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Beitrag vom 18.06.2024

Schwäbische

Fachkräfte dringend gesucht

Wer uns morgen pflegen wird

Pflegefachkraft will in Deutschland eigentlich keiner mehr werden. Zwei Afrikaner erzählen, warum sie für den Ausbildungsplatz am ZfP sogar ihre Heimat verlassen haben.

Von: Katrin Bölstler

Viele Fachkräfte haben in den vergangenen Jahren die Pflege verlassen. Verwunderlich ist das nicht, denn die Pflege ist ein Knochenjob. Wer also tut sich das noch an? Wer sind die Menschen, die momentan noch voller Elan eine Ausbildung in der Pflege beginnen? Wer ist bereit, uns zu pflegen, wenn wir alt und krank sind?

Es sind Menschen wie Eveline Fotsa und Bawoumondom Abalo Fadel-Lah. Vor drei Monaten sind sie nach Deutschland gekommen, um am ZfP Südwürttemberg die einjährige Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpflegehelfer- und helferin zu absolvieren. Die 37-jährige Fotsa stammt aus Kamerun, der 24-jährige Fadel-Lah aus Togo. Zusammen mit ihren beiden Ausbilderinnen sitzen sie an diesem Tag in der Gesundheits- und Krankenpflegehilfeschule in Bad Schussenried am Tisch, um ihre Geschichte zu erzählen.

Eveline Fotsa hat in ihrer Heimat Kamerun ehrenamtlich bei einem ambulanten Pflegedienst gearbeitet. Zudem war sie als Lernbegleiterin in einer Grundschule tätig. Ihr Traum sei es immer gewesen, entweder in der Pflege oder an einer Schule zu arbeiten, erzählt sie in ihrem noch etwas holprigem Deutsch. In ihrer Heimat gebe es jedoch keine gut bezahlten Jobs in diesen Bereichen und auch keine gute Ausbildung. Im Internet sei sie auf die Ausbildung beim ZfP Südwürttemberg gestoßen und habe sich daraufhin beworben.

Vier Kinder in Kamerun zurückgelassen

Um ihren Traum zu verwirklichen, hat sie nicht nur vorab Deutsch gelernt, sondern auch ihre vier Kinder bei ihrem Mann und ihrer Schwester zurückgelassen. Diese sind, erzählt sie, sechs, fünf, drei Jahre und acht Monate alt. Sobald sie ihre Ausbildung abgeschlossen hat und eigenes Geld verdient, will sie ihre Familie nach Deutschland holen - und nach der einjährigen Ausbildung zur Pflegehilfesich auf jeden Fall zur Pflegefachkraft weiterbilden lassen. „Wenn ich darf, bleibe ich hier“, sagt sie und lächelt schüchtern.

Obwohl die Ausbildung erst drei Monate läuft, habe sie schon viel gelernt. „Wenn in Kamerun ein Mensch Stimmen in seinem Kopf hört, dann sagt man, er ist verhext“, erklärt die Afrikanerin. „Hier habe ich nicht nur gelernt, dass es sich um eine diagnostizierte Krankheit handelt, sondern dass sich die Symptome mit Medikamenten behandeln und verbessern lassen.“

Gezielt im Internet gesucht

Fadel-Lah suchte ebenfalls gezielt im Internet nach seinem Traumjob in Deutschland. Er habe Videos auf Youtube und Instagram gesehen und sei so auf das ZfP gestoßen. Er habe Freude daran, mit älteren Menschen Zeit zu verbringen, erzählt er. Seine Großmutter sei einer seiner Lieblingsmenschen. Daher sei für ihn klar gewesen, dass er in der Pflege von Senioren arbeiten wolle.

In Togo habe er bereits ein Jahr in einem Krankenhaus gearbeitet und, das wird aufgrund der Verständigungsschwierigkeiten im Gespräch nicht ganz deutlich, eine Art von Ausbildung in diesem Bereich gemacht. „Doch dort lernst du nur praktisch, es gibt keinen theoretischen Unterricht wie hier, und das ist so wichtig“, sagt er. „Seitdem ich hier bin, habe ich in der Schule schon so viel gelernt.“ Auch er will, wenn es klappt, für immer in Deutschland bleiben und mittelfristig sich zur Pflegefachkraft weiterbilden.

Fast täglich Anfragen aus dem Ausland

Den Beiden gegenüber sitzen zwei ihrer wichtigsten Bezugspersonen in Deutschland: Katharina Härle, Praxiskoordination für Bad Schussenried, Riedlingen und Biberach und Kursleiterin der Gesundheits- und Krankenpflegehilfe am ZfP Südwürttemberg und Andrea Fessler, Leiterin der Gesundheits- und Krankenpflegehilfeschule und der Berufsfachschule für Pflege Zwiefalten.

Fast täglich, berichten sie, würden sie Anfragen für einen Ausbildungsplatz aus dem Ausland erhalten, oft aus Afrika. „Wir machen keine gezielte Werbung im Ausland und wir arbeiten mit keinen Agenturen zusammen, die uns angehende Pflegekräfte vermitteln“, sagt Härle. Das zu betonen, ist ihr wichtig.

Das ist nichts anderes als Menschenhandel und da machen wir nicht mit."

