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Beitrag vom 15.12.2023

Die Welt

Bundeswehr: Das Scheitern von Baerbocks Sahel Politik

Von Thorsten Jungholt
Politischer Korrespondent

Der Abzug der Bundeswehr aus Mali endet als Nervenspiel. Die grüne Außenministerin aber schwänzt den Rückkehrappell. Dabei brachten Annalena Baerbocks Fehleinschätzungen die deutschen Soldaten im Anti-Terror-Einsatz in Bedrängnis.

Erleichterung war das vorherrschende Gefühl an diesem Freitagnachmittag, als drei Transportflugzeuge der Bundeswehr auf dem Fliegerhorst in Wunstorf bei Hannover landeten. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) empfing dort die letzten 142 deutschen Soldaten, die aus Gao im westafrikanischen Mali – via Dakar im Senegal – von der UN-Blauhelm-Mission Minusma nach Deutschland zurückkehrten.

Der vor rund zehn Jahren begonnene Bundeswehr-Einsatz in der Sahel-Region ist damit weitgehend abgeschlossen. Vor Ort verblieben sind vier deutsche Soldaten im Minusma-Hauptquartier in der malischen Hauptstadt Bamako, die am Sonntag heimkehren sollen. Und bis voraussichtlich Ende Mai 2024 werden noch deutsche Kräfte an den Logistik-Stützpunkten Dakar im Senegal und Niamey in Niger stationiert sein, um die Rückführung von dort zwischengelagertem Material nach Deutschland abzuschließen.

Im Rahmen eines Rückkehrappells würdigte Pistorius in Wunstorf die Leistungen der insgesamt weit über 20.000 Soldaten, die bei Minusma über eine Dekade im Einsatz waren. Drei haben im Rahmen der Mission ihr Leben gelassen, zwölf wurden verwundet. Mali war nach Afghanistan der zweitgrößte Auslandseinsatz der deutschen Streitkräfte in der internationalen Krisenprävention außerhalb Europas.

Als die Bundeswehr abzieht, meldet sich Malis wichtigster Terrorist zu Wort

„Ich freue mich unbeschreiblich darüber, Sie heute noch vor Weihnachten wohlbehalten und gesund hier in Wunstorf begrüßen zu dürfen“, sagte Pistorius in seiner Rede. „Sie sehen einen erleichterten Verteidigungsminister – erleichtert darüber, dass alles ein so gutes Ende genommen hat.“ Die letzten Tage der Mission hätten noch einmal viele Unsicherheiten mit sich gebracht und die Soldaten gefordert: „Deshalb war es mir wichtig, Ihnen heute ganz persönlich zu Ihrer Leistung zu gratulieren und Ihnen von Herzen zu danken.“

Bemerkenswert ist allerdings, wer den Weg nach Wunstorf nicht gefunden hatte, nämlich Außenministerin Annalena Baerbock. Die Grünen-Politikerin hatte als Vertretung lediglich ihren Staatsminister Tobias Lindner geschickt – und setzte damit den Schlusspunkt unter ihre zweifelhafte Sahel-Politik der vergangenen eineinhalb Jahre. Die hatte sie engagiert begonnen, zuletzt aber weitgehend verweigert.

„Wir möchten dort, im Sahel, in Mali, bleiben“

Als Oppositionspolitikerin hatte Baerbock ihrem Vorgänger Heiko Maas (SPD) noch Versagen beim Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan vorgeworfen. Maas habe, so die Grüne damals, „die Augen vor der Realität verschlossen“ und sich zu spät um Evakuierungsmaßnahmen gekümmert. Eine militärische Evakuierungsoperation wie einst in Kabul war diesmal zwar nicht notwendig. Und doch hatte es auf der Zielgeraden erhebliche Probleme gegeben, wie Pistorius in seiner Rede andeutete. Die betrafen vor allem den Logistikstützpunkt in Niamey in Niger.

Eigentlich war der Rückkehrappell in Wunstorf nämlich bereits eine Woche früher geplant, am 8. Dezember. Doch die nigrische Militärjunta hatte am 30. November per Verbalnote die Route zwischen Gao und Niamey gesperrt, so dass anders als geplant „keine neuen Konvois mit Großgerät sowie Personal- und Materialtransporten über Niamey“ mehr durchgeführt werden konnten, wie es in einer Unterrichtung des Bundestags durch die Regierung heißt. Und ein Konvoi, der bereits auf dem Weg war, steckte in Niger fest.

Deutschland sei darüber in Kenntnis gesetzt worden, „dass die Rückführung des deutschen Kontingents Minusma aus Mali nach Deutschland nicht über Niger erfolgen dürfe“, heißt es weiter. Um die Lösung des Problems kümmerten sich laut Regierungsbericht allein das Verteidigungsministerium sowie der „Militärattache? vor Ort“. Das Außenamt wird nicht erwähnt.

Es war Glück, dass zu diesem Zeitpunkt nur noch rund 275 von ursprünglich über 1000 deutschen Soldaten im Feldlager „Camp Castor“ in Gao waren. So konnte „die Route zwischen Gao und Dakar zur restlichen Rückverlegung“ intensiver als geplant genutzt werden. Gefährlich war der Transport allemal. Denn die Minusma-Kräfte, so die Regierung in ihrem Bericht an den Bundestag, seien „Gelegenheitsziel der Jama’at Nusrat al-Islam wal Muslimin“, einer Terrorgruppe, und die „Bedrohungslage für die deutschen Kräfte unverändert erheblich“.

