Beitrag vom 12.11.2020
NZZ
Der gute Putschist: Ghanas Ex-Präsident Jerry Rawlings ist tot
Er kam durch Militärputsche und als militanter Sozialist an die Macht. Dennoch wurde seine Präsidentschaft zum Grundstein für Ghanas Entwicklung zum demokratischen Vorreiterstaat Afrikas. Nun ist Rawlings mit 73 Jahren gestorben.
Fabian Urech
Als sich der einstige Fliegerleutnant Jerry Rawlings in Ghana Anfang der achtziger Jahre innerhalb relativ kurzer Zeit zum zweiten Mal an die Macht putschte, liess sein Lebenslauf eigentlich wenig Gutes erhoffen. Eine steile Militärkarriere, radikale marxistische Ideen, eine diktatorische Härte im Umgang mit politischen Gegnern: In vielem erinnerte der grossgewachsene junge Mann mit Bart und lauter Stimme an andere Putschistenführer in Afrikas Geschichte. Diese hatten ihre vollmundigen Versprechen meist spätestens nach einigen Jahren vergessen und waren zu reinen Machtbewahrern mutiert.
Rawlings, der 1947 als Sohn eines schottischen Farmers und einer Ghanaerin in Accra geboren wurde, war anders. In gewissem Sinne machte er genau die umgekehrte Entwicklung: vom Revolutionär zum progressiven Pragmatiker. Vielen gilt er deshalb heute als wichtigster Initiator der Demokratisierung Ghanas. Am Donnerstag ist er im Alter von 73 Jahren gestorben.
Freiwilliger Rücktritt als Fanal
Dass Rawlings kein typischer Putschist war, liess sich nach seiner abermaligen Machtergreifung 1981 nicht sofort erkennen. Er liess hohe Militärs hinrichten, unter ihnen General Frederick Akuffo, den er beim ersten Putsch gestürzt hatte. Sein Regime war äusserst repressiv, die Presse wurde geknebelt, das Einparteisystem liess keinen Raum für Kritik. Zudem warb er in der Sowjetunion für Unterstützung für seine ghanaische «Revolution», unterhielt enge Beziehungen zu sozialistischen Regimen in Kuba, Libyen, Iran und Nordkorea und bediente sich einer militanten antiimperialistischen Rhetorik.
Doch Rawlings schien bald zu merken, dass Repression und sozialistische Versprechen allein keine geeigneten Instrumente waren, um seine Macht zu sichern – und um das Land wirtschaftlich voranzubringen. Bald verstärkte er seine Beziehungen zu westlichen Gebern und Investoren und leitete auf Anraten des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank wichtige Privatisierungsschritte ein.
Die wirtschaftliche Liberalisierung führte anfangs zu erheblichem Widerstand im Land. Auf diesen reagierte Rawlings aber nicht wie ein Militärführer – also mit mehr Repression –, sondern mit politischer Öffnung. Diese gipfelte 1992 in relativ freien Wahlen, bei denen erstmals auch Oppositionsparteien zugelassen waren. Rawlings, dessen Wirtschaftspolitik da bereits erste Erfolge zeitigte und zu einem starken Zustrom an internationalen Investitionen führte, trat an und gewann. Aus dem Chef einer Militärregierung wurde dadurch ein gewählter Präsident.
Wichtiger noch für Rawlings’ Erbe war das Jahr 2000. Nachdem er 1996 nochmals gewählt worden war, trat er vier Jahre später freiwillig zurück. Was aus hiesiger Warte banal anmutet, war in Afrika um die Jahrtausendwende noch immer aussergewöhnlich: ein politischer Leader, der aus freien Stücken den Hut nimmt.
Demokratischer Leuchtturm der Region
Weil bei den darauffolgenden Wahlen der Kandidat von Rawlings’ Partei verlor, erhielt Ghana nicht nur einen neuen Präsidenten, sondern auch eine neue Regierungspartei. Dieser «Doppelwechsel» an der Macht erwies sich in der Folge als wichtiger Meilenstein in der demokratischen Konsolidierung des westafrikanischen Landes.
Ghana gehört heute zu den wenigen Ländern des Kontinents mit einer starken Opposition. Seit dem Jahr 2000 kam es zu zwei weiteren Oppositionssiegen bei Präsidentschaftswahlen. Inzwischen haben sich in dem Land auch eine vergleichsweise starke Zivilgesellschaft sowie eine kritische Presse entwickelt. Auch Ghanas Wirtschaft folgte in den letzten zwei Jahrzehnten einem deutlichen Aufwärtstrend. Mit jährlichen Wachstumsraten von meist mehr als fünf Prozent gehört das Land zu den erfolgreichsten Volkswirtschaften des Kontinents.
Am 7. Dezember findet die nächste Präsidentschaftswahl in Ghana statt. Neben dem regierenden Nana Akufo-Addo steht sein Vorgänger John Mahama zur Wahl. Beide Kandidaten zeichnen sich durch Qualitäten aus, die in vielen anderen Präsidialämtern auf dem Kontinent fehlen. Das ist kein Zufall. Wer in Ghana nach dem höchsten politischen Amt strebt, muss das Volk tatsächlich überzeugen. Dass das so ist, ist auch das Verdienst von Jerry Rawlings.