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Beitrag vom 14.03.2022

FAZ

Wie Afrika den Krieg gegen die Ukraine wahrnimmt

Die Abneigung gegen die alten Kolonialmächte und die einstigen Verbindungen zur Sowjetunion prägen in vielen Ländern den Blick auf den Krieg.

Von Claudia Bröll

Rote Teppiche, Galadinner und das übliche Tamtam bei Gipfeltreffen waren für Wladimir Putin nicht genug Symbolik. Als die Staats- und Regierungschefs aus 40 afrikanischen Ländern 2019 zum ersten Russland-Afrika-Gipfel in Sotschi am Schwarzen Meer eintrafen, landeten fast gleichzeitig zwei russische Tupolew Tu-160 auf einem Militärflughafen in Südafrika. Die Überschallbomber befanden sich das erste Mal auf afrikanischem Boden. Offiziell hatten der Gipfel und die Landung nichts miteinander zu tun. Aber die Botschaft war klar: Russland ist zurück auf dem Kontinent – und will dort vor allem militärisch Flagge zeigen.

Die Beziehungen Russlands zu Afrika sind komplex, wie sich seit dem Einmarsch in die Ukraine deutlich zeigt. Viel beachtet wurde die Rede des kenianischen Botschafters Martin Kimani im UN-Sicherheitsrat. Er erinnerte an die Erfahrungen Afrikas in der Kolonialzeit und drängte Russland, bestehende Grenzen zu respektieren. Das hätten auch die afrikanischen Länder mit Blick auf die teilweise willkürlich quer durch Stammesgebiete gezogenen Grenzen getan, um „nicht in neue Formen von Vorherrschaft und Unterdrückung zurückgeworfen zu werden“. Abgesehen von Kenia, verurteilten Gabun und Ghana – die drei sind nichtständige Mitglieder im Sicherheitsrat – die Invasion. Auch die Afrikanische Union forderte einen sofortigen Waffenstillstand. Russland müsse die „territoriale Integrität und nationale Souveränität der Ukraine“ respektieren.

Zuma pries Putin gar als „Mann des Friedens“

Doch bei der Abstimmung in der UN-Vollversammlung über eine Resolution, in der ein sofortiger Truppenabzug Russlands gefordert wurde, stimmte ein afrikanisches Land – Eritrea – dagegen, 17 weitere enthielten sich. Insbesondere in Südafrika reißt die Debatte über die „neutrale Position“ der Regierung nicht ab. In den Medien erinnern einige an die Appelle Nelson Mandelas, die Menschenrechte zu achten. Doch selbst die Stiftung des verstorbenen Nationalhelden konnte sich nicht zu einer klaren Verurteilung des russischen Einmarschs durchringen. Sie schrieb von „komplexen Herausforderungen für die Weltordnung“ und verwies auf Amerikas Verhalten in der Kubakrise in den Sechziger und in Grenada in den Achtzigerjahren. Auch jetzt dürfe man nicht „ein Auge zuhalten und behaupten, alles zu sehen“. Südafrikas früherer Präsident Jacob Zuma pries Putin gar als „Mann des Friedens“.

In solchen Sätzen schwingt die Feindseligkeit gegenüber den früheren Kolonialmächten und die Erinnerung an die Zeit mit, als die Sowjetunion zahlreiche Befreiungsbewegungen auf dem Kontinent unterstützte. Hochrangige Mitglieder in Südafrikas Regierungspartei ANC wie der einstige Präsident Thabo Mbeki wurden in der Sowjetunion militärisch ausgebildet. Länder wie Algerien, Guinea, Äthiopien und Kongo erhielten finanzielle und militärische Hilfe von der Sowjetunion. Angola und andere Staaten wurden zu Schauplätzen blutiger Stellvertreterkriege zwischen Ost und West.

Es geht vor allem um „symbolische Gesten“

Der Kreml verfolgte aber auch eine „weiche Strategie“, um mehr Einfluss zu gewinnen. Junge Afrikaner studierten an der 1960 gegründeten Patrice-Lumumba-Universität der Völkerfreundschaft in Moskau. Die Sowjetunion schickte Hunderte Diplomaten auf den Kontinent, eröffnete Kulturinstitute und Pressebüros. Charismatische Revolutionsführer und Staatsmänner wie Thomas Sankara in Burkina Faso oder Mathieu Kérékou in Benin hingen der marxistisch-leninistischen Ideologie an. In Benins Hauptstadt steht bis heute ein Denkmal umgeben von einem großen roten Stern. Auf einem hohen Turm steht die Statue eines Mannes mit Waffe über der Schulter, Holzbündel in der linken und Hacke in der rechten Hand.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ebbte das russische Interesse an Afrika schnell ab. Erst Anfang des Jahrtausends änderte sich das langsam. Der Gipfel von Sotschi markierte schließlich den Beginn einer russischen Renaissance der Beziehungen. „Afrika wird immer mehr zu einem Kontinent der Möglichkeiten“, hatte Putin zum Auftakt des Gipfels gesagt. Investitionsvorhaben, verstärkter Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit wurden vereinbart. Doch die Realität blieb bisher hinter den hoch gesteckten Zielen zurück. In Südafrika vereinbarte Zuma mit Putin den Bau eines Atomkraftwerks. Das Vorhaben verlief jedoch im Sand, als Zuma wegen Korruptionsvorwürfen zurücktrat. Als Mitglieder des BRICS-Schwellenland-Klubs (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) sind beide Länder aber weiterhin verbunden. Russlands Hauptaugenmerk in Afrika liegt wie einst auf dem militärischen Bereich. Das Land ist der größte Waffenexporteur, hat mit knapp zwei Dutzend Staaten Verträge unterzeichnet: über die Ausbildung von Offizieren, die Lieferung von Militärausrüstungen, gemeinsame Manöver und den Kampf gegen den Terror. In Ländern wie Mali, Libyen oder der Zentralafrikanischen Republik sind außerdem von Russland gesteuerte Söldner im Einsatz.

„Bei Russlands Rückkehr nach Afrika geht es vor allem um symbolische Gesten. Für den Kreml ist es weniger wichtig, ob die russischen Akteure ihre Versprechen einhalten oder Lösungen für regionale Probleme finden“, stellt die amerikanische Carnegie-Stiftung fest. Statt einer übergreifenden Afrikapolitik nutzt Russland günstige Gelegenheiten in einzelnen Ländern. Rohstoffreichtum spielt dabei eine Rolle, aber auch geopolitisches Kalkül. In der Bevölkerung in Ländern wie Mali oder Burkina Faso kommt das trotzdem gut an. Das liegt weniger an ideologischer Verbundenheit. Vielmehr wird Russland als vermeintlich verlässlichere Alternative zur unbeliebten früheren Kolonialmacht Frankreich im Kampf gegen Terroristen wahrgenommen.