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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 19.01.2019

FAZ

„Afrikas größte Chance“

Fatoumata Bâ gründete das Amazon von Afrika. Sie spricht über das Potential ihres Kontinents, die Bedeutung von Smartphones – und das Glück, das sie als Kind hatte.

Frau Bâ, Sie sind eine der erfolgreichsten Gründerinnen in der Tech-Szene Afrikas. Wie ist es dazu gekommen?

Technologie war schon immer meine Leidenschaft. Weil mein Vater als Unternehmensberater arbeitete, hatte ich schon als Kind Zugang zu Computern in einer Zeit, in der das in meinem Heimatland Senegal überhaupt nicht üblich war. Mit acht Jahren hackte ich seinen Laptop. Um mich zu bestrafen, musste ich für ihn Powerpoint-Präsentationen bauen – das ist bis heute eine meiner größten Stärken (lacht).

Andere Kinder beschäftigten sich in diesem Alter eher mit Büchern oder Spielzeug. Warum haben Sie sich so für die Computerwelt interessiert?

Als Kind in Senegal bekommt man nicht viel von der Außenwelt mit. Durch den Computer und das Internet öffnete sich mir eine komplett neue Welt. Ich war begeistert von den Möglichkeiten, die mir die Technologie bot.

Zum Beispiel?

Ich hatte Zugang zu allen möglichen Informationen, was meine Ausbildung unglaublich förderte. Ich war immer die Beste in meiner Klasse, konnte dank mehrerer Stipendien in Frankreich studieren und dort als Unternehmensberaterin Karriere machen. Das alles verdanke ich der Tatsache, dass ich damals als eine von nur ungefähr 2000 Menschen in Senegal das Internet nutzen konnte.

Warum sind Sie nicht in Europa geblieben? Ist es dort nicht einfacher, ein Unternehmen zu gründen, als in Afrika?

Ich liebe die Herausforderung und bin sehr mit meinem Heimatkontinent verbunden. Ich wollte als gutes Beispiel vorangehen und beweisen, dass auch in Afrika Erfolgsgeschichten geschrieben werden können. Als wir Jumia, Afrikas größten Online-Händler, im Jahr 2012 an der Elfenbeinküste gründeten, standen wir vor unglaublich vielen Hürden. Aber ich sah auch all die vielen Chancen und wagte den Sprung ins kalte Wasser.

Welche Hürden meinen Sie genau?

Das größte Problem, das wir lösen mussten, war das fehlende Vertrauen der Afrikaner in Online-Dienste. Wir wählten einen sehr pragmatischen Weg und boten von Anfang an Bezahlung erst bei Lieferung an. So müssen die Kunden ihr Geld wirklich erst aus der Hand geben, wenn sie das Produkt mit eigenen Augen gesehen haben oder – im Fall von Kleidung – sogar schon anprobieren konnten. Die nächste große Hürde war die fehlende Infrastruktur: Es gab keine Logistikunternehmen, keine Warenhäuser, keine Kundendaten, ja manchmal noch nicht einmal Straßennamen. Also gründeten wir unser eigenes Transportunternehmen. Weniger als 20 Prozent der Menschen in Afrika haben außerdem ein Bankkonto. Deshalb setzen wir auf mobiles Bezahlen, das in Afrika eines der wichtigsten Zahlungsmittel ist.

Sie meinen zum Beispiel M-Pesa, Kenias Bezahlsystem, das ohne Bankkonto und allein über das Handy funktioniert.

Genau. Nicht das Silicon Valley oder Chinas Digitalzentrum Shenzen haben mobiles Bezahlen auf den Weg gebracht, sondern Kenia. Fast 50 Prozent des kenianischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) werden über M-Pesa abgewickelt, 93 Prozent der Kenianer nutzen es. Jumia hat mittlerweile auch einen eigenen mobilen Bezahldienst, Jumia Pay.

Warum hat sich diese Art zu bezahlen durchgesetzt?

In Afrika findet man Banken nicht wie in Deutschland an jeder Straßenecke, deshalb ist es kompliziert, Geld zu versenden oder zu erhalten. Dafür besitzen die Menschen selbst in jedem noch so kleinen Dorf mindestens ein Mobiltelefon, manchmal sogar mehrere. Mobiles Bezahlen ist ihre Eintrittskarte zu sozialer Teilhabe: Damit können sie zum Beispiel ihre Miete bezahlen und ganz grundsätzliche Bedürfnisse stillen wie etwa den Zugang zu Elektrizität. Es ist schon verrückt: Man würde meinen, erst haben die Menschen Zugang zu Strom und dann zu Technologie. In Afrika ist es genau andersherum. Das Mobiltelefon wurde immer relevanter für den Alltag der Menschen. Erst überwand es die Kommunikationsbarriere, dann ermöglichte es Versorgung, Gesundheit und Ausbildung. Nirgendwo auf der Welt ist sein Wert für die Gesellschaft größer.

