Beitrag vom 07.03.2024
Zeit Online
Der Täter und sein Helfer
Der transatlantische Sklavenhandel war ein Menschheitsverbrechen Europas. Aber was ist mit den afrikanischen Komplizen?
Eine Kolumne von Andrea Böhm
Wir müssen wieder über das R-Wort reden. Es hilft ja nichts: so sehr europäische Staaten das Kapitel der kolonialen Ausbeutung mit der Rückgabe von Masken und Skulpturen abschließen möchten – die Forderung nach Reparationen bleibt. Zuletzt prominent vorgetragen vom ghanaischen Präsidenten Nana Akufo-Addo. Der verlangte bei der UN-Generalversammlung im vergangenen September Wiedergutmachung für die Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner, "die von unserem Kontinent geraubt und in den Amerikas und in der Karibik ohne Lohn zur Arbeit gezwungen wurden".
Fair genug, kann man nur sagen. Seit Jahren existieren dazu konkrete Vorschläge. Die sehen keine exorbitanten Geldtransfers aus Europa und den USA vor. Sie verlangen vielmehr die Anerkennung der kolonialen Ausbeutung und Massenmorde und eine Entschuldigung. Außerdem Maßnahmen wie Schuldenerlass und Technologietransfer, um die anhaltenden ökonomischen und sozialen Folgen dieser Menschheitsverbrechen zu lindern.
Geht es um Afrika und den transatlantischen Sklavenhandel, taucht aber noch eine andere Frage auf: Waren die Afrikanerinnen und Afrikaner immer nur Opfer? Kaum hatte Präsident Akufo-Addo seine Rede bei den UN beendet, meldete sich wütend der ghanaisch-amerikanische Autor Yoku Shaw-Taylor zu Wort: Wie könne der Präsident Reparationen für den Sklavenhandel fordern, wo doch afrikanische Königreiche an diesem Handel üppig mitverdient hatten? Im Fall Ghanas das Königreich der Asante, das als repräsentative Institution bis heute existiert. Im 17. und 18. Jahrhundert waren die Asante Handelspartner europäischer Mächte, kauften europäische Waren, vor allem Waffen, die sie mit Gold und Gefangenen ihrer Kriegszüge bezahlten. Je größer die Nachfrage der Weißen nach Sklaven stieg, desto mehr lieferte das Asante-Reich.
Warum, fragt Yoku Shaw-Taylor, fährt der heutige Asantehene, wie das Oberhaupt der Asante genannt wird, nicht in die karibischen Staaten oder in die USA und entschuldigt sich bei den Nachfahren der Sklaven dort für die Verbrechen seiner Vorfahren? Warum herrsche in Afrika "donnerndes Schweigen", wenn es um die Komplizenschaft beim Sklavenhandel gehe?
Nun, natürlich schweigen nicht alle darüber. 1999 trat der damalige Präsident des westafrikanischen Staates Benin Matthieu Kérékou vor die Gemeinde einer großen schwarzen Kirche in Baltimore in den USA. Er fiel auf die Knie und bat für sein Land um Verzeihung für die Versklavung Abertausender. Auf dem Territorium Benins befand sich einst das Königreich Dahomey. Dessen Macht und Reichtum beruhte lange Zeit auch darauf, bei benachbarten Völkern auf Menschenjagd zu gehen, um die europäischen Sklavenkäufer an der Küste zu beliefern. Aus dem heutigen Benin wurden mehrere Hunderttausend Menschen verschleppt. Ein Trauma, "das sich bis in die Gegenwart in Sprichwörtern und Liedern widerspiegelt", sagt der Politikwissenschaftler Leonard Wantchekon von der amerikanischen Princeton Universität. Wantchekon, der selbst aus Benin stammt, dokumentierte 2011 in einer viel beachteten Studie, wie in afrikanischen Gesellschaften das Misstrauen von Angehörigen einst versklavter ethnischer Gruppen gegenüber Nachfahren der Sklavenjäger bis heute wirtschaftliche Entwicklung behindert.
Keine Erfindung der Kolonialmächte
Sklaverei ist bekanntlich keine Erfindung weißer Kolonialmächte, sondern so alt wie die Fähigkeit des Menschen zu organisierten Kriegen. Arabische Herrscher betrieben ebenso Sklaverei wie das antike Griechenland und Königreiche im vorkolonialen Afrika. Aber in keiner historischen Epoche wurde der Handel mit Menschen so blutig und skrupellos dem Primat des Profits untergeordnet, wurden Opfer so sehr verdinglicht und entmenschlicht, wie während des transatlantischen Sklavenhandels.
Fast vier Jahrhunderte hielt dieser Handel über den Atlantischen Ozean an. Die Zahl der afrikanischen Verschleppten wird auf bis zu 40 Millionen geschätzt, von denen vermutlich nur ein Viertel lebend auf den Plantagen und Feldern in Brasilien, der Karibik und den USA ankam.
In Benin können Besucherinnen und Besucher heute auf der "Route d’Esclavage" erfahren warum. Die Route führt von Abomey, der ehemaligen Hauptstadt des Königreichs Dahomey, zur Küstenstadt Ouidah, wo die Gefangenen nach wochenlangen Fußmärschen in Ketten ankamen, dort auf Auktionen verkauft und bis zur Abfahrt der Schiffe gefesselt und oft auch geknebelt in sogenannte barracoons, Barracken, gepfercht wurden.
Heute ist die sogenannte Sklavenroute in Benin eine Touristenattraktion. Das mag man frivol finden. Doch es kommen zum großen Teil schwarze Menschen aus Nord- und Südamerika, die auf dieser Reise nach den Spuren und dem Leid ihrer Vorfahren suchen. Und die Einheimischen oft in schmerzvolle Debatten verwickeln. Genau das tat 2009 auch der nigerianische Bürgerrechtskongress in einem Brief an die Oberhäupter von Volksgruppen ehemaliger Sklavenjäger. "Wir können nicht ständig den Weißen alle Schuld zuschieben", schrieben die Bürgerrechtler, "wenn Afrikaner, insbesondere traditionelle Herrscher, selbst nicht ohne Schuld waren".
Diese schmerzhafte Debatte stieß 2019 erneut die nigerianische Schriftstellerin Adaobi Tricia Nwaubani an, als sie auf einer Reise durch mehrere afrikanische Staaten Nachkommen von Sklavenjägern aufsuchte. Und nicht nur deren, sondern auch ihre eigene Familiengeschichte aufschrieb. "Als ich klein war, erzählte mein Vater immer stolze Geschichten von meinem Urgroßvater, ein Oberhaupt in meiner ethnischen Gruppe der Igbo. Er sei immer von allen respektiert worden, auch von den Weißen. Er hat Sklaven verkauft!"
Die Geschichte der afrikanischen Komplizenschaft wird also gerade geschrieben – und zwar von Afrikanern für Afrikaner. Ändert sie irgendetwas an der Legitimität der Reparationsforderungen für Europas koloniale Verbrechen und Ausbeutung? Für den deutschen Völkermord an den Ovaherero und Nama im heutigen Namibia, die erzwungenen Hungersnöte im heutigen Tansania, die britischen Massaker an rebellierenden Kikuyu in Kenia und den aufständischen Asante in Ghana, die Plünderung des Kongo durch belgische Kolonialherren? Es ändert nichts. Absolut nichts.