Beitrag vom 30.01.2021
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Afrika-ABC in Zitaten: Märkte (20)
von Volker Seitz
„Ein Mann zerschneidet Reifenschläuche und verkauft sie in Streifen: Diese Streifen – man nennt sie blada – werden von den Kindern für Steinschleudern verwendet; sie dienen dazu, deine Waren auf dem Fahrrad oder dem Dach eines matatus [Sammeltaxi] festzuzurren, einen Gartenschlauch am Wasserhahn anzuschließen, ohne dass es tropft. Für kompliziert gebaute Drahtspielzeugautos, für den Kofferraum deines Wagens für einen der dreißigtausend Fälle, in denen etwas schiefgehen und mit einem blada repariert werden kann. Wer braucht nicht ab und zu einen blada?“
„Es ist Mittagszeit, und Frauen stehen um riesige Töpfe herum, die aus alten Ölfässern gemacht wurden; Bohnen und Mais köcheln, und Männer stehen für ein Zwei-Schilling-Mittagessen an. Geschrei, Gebrüll. Schöpflöffel, die hart auf Emailleteller schlagen. Jetzt ist es der Geruch nach kochendem Bohnensud.“ (Binyavanga Wainaina, „Eines Tages werde ich über diesen Ort schreiben“, Seite 98)
Über einen Markt in Togo: „Märkte wie diesen hat es überall in Westafrika seit mindestens einem Jahrtausend gegeben. Hier sind Händler aus sieben oder acht Ländern. Die Märkte in Lomé werden von den berühmten „Mama Benzes“ geführt – reichen Händlerinnen, die sich in Mercedes von Chauffeuren fahren lassen. Nach Jahren der wirtschaftlichen Stagnation nennt man die Mama Benzes heutzutage Mama Opels.
Die meisten Stände sind zum Bersten voll mit Stoffen unterschiedlichster Art. So viele habe ich noch nie gesehen – es gibt Stoffe mit formlosen Farbklecksen, gewagte geometrische Muster aus Wachsbatik, Rosa auf Erdbraun, heulende Nadelstreifen. Es gibt Stoffe mit tausenden gesäumten, münzgroßen Löchern, die wie Blüten aussehen. Es gibt Stoffe, die Wohlstand versprechen. Ein Standbesitzer weist mich auf das seltsame Design einer togolesischen Münze hin und zeigt mir anschließend dasselbe Design auf einem bereits fertig geschneiderten Hemd.“ (S. 272)
[Anmerkung: In den Fabriken werden, wegen der großen Nachfrage, jede Woche von afrikanischen Designern neue kreative Unikate entworfen und auf den Markt gebracht. Manche Firmen wie Sobetey in Benin, Uniwax in der Côte d’Ivoire, Sotiba und Simpafric im Senegal, ABC wax in Ghana und Enitex im Niger haben bis zu 500 verschiedene Designs im Angebot. Sie gehören zum festen Bestandteil des alltäglichen Lebens und zeremonieller Aktivitäten. Oft wird der Status einer Frau am Besitz ihrer Stoffe bemessen.
Die Muster werden mit Bedacht gewählt. Sie transportieren Botschaften über sozialen Status, Zugehörigkeit und Wohlstand. Ein mit Rechtecken strukturierter Stoff in Ultramarin, Bordeaux und Weiß bedeutet: „Wenn du heiraten willst, frage.“ Mit einem anderen Muster weist eine Frau auf die finanziellen Möglichkeiten ihres Ehemanns hin. Es gibt auch Stoffe, die zur Beleidigung einer Rivalin genutzt werden. Die Stoffe werden in allen Bevölkerungsschichten häufig als Wickelkleider getragen. Andere werden zu Kleidung in westlichem Stil verarbeitet. In frankophonen Ländern werden sie deshalb „pagne“ und in anglophonen Ländern „wrapper“ oder „lapa“ genannt. Bei Feiern von Firmen und Familien oder auch Beerdigungszeremonien wird ein bestimmtes Muster in Auftrag gegeben, damit sich Mitglieder der Gruppe damit einkleiden. Das veranschaulicht die Einheit einer Gruppe. „Reiche Frauen in Nigeria ziehen sich bei einer Abendveranstaltung in ihrem Hause bis zu zehnmal um, um ihren Wohlstand vorzuführen und das Ego des Hausherren zu heben“, so die im Januar 2017 verstorbene nigerianische Schriftstellerin Buchi Emecheta in ihrem Roman „Kehinde“. Sie lieben es, sich teuer zu kleiden.]
„Frauen, die Mückenspiralen, magische Liebesspiegel, Sturmlampen und Tabakblätter verkauften“
Weiter Seite 282: „Ein kenianischer Händler auf dem Markt muss in der Lage sein, von einem Augenblick auf den nächsten seine Waren zusammenzupacken, sobald ein ziviler askari [eine Art Polizist] von der Stadtverwaltung gesichtet wird. Das muss er können, und ausreichend Umsatz machen für die Waren von morgen und die Bestechungsgelder von heute und für die Medikamente der Kinder von gestern und die Steuern von diesem Monat für eine Stadtverwaltung, die die Steuern effizient einzieht, aber niemals erlauben wird, freien Handel zu treiben, niemals die Steuern in irgendeine Form von Infrastruktur investieren wird.“
Ben Okri (Nigeria) in seinem Roman „Die hungrige Straße“, Kiepenheuer & Witsch 1994:
„Überall waren Stände mit Waren. Und die Luft war erfüllt von Marktgerüchen: Es roch nach faulem Gemüse, frischem Obst, rohem Fleisch, gebratenem Fleisch, stinkendem Fisch, nach den Federn wilder Vögel und ausgestopften Papageien, nach vorbeiziehenden Schwaden von geröstetem Mais und frischgefärbtem Tuch, nach Kuhmist, Saheldüften und geplatzten Pfefferschoten, die in den Augen brannten und in der Nase kitzelten. Aber es gab nicht nur viele Gerüche, sondern ebenso viele Stimmen, laute durcheinandergehende Stimmen, die in der unglaublichen Vielzahl der Waren nicht zu unterscheiden waren. Frauen mit Tabletts voller dicker, saftiger Tomaten, Schüsseln mit Garri, Mais oder Melonensamen, Frauen, die billigen Schmuck, Plastikeimer und gefärbtes Tuch verkauften, Männer, die Korallenamulette, Holzkämme, Turteltauben, Streifenwesten, Baumwollhosen und Lederpantoffeln anboten, Frauen, die Mückenspiralen, magische Liebesspiegel, Sturmlampen und Tabakblätter verkauften, Stände mit gemusterten Tüchern befanden sich direkt neben den Tischen der Frischfischverkäufer, überall drängten Menschen, schoben sich am Straßenrand entlang und liefen in wildem Durcheinander nach allen Seiten. Ständig lag Streit in der Luft, Zinseinnehmer bedrängten die Frauen, Männer mit Karren bahnten sich schreiend einen Weg, Malams mit Ziegen an der Leine beteten auf weißen Matten, neigten sich unter der Sonne auf die Erde und ließen die Perlenschnur durch die Finger gleiten. Der Boden war glitschig von Schlamm und faulender Nahrung, und die Kinder rannten meist nackt herum. Die Frauen trugen verblichene Wickeltücher und schmutzige Blusen; ihre Gesichter sahen ebenso leidend aus wie Mama, und ihre Stimmen klangen abwechselnd freundlich und barsch – freundlich, wenn sie Kunden anlockten, barsch, wenn sie feilschten.“ (Seiten 219/220)