Das klingt so, als würde Technologie das Leben in Afrika nicht nur wie in Deutschland bequemer machen, sondern viele Dinge überhaupt erst ermöglichen.

Ja, genau so ist es. Und sie ist die größte Chance, die das Land hat.
Inwiefern?

In Afrika leben derzeit 1,2 Milliarden Menschen. Vor 30 Jahren waren es noch 630 Millionen, und wiederum in 30 Jahren werden es mehr als zwei Milliarden sein. All diese Menschen müssen ausgebildet, mit Wohnungen und Lebensmitteln versorgt und in Arbeit gebracht werden. Wenn wir das nicht gewährleisten, bremst das die Entwicklung des Kontinents aus und kann auch zu einem globalen Problem werden. Technologie ermöglicht hier Quantensprünge: Sie kann den Zugang zu grundlegenden Gütern und Diensten beschleunigen und vervielfachen, kleinen und mittelständischen Unternehmen Zugang zu Märkten und Kapital ermöglichen und so Millionen Arbeitsplätze schaffen. Das Potential ist immens, ebenso wie die Geschwindigkeit, mit der sich Afrika vernetzt. Die Zahl der Internetnutzer in Nigeria zum Beispiel verdoppelte sich innerhalb von drei Jahren auf 100 Millionen, kein Land der Welt wickelt mehr Internetverkehr über mobile Geräte ab. Und die Zahlen werden weiter und schneller wachsen.

Ist die Internetnutzung in Afrika mit Europa oder Amerika vergleichbar?

In Afrika nutzen die Menschen natürlich auch Facebook und Whatsapp. Besonders Internetdienste, welche die Gemeinschaft stärken, sind sehr beliebt. Weniger selbstverständlich ist es, zu googeln. Als ich vor drei Jahren noch in Nigeria lebte, schaltete Google Fernseh- und Plakatwerbung, die den Menschen erklärte, dass sie doch Google nutzen sollen, wenn sie nach etwas suchen. Das wäre in der westlichen Welt unvorstellbar (lacht). Afrikaner haben dieselben Bedürfnisse wie Europäer oder Amerikaner, aber andere Verhaltensmuster. Ein Beispiel: In Afrika hat fast niemand einen Handyvertrag, die Menschen nutzen alle Prepaid. Wenn das Datenvolumen aufgebraucht ist, müssen sie warten, bis sie genug Geld haben, sich neues zu kaufen. Bei Jumia haben wir deshalb mit Hilfe unserer Investoren aus der Telekommunikationsbranche dafür gesorgt, dass das Einkaufen auf unserer Website keine Daten frisst.

Warum sind gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) so wichtig für Afrika?

Ungefähr 17 Millionen KMU beschäftigen 85 Prozent der afrikanischen Bevölkerung und generieren 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Aber sie haben zwei große Probleme: Afrika hält nur einen Anteil von zwei bis drei Prozent am Weltmarkt, das bedeutet, dass KMU schlecht in den globalen Handel integriert sind. Bestes Beispiel ist die Lebensmittelverschwendung: 40 Prozent der in Afrika produzierten Lebensmittel werden weggeworfen, das sind 250 Kilo pro Jahr und Kopf. Nicht aber wie in Europa oder Amerika, weil die Menschen zu viel einkaufen – hier verdirbt die Ernte schlicht, bevor sie überhaupt verkauft wird, weil die Bauern nicht in die Lieferketten integriert sind. Das zweite Problem von KMU ist ihre Unterversorgung mit Krediten und Risikokapital.

Wünschen Sie sich von den Industrie-ländern mehr Investitionen in Afrika anstatt Entwicklungshilfe?

Ich halte es tatsächlich für wenig sinnvoll, Unternehmen mit Fördergeldern zu überhäufen, weil sie dann nicht lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Gleichzeitig sollte der Kontinent die Entwicklung der Industrieländer hin zu einer rein kapitalistischen Gesellschaft nicht kopieren. Afrika braucht ein ausbalanciertes Wirtschaftsmodell, das beides gewährleistet, Wachstum und soziale und ökologische Gerechtigkeit. Aber ich glaube, das lässt sich weniger durch Hilfsorganisationen, als vielmehr durch einen nachhaltigen Privatsektor erreichen. Afrika braucht keine Almosen, sondern sinnvolle Investitionen, die eine echte Wirtschaft aufbauen.

Ausländische Investoren schrecken aber vor den vielen Problemen auf dem Kontinent zurück, zum Beispiel ängstigt sie die große Korruption.

