Beitrag vom 28.03.2022
NZZ
Weltweit sinkt die Zahl der Raucher, in Afrika aber wächst sie. Die Tabakindustrie setzt deshalb auf Expansion – oft mit fragwürdigen Mitteln
Die Recherche in Lesotho zeigt, dass die Auswirkungen der «Pandemie der Raucher» bereits spürbar ist.
Christian Putsch
Lesothos wichtigster Wirtschaftspolitiker sitzt im Garten eines Hotels und fürchtet um seine Wiederwahl. Nervös rutscht Mahooana Khati auf einem weissen Plastikstuhl hin und her. Den ganzen Vormittag über hat der Parlamentarier im Gebäude nebenan mit anderen Parlamentariern über ein Gesetz debattiert, das er eigentlich vermeiden wollte. Die Tabaksteuer soll kommen. Endlich – Lesotho ist eines der letzten Länder Afrikas, in denen Zigaretten ohne gesonderte Tabaksteuer und damit ungewöhnlich preiswert verkauft werden.
In seinem Land gebe es eine einfache Regel, sagt Khati, der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Parlament. «Wer die Zigaretten teurer macht, wird nicht gewählt.» So einfach sei das. Im Moment kostet das Päckchen umgerechnet rund 1.50 Franken, über kriminelle Kanäle werden sie auf den Strassen oft sogar nur für die Hälfte des Preises angeboten.
Starke Tabaklobby
Am Ende aber blieb Lesothos Gesetzgebern keine Wahl. Das Land hat während der Pandemie den Internationalen Währungsfonds um finanzielle Unterstützung gebeten. Dessen Experten fiel auf, dass Lesotho Sondersteuern auf Tabak als wichtiges Instrument zur Haushaltsfinanzierung weitgehend ungenutzt lässt – und erklärten die Einführung kurzerhand zur Auflage.
In einem ersten Entwurf der Regierung war eine Tabaksteuer von 30 Prozent vorgesehen gewesen. Am Ende betrug sie nur sechs Prozent. Warum? Khati räumt ein, dass es in den vergangenen Monaten fünf Treffen des Wirtschaftsausschusses mit Vertretern der Tabaklobby gegeben habe. Details will er nicht preisgeben. Beratungen mit Vertretern von Gesundheitsorganisationen habe es dagegen nicht gegeben, obwohl diese vehement darum gebeten hatten.
Der Fall zeigt, dass grosse Tabakkonzerne selbst in kleinen afrikanischen Ländern wie Lesotho mit seinen zwei Millionen Einwohnern viel daransetzen, zu expandieren.
Afrika gilt für Zigarettenhersteller als wichtiger Zukunftsmarkt: Die Bevölkerung des Kontinents wächst jährlich um 2,4 Prozent, sie wird sich voraussichtlich bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Während der Absatzmarkt in den Industrienationen schrumpft, locken in Afrika ansehnliche Wachstumsraten.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Zahl der Raucher in den letzten zwanzig Jahren weltweit gesunken und beträgt heute noch rund 1,3 Milliarden. In Afrika stieg sie derweil von 64 Millionen auf heute rund 73 Millionen an. Zwar wird auf dem Kontinent heute noch immer weniger geraucht als in anderen Weltregionen. Der Trend aber zeigt nach oben – und viele Tabakhersteller sehen das als Chance.
«Wir steuern auf eine tödliche Pandemie der Raucher zu»
In einem verfallenen Gebäude in Lesothos Hauptstadt Maseru hat Mphonyane Mofokeng ihr Büro. Als ihr Vater, ein Kettenraucher, an Krebs starb, gründete sie eine NGO, die die Bevölkerung unter anderem für die Risiken von Tabakkonsum sensibilisieren will. Die 60-Jährige will damit gerade bei Jugendlichen erreichen, was sie bei ihrem Vater nicht geschafft hatte: sie vor den Gefahren des Rauchens zu bewahren.
Den Glauben, dass dies möglich sei, droht sie in diesen Tagen zu verlieren. Vergeblich bat sie den Wirtschaftsausschuss in Lesotho um einen Gesprächstermin, hoffte auf höhere Preise, höhere Hürden für den Zugang zu Zigaretten. Sie wollte von dem Jungen erzählen, der mit acht Jahren ins Spital kam – Lungenkrebs, die Eltern hatten im Haus geraucht. Sie wollte über die unzähligen Hirtenjungen berichten, für die das Rauchen auf den Feldern noch immer zum Alltag gehört. Vergeblich.
Irgendwann lud sie sich selbst ein und ging zu einem der Treffen des Ausschusses. Es wurde abgebrochen.
«Wir steuern auf eine tödliche Pandemie der Raucher zu, wenn der Tabak nicht teurer wird», sagt die Aktivistin. Zudem müsse man die bestehenden Gesetze auch endlich durchsetzen, wie zum Beispiel Rauchverbote in öffentlichen Gebäuden oder Verkaufsverbote in der Nähe von Schulen. Das passiere kaum.
Korruptionsvorwürfe auch in anderen afrikanischen Ländern
Als sie schliesslich erfuhr, dass die Politiker nur einen Fünftel der ursprünglich geplanten Tabaksteuer einführen wollten, dachte sie sofort an Korruption. «Immer, wenn so etwas passiert, steckt etwas dahinter», sagt sie. Es gebe in Lesotho einen bestimmten Weg, wie die Tabaklobby das handhabe. Da werde mitunter auch einmal ein Grundstück für einen Politiker gekauft.
