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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 21.01.2017

Sächsische Zeitung

Entwicklungshilfe für Diktatoren

Der Afrika-Experte Peter Burgis hält den „dunklen“ Kontinent für eine tickende Zeitbombe.

Von Peter Seidel

800 Milliarden Entwicklungshilfe flossen bisher nach Afrika. Davon sind womöglich bis zu 600 Milliarden in den Taschen korrupter Eliten versandet.

Afrika gilt oft als „dunkler Kontinent“ und bildet die strategische Gegenküste zu Europa, getrennt durch das Mittelmeer, den klassischen Verbindungsraum seiner Völker. Dort geht die „Plünderung Afrikas“ durch Diktatoren und Konzerne ungebremst weiter. Diese Bilanz zieht Tom Burgis, Auslandsreporter der Financial Times. Der Obertitel seines Buches lautet entsprechend: „Der Fluch des Reichtums“.

Afrika, das sind Diamanten und Gold, Erdöl und Erdgas und nicht zuletzt Erze, von Zinn bis zu Coltan, unentbehrlich für elektronische Artikel wie Mobiltelefone. Seit Jahrzehnten werden die Lagerstätten erfolgreich ausgebeutet, im Kongo, in Angola, in Nigeria. Erfolgreich aber kaum für Afrikaner, die von diktatorischen Stammesfürsten regiert werden in Ländern, für die das Attribut „gescheiterter Staat“ noch Schönfärberei ist. Hier liegt der Schwerpunkt von Burgis Schilderung: Zur Sicherung ihrer Macht brauchen die erfolgreichen Putschisten für ihre Klientel aus Milizen und Stämmen schnell Bargeld und Pfründe, die sie billig gegen Abbaurechte für Rohstoffe erhalten und dann verschleudern: korrupte, tribalistische Eliten ohne Staatsräson und damit ohne Grundlage für den Aufbau eines funktionierenden Nationalstaates.

Der Journalist schildert ausführlich die Folgen, die Leiden der Bevölkerung bis hin zu Pogromen unter den Verliererstämmen. Geopolitisch interessant sind seine Ausführungen über die chinesische Strategie in Afrika, gut strukturiert die Kapitel über das verhängnisvolle, weil unentwirrbar erscheinende Netz gegenseitiger Abhängigkeiten von Diktatoren und internationalen Firmen, das seine These vom „Fluch des Reichtums“ so bedrückend macht: Der Westen mit seinen subventionierten Agrarprodukten und der Osten mit seinen billigen Industrieprodukten zerstören oft noch die vorhandene bäuerliche und industrielle Produktion.

So wird Afrika trotz seiner Rohstoffe, teilweise beträchtlicher Wachstumsraten und einer langsam wachsenden Mittelschicht immer mehr zum scheiternden Kontinent. Denn im Gegensatz zur Bevölkerungsexplosion im Europa des 19. Jahrhunderts wird diese im heutigen Afrika nicht durch eine parallel verlaufende Industrialisierung und die Schaffung – wenn auch noch so gering bezahlter – Arbeitsplätze in ausreichender Zahl begleitet.

Nachdem sich die Bevölkerung bereits im 20. Jahrhundert nahezu verzehnfacht hat und ohne Chance, dies auf staatliche Weise in den Griff zu bekommen wie etwa in China, bleibt heute nur die Prognose, untermauert durch die Zahlen internationaler Organisationen: In Afrika setzt sich das Bevölkerungswachstum ungebremst fort, der Kontinent wird zur Zeitbombe. Tom Burgis, immer wieder vor Ort an den Brennpunkten, ist ohne Zweifel mit den Verhältnissen sehr vertraut. Die schildert er recht eindrucksvoll. Mit Kommentaren hält sich der Vielgereiste sehr zurück, dann aber sprechen sie für sich.

Was die afrikanische Entwicklung allerdings für Europa bedeutet, ist hingegen nicht sein Thema. So bleibt Burgis Studie eher für jene geeignet, die sich beruflich mit Afrika beschäftigen, also Geschäftsleute, Entwicklungshelfer, Blauhelme, Ministerialbeamte. Was hier allerdings die aktuellen Forderungen nach einer Art „Marshallplan“ für Afrika bewirken sollen, bleibt mehr als fraglich. Nicht zuletzt, weil von den bisher geleisteten insgesamt 800 Milliarden Entwicklungshilfe offenbar 600 in den Taschen von Diktatoren und korrupten Eliten gelandet sind. Insofern dürfte es dabei bleiben: Mit Rezepten aus der europäischen Vergangenheit ist das Problem Afrika nicht zu lösen.

Tom Burgis: Der Fluch des Reichtums – Warlords, Konzerne, Schmuggler und die Plünderung Afrikas. Westend-Verlag, 352 S., 24 Euro