Beitrag vom 05.04.2017
Die Tagespost
Südafrika am Scheideweg
Oppositionspolitikerin Helen Zille steht nach Twitter-Äußerungen zum Kolonialismus in der Kritik. Von Michael Gregory
Helen Zille, die wohl prominenteste Oppositionspolitikerin Südafrikas, sieht sich massiven Rassismus-Vorwürfen aus ihrer eigenen Partei, der Demokratischen Allianz (DA), ausgesetzt. Jetzt soll die Premierministerin der Provinz West-Kap, einer der reichsten Regionen Südafrikas, sich sogar einem parteiinternen Untersuchungsverfahren stellen, an dessen Ende der Parteiausschluss der 66-jährigen Frau mit familiären Wurzeln in Deutschland stehen könnte. Zilles politisches Erbe als mutige Kämpferin gegen die übermächtige und in weiten Teilen von Korruption zerfressene Regierungspartei ANC könnte damit ins Wanken geraten.
Wie konnte es soweit kommen? Nach Angaben mehrerer Zeitungen hat Zille, die bis 2015 auch Vorsitzende der DA war, in mehreren Twitter-Nachrichten all jene aufgefordert, an Südafrikas unabhängige Justiz, Transportinfrastruktur, Wasserleitungen et cetera zu denken, die behaupten, dass das Erbe des Kolonialismus nur negativ sei. „Hätten wir einen Übergang zu spezialisierter Gesundheitsversorgung und Medizin gehabt ohne kolonialen Einfluss“, fragte sie und fügte hinzu: „Seid einfach ehrlich, bitte.“
Sachliche Fragen, die aber vor allem eines hervorriefen: ideologiegelenkten Furor, selbst innerhalb der DA. „Das ist so, als würde man sagen, die Nazis waren gut für die deutsche Demokratie und deren technologischen Fortschritt“, antwortete Mbali Ntuli, eine DA-Regionalparlamentsabgeordnete aus der Provinz KwaZulu-Natal. Und Mmusi Maimane, Zilles Nachfolger an der Parteispitze, schrieb, ebenfalls bei Twitter: „Lasst uns eines klarstellen: Der Kolonialismus, wie die Apartheid, war ein System von Unterdrückung und Unterwerfung. Es kann niemals gerechtfertigt werden.“
Bei nüchterner Betrachtung ist an Zilles Einschätzung jedoch manches dran. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die kolonialen Eroberer in vielen Regionen Afrikas zweifellos als Kriegsherren, Ausbeuter und Rassisten auftraten. Die Basis für Südafrikas Infrastruktur wurde jedoch vielfach von Briten und Buren geschaffen. Und auch in vielen anderen Staaten des Kontinents sind die Kolonialherren es gewesen, die in Entwicklung investierten – freilich meist nicht, um die einheimische Bevölkerung am „Segen westlichen Fortschritts“ teilhaben zu lassen, sondern aus eigenen Interessen. Bei allem Leid, das der Kolonialismus in Afrika hervorrief, waren es oft technische Innovationen der Eroberer, die vielen Ländern den Schritt in die Unabhängigkeit erleichterten. Man denke etwa an Südafrikas Nachbarland Simbabwe. Auch hier herrschte bis zur Unabhängigkeit 1980 eine Art Apartheidsregime unter dem weißen Premierminister Ian Smith, einem Nachkommen schottischer Einwanderer. Unabhängig davon, dass Smith die schwarze Bevölkerungsmehrheit des Landes konsequent diskriminierte und einen blutigen Buschkrieg gegen sie führte – Rhodesien, wie Simbabwe damals hieß, galt als Brotkorb des südlichen Afrikas. Es verfügte über eine vorbildliche Infrastruktur an Straßen, Einrichtungen der Stromversorgung, der verarbeitenden Industrie, an produktiven landwirtschaftlichen Betrieben und Bergwerken. Auch Robert Mugabe hatte dies erkannt. Jedenfalls entschied er sich als Premierminister und späterer Staatspräsident des unabhängigen Simbabwe dazu, die gut laufende Wirtschaft vorerst nicht anzutasten und in den Händen derer zu belassen, die über entsprechende Erfahrung verfügten. Erst zwei Jahrzehnte später, als es der simbabwischen Wirtschaft nicht mehr gut ging, entdeckte Mugabe die Weißen als Sündenböcke für alle möglichen Fehlentwicklungen, unter anderem seine misslungene Wirtschaftspolitik.
Neben Simbabwe gibt es viele weitere ähnliche, wenn auch nicht so krasse Beispiele. Etwa Namibia, Sambia oder Kenia. Sie alle sind bis heute vom Kolonialismus gezeichnet, haben nach ihrer Unabhängigkeit aber auch manchen Nutzen aus ihm ziehen können.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Helen Zille sich weiterhin im Recht sieht und auf stur stellt. In ihrer Kolumne auf dem Internetportal Daily Maverick, so berichtet die vor Wut schäumende marxistische „junge Welt“, stilisiere sie sich zum Opfer. „Während Reisen bildet“, so Zille, „tendiere ich dazu zu vergessen, dass es bei der Rückkehr nach Südafrika das beste ist, seinen Verstand wieder auf die Dimensionen der ,political correctness‘ zu schrumpfen.“
Soviel steht fest: Sollte die DA ihre einstige Galionsfigur Zille vor die Tür setzen, ginge der südafrikanischen Politik eine charismatische Macherin verloren – ein herber Verlust in Zeiten, in denen talentierte Politiker für die Auseinandersetzung mit dem immer selbstherrlicher regierenden ANC gefragt sind. So steht Staatspräsident Jacob Zuma wegen Korruptionsvorwürfen immer stärker unter Druck. Bei einer radikalen Kabinettsumbildung hat er jetzt den beliebten und international angesehenen Finanzminister Pravin Gordhan entlassen. Mit der Maßnahme sollten Effizienz und Effektivität verbessert werden, hieß es in einer dürren Mitteilung des Präsidenten, die am vergangenen Freitag veröffentlicht wurde. Zwischen Zuma und Gordhan hatte es seit längerer Zeit Spannungen gegeben. Zuma steht wegen Korruptionsvorwürfen unter Druck, während Gordhan als Anti-Korruptions-Kämpfer gesehen wird. Bei vielen Investoren galt er als Garant der Stabilität für die Wirtschaft des Landes. Die südafrikanische Währung Rand verlor nach Bekanntwerden seiner Entlassung fünf Prozent ihres Wertes gegenüber dem Dollar.
Parlamentspräsidentin Baleka Mbete brach eine Bangladesh-Reise ab, um sich mit den derzeit eingehenden Misstrauensanträgen der Opposition in der Nationalversammlung zu befassen. Für eine Mehrheit brauchen sie rund ein Drittel der Stimmen aus dem ANC-Lager. Morgen (Freitag) soll deshalb ein nationaler Protesttag beginnen. Auch die DA kritisierte Zumas Kabinettsumbildung: „Wir können nicht einfach zusehen und das geschehen lassen. Es wird Zeit, dass alle Südafrikaner zusammenstehen, um unsere Demokratie zu beschützen“, heißt es bei Twitter. Wie ihr das gelingen soll, wenn sie mit Zille eine ihrer erfolgreichsten Kräfte demontiert, ist rätselhaft.