Belege dafür hat sie nicht. Aber es sind keine neuen Vorwürfe gegen die Zigarettenindustrie in Afrika. Im Jahr 2015 veröffentlichte die BBC einen Beitrag über Paul Hopkins. Der Brite hatte in Kenya während 13 Jahren für den Tabakkonzern British American Tobacco gearbeitet – und wurde danach zum Whistleblower. «BAT besticht Leute, und ich organisierte das», sagte er in einem Interview. «Wenn sie die Regeln brechen müssen, dann brechen sie die Regeln.»
Hopkins präsentierte Dokumente, die nach Einschätzung der BBC belegen, dass der Konzern über ihn illegale Zahlungen an Länderrepräsentanten einer Anti-Tabak-Kampagne der WHO leistete. In Burundi soll ein hochrangiger Beamter bestochen worden sein, von dem man sich offenbar Aufweichungen eines Antirauchergesetzes erhoffte.
Der Sender veröffentlichte zudem eine heimlich gemachte Tonaufnahme, auf der angeblich zu hören ist, wie ein BAT-Anwalt Schmiergeldzahlungen gutheisst. BAT bestritt die Vorwürfe, im vergangenen Jahr befand die zuständige britische Strafverfolgungsbehörde nach langer Untersuchung, es gebe nicht genug Beweise für eine Anklage.
Deutliche Auswirkungen auf die Gesundheit
Die gesundheitlichen Folgen des gestiegenen Tabakkonsums in Lesotho lassen sich im Spital von Mafeteng beobachten, einer Kleinstadt 80 Kilometer südlich von Maseru. Hier hat es die Ärztin Waheeba Madani mal wieder mit Patienten mit Lungenproblemen zu tun. Gerade hat sie den 71-jährigen Moshao Setlaba behandelt, knapp 50 Jahre lang rauchte er täglich. Nicht viel, wie er sagt, täglich fünf bis zehn Zigaretten. Auch als der Bergarbeiter zweimal an Tuberkulose erkrankte, hörte er nicht auf – in den Minen gehörte der Tabak zum Alltag. Vor einiger Zeit hat er den Zigaretten dann doch abgeschworen. «Ich huste die ganze Nacht und habe Schmerzen in der Brust», klagt der abgemagerte Pensionär.
80 Prozent von Doktor Madanis männlichen Patienten sind aktive oder ehemalige Raucher – bei den Frauen sind es, wie in den meisten Ländern, deutlich weniger. Insgesamt beziffert Lesothos Regierung den Anteil der Raucher derzeit auf enorme 47,9 Prozent der Erwachsenen. Zum Vergleich: In Deutschland rauchen 23,8 Prozent, in der Schweiz 27 Prozent.
«Wir haben immer mehr Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen», sagt Madani. «Die Leute fangen bereits als Kinder an zu rauchen, und oft verschlimmert das andere Erkrankungen wie Tuberkulose, HIV oder die Folgen von Mangelernährung.»
Früher hätten die Ärzte in Lesotho Lungenerkrankungen bei Bergarbeitern wie Setlaba automatisch auf die schwierigen Bedingungen unter Tage zurückgeführt. «Inzwischen ist klar, dass bei den meisten Patienten Rauchen der wichtigste Faktor ist», sagt Madani. Für die Bevölkerung sei das eines der grössten Gesundheitsrisiken – weit mehr als Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die in Industrienationen bei den Todesursachen dominieren.
Allerdings fehlen im Spital von Mafeteng die Mittel und Geräte für eine genaue Diagnose. Die Ärztin wird Setlaba deshalb in die Hauptstadt Maseru schicken. Doch auch dort sind die entsprechenden Möglichkeiten beschränkt. Letztlich muss der Patient auf einen Termin in einem staatlichen Spital im Nachbarland Südafrika hoffen, wo hin und wieder Patienten aus Lesotho aufgenommen werden. Bis zur genauen Diagnose werden also Wochen vergehen. Mindestens.
«Sie sind zu mächtig, zu gross, zu gut verknüpft»
Das südliche Afrika entwickelt sich erst langsam zum relevanten Tabak-Absatzmarkt – seine Geschichte als Anbaustandort reicht dagegen Jahrhunderte zurück. Auch in diesem Bereich ist der Ruf der Branche gelinde gesagt zweifelhaft. Vor einigen Monat veröffentlichte die BBC Dokumente, die die Zahlung von Bestechungsgeldern von Mitarbeitern der British American Tobacco an Simbabwes Regierungspartei Zanu-PF nahelegen. Es geht um Zahlungen von 300 000 Dollar, mit denen die Schliessung von Zigarettenfabriken der Konkurrenz habe erwirkt werden sollen. Zudem habe die britische Firma andere Hersteller ausspionieren lassen.
Johann van Loggerenberg überrascht das nicht. Er ermittelte lange für die südafrikanische Steuerbehörde gegen Schmuggler und Tabakkonzerne, die Steuern vermeiden. «Das wird keine Konsequenzen haben, das kann ich Ihnen versichern», sagt der 52-Jährige beim Gespräch in Johannesburg, «derartige Skandale und die Negativ-PR sind im Geschäftsmodell dieser Konzerne einkalkuliert. Ein schlechter Arbeitstag eben, dann geht es weiter.»
Schon in den Industrienationen würden hochrangige Manager nicht persönlich zur Rechenschaft gezogen, sagt van Loggerenberg. Das Schlimmste, was passieren könne, seien Strafzahlungen für den Konzern – «dann geht das Leben weiter». Wenn es so in den Industrienationen funktioniere, dann könne man sich vorstellen, wie es in Entwicklungsländern ablaufe. «Sie sind zu mächtig, zu gross, zu gut verknüpft.»
-------------------------------
Diese Recherche wurde vom European Journalism Centre (EJC) über das «Global Health Journalism Grant Program for Germany» finanziert.