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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 22.02.2018

NZZ

So rüsten sich die Firmen in Kapstadt für die Wasserkrise

Händewaschen ohne Wasser, 80%iger Gin: Der Wassernotstand in Südafrika macht die Unternehmen erfinderisch. Schliesslich geht es buchstäblich um jeden Tropfen.

Claudia Bröll

«Hast du auch einen Jojo?» Vor einigen Jahren hätten viele Kapstädter auf die Frage ratlos mit den Schultern gezuckt. Heute gehört sie zum Alltagsgespräch. Jojos sind Wassertanks, wie sie auf jeder typischen Farm in Afrika zu sehen sind: wuchtige Ungetüme auf langen Stelzen, mehrere Meter vom Boden entfernt.

Seit die Küstenstadt jedoch eine Jahrhundertdürre erlebt, kennt sie dort jedes Kind. In Gärten, Firmenparks, auf Schulgeländen und Sportplätzen, überall tauchen die bis zu 10 000 Liter fassenden Tanks auf. Die Herstellerfirma wurde Anfang der achtziger Jahre von einem südafrikanischen Bauern namens Johannes Joubert gegründet. Mit einem Brennofen auf dem eigenen Hof fing es an. Heute ist Jojo-Tanks Marktführer in Südafrika, gehört mehreren Private-Equity-Firmen, betreibt Fabriken auch ausserhalb des Landes – und erlebt eine Nachfrage wie nie zuvor. «Früher haben wir durchschnittlich 700 Tanks im Monat geliefert, im vergangenen November waren es 7000», erzählt der Geschäftsführer Grant Neser. «Unser Geschäft läuft wirklich gut im Moment.»

Fast leere Stauseen

Die vielen Jojo-Tanks sollen Regenwasser sammeln und Wasser speichern, das aus anderen Landesteilen per Lastwagen angeliefert wird. Sie sind einer der vielen Belege im Stadtbild, dass Bürger und Unternehmen alles versuchen, um einen «Day Zero» – den Tag, an dem in grossen Teilen der Stadt nur noch tröpfchenweise oder gar kein Wasser mehr aus der Leitung kommt – zu vermeiden oder sich dafür zu rüsten. Immerhin zeigen die Anstrengungen Wirkung: Am Dienstag wurde der Termin auf den 9. Juli verschoben. Vor einer Woche war er noch am 4. Juni. Ursprünglich hätte der Ernstfall schon im April eintreten sollen.

Die Vier-Millionen-Metropole wird aus sechs Stauseen gespeist, die sich normalerweise während der Regenfälle in den Wintermonaten füllen. Doch in den vergangenen drei Jahren fiel weniger Regen als üblich – bei einer ständig wachsenden Bevölkerung. Derzeit sind die Seen nur zu 24% gefüllt, der grösste, der Theewaterskloof-See, nur zu 11%. «Day Zero» wird ausgerufen, wenn eine Marke von 13,5% erreicht ist.

Dann werden die meisten Wasserzuleitungen gesperrt, und die Bürger müssen sich jeden Tag an 200 öffentlichen Wasserstellen mit Wasser versorgen, die Menge ist auf 25 Liter je Person limitiert: Es ist ein Schreckensszenario für eine der modernsten Städte auf dem Kontinent. Über die Folgen – von der Verkeimung stillgelegter Wasserleitungen bis hin zu Seuchengefahren und sozialen Unruhen – kann bis jetzt nur spekuliert werden. Die Stadt versucht seit einiger Zeit gegenzusteuern. Sie entwickelt unter anderem Notfallpläne, investiert in alternative Wasserquellen wie Meerwasserentsalzungsanlagen, Grundwasserbohrungen und Wasserrecycling. Doch die meisten Vorhaben lassen sich nicht in kurzer Zeit realisieren. Da ist Eigeninitiative gefragt.

Laut einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer am Kap sehen 80% der Unternehmen die Wasserkrise als Gefährdung, doch derzeit planen nur 7%, im Ernstfall zu schliessen. Immerhin 70% der Firmen wollen dem «Day Zero» auch mit eigenen Mitteln trotzen: mit einer eigenen Wasserversorgung, chemischen Toiletten oder Wasserlieferungen per Tanklastwagen.

