Beitrag vom 22.03.2018
Cicero
Deutsche Entwicklungshilfe
Egoistische Helfer
VON TOBIAS VOLPERT UND MARCEL RIEPE
Der Etat von Entwicklungsministers Gerd Müller beläuft sich auf 8,5 Milliarden Euro. Doch wird dieses Geld effizient eingesetzt? Das bezweifeln viele Wissenschaftler. Die Maßnahmen sind oft zu kleinteilig. So wird höchstens die deutsche Wirtschaft angekurbelt.
Herr Makamba freut sich. Durch den Bau der Schule, eine Art Schuppen aus groben Balken und Brettern, hat er nicht nur Arbeit als Lehrer gefunden. Auch die Kinder aus den Dörfern im Umkreis von 20 Kilometern können nun täglich unterrichtet werden. Selbst im Frühjahr, wenn die große Regenzeit den Unterricht im Freien unmöglich macht, steht Makamba jetzt an der Tafel. Einen Bus gibt es nicht. Die Kinder kommen zu Fuß zur Schule – wenn sie kommen, denn die Teilnahme am Unterricht ist unregelmäßig. Herr Makamba weiß, woran das liegt: „Es gibt viele Gründe dafür, dass die Kinder nicht täglich in meiner Schule sitzen. Ist die Mutter krank, muss Jamila die kleineren Geschwister versorgen. Findet der Vater von Abasi mal keine Arbeit als Tagelöhner auf einer der Plantagen, fehlt das Schulgeld.“
Trotzdem ist Herr Makamba glücklich, denn seit dem Bau der Schule und der Festeinstellung des Lehrers hat sich die Situation mitten in der Savanne im Osten Afrikas spürbar verbessert. Und Herr Makamba ist auch dankbar, denn er weiß, dass die Schule mit deutscher Entwicklungshilfe gebaut wurde. „Die Deutschen“, sagt er anerkennend, „sind nicht nur behilflich, sie sind auch sehr effizient.“ Gerade einmal sechs Monate hat es gedauert von der ersten Ortsbesichtigung zur Festlegung des Standorts bis zur Fertigstellung der Schule.
Bekämpfung der Bildungsarmut besonders wichtig
Ob die deutsche Entwicklungszusammenarbeit aber tatsächlich das Prädikat „effizient“ verdient, kann angezweifelt werden. Hiermit beschäftigen sich Experten weit ab von der afrikanischen Savanne. In Washington, im Center for Global Development (CGD), einem der bedeutendsten unabhängigen US-amerikanischen Think Tanks, beurteilen Wissenschaftler regelmäßig die Entwicklungshilfe der weltweit wichtigsten Geberländer.
Der deutsche Beitrag, der dabei unter die Lupe genommen wird, beläuft sich immerhin auf 8,5 Milliarden Euro. So hoch ist der Etat, mit dem der alte und neue Entwicklungsminister Gerd Müller schwerpunktmäßig in Afrika und Südostasien Projekte wie die Schule von Herrn Makamba möglich macht. Für die deutsche Bundesregierung ist dabei die Bekämpfung der Bildungsarmut besonders wichtig. Die Arbeit des BMZ, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, findet in der deutschen Öffentlichkeit allerdings wenig Beachtung. In den gerade abgeschlossenen Koalitionsverhandlungen wurde sie kaum erwähnt – obwohl die Arbeit des Hauses Müller erhebliche Schwächen aufweist. Zumindest ist dies die Auffassung der Experten vom CGD.
Gerd Müllers Bedeutung könnte steigen
Mit Hilfe des QuODA-Modells (Quality of Official Development Assistance) bewerten die Wissenschaftler aus Washington die Entwicklungshilfe von 31 OECD-Mitgliedern und multilaterale Entwicklungshilfebehörden. 30 Indikatoren spiegeln die Qualität wider. Ein Kriterium ist dabei die Effizienz der Entwicklungshilfe eines Landes. Deutschland belegt hier vor den Niederlanden den vorletzten Platz. Aus dem Modell geht hervor, dass Entwicklungshilfe in Deutschland im Vergleich zu anderen OECD-Ländern ineffizient organisiert wird. Deutschland besitzt zu viele Behörden, die die Entwicklungsprojekte parallel verwalten: Zwar koordiniert das BMZ als oberste Bundesbehörde die entwicklungspolitische Arbeit, es existieren aber zahlreiche weitere staatliche Organisationen, die nicht einmal alle dem federführenden Bundesministerium untergeordnet sind. Andere Länder, wie beispielsweise Dänemark, konzentrieren hingegen ihre Entwicklungshilfe in einer Behörde. Die Autoren des QuODA-Modells halten dies für effizienter als die deutsche Zergliederung.
