Beitrag vom 18.05.2019
FAZ
Wortgefechte um „Camp Wüstenblume“
In Niger helfen einige Kommandosoldaten der Bundeswehr bei der Ausbildung der Armee. In Berlin streitet man über die Frage: Dürfen die das? Von Peter Carstens
BERLIN, 17. Mai
Die Vorführung war kurz und ungewöhnlich. Nachdem Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Mitte November vorigen Jahres in Niamey, der Hauptstadt Nigers, gelandet war, hatte sie zunächst den afrikanischen Gastgebern einige generalüberholte Militärlastwagen feierlich übergeben und den neuen Umschlagplatz am Flughafen eröffnet, indem sie ein rotes Band durchschnitt. Dann wurden ihr sowie den mitreisenden Beamten und Journalisten in einem gekühlten Militär-Container zwei Männer vorgestellt, die man normalerweise nicht öffentlich zu sehen bekommt. Einer der beiden gehörte zu den Kampfschwimmern, der andere zum Kommando Spezialkräfte. Beide sahen so aus: groß, muskulös und ein Blick, der Eisen schneiden kann.
Die beiden Spezialsoldaten wurden als deutsche Ausbilder der nigrischen Spezialkräfte vom Bataillon Special d’Intervention (BSI) vorgestellt. Deutschland und andere westliche Staaten unterstützen rund um die Sahel-Zone Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Tschad und eben Niger beim Kampf gegen den islamistischen Terror, der die Staaten seit Jahren ins Chaos zu reißen droht. Nachdem bereits der Irak, Syrien, Libyen und der Jemen Krieg und Chaos anheimgefallen sind, versuchte zunächst Frankreich, in seinen ehemaligen Kolonien eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Mit der Operation „Serval“ stoppten französische Soldaten Anfang 2013 in Mali den Vormarsch islamistischer Gruppen auf die Hauptstadt Bamako. Seither bemühen sich Truppenkontingente aus der Europäischen Union und von den Vereinten Nationen in der Region um eine Stabilisierung der Verhältnisse. Bei der Mission „Minusma“ der Vereinten Nationen in Mali sind mehr als 11000 Blauhelm-Soldaten eingesetzt. Immer wieder kommt es zu Angriffen und Überfällen. Der Einsatz ist gefährlich, mehr als 180 Blauhelm-Soldaten sind bislang getötet worden.
Zu den politischen Zielen in der Region gehört es, Mali und die anliegenden Staaten in die Lage zu versetzen, sich selbst gegen die Bedrohungen wehren zu können. Mit der G5-Sahel-Initiative soll das unterstützt werden. In diesem Zusammenhang sind seit Oktober vorigen Jahres rund zwei Dutzend deutsche Soldaten nordöstlich der Hauptstad Niamey stationiert, um die BSI-Kräfte zu ertüchtigen. Zur Ausbildung zählen Lehrstunden in Kommandokampf und praktische Schießübungen, aber auch die taktische Verwundeten-Versorgung. Denn in menschenleeren Wüstengebieten ist bei Kampfhandlungen das nächste Lazarett oder Krankenhaus meist Stunden entfernt. Es erhöht also die Überlebenswahrscheinlichkeit drastisch, wenn die eingesetzten Kampfkompanien wirksam Erste Hilfe leisten können. Das wurde von der Leyen in Niamey vorgeführt.
Das Projekt, das in der Bundeswehr unter dem Namen „Mission Gazelle“ geführt wird, war auch bis dahin keineswegs geheim. Abgesehen von der Vorführung vor der Ministerin und ihrer Reisebegleitung werden auch die Obleute der Fraktionen im Bundestag darüber informiert, generell und auch, weil es sich um eine Mission der Spezialkräfte handelt. Über deren Aktivitäten im Ausland wird ein kleiner Kreis von Abgeordneten ebenfalls regelmäßig informiert, schließlich ist die Bundeswehr eine Parlamentsarmee.
Das bedeutet allerdings nicht, dass jede Auslandsreise einer Fregatte oder jede Ausbildungshilfe vom Bundestag eigens genehmigt werden müsste. Auch die schiere Möglichkeit, dass Soldaten in eine bewaffnete Auseinandersetzung geraten können und sich verteidigen müssen, ist noch kein Grund für eine Mandatierung. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu 2015 festgestellt: „Ein solches Kriterium würde die verfassungsrechtlich angeordneten Gewichte der Organkompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt verschieben.“ Doch genau das scheint nun der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) anzustreben. Er fordert dringend eine nachträgliche Mandatierung der „Gazelle-Mission“ durch den Bundestag. Zur Begründung verweist Bartels auf die fragile Sicherheitslage in dem Land, die Bewaffnung der Soldaten mit Pistolen und Gewehren. Es dürfe, sagte er, „keine zwei Bundeswehren geben“, und wenn die Regierung sage, die Soldaten seien nicht in bewaffneter Mission unterwegs und „in bewaffnete Unternehmungen einbezogen“, so wisse man das gar nicht so genau, weil die Einsatzregeln nicht bekannt seien. Das Verfassungsgericht hatte nämlich unterschieden, ob bei einem Einsatz Waffen zur reinen Selbstverteidigung mitgeführt werden oder eventuell auch zur Durchsetzung eines Auftrages – wie etwa bei der Mission im benachbarten Mali.
Seit Bartels das Thema Anfang Mai im Verteidigungsausschuss aufbrachte, hat er bei der Opposition viel Unterstützung gefunden. Vor allem Linke-Abgeordnete äußern sich empört („Sauerei“), aber auch die Grünen wollen ein Mandat des Bundestages. Möglicherweise haben Ministerin von der Leyen und ihr politisches Umfeld die Brisanz der Sache verkannt und auch den politischen Ehrgeiz des früheren SPD-Politikers Bartels mal wieder unterschätzt. Denn eigentlich könnte man die Ausbilder ohne größere Probleme unter dem parlamentarischen Dach des Mali-Mandats unterbringen, unter dem auch die Soldaten am Flughafen in Niamey stehen. Doch jetzt ist die Sache etwas grundsätzlich geworden. Bartels und das Ministerium überbieten einander in juristischen Papieren und Einschätzungen. Ruhe zu bewahren scheinen, ausnahmsweise, Vertreter der Koalition. Denn aus der SPD gab es für Bartels’ Vorstoß wenig Unterstützung. Das Auswärtige Amt, geführt vom SPD-Politiker Heiko Maas, wies in einer gemeinsamen Stellungnahme mit von der Leyens Haus Bartels Forderung zurück. „Ein militärisches Gepräge weist die ,Mission Gazelle‘ nicht auf“, heißt es unter anderem in dem Schreiben, das dieser Zeitung ebenso wie Bartels’ Einschätzung vorliegt.
Die deutschen Kommandosoldaten im Niger leben und arbeiten unterdessen in einem Lager namens „Camp Wüstenblume“ unter primitiven Umständen weiter. Falls sie Zeit dazu haben, wundern sie sich vielleicht über den Berliner Streit. Dass sich die Lage im westafrikanischen Niger zuspitzt und sich damit auch die Mandatsfrage demnächst neu stellen könnte, war Mitte der Woche den Nachrichten zu entnehmen: Bei einem Angriff auf eine Patrouille wurden in der Nähe der Grenze Nigers zu Mali mindestens 17 Soldaten getötet und weitere verwundet. In derselben Gegend waren vor zwei Jahren bei einem Angriff von Islamisten auf eine Patrouille vier amerikanische Soldaten getötet worden.