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Beitrag vom 29.05.2024

Spiegel

Geheimverhandlungen mit den Putschisten in Niger

Bundeswehrstützpunkt in Afrika

Pistorius lässt Geheimverhandlungen mit den Putschisten in Niger führen

Die Junta in Niger wirft Franzosen und Amerikaner aus dem Land, stattdessen kommen russische Söldner. Die Bundeswehr will trotzdem nicht abziehen und treibt diskret ein Abkommen mit den Machthabern voran.

Von Matthias Gebauer und Marina Kormbaki

Das Bundesverteidigungsministerium führt Geheimverhandlungen mit der nigrischen Putschistenregierung, damit die Bundeswehr weiterhin das Luftdrehkreuz in der Hauptstadt Niamey nutzen kann. Nach SPIEGEL-Informationen ist Generalleutnant Gunter Schneider, als Abteilungsleiter im Ressort von Boris Pistorius (SPD) für die Operationsplanung zuständig, derzeit in der Hauptstadt Niamey. Im Auftrag des Ministeriums soll er eine entsprechende Übereinkunft – im Fachjargon Stationierungsabkommen genannt – mit Generälen der Junta unterzeichnen.

Die Zeit drängt: Am Freitag endet das Bundestagsmandat, auf dessen Grundlage die Bundeswehr zurzeit noch mit ein paar Dutzend Soldaten am Flughafen des westafrikanischen Wüstenstaats stationiert ist.

Das Mandat stammt aus der Zeit, in der sich Deutschland an der Uno-Blauhelmmission »Minusma« beteiligte, um im benachbarten Mali für Stabilität zu sorgen. »Minusma« ist allerdings seit einem knappen halben Jahr Geschichte, die malische Putschistenregierung warf die internationalen Truppen aus dem Land. Jetzt ringt das Wehrressort darum, dass die Bundeswehr wenigstens in Niger bleiben und den mit großem Aufwand ausgebauten Lufttransportstützpunkt weiter betreiben darf.

Dass die Bundeswehr den Stützpunkt in der krisengeplagten Sahel-Region halten möchte, hat vor allem operative Gründe. Die Militärs argumentieren, ein kleiner Luftwaffen-Hub in Afrika habe für sie strategischen Wert. Er könne von entscheidendem Vorteil bei Evakuierungsmissionen wie jener im April 2023 sein, als die Bundeswehr deutsche Staatsbürger aus dem Bürgerkriegsland Sudan herausholte. Auch bei Operationen zur Rettung verschleppter Deutscher komme es darauf an, auf einer kleinen Basis, die man selbst betreibt, schnell und unkompliziert starten und landen zu können. Die Szenarien der Militärs sehen vor, das deutsche Lager am Flughafen für solche Fälle als »cold base« bereitzuhalten, im Ernstfall könne man von dort in fast ganz Afrika operieren.

All das Geld – umsonst?

Neben militärischen Gründen gibt es auch wirtschaftliche Erwägungen, die aus Sicht des Wehrressorts für den Erhalt der Basis in Niamey sprechen. Immerhin hat Deutschland in den vergangenen Jahren rund 100 Millionen Euro in den Ausbau des Umschlagpunkts investiert – mit einem Abstellplatz für die Transportflugzeuge vom Typ A400M der Luftwaffe, mit Lagerstätten für Großgerät und mit klimatisierten Unterkünften für Soldatinnen und Soldaten. All dies nun zurückzulassen, ergebe keinen Sinn, meinen die Militärs.

Politisch indes ist das Vorhaben des Wehrressorts heikel. Um in Niger bleiben zu können, muss die Bundesregierung mit der nigrischen Junta kooperieren – mit einer Regierung also, die Berlin offiziell nicht anerkennt.

Im Juli vergangenen Jahres setzten die Militärs den gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum fest und übernahmen die Macht im Land. Seither drängten sie die einstige Kolonialmacht Frankreich dazu, ihre Truppen abzuziehen. Die Franzosen teilten sich bisher das Feldlager mit den Deutschen. Bis Mitte September sollen nun auch die Amerikaner ihre strategisch wichtige Drohnenbasis nahe der Stadt Agadez räumen und das Land verlassen. Erst kürzlich meldeten die US-Soldaten in die Heimat, dass sich auf dem Flughafen bereits russische Söldner tummeln, die von den Putschisten als Militärausbilder ins Land geholt wurden.