Doch hebt der Bericht auch Positives hervor: Das BMZ hat 2011 einen Prozess zur Umstrukturierung angeschoben, durch den verschiedene Organisationen fusionieren und damit eine transparentere Unterteilung der Aufgaben entsteht. Das Ministerium von Gerd Müller könnte laut QuODA-Bericht durch eine konsequente Neuorganisation zum weltweit größten Entwicklungshilfeministerium avancieren – mit dann 17.000 Mitarbeitern. Die Bedeutung des verantwortlichen Bundesministers würde damit nicht nur in internationalen Fachkreisen steigen, sondern auch innerhalb der Bundesregierung. Aber auch diese deutliche Aufwertung der deutschen Entwicklungspolitik wird von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Ob die Neustrukturierung konsequent abgeschlossen wird, ist überdies offen.
Entwicklungshilfeprogramme sind zu kleinteilig
Ein weiterer Schwachpunkt der deutschen Entwicklungshilfe ist ihre geringe Fokussierung und Spezialisierung. Nach QuODA sind die Projekte des BMZ über zu viele Länder fragmentiert und in zu viele und zu kleine Aktivitäten zersetzt. Nur die USA führen mehr Entwicklungshilfeprojekte zeitgleich durch. Die große Fragmentierung führt dazu, dass die Größe einzelner Entwicklungshilfeprogramme so weit sinkt, dass sie keine nachhaltige Wirkung mehr erzielen können. Deutsche Steuergelder versickern in den Regionen Afrikas, weil sich aus den Kleinstprojekten keine Wachstumseffekte ergeben. Dabei ist die Erkenntnis, dass nur relativ große Entwicklungshilfeprojekte im Empfängerland einen Entwicklungsschub auslösen können, in Fachkreisen schon lange bekannt. Experten sprechen vom so genannten „Big Push“, einem kräftigen Anschub, der dann zu einer eigenständigen Weiterentwicklung führt. Durch die im QuODA-Bericht bemängelte Fragmentierung der deutschen Entwicklungshilfe wird ein solcher „Big Push“ jedoch verhindert. Deutsche Projekte erreichen nicht die notwendige Mindestgröße und haben daher meist nur temporäre Auswirkungen. Das Empfängerland bleibt dauerhaft in der Abhängigkeit ausländischer Hilfen.
Egoismus nicht von der Hand zu weisen
Kritik erfährt die Arbeit des BMZ nicht nur von den Autoren des QuODA-Berichts. Wissenschaftler des Kieler Instituts für Weltwirtschaft weisen in einer Untersuchung darauf hin, dass deutsche Entwicklungshilfe schwerpunktmäßig in solche Länder fließt, die in der UN-Generalversammlung eher wie Deutschland abstimmen. Auch enge Handelspartner Deutschlands erhalten in der Regel überdurchschnittlich viel Unterstützung. Ganz offensichtlich werden Empfängerländer nicht allein anhand einer objektiven Beurteilung der Bedarfssituation vor Ort ausgewählt. Vielmehr spielen auch geostrategischen Motive der deutschen Außenpolitik eine wichtige Rolle. Ein gewisser Egoismus der deutschen Entwicklungspolitik ist damit nicht von der Hand zu weisen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie des „Ibero American Institute for Economic Research“ der Universität Göttingen. Sie belegt, dass die deutschen Exporte für jeden zusätzlichen US-Dollar, der von Deutschland an Entwicklungshilfe ausgegeben wird, um 0,83 US-Dollar steigen. Auch wenn der „Big Push“ im Empfängerland ausbleibt, Entwicklungshilfe kurbelt damit immerhin die deutsche Wirtschaft an und schafft hierzulande Arbeitsplätze. In den Leitlinien des BMZ sind solche Ziele allerdings nicht verankert.
Immerhin oberes Mittelfeld im OECD-Vergleich
Der Globalisierungsethiker Werner Lachmann bestätigt den Egoismus in der deutschen Entwicklungspolitik. Allerdings vermutet er, dass die immerhin 17.000 Mitarbeiter staatlicher Entwicklungshilfeorganisationen in Deutschland eine zu erfolgreiche Entwicklungshilfe vermeiden müssen, da sie ansonsten Gefahr laufen, sich selbst überflüssig zu machen.
Trotz aller Kritik an der deutschen Entwicklungshilfe und dem sicherlich bestehenden Optimierungspotenzial im Hause von Entwicklungsminister Gerd Müller darf eines nicht übersehen werden: Im QuODA-Gesamtranking befindet sich Deutschland mit dem achten von 31 Plätzen immerhin im oberen Mittelfeld der OECD-Staaten. Und auch wenn die Experten den Bau eines einzelnen Schulschuppens in der Savanne Afrikas für wenig effizient halten: Die Schülerinnen und Schüler von Herrn Makamba erhalten durch den nun täglich stattfindenden Unterricht zumindest einen „Little Push“ in Schreiben und Rechnen. Von dem werden sie ihr Leben lang profitieren.
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Dr. Tobias Volpert Ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Hamm-Lippstadt und beschäftigt sich in Forschung und Lehre u. a. mit dem Thema Entwicklungsökonomie.
Marcel Riepe ist an der Hochschule Hamm-Lippstadt studentischer Mitarbeiter im Bereich Volkswirtschaftslehre.