Beitrag vom 24.04.2023
Die Tagespost
NACH VERHEERENDEM WIRBELSTURM
Afrika befindet sich in der Klimafalle
Der Zyklon „Freddy“ zeigt auf, dass Afrika einen Klimaschutz ohne Ideologien und Scheuklappen braucht.
Michael Gregory
Er gilt als der stärkste Wirbelsturm, der je auf der Südhalbkugel beobachtet wurde: Zyklon „Freddy“, der bereits im Februar im Südosten Afrikas gewütet hatte, in diesem Monat aber erneut Fahrt aufgenommen hat. „Freddy“ wollte nicht sterben. Betroffen sind mit Madagaskar, Mosambik und Malawi weite Teile des südlichen Afrikas. Auch in Simbabwe hat das Sturmtief für starke Unwetter gesorgt, die aber längst nicht die Durchschlagskraft hatten wie in den östlichen Nachbarländern.
Allein im verarmten Malawi sind mindestens 430 Menschen ums Leben gekommen, etwa 345.000 Menschen sind nach Behördenangaben von den starken Regenfällen, Fluten und Erdrutschen betroffen. Zehntausende sind obdachlos geworden. Die Regierung hatte für die am stärksten betroffene Region, den Süden Malawis, den Katastrophenfall ausgerufen. Allein für Mosambik meldet die UN-Organisation für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) aktuell 183 Todesopfer, 1,2 Millionen betroffene Menschen in acht Provinzen Mosambiks, 283.000 zerstörte Häuser, 550.000 Hektar zerstörtes Ackerland. Mehr als 20.000 Cholera-Fälle wurden bislang gemeldet.
Die Kirche warnt schon seit den 1980er-Jahren
Bei aller Unvorhersehbarkeit solcher Katastrophen wirft „Freddy“ doch auch manche Fragen auf: Es zeigt sich, dass viele Länder Afrikas bei der Klimaanpassung hinterherhinken. Dass sich extreme Wetterlagen in Afrika häufen, ist jedenfalls schon seit den 1980er-Jahren zu beobachten. Dies gilt nicht zuletzt für die südlichen Teile des Kontinents, eine Region mit traditionell ohnehin schon großer Niederschlagsvariabilität. Doch nun vergrößern sich die Ausschläge. Mal bleiben Regenzeiten ganz aus, mal wüten Unwetter. Zeiten mit Trocken- und Regenperioden im Normalmaß werden seltener.
Insofern ist es erstaunlich, dass nicht schon viel früher in Klimaanpassung investiert wurde. Die Position der Kirche Afrikas ist klar: Sie warnt schon seit Jahrzehnten vor den Folgen der Veränderungen und mahnt zum Umweltschutz (auch wenn es mitunter weitere Prioritäten gab, etwa die Bekämpfung der HIV / Aids-Pandemie in den 1990er-Jahren). Viele kirchliche Entwicklungsprogramme für ländliche Entwicklung nehmen die Ökologie als unbedingt schützenswerte Basis allen Lebens in den Blick. Bereits seit den 1990er-Jahren gibt es vielerorts Projekte zur Förderung nachhaltiger Landwirtschaft, etwa in Simbabwe, vorangetrieben durch die Caritas oder Ordensgemeinschaften wie die Jesuiten.
Sie haben vor allem die kleinbäuerliche Landwirtschaft im Blick, die in den meisten Ländern Afrikas vorherrschende Wirtschaftsform. Wie lässt sich der Einsatz teuren Düngers reduzieren, welche Nutzpflanzen gedeihen mit weniger Wasser, wie lässt sich Wasser effizienter nutzen? Wie können Pestizide vermieden werden? Welchen Nutzen für Ernährung und das Einkommen bringt es, mehr Obst und Gemüse anzubauen? Nachhaltige Landwirtschaft als Grundlage menschliches Leben ist seit geraumer Zeit fester Bestandteil der kirchlichen Entwicklungsarbeit in vielen Ländern Afrikas.
Auch Ost- und Westafrika bleiben nicht verschont
Die aktuellen Bedrohungen rücken ihre Relevanz jetzt allerdings neu ins Bewusstsein. Vor Zyklon „Freddy“ hatten 2019 bereits die Tropenstürme „Kenneth“ und „Idai“ weite Teile Mosambiks, Malawis und Simbabwes verwüstet. Vor der letzten Weltklimakonferenz im November vergangenen Jahres im ägyptischen Sharm-El-Sheik haben sich verschiedene religiöse und zivilgesellschaftliche Organisationen mit den katholischen Bischöfen Afrikas zusammengetan, um sich gemeinsam für mehr Klimaanpassung einzusetzen. Kardinal Fridolin Ambongo Besungu, Erzbischof von Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo, der auch Erster Vizepräsident des Symposiums der Bischofskonferenzen von Afrika und Madagaskar (SECAM) ist, äußerte sich nachdrücklich zur Klimakrise und zu den verheerenden Auswirkungen auf Afrika: „Die Klimakrise ist für die Menschen in ganz Afrika eine gelebte Realität. Die jüngsten sommerlichen Hitzewellen im Norden des Kontinents haben massive soziale und wirtschaftliche Verluste und Schäden verursacht, Temperaturrekorde gebrochen und die Agrar- und Ernährungssysteme in einer ohnehin schon hungernden Region schwer gestört. Stürme und Wirbelstürme zu Beginn des Jahres haben im südlichen Afrika Verwüstungen angerichtet, die zur Zerstörung von Häusern und zum Verlust von Menschenleben geführt haben.“
Doch nicht nur der Norden und Süden des Kontinents haben mit Umweltproblemen zu kämpfen. Auch der Osten und Westen Afrikas sind nicht verschont. Am Horn von Afrika ist es vor allem die seit Jahren anhaltende Dürre, die den Menschen schwer zu schaffen macht. Kardinal Fridolin Ambongo Besungu: „Das östliche Afrika steht vor der schlimmsten Nahrungsmittelkrise seit einer Generation, die durch eine extreme Dürre ausgelöst wurde. In Westafrika dagegen sind die Städte überflutet, die Gemeinden in den Flüssen stehen unter Wasser, und Konflikte, die seit Jahren schwelen, verschärfen sich nun durch die klimabedingte Vertreibung. Wo immer man auf diesem Kontinent hinschaut, einem Kontinent, der bereits durch ein ungerechtes globales Wirtschaftssystem in Bedrängnis geraten ist, sieht man, dass der Klimawandel das Entwicklungspotenzial hemmt."
