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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 12.11.2021

NZZ

Ein kleiner Erdölstaat will Afrikas grünes Vorzeigeland sein und damit Millionen verdienen. Ist das reines Wunschdenken?

Gabon ist eines der wenigen Länder, die mehr CO2 absorbieren, als sie ausstossen. Das Land gibt sich als Afrikas Musterschüler in Klimafragen. Und es möchte dafür bezahlt werden.

Samuel Misteli, Nairobi

Vieles ist überraschend an Afrikas führender Stimme in Klimafragen, zum Beispiel dies: Sie spricht mit britischem Akzent. Gabons Minister für Wälder, Meere, Umwelt und Klimawandel ist gebürtiger Brite. Er ist 56, Zoologe, spezialisiert auf Elefanten und Menschenaffen, und er heisst – sinnigerweise – Lee White.

White hielt 2002 einen Vortrag vor Gabons damaligem Präsidenten und dessen Kabinett und soll dabei so überzeugend gewesen sein, dass der Präsident beschloss, ein Netzwerk von Nationalparks einzurichten. Seit 2019 ist der inzwischen eingebürgerte White als Minister verantwortlich für dieses Netzwerk. Es umfasst zurzeit 11 Prozent der Fläche des Landes.

An der Klimakonferenz COP26 in Glasgow ist White einer der am meisten beachteten Vertreter des afrikanischen Kontinents. Eine andere Stimme ist auch gabonesisch: Der Chefunterhändler der afrikanischen Länder heisst Tanguy Gahouma-Bekale, er ist ein enger Mitarbeiter von White. Das heisst: Ein Land, in dem nur etwas mehr als zwei Millionen Menschen leben, führt in den Klimaverhandlungen einen Kontinent an, auf dem über eine Milliarde Menschen leben.

Regen für halb Afrika

Gabon möchte dafür bezahlt werden, dass es seine Wälder nicht abholzt, die fast 90 Prozent der Fläche des Landes bedecken. Gabon ist eines der wenigen Länder, die mehr CO2 aufnehmen, als sie abgeben, und das liegt am Wald. Es ist der zweitgrösste Regenwald der Erde. Er bedeckt eine Fläche von der Grösse Indiens, neben Gabon in fünf weiteren Ländern im zentralafrikanischen Kongobecken. Die Kongo-Regenwälder versorgen halb Afrika mit Regen – sie schicken ihn bis in die dürreanfälligen Länder der Sahelzone und bis nach Äthiopien.

Lee White und seine Verbündeten finden, indem ihre Länder CO2 aus der Atmosphäre saugten, täten sie einen Dienst für den Planeten; und das müsse etwas wert sein. Denn es wäre profitabler, den Wald abzuholzen – das Holz zu verkaufen, Platz für Felder freizuräumen. Die Forderung ist also: Geld für Schutz.

In Glasgow stand der Schutz der Wälder tatsächlich oben auf der Agenda. Am dritten Konferenztag erklärten mehr als 100 Länder, den Verlust von Waldflächen spätestens ab 2030 zu stoppen. 28 Geberländer kündigten zudem an, mit 12 Milliarden Dollar die Entwicklungsländer dabei zu unterstützen, Wälder wiederherzustellen und zu schützen. Es ist ein Abkommen nach dem Gusto von Lee White.

Nun ist Gabon ein unwahrscheinlicher Kandidat dafür, den Planeten allein zu retten. Das Land ist der viertgrösste Erdölproduzent in Subsahara-Afrika. Es wird seit über 50 Jahren von derselben Familie geführt, den Bongos. Die letzte Wahl 2016 war sehr offensichtlich gefälscht. Doch Präsident Ali Bongo hat nicht nur eine harte Hand, sondern angeblich auch ein grünes Herz. Und sein Umweltminister hat Ideen.

Gabons Klimapolitik erschöpft sich nicht darin, die hohle Hand zu machen. White sagte gegenüber dem Fernsehsender al-Jazeera vor der Glasgower Konferenz: «Wir haben ein Wirtschaftsmodell entwickelt, das es uns erlaubt, unseren Wald zu schützen, uns aber auch wirtschaftlich zu entwickeln.»

Der Plan hat einen sperrigen Namen: Reduced Impact Logging for Climate (RIL-C). Die Methode aber ist einfach: Die Holzerei wird streng kontrolliert und begrenzt. Nur ein oder zwei Bäume pro Jahr und Hektare dürfen gefällt werden, nach strengen Abholzungsplänen. Das gefällte Holz wird getrackt, das entsprechende Projekt heisst «Tracer», es läuft seit 2018. Die Regierung verspricht, die Emissionen in der Holzwirtschaft bis 2030 um 50 Prozent senken zu können.

Gabon hat seine Abholzung besser im Griff

Ein weiteres Element in Gabons grünem Entwicklungsmodell hat die Abkürzung GSEZ: Gabon Special Economic Zone. Die Sonderwirtschaftszone wurde 2010 eingerichtet. Im selben Jahr verbot Gabon die Ausfuhr unverarbeiteter Baumstämme. Nun verarbeiten etwa 60 Firmen am Rande der Hauptstadt Libreville gabonesisches Holz zu Möbeln und Sperrholz. So würden gegenüber früher zehnmal so viele Stellen und zehnmal so viel Wert geschaffen, behauptete Lee White vor kurzem gegenüber der kanadischen Zeitung «Globe and Mail».

Kritiker sagen, das gabonesische Modell klinge zu gut, um wahr zu sein. Umweltschützer verdächtigen die Regierung, die Abholzungsstatistiken zu schönen. Tatsächlich machte die illegale Abholzung vor 2019 noch immer rund 40 Prozent der gabonesischen Holzindustrie aus. Lee Whites Vorgänger verlor seinen Job, nachdem öffentlich geworden war, dass er in einen Schmuggelskandal verwickelt war, bei dem 300 Container eines Edelholzes verschwanden.

Doch Satellitenbilder deuten darauf hin, dass in Gabon tatsächlich wenig Wald verloren geht, rund 0,1 Prozent pro Jahr. Damit scheint das Land die Abholzung deutlich besser im Griff zu haben als etwa Kongo-Kinshasa, wo seit dem Jahr 2000 über 5 Millionen Hektaren Wald verloren gegangen sind, viele davon durch illegale Abholzung. Nur Brasilien verlor mehr Waldfläche als Kongo-Kinshasa.

Gabons umtriebige Regierung hat noch eine weitere Idee, um die Welt vom Wert ihrer Wälder zu überzeugen. Es ist gewissermassen das marktwirtschaftliche Gegenstück zum protektionistischen Abholzungsmodell. Das Land will 5 Milliarden Dollar an CO2-Krediten auf den Markt bringen – und so seine Klimaverdienste monetarisieren. Mögliche Abnehmer sind Firmen – Fluggesellschaften oder Ölfirmen zum Beispiel –, die ihre Emissionen reduzieren wollen oder müssen.

Noch ist einiges hypothetisch an den gabonesischen Plänen, doch ein Anfang ist gemacht. Im Juni hat Gabon 17 Millionen Dollar von Norwegen erhalten. Das Geld fliesst im Rahmen der Central African Forest Initiative (CAFI), einer 2015 gegründeten Partnerschaft zwischen den sechs Ländern des Kongobeckens und Geberländern. Bis zu 150 Millionen Dollar könnte Gabon im Rahmen der CAFI erhalten – und geht es nach Umweltminister White und der Regierung, wird Gabon noch viele weitere Millionen Kapital schlagen aus seiner Natur.