Beitrag vom 16.04.2022
Preußische Allgemeine Zeitung
Dreierlei Entwicklungshilfe
LORIAN STUMFALL
Es ist ganz natürlich, dass, sobald
ein neuer Krieg entbrennt, die
bis dahin tobenden Kriege dem
allgemeinen Gedächtnis ent-
schwinden. Auch anderes Unglück tritt in
den Hintergrund. Dazu gehören ganz vor-
dringlich die Lebensbedingungen von vie-
len Millionen Menschen in Schwarzafrika,
die sich nur dann und wann, sobald eine
diesbezügliche Pressekampagne ergeht, in
die Erinnerung des Publikums drängen.
Die Politik allerdings verliert dieses
Thema, zu dem Afrika als Beispiel auch
für andere Kontinente dienen soll, keines-
wegs aus den Augen. Sie schickt mittels
ihrer hochentwickelten Entwicklungshil-
fe-Industrie bestbezahlte Funktionäre
rund um den Erdball, deren Aufgabe es
nicht zuletzt ist, an hoher Stelle Gesprä-
che zu führen über deutsche Zahlungen
an die verschiedensten Länder. Was aber
der Politik recht ist, das ist vielen anderen
billig. Dazu gehören die Kirchen, Nicht-regierungsorganisationen (NGO) wie
Ärzte ohne Grenzen oder Terre des hommes,
das Rote Kreuz samt Kollegenschaft
bis hin zu den Gewerkschaften, die Bei-
träge ihrer Mitglieder auch in die Dritte
Welt tragen, und sei es über eigens dafür
gegründete Vereine.
Auf diese Weise kommt sehr viel Geld
in diese Länder, oftmals allzu viel Geld.
Der kenianische Nationalökonom James
Shikwati sagt: „Wer Afrika helfen will,
darf den Afrikanern nicht sagen, wie man
an sein Geld kommt.“ Denn Geschenke
lähmen die Initiative, Geld wird überwie-
gend veruntreut, und Lebensmittelspen-
den ruinieren die einheimischen Bauern,
die mit Gratis-Importen nicht konkurrie-
ren können.
Deutschland verschenkt Geld
Ein beredtes Beispiel stellt Nigeria dar. Als
Förderer von Rohöl steht das Land mit an
vorderster Stelle weltweit. Vor 25 Jahren
gehörte es zu den 50 reichsten Ländern
der Welt, heute zu den 25 ärmsten. Dabei
fließt ein breiter Strom von Entwicklungs-
hilfe nach Abuja. Erst im Oktober des ver-
gangenen Jahres wurde allein von der
Bundesregierung eine weitere Zahlung
von über 100 Millionen Euro vereinbart.
Denn die europäischen Politiker lassen
sich vom unaufhörlichen Misserfolg ihrer
Maßnahmen nicht beeindrucken. Auch
der Umstand, dass es denjenigen Ländern
in Afrika am schlechtesten geht, die am
meisten Entwicklungshilfe beziehen,
scheint niemandem aufzufallen. Was man
mit viel Geld nicht erreicht, will man mit
noch mehr Geld schaffen.
China baut in Afrika
Volker Seitz, ehemaliger deutscher Bot-
schafter in westafrikanischen Ländern,
schreibt in seinem vorzüglichen Buch
„Afrika wird armregiert“: „Die Lebensbe-
dingungen vieler Afrikaner in den afrikani-
schen Klassengesellschaften, in denen die
einstige Mittelschicht schon vor Jahrzehn-
ten weggebrochen ist, die Oberschicht
sich Privilegien verschafft hat und die
Mehrheit der Bevölkerung ausbeutet, sind
heute schlechter als zu Beginn der Unab-
hängigkeit. Weiße Kolonialherren wurden
durch schwarze Kolonialherren ersetzt.“
Dabei wird es aber nicht bleiben, denn
es gibt noch andere, die gelben Kolonial-
herren. China hat in den zurückliegenden
ein, zwei Jahrzehnten einen bestimmen-
den Einfluss auf das Afrika südlich der
Sahara genommen. In so gut wie jedem
Land spielen die Chinesen im Wirt-
schaftsleben eine große Rolle. Der Hinter-
grund ist der außerordentliche Reichtum
an Rohstoffen, über den Afrika verfügt.
