenn sie bislang
noch zu wenig tun. Russland glänzt dagegen gar nicht mit Versuchen, die Erderhitzung zu bremsen. Reagiert die öffentliche
Meinung in Westafrika darauf?

Den Menschen sind die Klimafolgen jedenfalls klar. Die Hitze wird unerträglich. Dürren – aber auch Fluten – vernichten Felder.
Die Leute sehen, was passiert. Ob das auch
ihre Beurteilung der Politik mächtiger,
fern gelegener Länder beeinflusst, weiß ich
nicht. Bemerkenswert ist auf alle Fälle, dass
die Militärführung in Burkina Faso kürzlich
ein großes Baumpflanzungsprogramm gestartet hat. In Niger wurde etwas Ähnliches
angekündigt. Den Spitzenleuten ist also
bewusst, dass Klimafolgen den Menschen
Sorgen machen. Gewählte westafrikanische
Regierungen haben in der Vergangenheit zu
wenig getan. Das gilt sowohl für öffentliche
Aufklärung als auch für konkrete Maßnahmen, um Länder auf das, was kommt, vorzubereiten.

Leisten die Militärregime in dieser Hinsicht
vielleicht mehr?

Auch das lässt sich noch nicht beurteilen.
Wir hören, was sie sagen, müssen aber erst
noch sehen, was sie tatsächlich umsetzen
werden. Fest steht meiner Meinung nach
jedoch, dass der Wettkampf um Afrika mit
mehr Teilnehmenden weitergeht. Ich denke
auch nicht, dass Frankreich endgültig ausgestiegen ist. Es wird sicherlich wieder aktiv
werden.

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VLADIMIR ANTWI-DANSO
ist Dekan und akademischer
Direktor des Ghana Armed
Forces Command & Staff
College (GAFCSC) in Accra.