Beitrag vom 06.02.2024
Finanz und Wirtschaft
Südafrika riskiert seinen Ruf
Das Land am Kap ist mit seiner Nähe zu Russland und China bereits auf einer Gratwanderung. Nun unterstützt es die Palästinenser so deutlich wie kaum ein anderes Land. Und gefährdet so seine Wirtschaft.
Wolfgang Drechsler
Selten ist die Bewunderung für ein Land derart schnell tiefer Ratlosigkeit gewichen wie im Fall von Südafrika. Fassungslos schaut der Westen auf die neue Aussenpolitik eines Landes, das noch vor dreissig Jahren unter seiner Freiheitsikone Nelson Mandela weltweit als moralisches Schwergewicht und Verteidiger der Menschenrechte galt. Die jahrelang vom Westen gepriesene Menschenrechtskultur erweist sich nun aber durch die neuen Allianzen Südafrikas mit Russland, den Mullahs in Teheran, vor allem auch durch seine Nähe zu den Palästinensern und ihrer Terrororganisation Hamas als akut gefährdet.
Warum verabscheut Südafrika Israel so sehr und distanziert sich vom Westen, während es Russland toleriert und Kriegsherren aus dem Sudan empfängt? Die Antwort darauf dürfte in dem Entschluss Südafrikas liegen, seine bündnisfreie Position aufzugeben und zu einem Zeitpunkt, da die Welt in zunehmend verfeindete Blöcke zerfällt, vom Lager der demokratischen in das der autoritär regierten Staaten zu wechseln. Zu seinen neuen Freunden zählen nun neben Russland und China auch Saudi-Arabien und sogar der Iran.
Das liegt auch daran, dass die vermeintliche Regenbogennation am Kap lange Zeit nichts falsch machen konnte. Weil der Westen hier nach dem Ende der Apartheid und dem Amtsantritt Mandelas quasi automatisch einen festen Bündnispartner vermutete, übersah man geflissentlich frühe Warnsignale wie etwa die engen Bande zu Venezuela, Kuba und Libyen oder die lange, stillschweigende Unterstützung für Simbabwes Langzeitdiktator Robert Mugabe.
Israel am Pranger
Kein anderes Land im globalen Süden hat sich seit Ausbruch des jüngsten Nahostkonflikts ähnlich einseitig positioniert wie Südafrika. Es war das erste Land, das bereits kurz nach dem Angriff der Hamas auf Israel dem palästinensischen Volk verbal seine volle Solidarität bekundete – sogar noch vor Beginn des israelischen Gegenschlags. Und es war Südafrika, das den internationalen Strafgerichtshof drängte, Ermittlungen gegen Israel aufzunehmen – wegen angeblicher Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord.
Im Gegensatz dazu wurde das blinde Morden der Hamas von Anfang an relativiert: Nur weil die Hamas einen Terrorakt gegen Israel verübt habe, müsse das Land nun nicht «Millionen unschuldiger Menschen» töten, hiess es. Damit reiht sich der ANC ein in all die Stimmen, die Israel nicht als Opfer eines brutalen Überfalls, sondern als Aggressor sehen.
«Kein anderes Land im globalen Süden hat sich seit Ausbruch des jüngsten Nahostkonflikts ähnlich einseitig positioniert.»
Ein Grund für die einseitige Parteinahme des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) zugunsten der Palästinenser und der Hamas dürfte darin liegen, dass die südafrikanische Regierungspartei als frühere Widerstandsbewegung in Nahost seit langem enge Parallelen zu der einst am Kap praktizierten Apartheid erkennen will: auf der einen Seite die Palästinenser als unterdrückte Einheimische wie in Südafrika einst die Schwarzen, auf der anderen Israel als vermeintlicher Kolonialist und Besetzer fremden Landes wie einst die holländischen Siedler, die Mitte des 16. Jahrhunderts an die Südspitze Afrikas kamen. Nach Lesart des ANC sind Palästinenser demnach Freiheitskämpfer, die zum legitimen Mittel der Gewalt im Widerstand gegen Kolonialherren greifen.
Völkerrechtler und Historiker verweisen indessen mehrheitlich darauf, dass die Anwendung des Apartheidbegriffs auf Israel irreführend sei. Juden lebten bereits seit Tausenden von Jahren im Gebiet des heutigen Israels – der Vorwurf des Kolonialismus und der Apartheid sei angesichts der komplexen Gemengelage und Geschichte des Nahostkonflikts unzutreffend.
