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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 23.05.2016

Südwest Presse

Botswana

Afrikas Wirtschaftswachstum kommt zum Erliegen

Lange galt Afrika als Wachstumswunder. Investoren standen Schlange, doch nun erlahmt der Konsum. Es rächt sich, dass viele Staaten einseitig auf China setzten.

WOLFGANG DRECHSLER

Wie eine offene Wunde klafft das riesige Loch in der Steppe von Botswana, aufgerissen von Baggern so groß wie ein mehrstöckiges Haus. Fast 400 Meter tief ist die im Tagebau betriebene Diamantmine von Jwaneng, 120 Kilometer westlich der Hauptstadt Gabarone. Über zehn Millionen Karat werden hier jedes Jahr aus dem rotbraunen Boden der Kalahari gekratzt – mehr als aus jeder anderen Diamantmine weltweit. Doch das Geschäft läuft schlecht.

Früher gingen die Kumpel nach dem Schichtwechsel oft in eine der umliegenden Bars, um dort mit einem Castle Lager oder einem anderen Markenbier ihren Durst zu löschen. Doch die Kneipen sind heute oft verwaist. Stattdessen trinken viele lokale Billigmischungen, die in Pappkartons verkauft werden.

Die Rückkehr zum Selbstgebrauten ist ein Zeichen für den eingebrochenen Konsum auf dem Kontinent, den offenbar noch nicht alle bemerkt haben. Gerade schluckt der weltweit größte Brauer Anheuser-Busch Inbev für mehr als 100 Milliarden Dollar seinen südafrikanisch-britischen Erzrivalen SAB Miller, um Zugriff auf dessen Afrika-Geschäft zu bekommen. Doch gleichzeitig werden solche Hoffnungen von der Wirtschaftsflaute auf dem Kontinent untergraben.

Statt wie in den vergangenen Jahren um bis zu sieben Prozent soll Afrikas Wirtschaft nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) in diesem Jahr allenfalls noch um drei Prozent wachsen. Das kompensiert nicht einmal das hohe Bevölkerungswachstum.

Noch vor zwei Jahren war alles anders: Damals galten viele afrikanische Volkswirtschaften vor allem unter Unternehmensberatern als Wachstumswunder. Viele wähnten den Kontinent bereits auf den Fußspuren Asiens. US-Präsident Barack Obama zeigte sich auf einer Stippvisite 2013 davon überzeugt, Afrika werde „die nächste große Erfolgsstory der Welt“ schreiben. Grundlage der Hoffnung waren die vom Rohstoffboom befeuerten hohen Wachstumsraten einiger Länder und die Aussicht auf das Aufkommen einer konsumfreudigen Mittelschicht. Genau das scheint sich nun als Trugschluss zu entpuppen.

„The party is over“, überschrieb Südafrikas Wirtschaftszeitung „Business Day“ kürzlich einen Leitartikel. Denn der wichtigste Partygast, China, mag angesichts der Konjunktursorgen im eigenen Land nicht mehr richtig mitfeiern. Die Exporte Afrikas nach China sind im vergangenen Jahr um fast 40 Prozent auf 67 Milliarden Dollar eingebrochen. Genauso stark war 2015 der Rückgang der chinesischen Direktinvestitionen in Afrika.

Jetzt rächt sich, dass Afrika in den vergangenen Jahren fast nur auf die chinesische Karte gesetzt und darüber die historisch engen Bande zu den traditionellen Handelspartnern im Westen vernachlässigt hat. Niemand weiß, wer nun all die geplanten Infrastrukturprojekte finanzieren soll. „Chinas Metamorphose von einer rohstoffhungrigen zu einer stärker auf den Konsum ausgerichteten Volkswirtschaft könnte zur Folge haben, dass sich die für Afrika so wichtigen Metallpreise für lange Zeit nicht mehr richtig erholen werden“, befürchtet der südafrikanische Wirtschaftskommentator David Shapiro vom Johannesburger Vermögensberater Sasfin.

