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Beitrag vom 23.11.2020

FAZ

Tansania

Aus dem Land gejagt

Die Wahlen in Tansania haben den autoritären Präsidenten Magufuli gestärkt - vorerst/

Von Christian Meier

„Wir werden die Situation im Land nicht ändern, wenn wir
wegrennen“, sagte Tundu Lissu der F.A.Z. Das war vor gut
anderthalb Jahren. Nun ist der tansanische Oppositionspolitiker weggerannt – kurz nachdem er in der Präsidentenwahl gegen Amtsinhaber John Magufuli unterlegen war, in einer Abstimmung, die viele Beobachter als manipuliert bezeichnen.
Lissu befindet sich inzwischen in Belgien. Angesprochen auf
den damaligen Satz, sagt er von dort telefonisch: „Wenn man
vor der Aussicht steht, umgebracht zu werden, ist es nicht
klug, zu bleiben. Ich kann nur kämpfen, wenn ich am Leben
bin.“ Wie Lissu nach Belgien kam und dass er sich überhaupt
zu diesem Schritt gezwungen sah, spricht Bände über die politische Situation in dem ostafrikanischen Land.

Den offiziellen Verlautbarungen zufolge endete die Wahl, die am 28. Oktober stattfand, in einem fulminanten Sieg für Magufuli: 84 Prozent der Stimmen soll der seit 2015 amtierende Präsident erhalten haben; gegenüber 58 Prozent im Jahr 2015. Auf seinen wichtigsten Gegenkandidaten Lissu
entfielen demnach 13 Prozent. Auch bei der gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahl soll Magufulis „Partei der Revolution“ (CCM) ihre Mehrheit sogar noch ausgebaut haben, auf
90 Prozent. Drei Tage darauf bestätigte die Nationale Wahlkommission Magufulis Wiederwahl, gegen die somit kein Widerspruch mehr eingelegt werden kann.

Die Opposition, aber auch unabhängige Beobachter zeichnen ein Bild der Wahl, das sich von den offiziellen Berichten drastisch unterscheidet. Da ist von „gestopften“ Wahlurnen die Rede; von der Aussperrung von Beobachtern aus Wahlstationen; von der Blockierung sozialer Medien; von der Einschüchterung von Wählern und Kandidaten; von Verhaftungen und gewaltsamen Übergriffen. Lissus „Partei für Demokratie und Fortschritt“ (Chadema) beteiligt sich seit 1995 an den Wahlen, als es erstmals nach dem Ende des Einparteiensystems der CCM eine Wahl mit mehreren Parteien gab. Er wisse aus Erfahrung, dass Tansanias Wahlsystem gegenüber der Opposition nicht fair sei, sagt der Politiker. „Aber wir hätten nicht erwartet, dass es ein solches Ausmaß annehmen würde.“ Die
Abstimmung sei komplett vom Geheimdienst- und Sicherheitsapparat und der Regierung „gekapert“ worden.

Das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Daressalam hielt kurz nach der Wahl in einem Bericht fest, dass selbst in Hochburgen der Opposition CCM-Kandidaten mit überwältigender Mehrheit gewonnen haben sollen. „Wofür auch immer die Menschen in den Wahlen gestimmt haben, es hat wenig bis gar nichts mit dem zu tun, was durch die staatliche Wahlkommission verkündet wurde“, heißt es darin. Es bleibe festzustellen, dass der 61 Jahre alte Magufuli „das Land von einer defekten Demokratie endgültig in eine Diktatur umgewandelt hat“. Mit der Mehrheit der CCM könnte Magufuli nun die Verfassung ändern, um eine weitere Amtszeit für sich zu ermöglichen.

Die offene Unterdrückung der Opposition, die schon Magufulis erste Amtszeit kennzeichnete, setzte sich nach der Wahl fort. Laut einer Aufstellung von Chadema wurden in den darauffolgenden Tagen fast 300 Parteiführer und -mitglieder zeitweise inhaftiert und teilweise schwerer Vergehen wie unerlaubter Versammlung, Terrorismus oder Mord beschuldigt.
Einige seien gefoltert worden. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtete, mindestens 22 Demonstranten seien nach der Wahl getötet worden.

Angesichts dieser Entwicklungen fürchtete auch Tundu Lissu wieder um sein Leben. Erst im Juli war der Parlamentarier nach fast drei Jahren in sein Heimatland zurückgekehrt. Er hatte dort im September 2017 einen Mordanschlag knapp überlebt – von 16 Kugeln konnte eine bis heute nicht aus dem Körper des 52-Jährigen herausoperiert werden. Während des Wahlkampfs hatte Lissu Personenschutz, den die Polizei ihm aber unmittelbar nach der Wahl entzog. „Vom Tag danach an
erhielt ich telefonische Todesdrohungen“, sagt er. Lissu versuchte daraufhin, sich in die deutsche Botschaft zu flüchten – wurde aber abgewiesen. Die Botschafterin, Regine Heß, rechtfertigte dies später damit, dass sie sich mit den anderen diplomatischen Missionen abstimmen musste, die im selben Komplex untergebracht sind.

Lissu sagt heute, er verstehe das. Ende Oktober brachte die Verzögerung ihn in Bedrängnis: Während die Diplomaten berieten, wurde er festgenommen. Heß und weitere Offizielle begleiteten ihn aber zur Polizeistation, und Lissu sagt, es habe wohl nur am diplomatischen Druck gelegen, dass er noch am Abend wieder freigelassen wurde. Die Polizei hatte ihm gesagt, dass die Opposition zu Protesten aufgerufen habe, komme einem Umsturzversuch gleich. Die folgenden Tage verbrachte Lissu in der Residenz der Botschafterin, bis Tansanias Regierung ihm schließlich die Ausreise nach Belgien genehmigte.

Nach seiner Wahl 2015 hatte Magufuli die Absicht bekundet, die Opposition im Land bis 2020 zu vernichten. Ist dem „Bulldozer“ genannten Politiker das nun gelungen? Lissu sagt, vielmehr habe der Präsident das Gegenteil erreicht: „Ja, er hat uns alle aus dem Parlament gejagt.“ Und Repression und Gewalt würden noch zunehmen. Gerade die Kompromisslosigkeit Magufulis, der „nur die Peitsche zu schwingen weiß“, werde aber den Widerstand im Volk verstärken. „Am Ende werden die demokratischen Kräfte gewinnen“, sagt Lissu, „aber der Preis dieses Sieges wird in der Tat hoch sein.“

Von der internationalen Gemeinschaft fordert der ins Exil gegangene Oppositionspolitiker Sanktionen gegen das Regime. Und klarere Worte: Lissu nennt es die „größte Enttäuschung“, dass die EU die Wahl in einer Erklärung des Außenbeauftragten nur halbherzig verurteilte und den Abstimmungstag sogar als „gut organisiert“ bezeichnete. Der Leiter der KonradAdenauer-Stiftung in Daressalam, Daniel El-Noshokaty, pflichtet bei. Zur Erklärung verweist er darauf, dass die EU-Länder „sehr unterschiedliche Eigeninteressen verfolgen“. So spielt seiner Meinung nach etwa das Engagement des französischen Öl- und Gasunternehmens Total in Tansania eine große Rolle für die unkritische Haltung Frankreichs.