Beitrag vom 30.03.2017
FAZ
Kongo
Im Blutrausch gegen das Regime
Durch grausame Morde an UN-Mitarbeitern und Soldaten verbreitet eine Rebellengruppe in Kongo-Kinshasa Schrecken. Was steckt hinter der Gewalt?
Von Thomas Scheen
NAIROBI, 29. März
Die beiden Kasaï-Provinzen Oriental und Occidental im Zentrum von Kongo-Kinshasa sind bestenfalls bekannt für ihre Diamantenvorkommen. Auf Rebellionen und Massenmorde war bislang vor allem der Osten des zentralafrikanischen Staates abonniert. Seit sechs Monaten aber tobt in der Region um den Fluss Kasaï ein Konflikt, dessen Brutalität selbst für kongolesische Verhältnisse ihresgleichen sucht. Der vorläufige Höhepunkt dieser Aneinanderreihung von Greueltaten war die Ermordung von zwei Mitarbeitern der Vereinten Nationen, deren Leichen am Dienstag gefunden worden sind. Am vergangenen Wochenende wiederum waren 39 Polizisten ebenfalls in Kasaï in einen Hinterhalt gelockt und ermordet worden. Alle Opfer waren enthauptet worden. Verantwortlich dafür ist eine sektenähnliche Gruppe, die sich Kamwina Nsapu nennt und die der Regierung unter Präsident Joseph Kabila in Kinshasa den Krieg erklärt hat.
Die Hintergründe dieses brutalen Aufstands sind ein Spiegelbild der Zustände in Kongo, denn im Grunde geht es um die Akzeptanz von staatlicher Autorität und den Preis dafür. Es ist ein Konflikt zwischen Tradition und Moderne, der in Kongo umso drastischer ausfällt, als die Moderne in Form einer pseudodemokratischen Regierung den Menschen nichts bringt außer Unterdrückung und die Besinnung auf traditionelle Autoritäten in dem Maße wächst, in dem die Repression zunimmt. Dieses Phänomen ist inzwischen überall in Kongo zu beobachten, und Kasaï ist dafür das beste Beispiel.
Der Name der Rebellengruppe, Kamwina Nsapu, ist der offizielle Titel des Clanführers der Bajila Kasanga, einer relativ kleinen Volksgruppe, die südlich der Provinzhauptstadt Kananga beheimatet ist. Neben seiner Rolle als Chef des Clans ist der Kamwina Nsapu zudem das spirituelle Oberhaupt seines Volkes, weil ihm die Obhut über dessen Fetische obliegt. Für die Bajila Kasanga hat der Kamwina Nsapu königlichen Status. Nach dem Tod des alten Clanführers sollte sein Neffe Jean-Pierre Mpandi, ein selbsternannter Heiler, das Erbe antreten, benötigte aber die Zustimmung des Gouverneurs der Provinz Kasaï, um den Titel Kamwina Nsapu offiziell führen zu können. Der Gouverneur witterte ein politisches Geschäft und machte seine Zustimmung von dem Eintritt Mpandis in seine Partei abhängig, was ihm alle Stimmen der Bajila Kasanga garantiert hätte. Mpandi lehnte ab, woraufhin der Gouverneur die Muskeln spielen ließ: Er ordnete Hausdurchsuchungen an, die Soldaten entweihten die heiligen Fetische des Kamwina Nsapu, und sie sollen angeblich auch Jean-Pierre Mpandis Frau sexuell belästigt haben. Machtdemonstrationen dieser Art sind üblich in Kongo. Jeder, der sich dem Willen des Regimes widersetzt, kann ein Lied davon singen.
Mit der Autorität einer jahrhundertealten Erbfolge rief Mpandi daraufhin zum Widerstand gegen die kongolesische Regierung und all ihre Repräsentanten auf. Die kongolesische Armee regelte das Problem auf ihre Weise und erschoss Mpandi im August des vergangenen Jahres. Die Umstände wurden nie untersucht und der Schütze nie behelligt. Seither aber kämpfen Mpandis Anhänger, die auf mehrere tausend geschätzt werden, mit allen Mitteln und töten jeden, den sie der Nähe zu dem Regime in Kinshasa verdächtigen.
Das wurde auch den beiden UN-Mitarbeitern zum Verhängnis, einer Schwedin und einem Amerikaner. Die UN-Mission in Kongo, Monusco, existiert seit 17 Jahren, beschäftigt 19000 zivile und militärische Mitarbeiter und kostet mehr als eine Milliarde Dollar im Jahr. Ihre Verdienste im Osten Kongos sind unbestritten, aber was die kongolesische Bevölkerung von den Vereinten Nationen erwartet hatte, nämlich eine fundamentale Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Lage, ist nie eingetreten. Die öffentliche Wahrnehmung von Monusco ist vielmehr die einer bewaffneten Unterstützung für die verhasste Regierung in Kinshasa. Dort regiert seit 2001 Joseph Kabila, dessen Raffgier inzwischen sogar die des legendären Diktators Mobutu Sese Seko in den Schatten stellt, der von 1965 bis 1997 über das damalige Zaire geherrscht hatte.
Kabilas zweite Amtszeit endete im Dezember 2016, doch er sagte die Wahlen ab und blieb einfach im Amt. Monatelang wurde unter der Führung der katholischen Kirche gefeilscht, wie und wann Kabila endlich abtritt. Das Ergebnis war: Er bleibt. Vielleicht wird im Dezember dieses Jahres gewählt, vielleicht auch nicht. Immerhin hatten die Bischöfe dem Präsidenten die Bildung einer Übergangsregierung unter der Führung eines Ministerpräsidenten aus den Reihen der Opposition abtrotzen können, deren einzige Aufgabe die Vorbereitung der Wahlen sein soll. Drei Monate nach der Unterzeichnung des sogenannten Silvester-Abkommens existiert aber weder eine Übergangsregierung, noch wurde ein neuer Ministerpräsident ernannt. Mit anderen Worten: Nichts ändert sich, und im Land scheint sich die Überzeugung breitzumachen, dass diesem Regime nicht anders als mit Gewalt beizukommen ist.