Keinen trifft der Absturz der Rohstoffpreise härter als das Afrika südlich der Sahara, dessen 48 Volkswirtschaften auch etwa 60 Jahre nach Beginn der Unabhängigkeit fast alle noch auf dem Export jeweils eines einzigen Rohstoffs fußen. In Sambia und dem Kongo ist dies Kupfer, in Botswana Diamanten und in Ghana Kakao. Diese Einseitigkeit schlägt jetzt auf den Konsum durch. Unter dem herben Wachstumseinbruch im Ölstaat Angola leidet inzwischen etwa der südafrikanische Getränkehersteller Distell – dabei galt der Brausektor in Afrika bislang als praktisch rezessionsresistent.

Wie der Ölstaat Nigeria, Afrikas größte Volkswirtschaft, hat auch Angola, Afrikas Nummer vier, den Umbau seiner Wirtschaft im Boom der vergangenen Jahre verpasst. „Mit dem Einbruch der Staatseinnahmen um 60 Prozent werden die Versäumnisse nun schonungslos offengelegt“, schreibt Ricardo Soares de Oliveira, Afrika-Experte an der Universität Oxford. „Die Gehälter der Staatsbeamten bleiben unbezahlt, während die Preise für die fast ausschließlich importierten Lebensmittel, aber auch die Transportkosten explodieren.“

Bei vielen Unternehmen ist die Skepsis über das vermeintlich grenzenlose Wachstumspotenzial Afrikas inzwischen gestiegen. Die britische Bank Barclays hat gerade den Verkauf ihrer Afrika-Tochter beschlossen. Aber selbst Konsumgüterriesen wie Procter & Gamble oder Unilever, Nutznießer von erhofften Millionen neuer Konsumenten, haben es schwer. Süßwarenhersteller Cadbury und Coca-Cola haben in Kenia Fabriken geschlossen. „Wir dachten, dass Afrika das nächste Asien wäre“, sagt Cornel Krummenacher, Chef der Zentralafrika-Region von Nestlé. „Aber wir haben gesehen, dass die Mittelklasse in unserer Region extrem klein ist und nicht wirklich wächst.“

Die neue Skepsis spiegelt sich auch in einer aktuellen Umfrage der Consultingfirma FTI wider: Anders als noch vor einem Jahr bewerten Anleger demnach Investitionen in Afrika nun als „nicht mehr zwingend“. Obwohl viele weiterhin die Chancen auf dem Kontinent ausloten wollen, betrachten sie Afrika als zu riskant, politisch instabil, stark überbürokratisiert und hochgradig korrupt. Der Bericht passt zu der alljährlich von AT Kearney vorgelegten Studie über globale Investmenttrends. Bezeichnenderweise befindet sich in der Studie kein einziger afrikanischer Staat unter den 25 Top-Anlagedestinationen.

„Viele Hoffnungen haben sich zerschlagen, etwa jene südafrikanischer Einzelhändler, schon in zwei oder drei Jahren die Hälfte ihres Geschäfts in Afrika abzuwickeln“, sagt Doug Murray, Chef der südafrikanischen Modegruppe Foschini. Auch die Supermarktkette Shoprite hat der neuen Realität Tribut gezollt: Statt der geplanten 600 bis 700 Läden allein in Nigeria sind es bislang ganze zwölf. Entsprechend vorsichtig gibt sich Murray: „Afrikas Wachstumsgeschichte wird wohl allenfalls eine sehr langfristige sein.“

Zusatzinfo

Uno warnt vor Arbeitslosigkeit

Konjunktur Die lahmende Konjunktur in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern und fallende Rohstoffpreise führen laut UN-Prognosen zu weltweit steigender Arbeitslosigkeit. Die dramatische Entwicklung drohe zu wachsenden sozialen Spannungen zu führen, warnte der Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), Guy Ryder. Waren 2015 noch gut 197 Millionen Menschen arbeitslos, wird die Zahl demnach im laufenden Jahr auf mehr als 199 Millionen steigen. 2017 werde die Zahl die Marke von 200 Millionen übersteigen, Besonders betroffen seien China, Brasilien und ölproduzierende Staaten.

Prekäre Jobs Viele Männer und Frauen müssten niedrig bezahlte Jobs akzeptieren. Besonders hoch sei der Anteil der prekären Jobs im Afrika südlich der Sahara (70 Prozent aller Arbeitsplätze) und in Südasien (74 Prozent). Die ILO mit Sitz in Genf ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. epd