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Beitrag vom 31.01.2018

FAZ

Chinesischer Bauboom in Afrika

Hochhäuser, Eisenbahnen, Straßen und Häfen: Chinas (Staats-)Konzerne sind in Afrika überall dabei – und Peking gibt auch noch billige Milliardenkredite dazu. Die Volksrepublik sieht ihre Aktivität auch als Versuchsfeld für eine Expansion nach Europa.

Von Philip Plickert

NAIROBI, 30. Januar
Um kurz nach sechs Uhr fängt die Arbeit an: Klopfen, Hämmern, Sägen. Schwarze Bauarbeiter dirigieren die Kräne, die Stahlteile hochziehen. Etage um Etage wird der Betonrohbau gegossen. Hier, nahe dem Uhuru-Park im Zentrum von Nairobi, entsteht derzeit ein Hochhaus mit 147 Stockwerken für Büros, Geschäfte und ein Marriott-Hotel. In der Mitte der Baustelle hängt ein seltsames Transparent mit chinesischen Schriftzeichen. Darunter steht auf Englisch: „Safety is the anvil of construction, peace is family happiness family happiness“. Klingt wie eine konfus-konfuzianische Baustellen-Weisheit aus dem Google-Translator.

Wie so viele Baustellen in Afrika ist auch diese hier „chinesisch“. Die Zhejiang Construction Group, ein staatlicher Konzern aus der Provinz Zhejiang, hat hier das Sagen. Etwas weiter weg, auf dem Upper Hill in Nairobi, entsteht ein noch viel größerer Wolkenkratzerkomplex: Mit 300 Metern soll „The Pinnacle“ (Die Spitze) das größte Gebäude Afrikas werden, geplant für Büros, Luxusgeschäfte und ein Hilton mit 255 Zimmern. Auf 20 Milliarden Kenia-Schilling (umgerechnet etwa 200 Millionen Dollar) werden die Baukosten veranschlagt. Den Zuschlag bekam die China State Construction Engineering Corporation. Die CSCEC habe sich gegen europäische, türkische und andere chinesische Bewerber durchgesetzt, erzählt Abdinasir Ali Hassan, Chef des Auftraggebers Hass Group. Schon Ende 2019 soll der elegant gewölbte Riesenbau fertig sein.

Die Chinesen gelten als schnell, effizient und billig. Lokale afrikanische Bauunternehmen können da nicht mithalten. Indische Baukonzerne sind zwar auch billig, doch langsamer – so wie die bürokratische und auch chaotische indische Demokratie nicht mit dem Zack-zack-Tempo des autoritären chinesischen Regimes ganz mitkommt. Die Volksrepublik will in Afrika nicht kleckern, sondern klotzen. Das imponiert afrikanischen Staatschefs, zumal die Chinesen nicht nach Menschenrechten oder Sozialstandards fragen und Korruption als Schmiermittel für ihre Geschäfte durchaus nicht ausschließen.

China bietet einen weiteren Vorteil: All-inclusive-Pakete einschließlich günstiger Kredite. Seit dem Jahr 2000 hat Peking über seine Staatsbanken umgerechnet wohl 100 Milliarden Dollar Darlehen in Afrika vergeben. „Sie sind damit fast gleichauf mit den Weltbank-Krediten“, sagt Deborah Bräutigam, Direktorin der China Africa Research Initiative (Cari) an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore. Die Konditionen sind verlockend: Meist verlangen sie nur 2 Prozent Zinsen bei 20 Jahren Kreditlaufzeit.

Die chinesischen Konzerne bringen nicht nur ihre Bauingenieure, Planer und Fachkräfte, sondern oft gleich Tausende einfache Arbeiter aus der Volksrepublik mit, samt eigenen Köchen und weiteren Dienstleistern. „Anfangs waren unter den Arbeitern zum Teil auch Strafgefangene, das gab Ärger“, erzählt ein Nachbar, der die Baustelle in Nairobi länger beobachtet hat. Und er fügt hinzu: „Inzwischen hat eine wachsende Zahl afrikanischer Kinder chinesische Väter.“ Mehr als 250000 Chinesen arbeiten nach offiziellen Angaben in Afrika. Inzwischen dringen afrikanische Regierungen aber auf „Local Content“-Klauseln. Sie sollen Arbeitsplätze für Afrikaner und Aufträge für lokale Zulieferer sicherstellen.

