Beitrag vom 17.04.2023
Weltwoche
Üble, aber einträgliche Geschäfte
Volker Seitz
Howard W. French: Afrika und die Entstehung der modernen Welt. Eine Globalgeschichte. Klett-Cotta. 512 S., Fr. 51.90
Howard W. French, bis 2008 Korrespondent der New York Times unter anderem in Westafrika und in der Karibik, versucht in seinem Buch aufzuzeigen, dass Afrikaner und Menschen afrikanischer Abstammung für die Neue Welt von zentraler Bedeutung waren. Laut seiner Darstellung wurde durch afrikanische Sklaven Europa und den USA ein wirtschaftlicher Vorteil gegenüber anderen Regionen der Welt verschafft.
Die Hochphase des transatlantischen Sklavenhandels erstreckte sich von 1680 bis 1830. Der Sklavenhandel und die Massenproduktion von Zucker und Baumwolle haben den Aufstieg Europas und der Vereinigten Staaten entscheidend ermöglicht. Die immensen Gewinne, die insbesondere durch die von Grossbritannien und Frankreich kontrollierten Plantagengesellschaften in der Karibik erzielt wurden, halfen, die Wirtschaft beider Länder auf den Weg ins Industriezeitalter zu bringen. Sklaven waren zugleich wichtige Kapitaleinheiten und Wertanlagen. Die Sklaverei sei aber auch eine Art Krieg gewesen, den die Weissen gegen alle Afrikaner führten, «ein Krieg gegen Untermenschen».
Selbstzensur der Experten
Zugleich beteiligten sich afrikanische Gemeinschaften mehr als bereitwillig am Sklavenhandel. Sie hatten keine Skrupel, den Europäern Sklaven zu verkaufen. Es gab eine alte Tradition der Sklaverei innerhalb und zwischen den afrikanischen Gesellschaften. Die in Kriegen unterlegenen Feinde wurden versklavt und als politische Beute behandelt.
Könige und Häuptlinge wurden rasch zu Konsumenten ausländischer Waren, meist Prestigegütern. Robert Harms, Professor für Geschichte an der Yale University, hat in seinem Buch «Das Sklavenschiff» den Palast des Sklavenverkäufers König Huffon in Dahomey (heute Benin) im 18. Jahrhundert beschrieben: «Die Gemächer waren üppig möbliert mit prächtigen Betten, gepolsterten Sesseln, Sofas und Spiegeln – genau wie jeder Herrschaftssitz in Europa. Die königlichen Speisekammern quollen über von importiertem Kaffee, Tee, Schokolade und köstlichen Gelees, und die königlichen Köche verstanden sich ebenso auf die Zubereitung der traditionellen Gerichte Whydahs (heute Ouidah) wie auch auf die erlesensten europäischen Speisen. Im königlichen Weinkeller lagerten Weine aus Frankreich, Spanien, Madeira und von den Kanarischen Inseln sowie Cognac und andere exquisite Spirituosen aus Frankreich.»
Leider nur in Nebensätzen erwähnt French die Versklavung der Afrikaner durch Muslime vom 7. bis ins 21. Jahrhundert. Durch den arabischen Menschenhandel wurden mehr Afrikaner deportiert als durch den transatlantischen. Zwischen 1519 und 1867 wurden etwa zwölf Millionen Afrikaner nach Amerika gebracht. Der muslimische Export aus Ostafrika war mit mindestens siebzehn Millionen Verschleppten – in die Kernländer des Islam – weitaus umfangreicher. Es gibt in diesem Punkt eine Selbstzensur der Experten, als ob die Auseinandersetzung mit dem Sklavenhandel der Araber zu einem Bagatellisieren des transatlantischen Sklavenhandels führen würde.
Im Westen gilt der Sklavenhandel längst als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ab 1814 versuchte die britische Regierung über internationale Verträge, den Sklavenhandel lahmzulegen. Englische Kapitäne, die man beim Transportieren von Sklaven ergriff, wurden gehenkt. Egon Flaig schreibt in seinem Standardwerk «Weltgeschichte der Sklaverei»: «Die Welt verdankt die Abschaffung der Sklaverei der europäischen Kultur.» Und: «In Afrika musste die Abolition den Eliten gewaltsam aufgezwungen werden. Nicht bloss weil die einheimischen Eliten vom Versklaven und von Sklavenhandel und -haltung profitierten, sondern weil die staatlichen Gebilde auf dem permanenten Versklaven beruhten.»
Liberia, als unabhängiger Staat von ehemaligen Sklaven aus den Vereinigten Staaten gegründet, sieht French negativ, weil die ehemaligen Sklaven beziehungsweise ihre Nachkommen nicht an ihre Ursprungsorte zurückgebracht wurden. Seit 1822 wurden laut French 13 000 Schwarze mit Hilfe weisser Philanthropen angesiedelt. Weissen war es ausdrücklich verboten, Bürger Liberias zu werden.
Die christlichen, englisch sprechenden Siedler in Liberia mit amerikanischer Bildung waren von den Jägern, Sammlern und Subsistenzbauern der Waldregion so verschieden wie eine Besatzungsmacht, die in Afrika eintraf. Zwischen der kleinen Gruppe schwarzer Ausländer und der viel grösseren Zahl der einheimischen Liberianer, die letztlich Vasallen wurden, gab es Spannungen. Das Abgleiten ins Chaos setzte 1980 ein, als die über hundert Jahre dauernde Herrschaft der amerikanisch-liberianischen Elite ein blutiges Ende fand.