Beitrag vom 21.01.2021
Zeit Online
Hey, old white man!
Bidens Ankündigung, Einreiseverbote für Muslime aufzuheben, ist in Afrika gut angekommen: Was man auf dem Kontinent vom neuen Präsidenten erwarten darf – und was nicht.
VON ANDREA BÖHM
Nein, noch gibt es in Accra, Nairobi oder Johannesburg keine Rekordverkäufe von Joe-Biden-T-Shirts wie einst bei der Wahl von Barack Obama. Der galt dank seines kenianischen Vaters ja als "Sohn des Kontinents". Trotzdem begrüßen viele Afrikanerinnen und Afrikaner den neuen alten, weißen Mann an der Spitze der USA mit einem Seufzer der Erleichterung. Schließlich hat der alte, weiße Vorgänger für den Kontinent nicht viel mehr übriggehabt als Unmengen von Kampfdrohnen, Einreiseverbote für Länder mit muslimischen Bevölkerungsgruppen sowie drastische Kürzungen von UN-Programmen.
Darüber hinaus bezeichnete Donald Trump afrikanische Staaten abwechselnd als "shithole countries" oder Goldgruben. "So viele meiner Freunde kommen in Ihre Länder, um reich zu werden", hatte er 2017 afrikanischen Regierungschefs zugerufen. Einige wenige waren ihm seine Männerfreundschaft wert, vorausgesetzt, sie teilten seine Verachtung für demokratische Regeln. Allen voran Ägyptens Präsident Abdel Fattah As-Sisi, von Trump zum "Lieblingsdiktator" erkoren.
Und jetzt wird unter Joe Biden für Afrika alles anders? Nicht alles. Aber einiges.
Der 46. Präsident hat schon im Wahlkampf versprochen, als eine seiner ersten Amtshandlungen per Exekutivorder Trumps Einreiseverbote für Muslime wieder aufzuheben. Die Dankbarkeit von Hunderttausenden Menschen in Nigeria, Somalia oder Tansania sowie die Stimmen der betroffenen Einwanderer-Communities in den USA waren ihm sicher. Familienbesuche, Studienaufenthalte, Arbeitsmigration werden also wieder möglich sein – vorausgesetzt die Corona-Pandemie ebbt irgendwann ab.
Rapper werden zu einer politischen Kraft
Wird Biden weniger Kampfdrohnen fliegen lassen? Deren Einsatz war schon Barack Obamas bevorzugtes Mittel im "Krieg gegen den Terror". Auch und gerade auf afrikanischem Boden in Somalia. Unter Donald Trump wurden die Einsatzkriterien noch einmal gelockert, die Zahl der Drohnenangriffe wuchs ebenso wie die getöteter Zivilisten. Wie sich eine Biden-Administration den "Krieg gegen den Terror" vorstellt, der nun seit zwei Jahrzehnten geführt wird, ist unklar. Im Wahlkampf hat der Demokrat versprochen, die "forever wars" der USA zu beenden. Zu Drohneneinsätzen und den "Kill Lists" mit den Namen von zum Abschuss freigegebenen Terrorverdächtigen, die schon Obama wöchentlich abzeichnete, sagte er so gut wie nichts. Sie werden wohl weitergehen.
Sehr viel mehr Hoffnung setzen Afrikaner und Afrikanerinnen bei der Klimakrise ins neue US-afrikanische Verhältnis – womit allerdings auch das Risiko der Enttäuschung steigt. Dass Joe Biden die USA umgehend wieder ins Pariser Klimaabkommen einfädeln und zwei Billionen Dollar in die Dekarbonisierung der amerikanischen Wirtschaft stecken will, ist an sich schon mal eine gute Nachricht für den Rest der Welt.
Aber um der Krise beizukommen, brauche es einen viel "größeren Fokus auf Klimagerechtigkeit", sagt der Kenianer Mohamed Adow, Gründer des Öko-Thinktanks Powershift Africa. Wie bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie lassen die Industriestaaten die ärmeren Länder, allen voran die afrikanischen, auch bei der Klimakrise hängen. Zu der haben Letztere kaum beigetragen, sind aber ungleich härter betroffen. Die vereinbarten Klimafonds zu ihrer Unterstützung, zur Anpassung ansteigender Meeresspiegel, Dürren und Hitzewellen, sind chronisch unterfinanziert.
