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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 03.09.2016

Spreezeitung

Eritrea feiert 25 Jahre Unabhängigkeit von Äthiopien

Lob und Kritik für das Land, dessen Grenze zum Pulverfass wird, denn Äthiopien erkennt die internationale Grenzziehung nicht an: Widersprüchlicher als Eritrea wird wohl kaum ein anderes Land der Welt wahrgenommen. Am 24. Mai 1991 endete der 30-jährige Unabhängigkeitskampf, in dem die gut organisierte Eritreische Volksbefreiungsfront EPLF die äthiopische Armee, eine dergrößten und bestausgerüsteten Armeen Afrikas, besiegte.

von Martin Zimmermann

25 Jahre sind seither vergangen. Grund zum Feiern, sagen die einen und verweisen auf große Erfolge beim Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes. Eritrea sei ein Unrechtsstaat, der massiv Menschenrechte verletze, sagen die anderen. In den Straßen der eritreischen Hauptstadt Asmara herrschte in den Tagen um den 24. Mai 2016 eine friedliche und ausgelassene Atmosphäre: 25 Jahre Unabhängigkeit von Äthiopien wurde ausgiebig gefeiert. Auf mehreren Musikbühnen sorgten rund 200 Musiker und Tänzer aus Uganda, der Türkei, Südafrika und den USA bei Straßenfesten und in Konzerthallen für Stimmung – auch Musiker aus Deutschland waren dabei. Die Münsteraner Coverband „Starlight Excess“ wurde genauso bejubelt wie das Orchester der Philharmonie Leipzig unter der Leitung von Michael Köhler, das Werke von Beethoven, Verdi und Strauß präsentierte. Höhepunkt der Feierlichkeiten war der 24. Mai. Es war eine beeindruckende, aber keine pompöse Feier. Die übliche Militärparade fiel eher bescheiden aus.

Eritreas Präsident Issayas Afewerki ließ in seiner Rede die politischen Herausforderungen bis zur Unabhängigkeit und auch die der vergangenen 25 Jahre Revue passieren. Was Eritrea seit seiner Unabhängigkeit erreicht hat, ist vielen Medien keine Erwähnung wert – dabei ist Eritrea viel besser als sein Ruf: Seit 1991 ist die Kindersterblichkeit um zwei Drittel gesunken. Die Sterblichkeitsrate von Frauen bei der Geburt sank um 78 Prozent. Malariafälle sind seit 1992 um über 85 Prozent zurückgegangen, seit der Unabhängigkeit stieg die Lebenserwartung von 48 auf 63 Jahre. Eritrea hat als eines von wenigen afrikanischen Ländern die Millenniums Entwicklungsziele der UNO (MDGs) 4, 5 und 6 erreicht. „Das ist vorbildlich für Afrika“, betont Christine Umutoni, Koordinatorin des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) in Eritrea, das diese Fakten erhoben hat. Das Land, so Umutoni, „könne Afrika und dem Rest der Welt Lektionen darüber erteilen, wie diese Erfolge erreicht wurden“.

Unbestreitbare Fortschritte gibt es auch in anderen Bereichen: 1991 hatten nur knapp zehn Prozent der Menschen Zugang zu sauberem Wasser, heute sind es 80 Prozent. Bildung in Eritrea ist kostenlos – und zwar von der Grundschule bis zur Fachhochschule. Die Alphabetisierungsrate der 15- bis – 24-Jährigen liegt laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) bei Mädchen bei 87 Prozent, bei den Jungen bei 92 Prozent. In sieben Fachhochschulen des Landes studieren heute fast 14 000 Studenten. Die Universität Asmara – die geschlossen und dezentralisiert wurde – konnte dagegen maximal 5000 Studenten aufnehmen. Eritrea ist außerdem in Afrika führend im Schutz der Biodiversität: Die reichen Fischbestände und die Korallen an der Rotmeerküste werden vor aggressiven Fischereiflotten geschützt. Die Energiewende ist im Land auf gutem Weg: Eritreas Solarenergie-Kapazität steht an dritter Stelle in Afrika. Mit einer EU-Hilfe von 200 Millionen Euro soll jetzt die Solarenergie-Kapazität erweitert werden. Andere alternative Energien wie Windenergie und Geothermie werden nach den Plänen der Regierung in naher Zukunft massiv ausgebaut.

