Beitrag vom 18.06.2021
FAZ
Ein Geschäft, das zum Himmel stinkt
In Gambia wächst die Wut auf chinesische Fischmehlfabriken – und die Angst vor einer Hungersnot.
Von Simon Riesche, Kartong
Für einen Moment wirkt es wie das perfekte Idyll. Große Vögel gleiten lautlos über das von Mangroven gesäumte Ufer der Flussmündung, ein Kellner stellt eine kalte Limonade auf den kleinen Tisch am Wasser. Dass der schöne Schein trügt, merkt man spätestens dann, wenn man einmal kräftig durch die Nase einatmet.
„Es ist furchtbar“, sagt Lamin Camara, der Besitzer der Stala Lodge, des kleinen Gasthauses in der Nähe des Städtchens Kartong im äußersten Süden Gambias, dem flächenmäßig kleinsten Land auf dem afrikanischen Kontinent. „Wir haben hier so gut wie keine Besucher mehr, seitdem das Ding dort da ist.“ Er nickt in Richtung eines großen Gebäudes ein paar hundert Meter entfernt.
Nicht nur in Kartong, auch an anderen Orten Gambias liegt ekelerregender Gestank über ansonsten wunderbaren Stränden. Die beißenden Schwaden ziehen herüber von bisher insgesamt drei Fischmehlfabriken im Land, die chinesische Investoren schon vor einigen Jahren nah ans Wasser gebaut haben. Weitere sollen schon bald folgen.
Eigentlich darf im Süden Gambias qua Gesetz unmittelbar an der Küste nichts gebaut werden. Dem für die Wirtschaft so wichtigen Tourismus schadet das. „Die Tatsache, dass unsere Behörden die Fabriken trotzdem genehmigt haben, zeigt, wie abhängig unser Land inzwischen von China ist“, sagt Mustapha Manneh, gambischer Journalist, Umweltschützer und Fachmann für Afrika-China-Beziehungen.
Seitdem der ehemalige Präsident Yahya Jammeh 2013 diplomatisch mit Taiwan brach und sich zur Ein-China-Politik bekannte, fließt Entwicklungsgeld aus Peking in großen Summen auch nach Gambia. Wie in anderen afrikanischen Staaten stellt sich allerdings auch hier die Frage, ob das kleine Land jemals die Kredite für Infrastruktur- und andere Großprojekte zurückzahlen kann.
„Nein, natürlich kann Gambia das nicht“, sagt Mustapha Manneh. „Und wenn dann dein Gläubiger kommt und schmutzige Fabriken in deinem Land bauen will, kannst du ihm diesen Wunsch kaum abschlagen.“
Allein in Gambia würden derzeit bis zu 1500 Tonnen Fisch täglich zu Fischmehl verarbeitet werden, schätzen Aktivisten, die vor Ort heimlich versuchen, die Anlieferungen zu zählen. „Die Chinesen wollen aber nicht, dass wir vor den Fabriken herumschnüffeln“, sagt einer. „Es kann schnell passieren, dass sie Wachhunde auf einen hetzen.“
Im Innern der Fabriken sind schlecht bezahlte Arbeitskräfte, die vor allem aus dem benachbarten Senegal stammen, fast rund um die Uhr damit beschäftigt, Fische zu zermalmen. In einem Ofen wird dem entstandenen Brei dann das Öl entzogen. Übrig bleibt der Exportschlager Fischmehl, der in Asien, aber auch in Europa gefragter denn je ist. Hühner, Schweine, vor allem aber andere Fische bekommen das lange haltbare Pulver zu essen. Künstliche Aquakulturen, aus denen auch viele deutsche Supermärkte ihren preisgünstigen Fisch beziehen, wären ohne Fischmehl aufgeschmissen. Dass Lachse aus norwegischen Zuchtstationen mit den Überresten westafrikanischer Wildfische gefüttert werden, dürfte europäische Konsumenten trotzdem überraschen.