Auf einer virtuellen Panel-Diskussion mit anderen Klima-Experten vergangene Woche, erinnerte Adow an das Versprechen Obamas, drei Milliarden Dollar für einen entsprechenden Fonds. Nur ein Drittel des Geldes wurde bislang von den USA bereitgestellt. Wird Joe Biden mehr in Klimagerechtigkeit investieren, jetzt, da er Billionen ins eigene, Corona-verseuchte Land stecken muss? Die gleiche Frage kann man natürlich auch an die EU richten.
Bliebe die Frage, wie sich die neue Administration in Washington mit den Autokraten und Autoritären auf dem afrikanischen Kontinent einrichten will. Abdel Fattah As-Sisi wird seine Auszeichnung als "Lieblingsdiktator" garantiert verlieren, vermutlich aber nicht die enorme amerikanische Militärhilfe, die seit Jahrzehnten auch anderen Machthabern gewährt wird. Zum Beispiel Ugandas Präsident Yoweri Museveni, der sich vergangene Woche mit altbewährten Methoden eine sechste Amtszeit gesichert hat: tödliche Schüsse auf Oppositionelle, Folter, Einschüchterung und Manipulationsmanöver an den Urnen. Sein größter Konkurrent, der populäre Musiker Bobi Wine, befindet sich derzeit unter Hausarrest, was ihn aber nicht daran hindert, weiter zu mobilisieren.
Wine, auch "Ghetto-Präsident" genannt, hat sich mit seinen Songs über Armut, Korruption und Machtmissbrauch ein junges Millionen-Publikum über Uganda hinaus erobert, das sich immer stärker politisiert. Dieses Phänomen ist ein afrikanischer Trend, in den letzten Jahren zu beobachten im Senegal, in Gambia, Mali, Burkina Faso, Nigeria und im Sudan. Afrika ist zur Hochburg der Protestbewegungen geworden, was die amerikanische und europäische Politik und Öffentlichkeit in den kommenden Monaten und Jahren sehr beschäftigen wird.
Zum einen sind im nordafrikanischen (und arabischen) Raum die Aufstände für eine würdigere Zukunft keineswegs zu Ende. Zum anderen haben sie in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara im vergangenen Jahrzehnt erst so richtig Fahrt aufgenommen. Dort heißen sie #EndSARS, M5, Y‘en a Marre oder Balai Citoyen und werden getragen von einer Bevölkerung, die jung ist, urban, wütend, kreativ, verzweifelt und couragiert – und die oft die großen nationalen Musikstars an ihrer Seite weiß. Im Senegal sind Rapper schon seit Jahren eine politische Kraft, in Nigeria führten Musiker wie Falz, Runtown und Tiwa Savage Demonstrationen gegen Polizeigewalt an, und Bobi Wine wird auch in Tansania oder Kenia aufgelegt.
"Wenn Führer zu Verführern werden…", singt er in seinem Hit Situka, "… wird Opposition unser Standpunkt." "Situka" heißt so viel wie: "Lehnt euch auf!" Durchaus hörenswert – nicht nur was den Sound angeht. Sondern auch, um zu wissen, was in Afrikas Gesellschaften gerade in Bewegung gerät.
Ob die USA und EU darauf eine bessere Antwort finden als nach den "Arabellionen" Ratlosigkeit und Migrationsabwehr, ist eine andere Frage. Donald Trumps "Lieblingsdiktator" Abdel Fattah As-Sisi muss sich bis auf Weiteres jedenfalls nicht sonderlich bedrängt fühlen. Weder in den USA noch in Europa. Zuletzt verlieh ihm Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Dezember 2020 in Paris das Großkreuz der Ehrenlegion. Und lobte die gute Zusammenarbeit in Verteidigungs- und Wirtschaftsfragen.