Beispielhaft für andere Entwicklungsländer

Trotz der fürchterlichen Dürre im vergangenen Jahr, die in manchen Gebieten des Landes, bis zu 90 Prozent Ernteausfällen führte, hungert in Eritrea heute niemand. Warum? In den vergangenen Jahren wurden rund 900 kleine und mittlere Staudämme gebaut, die künstliche Bewässerung von Feldern ermöglichen und die Landwirtschaft unabhängig von der Regenzeit machen. Und nach den Frühwarnungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) 2015 hat die Regierung vorausschauend Nahrungsmittel aufgekauft. Das ist beispiellos für Regierungen am Horn von Afrika, genauso wie der Umgang mit den Bodenschätzen des Landes in der Tat ebenso beispielhaft für andere Entwicklungsländer ist.

„Eritrea will keine schrankenlose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Landes, sondern verantwortungsvoll mit diesen umgehen und sie für den Aufbau der staatlichen Strukturen und der Wirtschaft zum Wohle des Volkes nutzen“, bringt der Minister für Bergbau, Sebhat Ephrem, die Politik des Landes auf den Punkt.

„Das ist unsere Verantwortung für die zukünftigen Generationen“,

betont er. Genau das widerspricht aber wirtschaftlichen Interessen von internationalen Konzernen, die gerne Rohstoffe in Entwicklungsländern für ein Butterbrot ausbeuten. Eritrea dagegen ist beim Abbau von Rohstoffen in Konsortien mit kanadischen, australischen und chinesischen Firmen mit Beteiligungen von 40 bis 50 Prozent dabei – der Gewinn wird in die Entwicklung der Infrastruktur und die Ernährungssicherung investiert. In Eritrea liegt auch das weltweit größte Vorkommen an Pottasche (Kaliumchlorid) – Grundlage für die Herstellung von Dünger für die Nahrungsmittelproduktion. Weltmarktführer in Abbau und Produktion von Kaliumchlorid ist Kanada. Allerdings wird dort Kaliumchlorid sehr kostenintensiv im Untertagebau gefördert. In Eritrea braucht man es – salopp gesagt – nur vom Boden der Danakilsenke „abzukratzen“. Im Nu wäre Eritrea einer Machbarkeitsstudie zufolge mit diesem Vorkommen an Pottasche auf Anhieb weltweit der drittgrößte Produzent von Kaliumchlorid. Partner dazu stehen bereits in den Startlöchern.

„Ein menschenverachtendes Regime, systematische Folter“

Ein anderes, düsteres Bild Eritreas zeichnet eine UN-Untersuchungskommission. Diese wirft Eritrea schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vor, skizziert das von den Medien aufgrund solcher Berichte gerne als das „Nordkorea Afrikas“ titulierte Land als einen Hort der Menschenverachtung, in dem die Menschen brutal unterdrückt werden, zu lebenslanger „Sklavenarbeit“ gezwungen sind, in dem Frauen Freiwild für Vergewaltiger sind und Christen aufgrund ihres Glaubens in Container eingesperrt werden. Also als ein Land, in dem Menschenrechte nichts zählen.

Der Bericht stützt sich einzig auf Aussagen von rund 550 Flüchtlingen aus Eritrea, die in Lagern in Äthiopien, Dschibuti und Europa interviewt wurden. Alle diese Aussagen wurden anonymisiert und sind damit kaum nachprüfbar. In dem Bericht finden sich für Kenner des Landes Aussagen, die aber eindeutig ins Reich der Fabeln zu verweisen sind. Wehrpflichtige seien in der Goldmine Bisha, die von einem Konsortium der kanadischen Bergbaufirma Nevsun und der staatlichen eritreischen Bergbaufirma, die rund 50 Prozent Anteil an der Mine hält, ohne Lohn zum Bau von „Untergrundtunneln“ gezwungen worden, heißt es dort. Die Wahrheit ist: In Bisha wird Gold, Kupfer und Zink im Tagebau gefördert…

Der Bericht der UN-Menschenrechtskommission blendet zudem mit System ihr zugegangene nicht anonyme Stellungnahmen von über 40 000 Eritreern, die ihr Land in einem anderen Licht sehen, einfach aus. Auch in Asmara ansässige Diplomaten und internationale Organisationen wie UNDP, UNICEF, IKRK und andere wurden von der UN-Menschenrechtskommission nicht befragt und haben ein differenzierteres Bild vom Land.

