Beitrag vom 24.04.2018
Märkische Oderzeitung
Die alten Fehler fortgesetzt
Experte Kurt Gerhardt kritisiert Entwicklungspolitik
Gerd Müller (CSU), Entwicklungsminister auch im neuen Kabinett Merkel, will die Entwicklungszusammenarbeit mit armen Ländern intensivieren und damit vor allem Fluchtursachen bekämpfen. Kurt Gerhardt hat für den Deutschen Entwicklungsdienst in Niger gearbeitet und sich als Autor einen Namen gemacht. Er sieht Müllers Ansatz kritisch und fordert eine veränderte Entwicklungspolitik.
Mit ihm sprach André Bochow.
Sie haben mit Ihrem Bonner Aufruf schon 2008 die deutsche Entwicklungspolitik infrage gestellt. Hat sich unter Minister Müller etwas in die Richtung bewegt, die sie anstreben?
Nein. Im Wesentlichen hat der Minister die Fehler seiner Vorgänger fortgesetzt.
Als da wären?
Die Entwicklungshilfe ist falsch ausgerichtet. Das wird auch nicht dadurch besser, dass man sie Entwicklungszusammenarbeit nennt. Oder einen „Marshallplan mit Afrika“ kreiert, statt „für Afrika“, wie es ursprünglich hieß. Das ist semantischer Mumpitz. Wir müssen die Idee aufgeben, andere entwickeln zu können. Das gilt vor allem für Afrika. Jahrzehntelang wurden Milliarden in die Länder dieses Kontinents gepumpt. Und was ist das Ergebnis? Zum Beispiel wird bis heute in den meisten Ländern Subsahara-Afrikas nichts hergestellt, das man auf dem Weltmarkt verkaufen könnte. Korrupte Regime füllen sich die Taschen, indem sie sich an der Rohstoffausbeutung bereichern. Gesundheitssysteme funktionieren weit überwiegend nicht. Bildung auch nicht.
Wer trägt daran die Schuld?
Vor allem die herrschenden Kreise, die Regierungsclans in solchen Ländern. Vielen Herrschern ist das Gemeinwohl völlig egal. Soll man ihnen das Leben dadurch erleichtern, dass man ihnen Aufgaben abnimmt, damit sie sich noch mehr bereichern können, oder noch mehr Geld für Waffen haben?
Aber es gibt auch positive Entwicklungen. In Ruanda. Oder in Äthiopien.
Das sind die Ausnahmen von der Regel. So unangenehm das klingen mag: Beide werden autoritär regiert
.
Was ist denn die Lösung?
Die goldene Regel allen Helfens ist: Haltet das Subsidiaritätsprinzip ein. Die afrikanischen
Länder müssen für ihre Entwicklung zunächst alle eigenen Möglichkeiten und Kräfte ausschöpfen – wovon sie weit entfernt sind! –, erst dann dürfen wir sie unterstützen. Wenn nicht, machen wir sie nur von unserer Hilfe weiter abhängig. Das ist das Gegenteil von Entwicklung.
Sind Sie auch gegen Nothilfe?
Natürlich nicht. Wenn Menschen in akuter Not sind, kann ich nicht erst Grundsatzdebatten
über Sinn oder Unsinn von Entwicklungshilfe anfangen. Da muss sofort gehandelt werden.
Punkt.
Gerd Müller hat seine Politik auf die Bekämpfung von Fluchtursachen ausgerichtet. Wie finden Sie das?
Damit werden die Bürger hierzulande für dumm verkauft. Wer behauptet, durch die Aufstockung der Entwicklungshilfe würden junge Leute in Afrika davon abgehalten, nach Europa zu gehen, redet Unsinn.
Also am besten gar nichts machen?
Wie gesagt: Vorhandene Entwicklungen unterstützen, Ja. Unternehmen ermutigen, in Afrika
zu investieren, auch Ja. In weiten Teilen Afrikas gibt es de facto kein zeitgemäßes Unternehmertum. Warum wird dort, wo Kakao geerntet wird, keine Schokolade
hergestellt? Dafür gibt es keinen vernünftigen Grund. Und am wenigsten macht man falsch,
wenn man bei der Bildung hilft.
Dem würde der Entwicklungsminister nicht widersprechen.
Herr Müller ist ein guter Mann. Er meint es ehrlich, will immerzu die Ärmel aufkrempeln und loslegen. Aber Afrika zu entwickeln, ist nicht seine Aufgabe. Das muss er den Afrikanern
überlassen. Wir müssen auch nicht 0,7 Prozent unseres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe ausgeben. Wenn wir den Anteil von 0,6 Prozent auf 0,7 Prozent steigern, dann bedeutet das doch nicht, dass es den Menschen in Entwicklungsländern besser geht. Wir müssen viel strenger darüber nachdenken, das Richtige zu tun.