Beitrag vom 21.04.2023
NZZ
«Egal, wer im Sudan die Oberhand gewinnt, der Rückhalt der Bevölkerung wird ihm fehlen»
Um die beiden Konfliktparteien zur Vernunft zu bringen, seien Sanktionsdrohungen nötig, sagt die Politik-Analystin Kholood Khair
Frau Khair, Sie leben in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Hier hat die Gewalteskalation, die den Sudan im Moment erschüttert, vergangenen Samstag begonnen. Wie ist momentan die Lage in der Stadt?
Sehr schlecht. Die meisten Menschen sind ohne Strom, ohne Wasser, teilweise ohne Essen. Viele sind zu Hause gefangen, weil es zu gefährlich ist, das Haus zu verlassen. Da, wo gekämpft wird, müssen die Menschen trotzdem fliehen. Teilweise werden Wohnhäuser von Raketen getroffen. Das gab es in Khartum noch nie. Privathäuser waren selbst unter dem Diktator Omar al-Bashir und später während des Militärputschs sichere Orte. Nun ist das anders.
Gemäss Berichten verlassen im Moment jeden Tag Tausende die Stadt.
Wie viele es sind, ist unmöglich zu sagen. Aber alle, die ich kenne, denken darüber nach, zu gehen. Selbst die Menschen aus den ärmsten Stadtteilen brechen auf.
Wohin gehen diese Menschen?
Viele gehen nach Ghezira, dem Gliedstaat südlich von Khartum. Dort soll es sicherer sein. Die meisten fahren mit dem Bus hin, manche mit ihrem eigenen Auto.
Spannungen zwischen der sudanesischen Armee und den Paramilitärs der Rapid Support Forces (RSF), die sich nun bekämpfen, gab es seit Jahren. Wieso ist dieser Konflikt nun in Gewalt umgeschlagen?
Die beiden Generäle Abdelfatah Burhan und Mohammed Hamdan Daglo, die diesen Armeen vorstehen und die derzeitige Militärregierung anführen, kamen offenbar zum Schluss, dass ihre Differenzen grösser sind als ihre gemeinsamen Interessen. Davor hatte es unter internationaler Vermittlung seit Monaten Verhandlungen gegeben über die Bildung einer zivilen Regierung. Anfang April hätten diese abgeschlossen werden sollen. Zu einer Einigung kam es nicht, beide Männer fürchteten offenbar, an Macht einzubüssen. Und nun sind sowohl Burhan wie auch Daglo offensichtlich bereit dazu, ihre persönliche Fehde militärisch auszutragen – unter anderem im Zentrum Khartums, in der am dichtesten besiedelten Region des Landes.
Wie viel Unterstützung geniessen diese beiden Generäle in der sudanesischen Bevölkerung?
Die meisten Menschen unterstützen keinen der beiden. All die Menschen, die seit 2018 immer wieder gegen die Regierung protestierten, sind gegen ein System, in dem die Politik militarisiert wird, in dem es ständig Konflikte gibt im Land, in dem jegliche Zukunftsperspektive fehlt. Burhan und Daglo stehen für dieses System. Die jetzige Gewalteskalation wird die beiden gar noch deutlich unbeliebter machen. Egal, wer nun militärisch die Oberhand gewinnt, der Rückhalt der Bevölkerung wird ihm fehlen.
Die bisherigen Bemühungen um einen Waffenstillstand sind erfolglos geblieben. Was muss geschehen, um eine weitere Ausdehnung der Gewalt zu verhindern?
Die bisherigen Anstrengungen, die Konfliktparteien zu einem Waffenstillstand zu bewegen, waren ungenügend. Es reicht nicht, sie einfach darum zu bitten. Es braucht Druckmittel, beispielsweise Sanktionsdrohungen. Die beiden Generäle müssen spüren, dass ihr Handeln Konsequenzen haben wird.
Wie gross ist die Gefahr, dass aus dem innersudanesischen Konflikt nun ein internationaler wird, in den auch die benachbarten Länder hineingezogen werden?
Das scheint bereits zu passieren. Es gibt Berichte, wonach die Ägypter die sudanesische Armee militärisch unterstützen. Die RSF soll Unterstützung vom libyschen Warlord Khalifa Haftar erhalten. Doch vieles ist noch unklar.
Welche Rolle spielen andere ausländische Akteure in diesem Konflikt? Im Sudan sollen ja beispielsweise auch russische Wagner-Soldaten aktiv sein.
Viele ausländische Akteure spielen im Sudan eine Rolle, Russland ist einer davon, aber längst nicht der wichtigste. Da sind wie gesagt die Nachbarstaaten Ägypten und Libyen, dann aber auch Saudiarabien, die Emirate, Israel, die USA, die europäischen Staaten. Sie verfolgen alle ihre eigenen Interessen im Sudan, doch die meisten von ihnen haben die beiden Generäle in den letzten Jahren mitgetragen.
Manche dieser Länder haben in den letzten Monaten die Verhandlungen zwischen Burhan und Daglo unterstützt, die zur Etablierung einer Zivilregierung hätten führen sollen. War das im Rückblick ein Fehler?
Absolut. Die beiden Generäle wurden so behandelt, als wären sie Reformer. Ihre früheren Vergehen waren in den Verhandlungen nie ein Thema. Die Entführungen und Verschleppungen, die Burhan und Daglo verantwortet hatten, die Scheinprozesse, die sie durchführten, die von ihnen angeordneten rechtswidrigen Inhaftierungen – all das wurde missachtet, um die Verhandlungen voranzubringen, die nun ja gescheitert sind. Bei den beiden Generälen hat das dazu geführt, dass sie nun glauben, sie könnten tun, was immer sie wollen.
Als ab Ende 2018 Hunderttausende Sudanesinnen und Sudanesen auf die Strasse gingen, träumten sie von einem demokratischen, friedlichen, prosperierenden Sudan. Haben Sie noch Hoffnungen, dass dieser Traum in naher Zukunft wahr werden kann?
Ja, die habe ich. Denn gerade in diesen schwierigen Tagen wird zum wiederholten Mal die Stärke der Zivilgesellschaft in diesem Land deutlich. Sie springt ein, wo der Staat versagt, sie hält den Sudan zusammen. Und das wird sie auch in Zukunft tun.
Interview: Fabian Urech