Die Amerikaner hatten lange darauf gepocht, dass die neuen nigrischen Machthaber keine engen Bande nach Moskau knüpfen und russische Truppen ins Land lassen sollten. Die nigrische Führung allerdings bezeichnete die Wünsche aus Washington als Bevormundung und verwies die Amerikaner des Landes.
Für Berlin hingegen scheint die zunehmende russische Präsenz in dem Sahel-Staat kein zwingender Grund zu sein, um abzuziehen. Eine Gefahr für die eigenen Leute und das eigene Gerät sieht man darin jedenfalls nicht. In Niamey sei die Sicherheitslage »überwiegend kontrollierbar«, heißt es in einem aktuellen Lagebericht der Bundeswehr, der dem SPIEGEL vorliegt. Und weiter: »Die wahrscheinlich im hohen zweistelligen Bereich liegende Präsenz russischer Sicherheitskräfte in Niamey führt zu keiner Änderung der Bedrohungs- und Sicherheitslage.« In der Bundeswehr stellt man sich offenbar auf eine Art Koexistenz mit russischen Kräften in Niamey ein. Bildete früher die Bundeswehr nigrische Spezialkräfte aus, trainieren nun die Russen nigrische Soldaten und schulen sie an russischem Kriegsgerät.

»Risiken für unsere Soldatinnen und Soldaten«

Gelingt das Abkommen mit den Putschgenerälen, soll die »cold base« am Flughafen mit einer Minimalbesetzung betrieben werden, in Bundeswehrkreisen ist von einer niedrigen zweistelligen Zahl von Soldaten die Rede. Ein neues Bundestagsmandat sei dazu nicht nötig.

Gut möglich, dass es in der Ampel dafür ohnehin keine Mehrheit gegeben hätte. Denn die Niger-Pläne sorgen schon seit Wochen hinter den Kulissen für Streit. Die Grünen halten nichts von Pistorius’ Absicht, in Niger zu bleiben und dafür Deals mit den Putschisten einzugehen.

»Niger hat sich seit dem Putsch im letzten Sommer Monat für Monat als äußerst unzuverlässig erwiesen«, sagt die Grünen-Verteidigungspolitikerin Sara Nanni. Sie kritisiert, dass die Militärs Russen gewähren lassen, aber Franzosen und Amerikaner hinauswerfen und überdies nicht davor zurückschreckten, EU-Beamte zu entwaffnen und über Wochen festzuhalten.

Die Überlegungen der deutschen Militärs überzeugen Nanni nicht. »Die hypothetische Möglichkeit, im Falle einer ernsten Lage in der Region den Luftstützpunkt nutzen zu können, wiegt die Risiken für unsere Soldatinnen und Soldaten nicht auf«, sagt sie.

Im grün geführten Auswärtigen Amt ist die Skepsis gegenüber einem deutschen Verbleib in Niger ähnlich groß. Zunächst hatten die Diplomaten das Ansinnen der Bundeswehr noch unterstützt, mittlerweile aber hält sich das Haus von Ministerin Annalena Baerbock aus den Geheimverhandlungen in Niamey lieber heraus.

Im Außenamt hatte man sich zunächst erhofft, dass die Putschregierung bei einem möglichen Abkommen wenigstens vage Zusagen für eine Rückkehr zur Demokratie machen würde. Als dies immer unrealistischer wurde, stieg das Haus von Baerbock lieber aus. Die vom Wehrressort erhoffte Übereinkunft zur Stationierung von Truppen auf fremdem Hoheitsgebiet kann das Haus von Pistorius nun allein aushandeln.

»Afrika nicht Russen und Chinesen überlassen«

Die FDP dagegen stellt sich hinter Pistorius. »Der Zugriff auf einen Flughafen mitten im Sahel ist für uns und unsere Verbündeten wertvoll. Betankung, Flugrechte, Instandsetzung – all das kann im Zweifel sehr wichtig sein«, sagt der Verteidigungspolitiker Alexander Müller. »Wir sollten Afrika nicht komplett Russen und Chinesen überlassen, die überall ihren Einfluss geltend machen«, mahnt der Liberale und erinnert daran, dass Russland »Migration als Waffe gegen Europa« einsetze. Ehe vor mehr als zehn Jahren internationale Truppen in den Sahel kamen, um gewählte Regierungen zu stärken und brutale Milizen einzudämmen, war Niger ein wichtiges Transitland für Menschen, die nach Nordafrika und von dort aus nach Europa übersetzen wollten. Seit einigen Monaten mehren sich Hinweise darauf, dass die Migration durch Niger wieder zunimmt.

Auch in der SPD stößt Pistorius’ Plan, in Niger zu verbleiben, auf Zuspruch, allerdings fällt er verhaltener aus. »Es ist sinnvoll, den deutschen Luftstützpunkt in Niamey für Notlagen einsatzbereit zu halten, wenn und solange auf nigrischer Seite der politische Wille zur Zusammenarbeit besteht«, sagt der Außenpolitiker Nils Schmid. »Aber wir sind pragmatisch: Für den Fall, dass sich die Junta unkooperativ zeigt oder die Bundeswehr bedroht ist, müssen wir alternative Standorte in Westafrika ins Auge fassen«, mahnt er. Sein Fraktionskollege Ralf Stegner betont: »Die Präsenz deutscher Soldaten verlangt, dass die Sicherheitslage immer allererste Priorität behalten muss.«

Coopération Niger