Beitrag vom 10.11.2023
spiegel.de
Internetstar MrBeast
Ein berühmter YouTuber rettet Afrika – glaubt er jedenfalls
MrBeast ist der erfolgreichste YouTuber der Welt – und zeigt sich gern großzügig. Seine neueste Aktion: 100 Brunnen in Afrika bohren, die meisten in Kenia. Dort ist der Aufruhr groß. Eine Stilkritik.
Von Heiner Hoffmann
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Ich habe einen echten Killer beauftragt, um mich umzubringen.
Mit solchen Videos verdient YouTuber James Stephen Donaldson, besser bekannt als MrBeast, sein Geld. Viel Geld. 50 Millionen US-Dollar pro Jahr bringen ihm die Videos laut Forbes ein, durch Werbung und Sponsoringdeals. Er ist damit der bestbezahlte YouTuber der Welt. Der 25-Jährige ist auch im analogen Leben ziemlich umtriebig: Er besitzt unter anderem eine Kette von Burgerrestaurants (MrBeast Burger) und eine Snackfirma (MrBeast Feastables).
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Wer so viel Geld hat, der teilt natürlich gern – vor allem, wenn diese Gemeinnützigkeit auch noch eine Menge Klicks für den eigenen YouTube-Kanal bringt. Gerade ist dem US-Amerikaner wieder eine solche Aktion gelungen. »Ich habe 100 Brunnen in Afrika gebaut«, heißt das Video, veröffentlicht am vergangenen Wochenende. Die Nummer ist ein echter Hit, etwa 80 Millionen Abrufe, Stand Freitagvormittag. In dem Clip geht es um … genau: MrBeast, der in Afrika 100 Brunnen baut.
MrBeast ist der wohl erfolgreichste YouTuber der Welt
Wer das zehnminütige Video nicht in voller Länge anschauen möchte, der findet hier ein paar typische Sätze (bildlich unterlegt mit MrBeast im Overall, sprudelndem Wasser und wahlweise traurig dreinblickenden oder jubelnden schwarzen Kindern):
»Die waren wirklich froh, uns zu sehen.«
»Wir haben Rohre verlegt, damit Leute überall in Afrika Zugang zu sauberem Trinkwasser haben.«
»Wir wussten, wir müssen helfen.«
»Sonst macht es ja niemand.«
»Alle Sorgen sind bald verschwunden.«
In Kenia hat MrBeast mit seiner Aktion jedenfalls eine Debatte ausgelöst. In allen Kanälen des digitalen Lebens (und an der Supermarktkasse) werden nun die drei großen Fragen diskutiert: Stimmt das alles? Warum macht das nicht unsere Regierung, wir zahlen schließlich Steuern? Brauchen wir einen weißen Retter?
Frage eins lässt sich natürlich mit ein paar Clicks schnell beantworten, danach wird es schon schwieriger. DER SPIEGEL hat sich vor Ort auf die Suche nach Antworten begeben.
Stimmt das alles?
Klares Jein. Zunächst der Titel: MrBeast ist zwar in so ziemlich jeder Sequenz des Videos zu sehen, er drückt Knöpfe, trägt Kanister, pumpt und fährt sogar Fahrrad (was er angeblich nicht kann). Die Brunnen hat er aber natürlich nicht selbst gebaut, sondern lokale Hilfsorganisationen wie Hope Water Africa oder United Mission for Relief, die das schon sehr lange und sehr professionell machen. Ihnen hat MrBeast, oder vielmehr dessen gemeinnützige Stiftung, Geld gegeben. Am Ende sind der Promi und sein (weißes) Team für ein paar Tage nach Afrika eingeflogen, um ein paar knackige Szenen zu drehen.
Auch einige Zahlen und Aussagen im Video sind zumindest reichlich übertrieben. MrBeast behauptet, dass die 100 Brunnen 500.000 Menschen versorgen können. Das würde an ein hydrologisches Wunder grenzen, die tatsächliche Zahl dürfte deutlich niedriger ausfallen. Und durch die verlegten Rohre wird es bestimmt nicht überall in Afrika Zugang zu Wasser geben, der Kontinent besteht immerhin aus 54 Ländern und ist fast dreimal so groß wie Europa.