Die wichtigsten Infrastrukturprojekte in Afrika haben in der jüngeren Zeit Baukonzerne aus dem Reich der Mitte errichtet: etwa die neue Bahnlinie von Nairobi zur Küstenstadt Mombasa, die eine alte Schmalspurbahn aus der britischen Kolonialzeit ablöst. Sie ist Teil des ostafrikanischen „Eisenbahn-Masterplans“, der neben Kenia auch noch Uganda, Ruanda, Burundi und Südsudan verbinden soll. Das Gesamtprojekt wird auf fast 14 Milliarden Dollar veranschlagt. Die neue Zugverbindung verkürzt die Fahrtzeit von Mombasa nach Nairobi auf 4 Stunden für die 470 Kilometer, zuvor dauerte die Fahrt 12 Stunden, wobei Touristen die langsame Fahrt schätzten, weil man an der Strecke Elefanten und Löwen beobachten konnte. Gebaut hat die neue Bahnlinie die China Road and Bridge Corporation, finanziert mit Krediten von der Export-Import Bank of China (Exim Bank).

„Long live Sino-African friendship“ steht auf dem roten Banner, das am neuen Bahnhof in Addis Abeba flattert. Äthiopien ist wichtiges Partnerland für China. Zwar gibt es dort immer noch periodisch Hungersnöte, aber auch ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum. Den Entwicklungsschub hat das Land auch chinesischen Investitionen zu verdanken. In nur drei Jahren haben Chinesen die elektrifizierte Eisenbahn mit 720 Kilometern Länge von der Hauptstadt Addis Abeba zur Hafenmetropole Djibuti errichtet. Sie ersetzt die hundert Jahre alte, marode Bahnstrecke, die einst Franzosen bauten. Auch den Ausbau des Flughafens von Addis Abeba leiten Chinesen. In Djibuti hat China im vergangenen Jahr seinen ersten Flottenstützpunkt in Afrika eröffnet – nicht weit vom Camp Lemonnier der Amerikaner und von den Militärbasen der Japaner, Italiener und Spanier. Der Hafen liegt strategisch wichtig am Horn von Afrika. Die Botschaft der Chinesen: Wir sind jetzt auch eine militärische Macht in Afrika.

2000 Kilometer weiter südlich im tansanischen Küstenort Bagamoyo soll der größten Containerhafen Ostafrikas entstehen. Bagamoyo war im frühen 19. Jahrhundert ein Sklavenhandelsplatz, heute ist es ein verschlafenes Örtchen mit bröckelnden Kolonialbauten. Schritt für Schritt soll es zum größten Hafen Ostafrikas ausgebaut werden für Tanker und Frachter. Geplante Kapazität: 20 Millionen Container, immerhin ein Fünftel der Kapazität des Hamburger Hafens. Bis 2045 soll alles fertig sein, geschätzte Kosten 11 Milliarden Dollar. Natürlich bauen wieder Chinesen. Ostafrika soll nach Pekings Vorstellung der südwestliche Ausläufer der „Neuen Seidenstraße“ werden.

Auch in Westafrika sind die Chinesen sehr aktiv. In diesem Sommer hat Nigeria einen Vertrag mit China abgeschlossen für eine Küsteneisenbahn von Lagos nach Calabar; die 870 Kilometer sollen rund 11 Milliarden Dollar kosten.

