Beitrag vom 11.12.2023
Handelsblatt
Klimakonferenz COP28
Afrika wirft dem Westen „Öko-Kolonialismus“ vor
Der Kontinent soll künftig konsequent auf die Verwendung fossiler Brennstoffe verzichten, fordern die Industriestaaten. Politiker aus Afrika sind entrüstet.
Wolfgang Drechsler
Kapstadt. Streit bei der Klimakonferenz COP28: Noch ist Afrikas Anteil an der Erderwärmung gering. Doch wohin steuert der Kontinent? Wachsen Bevölkerung und Wohlstand in den kommenden Jahrzehnten, könnte der Kohlendioxidausstoß massiv steigen. Das fürchtet vor allem der Westen und fordert die afrikanischen Staaten auf, sich umgehend von Kohle, Gas und Öl zu verabschieden.
Das entrüstet Ghanas Energieminister Matthew Opoku Prempeh: „Will der Westen etwa, dass wir unterentwickelt bleiben?“, fragt er. Auch andere Vertreter afrikanischer Staaten reagieren gereizt, warnen vor „Ökokolonialismus“ und weisen darauf hin, dass vor allem die Industriestaaten mit ihrem enormen Ausstoß von Kohlendioxid die Klimakrise verursacht haben.
In Dubai haben seit dem 30. November zahlreiche Staats- und Regierungschefs der Welt um Strategien gegen die Erderwärmung gerungen. Weil es um nichts Geringeres als „das Schicksal der Menschheit“ gehe, dürften in Afrika künftig keine fossilen Energieprojekte mehr finanziert werden, fordern Regierungsvertreter und Umweltorganisationen aus Europa und Nordamerika, selbst wenn sie für den Eigenbedarf gedacht seien.
In Afrika weist man dies zurück. Wer das fordere, habe keine Ahnung von der Realität vor Ort, argumentieren die Delegationen unisono. Ohne die Verbrennung fossiler Rohstoffe, vor allem von Gas, werde der Kontinent niemals genügend Energie für sein dringend nötiges Wirtschaftswachstum erzeugen.
Während der Westen versucht, seine eigene CO2-Bilanz zu drücken, ist Afrika derzeit vor allem darum bemüht, überhaupt erst einmal ausreichend Energie für sein Wachstum zu erzeugen. Afrikas derzeit extrem niedriger Energieverbrauch ist vor allem Folge der verbreiteten Armut.
Den Sonderfall Südafrika ausgeklammert, verbraucht ein Afrikaner im Schnitt derzeit 185 Kilowattstunden pro Jahr – ein Europäer hingegen 6500, ein US-Bürger 12.700. Entsprechend niedrig ist auch Afrikas Beitrag zum globalen Treibhausgasausstoß – kaum vier Prozent bei einem weltweiten Bevölkerungsanteil von 18 Prozent.
Das ist eine Rechnung, die afrikanische Politiker den Industriestaaten präsentieren – in Verbindung mit dem Hinweis darauf, dass die Menschen in Afrika besonders stark unter der vom Westen verursachten Klimakatastrophe zu leiden hätten. Die Botschaften der Industriestaaten „triefen vor Doppelmoral“, wie es ein afrikanischer Diplomat ausdrückte. Auf der einen Seite importierten sie fossile Energieträger für den Eigenbedarf aus Afrika oder Asien; auf der anderen Seite versuchten sie aber, Afrika die öffentliche Finanzierung eigener Gasprojekte zu verwehren.
Tatsächlich zählen ausgerechnet Europas Stromproduzenten gegenwärtig zu den Topkunden südafrikanischer Kohleförderer. Seit die Energiepreise im Zuge des Ukrainekriegs deutlich gestiegen sind, bemühen sich westliche Regierungen verstärkt um Kohle aus Südafrika, deren Abbau sie dort eigentlich stoppen wollen.
Auch Südafrikas Regierung treibt das nach ihrer Ansicht widersprüchliche Verhalten des Westens um. „Während die Industriestaaten uns auffordern, unsere Kohlekraftwerke auslaufen zu lassen, fahren sie diese bei sich selbst gerade wieder hoch“, moniert Südafrikas Umweltministerin Barbara Creecy.
Der Versuch, Südafrika zum Umstieg auf Erneuerbare zu bewegen, könnte das Land am Kap und seine schwer angeschlagene Wirtschaft schwer in die Bredouille bringen. Würde seine Regierung derzeit auch nur ein einziges seiner überalterten Kohlekraftwerke aus den 1960er-Jahren abschalten, stünde die Energieversorgung wohl endgültig vor dem Kollaps: Südafrika wird bereits seit 15 Jahren von heftigen Stromausfällen erschüttert, Abschaltungen von bis zu zehn Stunden am Tag sind keine Seltenheit.