Wie das bereits in Niamey zwischengelagerte Material und die dort verbliebenen Soldaten nach Deutschland gebracht werden können, ist noch ungeklärt. Die Bundeswehr setzt auf ihre Kontakte zu den nigrischen Militärs, um eine Lösung zu finden. Auf das Außenamt hofft man nach den Erfahrungen der letzten Tage eher nicht.

Dabei war es Baerbock gewesen, die einen geordneten Abzug überhaupt erst in Gefahr gebracht hatte. Bereits im Spätsommer 2022 hatte die frühere Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) nämlich dafür geworben, den Abzug schon Anfang 2023 einzuleiten – aus Sorge um die Sicherheit der deutschen Soldaten.

Das Wehrressort wies damals auf den Dauerstreit mit der malischen Militärjunta hin, der durch Verweigerung von Genehmigungen für Transportflüge und Aufklärungsdrohnen eine Erfüllung der Stabilisierungsmission unmöglich mache. Auch wende sich die Junta zunehmend Russland und seinen Wagner-Söldnern zu. Und weil viele westliche Verbündete bereits mit dem Abzug begonnen hätten, sei das Feldlager in Gao dauerhaft kaum noch zu schützen.

Baerbock dagegen sagte im August 2022: „Wir möchten dort, im Sahel, in Mali, bleiben.“ Die internationale Gemeinschaft stehe in der Verantwortung, „so viel Sicherheit zu gewährleisten, dass Kinder sicher zur Schule gehen können, Marktfrauen zum Markt und Hirten ihr Vieh auf die Weide treiben können“. Man müsse einen Übergang von der malischen Putschregierung zurück zur Demokratie unterstützen.

Die Diplomaten sorgten sich um nicht weniger als den Ruf Deutschlands. Würde sich die Bundeswehr aus der größten UN-Mission verabschieden, sei dies ein Signal von mangelndem Verantwortungsbewusstsein und fehlender Verlässlichkeit in die Welt. Die dann entstehende Leerstelle würden Russen und Chinesen füllen.

Am Ende setzte sich Baerbock durch: Die Bundesregierung beschloss, die Bundeswehr bis zum Frühsommer 2024 vor Ort zu belassen, um die Durchführung von möglichen Wahlen im Frühjahr zu unterstützen. Dieses hehre Ziel war dann im Juni 2023 Geschichte, als Malis Militärregierung den Abzug aller rund 12.000 UN-Blauhelme forderte und bekannt gab, künftig allein auf eine Zusammenarbeit mit Russland zu setzen.

„Im Auswärtigen Amt ist davon noch wenig zu erkennen“

Baerbocks Fehleinschätzung der Lage in Mali führte mithin dazu, dass der Bundeswehr-Abzug später als möglich begann und schneller als gewollt durchgeführt werden musste. Dass es am Ende beim Transport über Niger heikel wurde, lag an einer weiteren Fehlannahme der Bundesregierung. So stufte man das Land im April 2023 noch als „im regionalen Vergleich relativ politisch stabil“ ein. Ende Juli wurde dann auch in Niamey geputscht.

„Das stellt dem Auswärtigen Amt ein denkbar schlechtes Zeugnis aus“, stellte Johann David Wadephul (CDU), Unionsfraktionsvize im Bundestag, damals fest. Die Bundeswehr sei „ohne hinreichende außenpolitische Absicherung“ in beiden Ländern verblieben, Baerbock trage „eine erhebliche Verantwortung dafür, dass unsere Soldaten jetzt in einer Malaise stecken“.

„Baerbock trägt erhebliche Verantwortung dafür, dass unsere Soldaten in einer Malaise stecken“
Mit dem Rückkehrappell nach Wunstorf ist der beschleunigte Abzug nun immerhin gut ausgegangen. „Dass die Rückverlegung der Truppe vor dem Hintergrund der enorm angespannten Bedrohungslage doch so reibungslos verlaufen ist, verdient Respekt und Anerkennung“, sagte Oberst Andre? Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, WELT. „Hier haben die Planer der Operation und die Soldaten vor Ort einen super Job gemacht.“

Das dürfe allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, „dass Politik mit dem Engagement im Sahel gescheitert ist“, so Wüstner. UN und auch Europäische Union seien vor Ort nun nahezu obsolet: „Und genau das bedarf einer dringenden und schnellen Aufarbeitung. Zudem muss man strategisch darüber nachdenken, wie man künftig mit dieser Region umgehen möchte.“

Denn das Scheitern im Sahel habe „aufgrund seiner Nähe zu uns eine ganz andere Dimension als das Scheitern in Afghanistan. Putin und andere Akteure füllen in Afrika seit längerem ein Vakuum. Sie erlangen Zugriff auf Rohstoffe und entwickeln einen Hebel, um mittelfristig über die Infiltration lokaler Machtzentren den Migrationsdruck zur Destabilisierung Europas zu erhöhen.“