Katharina Härle, Praxiskoordination für Bad Schussenried, Riedlingen und Biberach und Kursleiterin der Gesundheits- und Krankenpflegehilfe am ZfP Südwürttemberg
Dass es in Deutschland einen Mangel an Pflegekräften gibt, scheint mittlerweile weltweit bekannt zu sein. Und es gebe immer mehr zwielichtige Arbeitsvermittlungen, die sich dies zunutze machten. Diese würden von ihren Kunden um die 7000 Euro verlangen, um sie nach Deutschland zu bringen. „Doch dann stehen diese armen Menschen da und haben nichts. Können kein Deutsch, haben keine Krankenversicherung, gar nichts. Das ist nichts anderes als Menschenhandel und da machen wir nicht mit“, sagt sie und ihr ist die Wut über dieses Unrecht anzusehen.

Nur wenige erfüllen die Bedingungen

Und auch ohne die Unterstützung solcher Agenturen mangele es nicht an Bewerbungen. Fast täglich erreiche sie ein Anruf oder eine Mail aus dem Ausland. „Vor allem die sozialen Medien spielen da eine große Rolle. Die Menschen googeln gezielt nach Ausbildungsplätzen in der Pflege und stoßen dabei auf uns“, vermutet Fessler.

Das Problem dabei: Nur ein Bruchteil der Bewerber erfüllt die Mindestvoraussetzungen. Wer zum Beispiel eine Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpflegehelfer antreten will, muss mindestens Deutsch auf einem B2-Niveau sprechen, braucht einen anerkannten hauptschul-ähnlichen Schulabschluss und eine gültige Masernimpfung.

Nicht alle Ausbildungsplätze sind besetzt

Und da es oft an einem dieser drei Punkte mangelt, konnte das ZfP im April nur 17 der 18 Ausbildungsplätze besetzen. Acht davon kamen direkt aus dem Ausland. 14 sind nach drei Monaten noch dabei. Eine kündigte, ohne einen Grund anzugeben. Eine hatte ihre Schwangerschaft verheimlicht und muss nun pausieren, eine dritte Person konnte den Platz nicht antreten, weil sie keine Wohnung in der Nähe von Bad Schussenried fand.

„Fakt ist, dass die Pflegehelfer immer wichtiger werden, weil es uns an Pflegefachkräften mangelt. Da die Dokumentationspflicht immer mehr zunimmt, verbringen die Fachkräfte immer mehr Zeit am Schreibtisch, während die Pflegehelfer die ganze Zeit am Patienten arbeiten“, sagt Praxiskoordinatorin Katharina Härle. Daher sei es immens wichtig, auch die Pflegehelfer gut auszubilden. Und einerseits seien sie und ihre Kolleginnen sehr froh, so motivierte Azubis wie Fotsa und Fadel-Lah zu finden. Es stelle sie jedoch auch vor viele Herausforderungen.

Kulturelle Unterschiede in der Pflege

„Zum Beispiel ist es unter Muslimen unüblich, dass ein Mann eine Frau wäscht und umgekehrt. Bei uns ist das aber normal. Und wenn zum Beispiel Ramadan ist, darf ein gläubiger Muslim sich den Mund nicht mit Wasser ausspülen. Das sind kulturelle Unterschiede, über die wir immer mehr erfahren und auf die wir uns in der Ausbildung einstellen müssen“, so Fessler.

In vielen Fällen seien die mangelnden Deutschkenntnisse zudem ein Problem. Niemand verbringe so viel Zeit mit den Patienten oder Bewohnern wie die Pflegehelfer. Sie gehen mit ihnen spazieren, waschen sie, helfen ihnen beim Essen oder anziehen. „Wie sie den zu Pflegenden dabei erleben, welche Bedürfnisse er dabei äußert - das den Fachkräften mitzuteilen und zu dokumentieren, ist essentiell, um eine gute Pflege anzubieten. Wenn dann die Worte fehlen, um das auszudrücken, ist das schwierig“, fasst Härle zusammen.

Sprachförderung wäre wichtig

Die einfachste Lösung hierfür wäre, eine Sprachförderung in die Ausbildung zu integrieren. Doch es gibt auf dem freien Arbeitsmarkt keine Deutschlehrer mehr. Zu groß ist in Deutschland momentan der Bedarf. „Und hinzu kommt, dass die Auszubildenden so viel jeden Tag im Unterricht und Alltag lernen, dass ihre Aufnahmekapazität in der Regel vollkommen erschöpft ist“, fügt Fessler hinzu.

Dennoch: Ohne die Nachwuchskräfte aus dem Ausland wären viele Ausbildungsplätze nicht besetzt. Es geht also darum, einen Mittelweg zu finden. Kulturelle Unterschiede anzuerkennen und den Fachkräften von Morgen die deutsche Lebensweise und Sprache nahezubringen.

Das ZfP hat inzwischen eine Integrationsfachkraft eingestellt, die den Zugereisten bei Behördengängen hilft und mit ihnen Feste besucht und Schwäbisch übt. Da die Schule sich in Bad Schussenried befindet und viele der Azubis dort leben, werden sie dort demnächst gemeinsam das Kinder- und Heimatfest besuchen. Eveline Fotsa nennt zum Ende des Gesprächs mit einem breiten Grinsen im Gesicht den ersten schwäbischen Satz, den sie gelernt hat: „I gang schaffa“.