Doch bei allem Ärger über den Westen: Auf der COP28 beteuern Afrikas Regierungen, dass auch sie prinzipiell die erneuerbaren Energien als Schlüssel für ihre Zukunft betrachten – und dabei Hilfen aus dem Westen grundsätzlich willkommen heißen. Denn ein Blick in die jüngere Geschichte des Kontinents zeigt: Nichts hat sich für Afrika seit Beginn seiner Unabhängigkeit als verhängnisvoller erwiesen als die starke Abhängigkeit von seinen Rohstoffen.
Fast nirgendwo hat ihre Nutzung zu breiterem Wohlstand oder dem Aufbau einer Energieversorgung geführt, die diesen Namen auch verdient hätte. Nun fragen sich die Staaten: Bringt die Energiewende eine neue Dynamik? Sorgt sie für neuen Wohlstand und neues Wachstum?
Dank intensiver Sonneneinstrahlung und vieler windreicher Regionen gewinnen 22 der 48 Länder südlich der Sahara schon jetzt den überwiegenden Teil ihrer Primärenergie aus erneuerbaren Energiequellen – allerdings in noch viel zu geringem Maße, um dem Kontinent den dringend benötigten Wachstumsschub zu verleihen.
Um zu verhindern, dass Afrika durch das massive Verbrennen fossiler Energieträger den gleichen Weg wie einst die Industrieländer beschreitet, haben die EU, Großbritannien und die USA im vergangenen Jahr den Aufbau von Energiepartnerschaften mit ausgewählten Schwellenländern beschlossen.
Südafrika soll dabei als Leuchtturmprojekt fungieren: 8,5 Milliarden Dollar werden dem Land am Kap bis 2027 zur Verfügung gestellt, um die dort dominante Kohle durch Windturbinen und Solaranlagen zu ersetzen. Die Initiative, die unter dem Namen „Just Energy Transition Partnership“ (JETP) firmiert, hofft, das Projekt später auf weitere Schwellenländer wie etwa Indonesien oder Vietnam auszudehnen.
Erst vor Kurzem hatte Südafrika für den Aufbau einer eigenen Wasserstoffwirtschaft, wie sie auch im benachbarten Namibia geplant ist, eine Finanzspritze von 23 Millionen Euro durch die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Damit sollen dort zunächst Projekte finanziert werden, bei denen grüner Wasserstoff produziert und vor Ort verwendet wird.
Geplant ist zum Beispiel, dass Lastwagen und Fernbusse damit angetrieben werden. Zusätzlich geht es darum, Wasserstoff für nachhaltiges Flugbenzin zu gewinnen. Und schließlich soll daraus grüner Ammoniak für den Export produziert werden.
Bundeskanzler Olaf Scholz betonte kürzlich, langfristig auf grüne Energie aus Afrika zu setzen und ihren Ausbau bis 2030 mit vier Milliarden Euro fördern zu wollen. Mit dem Geld hoffe die Bundesregierung gleichzeitig weitere Privatinvestitionen anzustoßen, sagte er im vergangenen Monat während des Afrika-Wirtschaftsgipfels in Berlin.
Wind-, Sonnen- und Wasserkraft können schon jetzt vielerorts in Afrika mit Gas und Öl konkurrieren. Allerdings sind sich die meisten Experten wie der südafrikanische Energiefachmann Andrew Kenny darin einig, dass die Erneuerbaren wegen fehlender Speichermöglichkeiten allein nicht ausreichen werden, um Afrikas gigantische Energielücke zu schließen. Ohne fossile Brennstoffe werde der Kontinent nie aus seiner Wachstumsmisere herauskommen, glaubt Kenny.
Hinzu kommen die hohen Kosten für den Ausbau der Energieversorgung inmitten einer tiefen afrikanischen Schuldenkrise. Kohle- und Gasprojekte sind vergleichsweise billig umzusetzen, während Solar- und Windkraftprojekte zwar einfach zu betreiben, aber teuer zu errichten sind. Gerade die hohen Kosten für die Kapitalaufnahme schlagen in Afrika aber besonders stark zu Buche, warnt die Internationale Energieagentur (IEA). Sie sorgten zum Beispiel dafür, dass die Kapitalkosten dort ein Mehrfaches dessen betragen, was ein ähnliches Projekt in Amerika oder Europa kosten würde.
Einfach wird der grüne Umbau in Afrika aber auch deshalb nicht werden, weil das enorme Bevölkerungswachstum seinen Regierungen die politischen Vorgaben klar diktieren dürfte. Es geht dabei vor allem um Arbeitsplätze und Wohnraum, saubere Luft rangiert auf der Skala politischer Prioritäten hingegen weit unten.