Das erste Mal wurde China übrigens 1970 unter seinem Staatsführer Mao in Afrika aktiv: Damals baute die kommunistische Volksrepublik für umgerechnet rund eine halbe Milliarde Dollar die 1860 Kilometer lange Tanzania-Zambia-Railway (Tazara), finanziert mit einem zinslosen Darlehen. Mao versuchte diplomatische Unterstützer in Afrika gegen die Amerikaner und die Sowjetunion zu gewinnen. Es blieb aber ein vereinzeltes Projekt. Erst seit der Jahrtausendwende sind Chinesen wieder in Afrika stark aktiv.

All die Bauprojekte benötigen viel Beton. Deshalb hat Dangote Cement, der Konzern von Afrikas reichstem Mann Aliko Dangote – sein Vermögen wird auf 12,5 Milliarden Dollar geschätzt –, einen Vier-Milliarden-Deal mit einem chinesischen Partner geschlossen, um die Zement-Produktionskapazitäten auf 100 Millionen Tonnen im Jahr zu steigern. Das deutsche Unternehmen Heidelberg-Cement hat in Afrika in den vergangenen Jahren nach eigenen Angaben immerhin eine halbe Milliarde Euro in neue Produktionsstätten gesteckt.

Der Ausbau der Infrastruktur in Afrika ist dringend notwendig, damit sich der Kontinent besser entwickelt. Ein Großteil der Bahnlinien stammt noch aus Kolonialzeiten, viele Strecken können gar nicht mehr befahren werden. In ganz Afrika südlich der Sahara, wo mehr als eine Milliarde Menschen leben, gibt es nicht viel mehr Eisenbahnlinien als in Deutschland und den Benelux-Ländern zusammen. Ebenso schlecht ist die Straßeninfrastruktur. Die bröckelnden Fernstraßen bilden nur ein sehr lückenhaftes Verkehrsnetz über den Kontinent. Entsprechend ist der innerafrikanische Handel sehr gering. Das gilt als wichtiges Entwicklungshemmnis für das Hinterland. Die neue Eisenbahn quer durch Äthiopien werde ein „Game Changer“ sein, freute sich Getachew Betru, der frühere Chef der staatlichen Ethiopian Railways Corporation.

Warum sich China so stark in Afrika engagiert, wird kontrovers diskutiert. Will Peking nur Geld verdienen? Laut einem Bericht des Beratungsunternehmens McKinsey sind derzeit schon 10000 chinesische Unternehmen auf dem afrikanischen Kontinent aktiv, davon ein Drittel Industrieunternehmen. „Afrika ist ein Riesenmarkt für die Chinesen“, sagt Deborah Bräutigam von der China Africa Research Initiative an der Johns Hopkins University. „Der wichtigste Sektor, der dabei profitiert, ist bislang die Bauindustrie“, fügt sie hinzu.

Peking betreibt sein Engagement strategisch. Sicher ist, dass die Chinesen in Afrika die Chance sehen, ihren Rohstoffhunger dauerhaft zu stillen. Dafür brauchen sie langfristige Lieferverträge. China bezieht große Mengen Erdöl aus Angola, Eisenerz und Kupfer aus Südafrika und dem Kongo. Holz und sogar Getreide sind weitere Importgüter. Im Gegenzug gewährt China Kredite für Infrastrukturprojekte. Kritiker bezeichnen Chinas Engagement als Neokolonialismus, da es Abhängigkeiten schaffe. Bräutigam hält das für übertrieben. „Der Kolonialismus hat totale politische Kontrolle bedeutet, für China ist das politische Element eher leicht“, sagt die Forscherin. Allerdings gewinnt China afrikanische Verbündete, bei Abstimmungen in der UNO oder in der Welthandelsorganisation WTO, etwa wenn es dort um Chinas Status als Marktwirtschaft geht. Am wichtigsten sei Peking aber, dass Afrika ein Versuchsfeld werde – für die weitere wirtschaftliche Expansion. „Sie üben hier für Bauprojekte im oberen Mittelfeld, da sind sie sehr wettbewerbsfähig“, sagt Bräutigam. Wenn China genug Expertise in Afrika gesammelt habe, wollten seine Baukonzerne in Europa tätig werden.