Die Länder sind aber selbst nicht in der
Lage, die Schätze zu erschließen. Das ist
Chinas Ansatzpunkt.
Das Konzept sieht, grob gesagt, folgen-
dermaßen aus: Eine bevollmächtigte Dele-
gation aus Peking spricht bei einem Präsi-
denten in einem beliebigen Lande vor und
erklärt, man werde, selbstverständlich auf
eigene Rechnung, dort eine Straße von A
nach B und eine Bahnlinie von Y nach Z
bauen. Zusätzlich werde man eine funkti-
onierende Infrastruktur errichten. Nach-
dem dies aber finanziell zulasten Chinas
geschehe, erbitte man sich höflichst so-
undsoviele Anteile an folgenden Minen …
Dann erfolgt die Überzeugungsarbeit an
den einheimischen Entscheidungsträgern
in Form von finanziellen Zuwendungen.
Man nennt das auch schmieren.
Gelder aber, die zum Bau eines Projek-
tes benötigt werden, bekommen die
schwarzen Politiker nicht in die Hand. Das
steht im Gegensatz zu den Gewohnheiten
der europäischen, vor allem der deut-
schen Entwicklungshilfe. Den Europäern
gegenüber bezeichnen die Afrikaner das
Ansinnen, man wolle kontrollieren, was
mit der Unterstützung geschehe, als
„Neokolonialismus“. Das aber ginge den
Chinesen gegenüber fehl. Denn diese wei-
sen rechtzeitig darauf hin, dass auch sie
Farbige seien und unter dem europäischen
Kolonialismus hätten leiden müssen.
Auf diese Weise hat China fast ganz
Schwarzafrika unter seine Kontrolle be-
kommen. Der Haupteffekt: Peking hat die
Hand auf den schier unerschöpflichen
Rohstoffen Afrikas. Natürlich wird auch
auf diese Weise die Initiativkraft der Afri-
kaner nicht gefördert, aber es geschieht
zumindest etwas. Die Projekte werden
vollendet und die Schmiergelder kontrol-
liert zugemessen. Man kann das als das
System eines aufgeklärten Kolonialismus
bezeichnen: Entwicklung durch teilwei-
sen Verzicht auf Entscheidungsgewalt.
Die USA setzen aufs Militär
Beim europäischen Konzept unterliegt die
fragliche Finanzmasse sofort dem jeweili-
gen Potentaten, und der zählt das Geld,
das er für sich beansprucht, selbst ab. Vor-
sichtshalber nimmt er reichlich, denn er
muss auch seine Gefolgsleute alimentie-
ren, damit das System stabil bleibt. Das ist
die moderne Form der traditionellen Pa-
tronatsordnung, angewandt jetzt nicht
mehr auf Sippen, sondern auf den Staat.
Nachdem die Hauptsache bereits ge-
schehen war, wurden auch die USA auf
das Treiben der Chinesen in Afrika auf-
merksam. Um auf irgendeine Weise damit
gleichzuziehen, begann Washington, mit
den betreffenden Ländern auf dem militä-
rischen Sektor eine Zusammenarbeit zu
vereinbaren. Heute gibt es in fast jedem
Land südlich der Sahara ein Militärab-
kommen mit den USA und demgemäß fast
überall US-Militär-Missionen.
Was zweckmäßiger ist, wird sich zei-
gen. Eines aber ist heute schon offenbar:
Die USA müssen für ihr militärisches En-
gagement Unsummen aufbringen. Die
Chinesen aber verdienen schweres Geld
mit ihrer Art der Entwicklungshilfe.
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Der Autor ist ein christsoziales
Urgestein und war lange Zeit
Redakteur beim „Bayernkurier“.