Viele Experten sind sich einig: So umweltschonend die Praxis der Aquakulturen auf den ersten Blick erscheinen mag – bei genauerer Analyse entpuppt sie sich als ökologische Katastrophe. In produzierenden Staaten wie Gambia hat der globale Fischmehl-Boom schließlich gleich mehrere Krisen verursacht, wobei der Fabrik-Gestank an den Stränden dabei noch das kleinste Problem ist.
So werden offenbar auch Abwasser und Chemikalien der Fabriken immer wieder ungefiltert in den Atlantik geleitet. „Früher einmal sind wir ins Meer gegangen, um Hautausschläge zu heilen, heute bekommen wir sie beim Baden“, sagt der Journalist Manneh. Entsprechende Wasserproben, die von internationalen Labors bestätigt worden seien, ignoriere die gambische Regierung allerdings bis heute. Auch die chinesischen Fabrikbetreiber bestreiten die Vorwürfe.
Auf den Fischmärkten Gambias zeigt sich unterdessen, dass sogar die Nahrungsmittel-Versorgung der örtlichen Bevölkerung zunehmend in Gefahr gerät. Weil die Chinesen für ihre Fabriken so viel Fisch ankaufen, ist das Angebot für den örtlichen Verkauf deutlich zurückgegangen. Das wiederum spiegelt sich in rasant steigenden Preisen, die viele gambische Familien, die von gerade mal zwei Dollar am Tag leben, nicht mehr bezahlen können. Während die einen am Marktstand nicht genug Geld haben, Fisch zu kaufen, verrotten ein paar Meter weiter unzählige Tierkörper am Strand. Es ist der tägliche Überschuss der Fabriken. Wenn die Maschinen ihre maximale Kapazität erreicht haben, bleibt den Arbeitern nur, die übrig gebliebenen Tiere zu entsorgen. Für den Verkauf auf dem Markt ist es zu diesem Zeitpunkt schon zu spät, die Ware ist verdorben.
Die Sache mit dem Fischmehl könnte die Gesellschaft Gambias, seit 2017 immerhin eine mehr oder weniger funktionierende Demokratie, zerreißen. Schon seit Längerem warnt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) vor den wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Überfischung in der Region.
Das sind Warnungen, die Gambias Fischereiminister James Gomez zuletzt wiederholt beiseitezuwischen versuchte. In westafrikanischen Gewässern, aber auch in den Fischmehlfabriken laufe alles im Sinne der „Nachhaltigkeit“, versichert er immer wieder. Zudem sei die Fischindustrie ein wichtiger Arbeitgeber. Überhaupt dürfe man Wirtschaft und Umweltschutz nicht gegeneinander ausspielen.
Ibrahima Cissé, Kampagnenleiter von Greenpeace in Afrika, hält dagegen: Fisch, der für viele Menschen in Westafrika die „grundlegendste Proteinquelle“ darstelle, dürfe nicht „geklaut“ werden, „um die Bedürfnisse anderer Staaten zu bedienen“, heißt es in einer Pressemitteilung von Anfang Juni.
„Hungrige Menschen sind wütende Menschen“, sagt der Journalist Mustapha Manneh, der wegen seiner Enthüllungen gefeiert, aber auch angefeindet wird. Für ihn ist klar: „Die Fischknappheit und ihre Folgen sind in Gambia derzeit die größte Bedrohung der nationalen Sicherheit.“
In der ansonsten eher friedlichen Kleinstadt Sanyang kam es in diesem Frühjahr bereits zu Unruhen zwischen Bewohnern und senegalesischen Arbeitsmigranten, die von vielen Gambiern als Komplizen der Chinesen betrachtet werden. Am Ende brannten eine Polizeistation und Teile der chinesischen Fischmehlfabrik am Ort.
„Die Menschen hier fühlen sich einfach hilflos“, sagt Lodge-Betreiber Lamin Camara. Frischen Fisch hat in seinem Lokal schon lange kein Gast mehr bestellt.