In Gesprächen mit dem SPIEGEL bestätigen sowohl die beteiligten Organisationen als auch die Gemeinden vor Ort immerhin, dass tatsächlich Brunnen gebohrt wurden. Allerdings ist, anders als im Video suggeriert, nur ein Teil davon wirklich betriebsbereit. Bei vielen Brunnen stehen noch Arbeiten aus, fehlen Türme für Wassertanks oder müssen Leitungen fertig verlegt werden. Eine Schulleiterin im kenianischen Eldoret sagt dem SPIEGEL: »Wir sind sehr dankbar. Aber noch ist nicht alles fertig.«
James Origa, kenianischer Wasserexperte, meint: »Ich beglückwünsche MrBeast zu diesem Projekt! Aber das Bohren ist nur der Anfang. Bis zu 40 Prozent dieser Brunnen sind nach drei Jahren kaputt. Die wirkliche Herausforderung ist die professionelle Wartung, und die kommt erst noch.« Doch laut Hope Water Africa sollen sich die Bewohnerinnen und Bewohner nach sechs Monaten selbst um MrBeasts Brunnen kümmern. Die Rettung Afrikas ist ein mühsames Geschäft – die harte Arbeit kommt erst nach den schönen Bildern.
Warum macht das unsere Regierung nicht, wir zahlen schließlich Steuern?
Berechtigte Frage. Seitdem Präsident William Ruto im vergangenen Jahr in Kenia übernommen hat, wurden so ziemlich alle Steuern und Gebühren deutlich erhöht. Doch vor Ort, vor allem im ländlichen Raum, kommt von den Staatseinnahmen kaum etwas an. In den sozialen Medien kursieren gehässige Memes, die nie fertiggestellte Brücken oder Politiker bei der feierlichen Einweihung von eilig zusammengezimmerten Holzstegen zeigen.
In einem Dorf im Westen Kenias hat MrBeast eine Betonbrücke über einen Fluss bauen lassen, den die Bewohnerinnen und Bewohner vorher notdürftig überqueren mussten. Eine solche Brücke hatte die Lokalregierung schon lange angekündigt. »Die versprechen immer nur und nie wird geliefert. Am Ende heißt es dann: Sorry, war kein Geld da«, schimpft der Dorfälteste Christopher Kipsang. Der reiche Amerikaner hat deutlich schneller geliefert.
Im YouTube-Video sagt MrBeast: »Man möchte meinen, solche Projekte erfordern die Ressourcen einer Regierung. Aber das stimmt nicht.« Viele Kenianerinnen und Kenianer stellen nun unangenehme Fragen an ihren Präsidenten und sein Kabinett. »Meine Regierung ist bloßgestellt. Sie sind beschämt, dass ein Fremder so etwas machen kann. Sie selbst geben ihr Geld lieber für Reisen, schicke Autos und Häuser aus«, sagt der bekannte Aktivist und Regierungskritiker Boniface Mwangi.
Brauchen wir einen weißen Retter?
Eine alte und hitzige Debatte auf dem Kontinent, auch DER SPIEGEL hat dazu schon geschrieben. Das Video von MrBeast hat so ziemlich alle Zutaten des klassischen weißen Rettertums, die man sich vorstellen kann: arme Kinder, dreckige Flüsse, traurige Musik. Die Landschaft im Westen Kenias mit akkurat kurzem Gras und gepflanzten Bäumen nennt er nur »den Dschungel.« Dann kommen die weißen Retter, die Kinder hängen ihnen glitzernde Goldketten um die Hälse und rufen: »We love you MrBeast team!«
Die ugandische Organisation No White Saviors beschäftigt sich genau mit diesem Phänomen – und versucht dagegen anzugehen. Die Betrachtung des Videos löste bei den Aktivistinnen Entsetzen aus: »Die Kenianer selbst sollten die Helden dieser Geschichte sein. Aber ständig tauchen nur die Weißen im Video auf. Konnten die Leute vor Ort überhaupt mitreden?«, fragt Olivia Alaso, Mitgründerin von No White Saviors. Tatsächlich sind die Einheimischen nur Beiwerk im Clip. Sie durften wahlweise ihre tragischen Probleme schildern oder dankbar winken, aber nie ihre Probleme lösen. Dafür war schließlich MrBeast zuständig.
Das Video endet übrigens mit folgendem Satz von MrBeast:
»Ich weiß, es ist komisch, dass ein YouTuber all das tun muss. Aber jemand muss es ja machen, und wenn es sonst keiner macht, dann machen wir es eben.«
Der kenianische Wasserexperte James Origa hat selbst bei dörflichen Wasserprojekten mitgewirkt, Brunnen gebohrt. Das Video stimmt ihn hoffnungsfroh: »Es war immer sehr schwer, Geld für solche Projekte zu bekommen. Ich hoffe, das ändert sich jetzt mal. Immerhin ist die Aufmerksamkeit für das Thema da.«
Mitarbeit: Tom Juma, Eldoret (Kenia)
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft