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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 17.11.2022

NZZ

Sambia

«Die Chinesen werden reich, wir bleiben arm» – wie ein afrikanisches Land mit dem wachsenden Einfluss Pekings kämpft

Fabian Urech

Bei Chinas Engagement in Afrika geht es längst nicht mehr nur um Rohstoffe. Ein Besuch in Sambia zeigt, was die chinesische Expansion bewirkt – und wie sie in Zukunft aussehen könnte.

Gerade als die Abendsonne den Horizont berührt und den Marktplatz von Chambishi in ein goldenes Licht taucht, geht die Schimpferei los. Fünf Frauen sitzen an der Bushaltestelle auf einer Bank. Sie wollen reden – oder vielmehr: ihren Frust ablassen.

«Diese Minen bringen nichts als Unheil», sagt eine der Frauen gestikulierend. «Seit die Chinesen da sind, haben wir nur Probleme.»

Die anderen nicken. Dann erzählen sie: von den vielen Unfällen in den Schächten. Von den tiefen Löhnen, die nicht ausreichten, um eine Familie zu ernähren. Von langen Arbeitszeiten, von Rassismus, von der monatelangen Zwangsquarantäne während der Corona-Pandemie.

«Bitte kommt zurück», sagt die Älteste schliesslich, an den Journalisten aus Europa gewandt. «Wir hatten auch Probleme, als ihr die Minen betrieben habt. Aber jetzt ist es schlimmer. Viel schlimmer.»

«Der Beginn eines Imperiums»

Chambishi ist nur ein kleiner Punkt auf der Karte Afrikas: 10 000 Einwohner, ein paar Bars und Krämerläden, ein Fussballplatz mit Tribüne. Dennoch kann man die Geschichte von Chinas wachsendem Einfluss auf dem Kontinent in diesem Städtchen besser erzählen als an vielen anderen Orten.

Hier, unter den sanften Hügeln im Norden Sambias, wurden bereits vor über hundert Jahren gewaltige Reserven an Kupfer und Kobalt entdeckt. Seither zählt die Region, die heute als Copperbelt bekannt ist, zu den grössten und begehrtesten Schatzkammern Afrikas.

Als China um die Jahrtausendwende begann, seinen wachsenden Hunger nach Rohstoffen im Ausland zu stillen, rückte Sambia als eines der ersten Länder in den Fokus Pekings. Chambishi kam zuerst an die Reihe: 1998 kaufte eine chinesische Firma die damals stillgelegte Kupfermine am Ortseingang. Bald kam eine zweite dazu, später eine Schmelzerei.

Es dauerte danach nur wenige Jahre, bis China seinen Wirkungsradius Schritt für Schritt ausweitete. Hier, in diesem toten Winkel der Weltpolitik, sei gerade «der Beginn eines Imperiums» zu beobachten, notierte der britische Historiker Niall Ferguson bei einem Besuch im Copperbelt 2010.

Er hatte recht. Heute weht über Dutzenden Minen in der Region die rote Flagge mit den gelben Sternen. Wo jahrzehntelang westliche Bergbaufirmen dominierten, haben heute vorab chinesische Unternehmen das Sagen.

Noch mehr aber gilt es für Sambias Wirtschaft als Ganzes: Was in Chambishi vor einem Vierteljahrhundert seinen Anfang nahm, hat sich zum wohl umfassendsten chinesischen Expansionsprojekt in ganz Afrika entwickelt. Die Minen und Bodenschätze, die Peking einst hergelockt haben, stehen dabei längst nicht mehr im Mittelpunkt.

«Sie bringen Geld, aber sie bringen auch viele Probleme»

Eine 400 Kilometer lange, schnurgerade Strasse südlich von Chambishi liegt Lusaka. In der Zwei-Millionen-Stadt im Zentrum des Landes schlängelt Herr Kwando seinen alten Toyota durch den dichten Verkehr. Fast im Minutentakt nimmt er die Hand vom Steuer und zeigt auf ein vorbeiziehendes Gebäude. «Das hier», sagt er dann. Und wenig später: «Das hier auch.»

Kwando, der in Wirklichkeit anders heisst, ist Journalist und befasst sich seit Jahren mit der wachsenden chinesischen Präsenz in seinem Heimatland. Bei der Tour durch die Hauptstadt weist er auf jene Geschäfte, die von chinesischen Firmen übernommen oder neu gebaut wurden. Er sagt: «Heute sind sie überall – in jedem Wirtschaftszweig, in jeder Stadt.»

Tatsächlich gibt es in Lusakas Zentrum, in dem verfallene Kolonialbauten neben gläsernen Bürotürmen stehen, kaum eine Strasse, an der kein chinesischer Betrieb stünde. In einem Viertel sind es Möbelgeschäfte, Reisebüros und Handelsunternehmen. Andernorts Hotels, Restaurants, Supermärkte, Kasinos, Gesundheits- und Fitnesszentren. An den Rändern der Stadt auch Hühner- und Fischzuchtfarmen, Ziegelsteinfabriken, Metzgereien.

Kwando parkiert sein Auto schliesslich vor der «China Mall», einem beliebten Einkaufszentrum, das ausschliesslich chinesische Produkte anbietet. Hier sei alles günstiger als anderswo in der Stadt, sagt der Journalist, während er im Supermarkt langen Regalen voller Pfannen, Kinderspielzeug und Geschirr entlangschlendert. «Die Chinesen sehen Sambia als Absatzmarkt. Sie haben gemerkt, dass man hier gutes Geld verdienen kann.»

Er verstehe, dass sie in sein Land kämen, meint Kwando dann. «Wir bieten den Chinesen eine Gelegenheit, sie nutzen sie.» Gut findet er das aber nicht. «Sie bringen Geld, aber sie bringen auch viele Probleme.»
Von 10 Millionen auf 3 Milliarden

Nach dem Eroberungszug in der Rohstoffbranche drängten chinesische Firmen nach der Jahrtausendwende bald in andere Wirtschaftszweige Sambias vor. Es kamen Händler, die Sambia als attraktiven Absatzmarkt für die chinesische Massenproduktion erkannten. Baufirmen, die im ganzen Land – meist mit chinesischen Krediten – neue Strassen, Brücken, Flughäfen, Spitäler und Fussballstadien bauten. Kleinunternehmer, die davon gehört hatten, dass die Konkurrenz hier kleiner und die Arbeitskräfte günstiger seien als in China.

Rund 100 000 Chinesinnen und Chinesen sollen gemäss Schätzungen heute in dem Land mit 18 Millionen Einwohnern leben. Nirgendwo auf dem Kontinent ist ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung grösser.

Binnen zweier Jahrzehnte ist China zum wichtigsten Wirtschaftspartner und Investor Sambias geworden. Seit dem Jahr 2000 ist das jährliche Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern regelrecht explodiert: von mageren 10 Millionen Dollar auf 3 Milliarden .

Natürlich ist diese Entwicklung kein Einzelfall in Afrika. Der chinesische Einfluss ist in den letzten rund fünfzehn Jahren in den meisten afrikanischen Ländern deutlich gestiegen; seit Jahren ist Peking der wichtigste Handelspartner des Kontinents.

Trotzdem ist Sambia ein Spezialfall: Hier begann die chinesische Expansion früher, sie war umfassender, folgenreicher – und sie ist wegen der vielen chinesischen Immigranten heute viel sichtbarer als anderswo.

Sambia gilt deshalb als eine Art Zukunftslabor für Pekings grosse Ambitionen auf dem Kontinent: In dem kaum beachteten Binnenland lässt sich heute beobachten, wie Afrika morgen aussehen könnte.

Auf dem chinesischen Markt

Ein Ort, an dem diese Zukunft schon jetzt zu besichtigen ist, liegt an der Independence Avenue in Lusaka, einer der Hauptschlagadern der Stadt. «Kamwala Shopping World» steht in verblichenen Lettern über dem Eingang des Markts, der mit seinen überdachten Zwischengängen wie ein Basar aussieht.

An China erinnert hier auf den ersten Blick nichts, aber das täuscht. Eine Firma aus der chinesischen Provinz Hainan hat den Markt vor zwanzig Jahren gebaut und vermietet die kleinen Ladenlokale meist an Einheimische. Diese verkaufen hier Kleider, Schuhe oder Handys, fast alles «made in China».

Die Händlerinnen und Händler gehören damit zu jenen, die Chinas wachsenden Einfluss im Land besonders stark spüren. Was halten sie von dieser Entwicklung? Das Thema ist kontrovers und politisch aufgeladen, das wird beim Rundgang bald klar. Einige winken bei der Frage ab, viele wollen sich nur anonym äussern.

Jacqueline Nachilima gehört nicht zu ihnen. «Die Chinesen wissen, was wir wollen», sagt die Frau in ihrem Laden, an dessen Wänden bis zur Decke Abendkleider und Herrenanzüge aus chinesischer Produktion hängen. Ihre Kunden könnten sich Waren, die anderswo produziert würden, schlicht nicht leisten. «Wenn du neue Schuhe für fünf Dollar brauchst, kann China dir das bieten.»

Die meisten Händlerinnen aber äussern sich deutlich kritischer. Für Unmut sorgt insbesondere, dass auf dem Markt angeblich immer mehr Chinesen selbst einen Laden besitzen. Weil diese beim Import nicht auf Zwischenhändler angewiesen seien, könnten sie zu noch tieferen Preisen anbieten, sagen viele.

«Sie zerstören unser Geschäftsmodell», meint eine Verkäuferin, die Perücken und Haarverlängerungen verkauft. Solange die Chinesen im Hintergrund geblieben seien, habe sie das nicht gestört. «Nun aber verdrängen sie uns.»
Das Gefühl, verdrängt zu werden

Es ist eine Einschätzung, die in Sambia viele teilen: dass die Folgen von Chinas Engagement irgendwann ins Negative gekippt sind.

«In den letzten zehn Jahren haben die Chinesen unser Land regelrecht überflutet», sagt Laura Miti, die Leiterin einer NGO in der Hauptstadt. Auf Flügen nach Sambia sei zeitweise ein Drittel der Plätze von Chinesinnen und Chinesen besetzt gewesen. «Plötzlich sah man sie in Lusaka am Strassenrand Mais oder Poulet verkaufen», sagt Miti. «Die Menschen hatten irgendwann das Gefühl, dass hier Konkurrenten kommen, keine Partner.»

Zum wachsenden Argwohn gegenüber China hat zudem beigetragen, dass es der sambischen Wirtschaft in den letzten zehn Jahren immer schlechter ging. Das hat zwar primär mit den gesunkenen Rohstoffpreisen zu tun. Doch Chinas Expansionskurs hat die Misere teilweise verstärkt.

Im Herbst 2020 musste der sambische Staat Insolvenz anmelden, nachdem er vor allem in China mehrere Milliardenkredite aufgenommen hatte. Spätestens da kamen viele zu der Überzeugung, dass das viele Geld, das aus Fernost ins Land geflossen war, keine Probleme löste, sondern vor allem neue schuf.

Heute lehnen viele Sambierinnen und Sambier die chinesische Präsenz rundheraus ab. «Die Chinesen sind Gauner», heisst es oft, wenn man sich auf der Strasse in Lusaka umhört. Viele sind überzeugt, dass vom Engagement Pekings höchstens die Mächtigen im Land profitierten – und die Chinesen selbst. Ein junger Mann sagt es so: «Sie werden reich in unserem Land, wir bleiben arm.»

Auch in der politischen Debatte ist der Tonfall gegenüber China in den letzten Jahren giftiger geworden. Sambia sei in die «chinesische Schuldenfalle» getappt, heisst es immer wieder. Manche sprechen gar von einer «Kolonisierung» durch Peking. Eine Oppositionspartei wirbt mit dem Slogan «Sag Nein zu China».

Vergangenes Jahr hat der verbreitete Unmut gar die Wahlen mitentschieden: Der Oppositionskandidat Hakainde Hichilema sei, so heisst es in Sambia, auch deshalb zum neuen Präsidenten gewählt worden, weil er sich im Gegensatz zum Amtsinhaber gegen eine weitere Expansion Pekings ausgesprochen habe.

Eine Verschnaufpause, kein Rückzug

Ist das chinesische Zukunftsprojekt in Sambia also gescheitert? Klar ist: Die Herzen der Einheimischen hat Peking nicht gewonnen. Und mit der neuen Regierung in Lusaka hat China deutlich an politischem Einfluss eingebüsst. Die Zeit, in der chinesische Firmen praktisch alle Staatsaufträge eingeheimst hätten und man bisweilen das Gefühl gehabt habe, Peking bestimme die Wirtschaftspolitik des Landes mit, sei vorbei, heisst es in Sambia allenthalben.

«Es ist schwieriger geworden für uns», sagt eine Chinesin, die seit bald zehn Jahren in Sambia lebt und anonym bleiben will. Die meisten ihrer Landsleute hätten hier lange gutes Geld verdient. Nun ändere sich das. «Ein Präsident, der China nicht mag, die schwächelnde Wirtschaft wegen Corona, die Lockdowns zu Hause – deshalb kommen nur noch wenige hierher.»

Rückgängig machen lässt sich die chinesische Expansion in Sambia aber nicht. Die Dominanz chinesischer Firmen in zahlreichen Wirtschaftszweigen des Landes ist eine kaum umkehrbare Tatsache. Gleiches gilt für Sambias finanzielle Abhängigkeit von chinesischen Krediten. Vor allem aber hat China seinen Expansionshunger nicht verloren – allem politischen und gesellschaftlichen Widerstand der letzten Jahre zum Trotz.

Deutlich wird das bei einem Halt in Chibombo, einem verschlafenen Städtchen rund hundert Kilometer ausserhalb der Hauptstadt. Was hier, auf einer weiten Steppe am nördlichen Rand der Siedlung, heranwächst, wirkt wie eine in Beton und Stahl gegossene Manifestation der chinesischen Ambitionen in dem Land.

Acht lange Fabrikgebäude sind gebaut, über zwanzig weitere sollen später dazukommen. Ausserdem sind Häuser für Angestellte sowie ein Park und eine Sportanlage geplant.

Rund 600 Millionen Dollar will China in den Fabrikkomplex, der Teil der Belt-and-Road-Initiative ist, investieren. Bereits Ende dieses Jahres sollen hier die ersten chinesischen Firmen damit beginnen, unter anderem Zigaretten, Medikamente und Porzellan herzustellen – die ersten Jahre zu steuerlichen Sonderkonditionen, die noch mit der früheren Regierung Sambias ausgehandelt worden sind. Glaubt man den Bauherren, sollen hier dereinst über 20 000 Menschen arbeiten.

Noch ist das Theorie: Die bereits bestehenden Fabrikgebäude sind leer, die vierspurigen Strassen auf dem Gelände wirken wie ungenutzte Flugpisten, die Zebrastreifen führen ins Nirgendwo.

Betrieb herrscht einzig in einem gut gesicherten Bürokomplex, vor dem die chinesische Flagge an einem langen Mast in den Himmel ragt. Auf dem Parkplatz steigt der stellvertretende Manager des Projekts aus einem Auto. Der Mann in grauem Anzug, der sich als Kelvin vorstellt, gibt sich wortkarg. Fragen könne nur sein Chef beantworten, der aber sei im Moment in China.

Die ruhende Baustelle, ein Chef auf Heimaturlaub – das wirkt wie eine Metapher: China legt in Sambia eine Verschnaufpause ein. Es ist kein Rückzug, sondern ein Kräftesammeln. «Sie können ein anderes Mal gerne wiederkommen», sagt Kelvin, als er die Besucher hinausbittet. «Es wird bald losgehen.»