Der private Krankenhausbetreiber Netcare beispielsweise will sich auf Zusagen der Stadt, Kliniken weiter mit Wasser zu versorgen, nicht verlassen. Der Konzern baut eine eigene Meerwasserentsalzungsanlage bei einer neuen Klinik in Hafennähe. Sie soll im März fertig sein. Abgesehen von der Klinik im Hafen soll sie vier weitere Krankenhäuser über Tanklastwagen versorgen. «Wir machen uns grosse Sorgen, deswegen investieren wir in Wassererzeugung und Wassersparprogramme», sagt der Geschäftsführer Jacques du Plessis. Ähnliche Pläne hegen die Konkurrenten Mediclinic und Life Healthcare.

Auf eine eigene Meerwasserentsalzungsanlage setzt auch der staatliche Energiekonzern Eskom, damit in der Stadt nach einem «Day Zero» nicht auch die Lichter ausgehen. Das Koeberg-Kraftwerk bei Kapstadt ist das einzige Kernkraftwerk in Afrika und deckt die Hälfte des Energiebedarfs der Stadt. Die Entsalzungsanlage sei wichtig, um eine weitere Versorgung zu sichern, sagte ein Sprecher. Ohne Zufuhr von sauberem, salzfreiem Wasser könnte das Kraftwerk nur zwei Wochen lang in Betrieb bleiben. Die Kondensatoren im Kraftwerk werden bereits jetzt mit Meerwasser gekühlt.

Wasserfreies Händewaschen

Die Wasserkrise führt aber auch dazu, dass sich Firmen über die alltäglichen Bedürfnisse der Mitarbeiter Gedanken machen. Der Versicherer Metropolitan nutzt Wasser aus Bohrlöchern und Schmutzwasser, um die Toiletten zu spülen. Nestlé hat Lagerräume für Wasserflaschen für die Belegschaft freigeräumt. In vielen Unternehmen wird über Schicht- und Telearbeit nachgedacht, wenn sich die Mitarbeiter jeden Tag für ihre Wasserration anstellen müssen.

Zusätzlich wird nun überall Wasser gespart, es geht buchstäblich um jeden Tropfen. In Einkaufszentren sind die meisten Wasserhähne abgestellt, bestimmte Seifen sollen für wasserfreies Händewaschen benutzt werden. Eine lokale Gin-Brennerei kam auf den Einfall, den hochprozentigen Gin vor dem Verkauf nicht mehr mit Wasser zu verdünnen. Liebhaber sollten nur die Hälfte der üblichen Menge ins Glas kippen und mit Tonic-Wasser auffüllen. Die «Gin-Dürre-Edition» hat 80% Alkohol.

Die anfängliche Panik über die Wasserkrise ist einer regen Betriebsamkeit gewichen. In Facebook-Gruppen werden Tipps zum Wassersparen und Wassererzeugen ausgetauscht. Laien fachsimpeln über Osmoseprozesse zur Wasseraufbereitung. Sänke der Wasserverbrauch auf 450 Millionen Liter am Tag, könnte nach den Hochrechnungen der «Day Zero» vermieden werden. Derzeit beträgt der Verbrauch 523 Millionen Liter.

Nicht nur Unternehmen wie Jojo-Tanks gewinnen der Krise somit auch Positives ab. Sie sei ein Weckruf für den Staat und die Privatwirtschaft, sich für den Klimawandel zu wappnen, sagt die Präsidentin der Handelskammer, Janine Myburgh. «Dank den vielen Plänen und Investitionen werden Kapstadts Unternehmen bei diesem Thema künftig einen Vorsprung haben.» Gemäss Wasserexperten ist Kapstadt womöglich nur die erste Stadt auf der Welt, der ein «Day Zero» bevorstehen könnte. Auch in Städten wie São Paulo, Bangalore oder sogar London wird das Wasser knapp.