Das stimmt, Afrika steckt voller Herausforderungen. Aber im Ausland erzählt man sich immer nur die altbekannten Geschichten: Afrika ist gefährlich, korrupt und verrückt. Dabei übersehen Investoren das unglaubliche Potential, das in dem Kontinent steckt, allein schon der riesigen und jungen Bevölkerung wegen. Afrika wird in der Risikowahrnehmung überschätzt und in seinen Möglichkeiten unterschätzt, besonders mit Blick auf die nächsten 30 Jahre. Nehmen Sie nur Indien: Dort leben in etwa so viele Menschen wie in Afrika, das BIP ist ähnlich groß, aber dorthin fließt siebzehnmal so viel Risikokapital. Im Jahr 2017 sammelten afrikanische Start-ups 567 Millionen Euro Kapital ein, und die Branche war begeistert. Ich sage: Das ist winzig, ein Tropfen auf den heißen Stein, verglichen mit dem Potential.

China investiert fleißig in Afrika.

China ist ein schwieriges Thema. Konzentration ist nie gut. Aber Chinas Engagement führt dazu, dass die Industrienationen eine gewisse Dringlichkeit verspüren, ebenfalls nach Afrika zu blicken. Ich sage nicht, dass alles perfekt ist. Aber mit Blick auf die Risikobewertung sieht man, dass sie sich dort verbessert, wo China investiert. Ich hoffe, dass afrikanische Länder dadurch irgendwann mehr Optionen haben werden und die besten Partnerschaften für sich auswählen können – so wie es entwickelte Länder auch tun.

Mit Ihrem neuen Unternehmen Janngo wollen Sie zeigen, dass sich Investitionen in Afrika lohnen. Dafür haben Sie Ihren komfortablen Posten bei Jumia aufgegeben – wieso?

Meine Arbeit bei Jumia war aufregend, weil wir in immer mehr Länder expandierten und uns immer höhere Ziele auf dem Weg zur Profitabilität steckten. Aber ich verspürte ein gewisses Gefühl von Verantwortung, meine Fähigkeiten und Erfahrung zur Lösung von sozialen Problemen zu nutzen. In meiner Muttersprache Fulani bedeutet Janngo „morgen“: Mit Hilfe von Technologie und Risikokapital wollen wir Geschäftsmodelle aufbauen, die Afrika für die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten. Dabei ist der soziale Gedanke genauso wichtig wie wirtschaftliches Wachstum. Tech für den guten Zweck könnte man das nennen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Denken wir an den Bauern, der sein Getreide nicht an den Mann bringen kann: Ein Grund dafür sind die hohen Transportkosten, die in Afrika bis zu 75 Prozent der Gesamtkosten eines Produkts ausmachen. Zum Vergleich: Im Rest der Welt sind es nur sechs bis sieben Prozent. Im Dezember hat Janngo deshalb Jexport lanciert, eine digitale Plattform, die KMU den Zugang zu regionalen Märkten und internationalem Export ermöglicht, ihre Kosten optimiert und Abläufe effizienter macht. Und im Fall der Lebensmittelverschwendung hat das sogar positive Effekte für die Umwelt.

Mit Janngo wollen Sie sich außerdem für die Chancengleichheit von Männern und Frauen einsetzen. Warum ist das eines der großen Themen auf Ihrer Agenda?

Auf den ersten Blick scheint Afrika eine faire Geschlechterverteilung zu haben, wenn es um das Gründen und dessen Finanzierung geht. Eine Studie der Weltbank zum Beispiel fand heraus, dass in Entwicklungsländern Frauen und Männer in den frühen Stadien der Unternehmensgründung fast gleich viel Kapital erhalten. Später, wenn es dann um das große Geld geht, kippt das Verhältnis aber und Männer sacken 90 Prozent der Investitionen ein. Viele Frauen in Afrika erhalten Mikrokredite, und das ist natürlich zunächst gut. Aber dürfen Frauen nicht auch „Makroträume“ haben? Und auch der Zugang zu Internet ist nicht fair verteilt.

Wie geht es Ihnen als Frau in der Tech-Welt, die immer noch von Männern dominiert wird?

Natürlich gibt es immer wieder Situationen, die ärgerlich sind. Zum Beispiel Konferenzen, auf denen Männer über die wichtigen Themen sprechen dürfen und Frauen zehn Minuten Wohlfühl-Kaffeeklatsch auf der Bühne halten müssen, um die Quote zu erfüllen. Aber ich glaube nicht an reinen Aktivismus. Das Talent ist gleichmäßig verteilt, die Chancen sind es nicht. Wir Frauen müssen durch unsere Leistung beweisen, dass wir ebenso erfolgreich sein können wie Männer und manchmal die Dinge sogar besser machen.

Das Interview führte Jessica von Blazekovic.