„Eritrea ist nicht so, wie es in den Medien oft dargestellt wird“, sagt beispielsweise der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Andreas Zimmer.

Tatsache ist aber dennoch, dass viele junge Menschen aus Eritrea flüchten. Denn ihnen wird die Lebensperspektive genommen, weil der Nachbar Äthiopien bis heute seine Kriegserklärung gegen Eritrea nicht zurückgezogen hat und sie deshalb oft jahrelangen Militärdienst leisten müssen. Längst könnte Frieden herrschen – aber Äthiopien akzeptiert den Schiedsspruch von Den Haag nicht, der nach dem blutigen Krieg von 1998 bis 2000 im April 2002 die Grenze zwischen beiden Ländern festlegt.

Die Garanten dieses Friedensabkommens, die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen sowie fast die gesamte internationale Gemeinschaft, schweigen zu diesem unsäglichen und völkerrechtswidrigen Verhalten Äthiopiens. Denn Äthiopien wird als „verlässlicher Partner“ im Kampf gegen den Terrorismus eingeschätzt und dementsprechend unterstützt. Zusätzlich leidet Eritrea unter UN-Sanktionen, die 2009 mit der Begründung verhängt wurden, Eritrea unterstütze die islamistische Al-Shabab-Miliz. Diese Behauptungen hatten zu keiner Zeit Substanz. Das stellt auch selbst die von der UN eingesetzte Somalia Eritrea Monitoring Group (SEMG) Jahr für Jahr fest. Einer Aufhebung der Sanktionen stimmen die USA jedoch nicht zu.

Teil II

Deutsche Parlamentarier und äthiopische Kriegsrhetorik

In Teil II seines Eritrea-Beitrags berichtet Martin Zimmermann von Erfahrungen deutscher Parlamentarier vor Ort, aggressiver Kriegsrhetorik der äthiopischen Seite und der bestehenden Kriegsgefahr. Es liege auch an der internationalen Gemeinschaft, einen weiteren Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien zu verhindern, mahnt der Autor.
Deutsche Parlamentarier und äthiopische Kriegsrhetorik

Die USA waren es auch, die mit ihrem Veto jüngst einen Besuch des UN-Sicherheitsrats in Eritrea verhinderten. Der Grund liegt auf der Hand. Die USA wollen es sich nicht mit ihrem engsten Verbündeten am Horn von Afrika, mit Äthiopien, verderben. Dass, wenn es um Eritrea geht, mit dem äthiopischen Regime nicht gut Kirschen essen ist, durfte Mitte Mai dieses Jahres auch eine Delegation deutscher Parlamentarier in Addis Abeba erfahren.

Die fünfköpfige Parlamentariergruppe, der neben der Vorsitzenden der Parlamentariergruppe Östliches Afrika, Anita Schäfer (CDU/CSU), die Abgeordneten Gabi Weber (SPD), Sabine Zimmermann (Linke), Kordula Schulz-Asche (Grüne) und Christoph Strässer (SPD) angehörten, wollte eigentlich in Äthiopien nur Kontakte zu dortigen Parlamentariern pflegen und anschließend auch Eritrea besuchen – als ihnen eine überraschende Einladung zu einem Gespräch mit dem äthiopischen Premierminister Hailemariam Desalegn auf den Tisch flatterte. Der machte den Parlamentariern unmissverständlich klar, dass er von einem Besuch der Gruppe in Eritrea absolut nichts hält: Wie aus Teilnehmerkreisen verlautete, bezeichnete der äthiopische Premier Eritrea als „faschistisches Regime“, von dem sich die deutschen Politiker nicht blenden lassen sollten.