Zudem folgt der 1948 im Anschluss an den Holocaust geschaffene Staat Israel einem ganz anderen Motiv als der klassische europäische Kolonialismus, der entscheidend der Ausbeutung diente. Im Gegensatz dazu diente die Schaffung eines eigenständigen jüdischen Staates in Palästina keiner imperialen Macht, sondern einem weltweit zerstreuten und verfolgten Volk, das ein Territorium brauchte, in dem es nach den Pogromen in Europa Sicherheit finden und sich sammeln konnte, wie der Historiker Benny Morris schreibt. Aber nicht nur das: Viele Historiker halten die Bezeichnung Israels als Apartheidstaat für eine unzuverlässige Verharmlosung der in Südafrika rund vierzig Jahre lang praktizierten strikten Rassentrennung nach Hautfarbe.
Antiwestliche Rhetorik
Dennoch zeigt die Behauptung, Israel sei wie Südafrika ein koloniales Projekt, weltweit enorme Wirkung. Südafrikas Staatschef Cyril Ramaphosa nimmt in dieser Debatte gemeinsam mit dem brasilianischen Staatschef Lula da Silva inzwischen eine Führungsrolle im globalen Süden ein. Beide schüren das Apartheid-Kolonial-Narrativ wohl schon deshalb, weil antiwestliche Rhetorik in Entwicklungs- und Schwellenländern des Südens weit besser ankommt als eine Unterstützung Israels, das als Vorposten des mit grossem Argwohn betrachteten Westens gilt.
Zuletzt waren beide auch die treibende Kraft hinter einer Erweiterung des Brics-Staatenbunds, der bislang aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika besteht – und dem gerade erst unter anderem der vom Westen geächtete Iran beitreten wird, was einem Affront gegenüber dem Westen gleichkommt. Den genau entgegengesetzten Weg hat übrigens Argentinien eingeschlagen, das die ihm ebenfalls angetragene Brics-Mitgliedschaft abgelehnt und sich dezidiert dem westlichen Bündnis angeschlossen hat.
Wie der Westen auf Südafrikas Wechsel ins autoritäre Lager reagiert, bleibt abzuwarten. Bislang ist der politische Preis, den das Land für seinen Opportunismus zahlt, ausgesprochen gering. Der Westen mag verärgert sein, vom einzigen Industrieland in Afrika abwenden will er sich aber nicht – nur schon weil Südafrika von grosser strategischer Bedeutung ist und eine Reihe seltener Rohstoffe wie etwa Chrom, Mangan oder Titan produziert.
Exportüberschuss mit dem Westen
Dennoch könnte der Preis am Ende ein hoher sein. So sind die USA gleich hinter China und der Europäischen Union (EU) Südafrikas drittgrösster Handelspartner. Auch hat das Land am Kap eine positive Handelsbilanz mit der EU und den USA, aber nicht mit den Brics-Ländern und schon gar nicht mit China.
Südafrika exportiert viel mehr in den Westen, als es von dort importiert, was ihm kostbare Devisen zum Ausgleich seines starken Handelsdefizits mit China verschafft. Russland und viele von Südafrikas anderen Freunden wie Venezuela, Kuba oder der Iran schaffen es nicht einmal auf die Liste seiner 25 grössten Handelspartner.
Nicht wenige sehen in dem Fokus auf Israel deshalb auch einen Versuch des ANC, kurz vor den Wahlen zur Jahresmitte vom wirtschaftlichen Niedergang der Kaprepublik abzulenken – und den Freunden Israels die Rolle des Sündenbocks dafür zuzuweisen. So wirft Südafrikas Staatschef den Kritikern seiner Aussenpolitik sogar vor, einen «Regime Change» in Südafrika anzustreben.
Umstrittene Nähe zu Russland und China
Dabei stösst seine immer grössere Nähe zu Russland und China in der Zivilgesellschaft keineswegs auf einhellige Zustimmung. Gemäss Umfragen sprachen sich Mitte 2023 mehr als zwei Drittel der Befragten gegen Russlands Vorgehen in der Ukraine aus.
Die Stiftung des verstorbenen Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu wurde sogar noch deutlicher. Mit seiner Unterstützung für Russland und China riskiere Südafrika, seinen nach dem Ende der Apartheid hart erarbeiteten Ruf als eine moralische Bastion der Menschenrechte zu ruinieren. Doch genau dies kann sich Südafrika in seiner wirtschaftlichen Notlage überhaupt nicht leisten.