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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 22.12.2016

FAZ

Chancenkontinent

Die Bundesregierung entdeckt Afrika

Die deutsche Regierung setzt verstärkt auf Entwicklungshilfe in Afrika. Der Nachbarkontinent bietet viele Chancen für Investitionen. Sie sollen vor allem einem Zweck dienen.

von Manfred Schäfers, Berlin

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) berichtet, die deutsche Präsidentschaft in der Gruppe der zwanzig wichtigsten Wirtschaftsnationen (G20) werde einen Schwerpunkt haben: Afrika. Selbst Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), dessen Aufgabe es eigentlich ist, das Geld zusammenzuhalten, trommelt für die Entwicklungszusammenarbeit. Beides hat natürlich mit den vielen Menschen zu tun, die zu Zigtausenden in Nussschalen über das Mittelmeer nach Europa streben.

Außenstehende sprechen gern vom Chancenkontinent Afrika. Die Betroffenen sehen das anders, sie fürchten den Tod weniger als das Leben in der Heimat. Sie fliehen in Massen vor Armut, Gewalt, Korruption. Am Donnerstag übernimmt die Bundesregierung offiziell die G-20-Präsidentschaft. Was kann sie tun, um den Menschen zu helfen, um die Lage im Herzen der Finsternis aufzuhellen?

Merkel macht sich keine Illusionen, was die Größe der selbstgesteckten Aufgabe angeht: „Afrika ist der Kontinent, der von der wirtschaftlichen Entwicklung der gesamten Menschheit bislang am stärksten abgekoppelt ist“, sagte sie vergangene Woche im Bundestag. Mit Blick auf die Migration strebe sie viele Partnerschaften wie für Mali und Niger an, wo Deutschland mit Frankreich, Italien und der Europäischen Kommission zusammenarbeite. Aber die eigentliche Frage lautet nach ihren Worten: Wie kommen wir von der klassischen Entwicklungshilfe zu einer wirklichen wirtschaftlichen Entwicklung afrikanischer Staaten? Hier lohne jeder Versuch, neue Wege zu gehen. Denn das, was man „richtigerweise“ gemacht habe, reiche nicht aus.

Chancen für Investitionen

Die Bundeskanzlerin treibt die Lage im Nachbarkontinent schon länger um. Sie lässt sich von Fachleuten und Wirtschaftsvertretern im kleinen Kreis berichten, was man in Afrika besser machen kann. Und sie reist selbst dorthin – Mitte Oktober besuchte sie Äthiopien, Mali und Niger. Unmittelbar danach waren die Präsidenten Nigerias und des Tschads in Berlin. Neben der klassischen Entwicklungshilfe geht es für sie darum, gute Bedingungen für private Investitionen zu schaffen, wie sie sagt.

Gleichwohl versprach Merkel in der Hauptstadt Niamey 17 Millionen Euro für das nächste Jahr und 60 Millionen Euro für die Jahre danach, um den Menschen, die anders als früher nicht mehr vom Tourismus leben können, ein neues Auskommen zu geben, damit sie sich nicht in die Hände von Schleppern begeben. Nigers Präsident Mohammadou Issoufou war das zu wenig. Man brauche für die Entwicklung des Landes viel mehr – mehr auch als die 1,8 Milliarden Euro, die die EU mit einem Treuhandfonds auflegen wolle. Um die Länder Afrikas zu entwickeln, brauche man eine Art Marshallplan. „Diese Unterstützung muss massiv sein. Ungefähr das, was damals in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg über den Marshallplan passiert ist.“

Afrikas politische Kultur steckt voller Überraschungen

Die Afrikaner wittern ihre Gelegenheit und versuchen die Europäer gegen die Chinesen auszuspielen. Die Volksrepublik ist in Afrika sehr präsent, weniger um zu helfen, als um die Rohstoffversorgung zu sichern und Absatzkanäle für heimische Produkte zu schaffen. Beim Besuch der Dame aus Deutschland nutzte Äthiopiens Ministerpräsident Hailemariam Desalegn das Sprachbild, mit dem Deng Xiaoping seinerzeit in China den Kapitalismus unter kommunistischer Herrschaft eingeläutet hatte. „Zunächst einmal ist es für uns nicht wichtig, ob die Katze nun weiß oder schwarz ist, sondern ob sie in der Lage ist, Mäuse zu fangen“, sagte er, um dem anzufügen: „Wenn die Katze Mäuse fängt, dann ist es uns eigentlich egal, ob sie aus Deutschland oder aus China kommt.“ Das sei das Prinzip. „Wir möchten die chinesischen Investoren, wir möchten die deutschen Investoren, wir möchten amerikanische Investoren.“ Sie müssten die Arbeitsplätze für die Bevölkerung schaffen. Sie müssten natürlich ihrerseits auch einen anständigen Gewinn erwirtschaften. Und sie müssten natürlich Steuern in Äthiopien bezahlen.

Die politische Kultur in Afrika dürfte selbst für eine bestens vorbereitete Kanzlerin immer wieder für Überraschungen gut sein. Zumindest Berliner Journalisten wunderten sich sehr, als Nigerias Präsident Muhammadu Buhari im Kanzleramt auf die Drohung seiner Frau angesprochen wurde, ihn 2019 nicht bei der Wiederwahl zu unterstützen, wenn er nicht seine Regierung umbilde. „Ich weiß jetzt nicht genau, welcher Partei meine Frau angehört“, lautete der erste Teil seiner Antwort, der schon erstaunlich war. Der zweite Teil war es noch mehr, er verstieß gegen alles, was in Europa als politisch korrekt gilt: „Eigentlich gehört sie ja doch in meine Küche, mein Wohnzimmer und auch in die anderen Zimmer in meinem Haus.“

Ausbau der Entwicklungshilfe

Anders als Merkel reist Schäuble nicht regelmäßig nach Afrika. Er hat das notwendige Wissen schon in seiner Küche und seinem Wohnzimmer, könnte man mit Buhari sagen. Als Schäuble vor einem Monat den zuständigen Minister Gerd Müller (CSU) besuchte, berichtete der Finanzminister gutgelaunt, was ihm seine Frau als langjährige Vorsitzende der Welthungerhilfe daheim über die Entwicklungszusammenarbeit alles eingeimpft hat. Er hob die Bedeutung vernünftiger Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung hervor. Und er zitierte den Philosophen Immanuel Kant mit den Worten: „Wir sind alle Menschen aus krummem Holz.“

Das heißt, die Regeln müssen so sein, dass es Korruption möglichst schwer hat. Letztlich kommt es nach Einschätzung des Finanzministers darauf an, das richtige Umfeld für Infrastrukturinvestitionen und Investitionen in der privaten Wirtschaft zu schaffen. Er machte in seiner Rede deutlich, dass es für ihn weniger darum geht, mehr Mittel nach Afrika zu lenken. Mehr Kreditmöglichkeiten für Entwicklungsländer könnten sich ziemlich schnell als ein Danaer-Geschenk erweisen – also sich in kurzer Zeit gegen sie selbst richten.

Gleichwohl ist die Bundesregierung mächtig stolz darauf, die Entwicklungshilfe kräftig ausgebaut zu haben: Allein in dieser Legislaturperiode sei der Haushalt Müllers um 2 Milliarden Euro gestiegen, hob Merkel im Bundestag hervor. Im vergangenen Jahr wuchs die offizielle Entwicklungshilfe Berlins um ein Viertel auf 0,52 Prozent der Wirtschaftsleistung. Wichtiger als die Ausweitung des Entwicklungsetats ist ein anderer Effekt gewesen: extrem hohe Ausgaben für Flüchtlinge.