Wachstum und Umweltschutz müssen harmonieren
Der Kardinal aus dem Zentrum des Kontinents steht mit seiner klaren Analyse nicht allein dar. In Südafrika forderten Kirchenführer nach Veröffentlichung des Weltklimaberichts 2021 ihre Regierung auf, Wirtschaftswachstum und Umweltschutz besser aufeinander abzustimmen. Mehr als 50 Prozent der Südafrikaner lebten in Armut, zugleich stütze sich der Aufschwung des Schwellenlandes größtenteils auf Energie aus Kohle. „Wir müssen anerkennen, dass ein echter ökologischer Ansatz gleichzeitig ein sozialer ist, der Fragen von Gerechtigkeit in die Umweltdebatte miteinfließen lässt", so der katholische Bischof Jan de Groef.
Tatsächlich stehen für eine bisher weitgehend von fossiler Energie getragenen Wirtschaft wie die in Südafrika hunderttausende Jobs auf dem Spiel. Auch für die Kirche geht es um Glaubwürdigkeit im Sinne der katholischen Soziallehre – denn Klimaschutz wird zunehmend zu einer Frage gesellschaftlicher Gerechtigkeit. Viel spricht dafür, den globalen Schutz der Natur als eine weitere Dimension der kirchlichen Soziallehre künftig noch stärker mitzudenken (zumal sich die Folgen des Klimawandels nicht nur in Afrika abzeichnen, sondern weltweit. Auch in Südamerika oder Asien sind viel stärkere Hitzeperioden, Dürren und Überschwemmungen zu beobachten). Das geschieht vielfach schon, gewinnt durch die Häufung der Katastrophen aber immer stärker an Relevanz. Schöpfung, die im Sinne des Subsidiaritätsprinzips möglichst allein gelassen werden sollte, um fortzubestehen und sich selbst zu heilen, wenn immer erforderlich.
Doch was genau zeichnet die kirchliche Stimme aus? Rufer nach mehr Klima- und Umweltschutz gibt es zuhauf, auf nationaler Ebene, aber auch auf internationalem Parkett, in den Vereinten Nationen, der EU und diversen Nichtregierungsorganisationen. Es ist eben die ganzheitliche Sicht auf die Dinge: den Menschen eingebettet zu sehen in den natürlichen Lebensraum, aber eben auch als Quelle von Kreativität und Produktivität. Papst Franziskus hat in seiner Enzyklika „Laudato si“ 2015 viele Gedanken vorgelegt, die an Bedeutung gewonnen haben: Er nennt die Erde „unser gemeinsames Haus“ und will dazu beitragen, dass die Umwelt bewahrt, aber eben auch die Menschen neue Chancen bekommen - kein Umweltschutz ohne Entwicklungsperspektiven für die Menschen, keine Klimaanpassung ohne sozialen Ausgleich, keine Marktwirtschaft, ohne die Schwächeren im Blick zu haben. Ermutigend sind deshalb manche Initiativen, die aus Afrika selbst kommen: Dazu gehört aktuell vor allem der Aufbau der afrikanischen Freihandelszone AfCFTA (African Continental Free Trade Area), die von der Afrikanischen Union (AU) vorangetrieben wird. Seit Oktober 2022 etwa unterstützt das AfCFTA-Sekretariat im Rahmen eines Pilotprojekts Unternehmen in acht Ländern beim freien Handel mit insgesamt 96 Produkten. Die Palette reicht von Tee und Kaffee über Zucker, Nudeln, Trockenfrüchten bis hin zu Fliesen und Batterien. Zu den Pilotländern gehören Ägypten, Ghana, Kamerun, Kenia, Mauritius, Ruanda, Tansania und Tunesien. Ziel der Initiative ist es, den innerafrikanischen Handel in Fahrt zu bringen und zu zeigen, dass vom Freihandel alle Beteiligten profitieren können.
Das Besondere an AfCFTA: Fast alle Staaten Afrikas sind an Bord. Das Rahmenabkommen wurde nach nur drei Jahren Verhandlungen am 21. März 2018 von 44 der 55 Mitgliedstaaten der AU unterzeichnet. Es trat am 30. Mai 2019 in Kraft. Inzwischen unterzeichneten 54 Staaten das Abkommen, 44 ratifizierten es. Wegen der Corona-Pandemie startete die Umsetzung der Freihandelszone jedoch erst im Januar 2021. Ob es der AfCFTA gelingt, ihre Hauptziele zu verwirklichen, bleibt abzuwarten. Doch erste wichtige Schritte hin zu größerer Eigenständigkeit Afrikas sind gemacht.