„Erschrocken und schockiert“ zeigten sich die deutschen Parlamentarier über die „aggressive Kriegsrhetorik“ der äthiopischen Seite: Wenn die internationale Gemeinschaft nicht bald einen Regierungswechsel in Eritrea herbeiführe, werde Äthiopien laut Desalegn aus eigenen Sicherheitsinteressen an eine Invasion Eritreas denken, berichten Teilnehmer der deutschen Delegation. Auf der anderen Seite nahmen die Parlamentarier positive Eindrücke aus Eritrea mit nach Hause:

„Wir waren beeindruckt von dem Land und dem offenen Dialog, den wir hier führen konnten. Manche Vorbehalte gegen dieses Land muss man revidieren“, fasste Anita Schäfer die Erfahrungen der Parlamentariergruppe bei einem Empfang in der deutschen Botschaft in Asmara zusammen.

Für Kopfschütteln in Eritrea, Unverständnis bei der Reisegruppe der Parlamentarier und im offiziellen Berlin sorgte auch das Vorgehen des äthiopischen Botschafters in Deutschland. Der legte gegen die Teilnahme der Leipziger Philharmonie und anderen deutschen Musikgruppen an der Unabhängigkeitsfeier Eritreas bei der Bundesregierung offiziell Protest ein – mit Sicherheit kein alltäglicher diplomatischer Vorgang, der aber mehr als deutlich macht, wie misstrauisch Äthiopien jede noch so kleine Annäherung westlicher Länder an den Erzfeind Eritrea beäugt.

Spiel mit dem Feuer – Säbelrasseln kann rasch in Krieg münden

Konfrontiert mit der Erfahrung der deutschen Parlamentarier reagiert der eritreische Informationsminister Yemane Gebremeskel überhaupt nicht überrascht:

„Die Worte des äthiopischen Premierministers gegenüber den deutschen Parlamentariern müssen auch dem Letzen klarmachen: Eritrea lebt in einem Zustand der ständigen Bedrohung durch Äthiopien. Nach wie vor hält Äthiopien eritreisches Territorium besetzt. Das ist auch der Grund, warum der Militärdienst in Eritrea derzeit nicht auf 18 Monate begrenzt werden kann. Wir müssen zur Verteidigung unseres Landes bereit sein. Wenn Äthiopien sich zum Friedensschluss und zum Rückzug aus Eritrea entschließt – was wir uns sehnlichst wünschen – dann werden wir auch den Militärdienst auf die gesetzlich geregelten 18 Monate zurückfahren“, betonte Gebremeskel.

In der Tat kommt es an der Grenze immer wieder zu kleineren militärischen Zusammenstößen, die zuletzt am 12. Juni dieses Jahres nahe der Stadt Tsorona zu einer heftigen, tagelangen militärischen Auseinandersetzung mit Hunderten von Toten eskalierte. Eritrea beschuldigte die äthiopische Seite den Angriff gestartet zu haben – die äthiopische Regierung bestätigte den Vorfall und bezeichnete den Angriff als „verhältnismäßige Maßnahme gegen Provokationen Eritreas“ – ohne die jedoch genau zu benennen. Dieser Vorfall zeigt die ganze Brisanz der ungelösten Grenzfrage: Aus einem Funken kann so schnell ein Steppenbrand entstehen. Es liegt auch an der internationalen Gemeinschaft, einen weiteren Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien – der ohne Zweifel das Horn von Afrika weiter destabilisieren würde – zu verhindern. Dazu muss der nötige Druck auf Äthiopien ausgeübt werden, den international festgelegten Grenzverlauf ohne Wenn und Aber anzuerkennen und sich von eritreischem Territorium zurückzuziehen.

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Martin Zimmermann, Jahrgang 1955, ist ein profunder Kenner Eritreas. Seit 1991 ist er Vorsitzender des 1976 gegründeten Eritrea Hilfswerk in Deutschland (EHD) e.V. Er besucht das Land seit 1984 regelmäßig. In den Buch „Eritrea – Aufbruch in die Freiheit“ (1. Auflage 1990) berichtet er auf der Basis mehrere Besuche in den Gebieten der Unabhängigkeitskämpfer über die Zeit des Unabhängigkeits-Krieges. Seit der Unabhängigkeit Eritreas (1991) bereist Zimmermann das Land zum Teil mehrmals jährlich. Das Eritrea Hilfswerk unterstützt in Eritrea Projekte im Bereich des Gesundheitswesens, Wasserversorgung, den Bau von Kindergärten und Schulen und mehr. Webseite: www.eritrea-hilfswerk.de