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Beitrag vom 18.05.2016

Spiegel Online

Kampf um Nigerias Öl

Rächer des Niger-Deltas

Von Benjamin Dürr

Eine neue Gruppe von Rebellen kämpft in Nigeria gegen Öl-Multis wie Shell und Chevron. Das Ziel: die lokale Bevölkerung an den Gewinnen beteiligen. Manche glauben, dahinter steckt die Opposition.

Mit Gewalt kämpfen sie für ein an sich hehres Ziel: Die Beteiligung der lokalen Bevölkerung an den Gewinnen des Landes. Dafür allerdings sprengt eine neue Rebellengruppe in Nigeria Anlagen und Pipelines von Rohstoffkonzernen in die Luft.

Anfang Mai etwa zerstörte ein Team der "Niger-Delta Avengers" (NDA) mehrere Gas- und Rohöl-Leitungen des staatlichen Mineralölunternehmens NNPC. Zur gleichen Zeit sprengte eine Gruppe die Anlagen am Bohrloch D25, mit der der US-Konzern Chevron Erdgas förderte.

Wenige Tage später musste Shell mehrere Anlagen räumen, nachdem die NDA mit Anschlägen gedroht hatte. Allein durch die Evakuierung von fast hundert Mitarbeitern der Produktionsanlage "Eja OML 79" am Wochenende fiel Shells Produktion um 90.000 Barrel pro Tag, berichtete die Zeitung "Vanguard".

Die Aktionen gegen Chevron und Shell seien erst der Anfang, drohen die NDA auf ihrer Website, deren Echtheit jedoch nicht gesichert ist. Und die Rebellen legen nach: Sie ließen es vorerst nicht zu, dass Chevron die Anlage repariert. Das Unternehmen sei seit mehr als vierzig Jahren in der Region aktiv. Die Terminals des Konzerns hätten seither jeden Tag Strom gehabt, heißt es in einem Statement der Rebellen. "Gleichzeitig fehlt es in den umliegenden Gemeinschaften an allem - von Trinkwasser, Schulen und Krankenhäusern bis zu Straßen und Elektrizität."

Liste mit zehn Forderungen

Die NDA, die "Rächer des Niger-Deltas", haben eine Liste mit zehn Forderungen aufgestellt. Dazu zählt eine gerechtere Verteilung der Rohstoffe. 60 Prozent der Ölförderstellen müssten Eigentum der lokalen Bevölkerung des Niger-Deltas werden, fordern die NDA. Bisher ist nur ein Bruchteil im Besitz lokaler Unternehmen.

Zudem müssten Firmen die Umweltverschmutzungen säubern und Gemeinschaften entschädigen. Manche Gegenden sind hochgradig vergiftet, weil durch Unfälle und beschädigte Leitungen in den vergangenen Jahren Millionen Barrel Öl auf die Felder, in die Böden und in die Gewässer geflossen sind, von denen die Menschen leben.

Am Wochenende wurden mehrere mutmaßliche NDA-Kämpfer festgenommen. Wer die Gruppe anführt, ist bisher aber unklar. Nigeria ist geteilt in einen überwiegend christlichen Süden und einen hauptsächlich muslimischen Norden. Üblicherweise wechseln sich die Landesteile informell bei der Präsidentschaft ab. Zurzeit regiert der Muslim Muhammadu Buhari aus dem Norden - manche glauben, die Opposition könnte hinter der NDA stecken, um Buhari zu schaden.

Die nigerianische Regierung hat bisher mit Drohungen auf die Aktionen der NDA reagiert. Buhari nannte die Rebellen Vandalen und Saboteure. Er kündigte an, gegen sie genauso entschlossen vorzugehen wie gegen die Miliz Boko Haram. Im Norden des Landes dringt die Armee gerade die Islamisten zurück, da nehmen im Süden die Spannungen wieder zu.

Für das Land hat das ernsthafte Folgen. Nigeria war - bis die Angriffe begannen - der größte Ölproduzent Afrikas, hat nach eigenen Angaben die höchste Wirtschaftskraft und die meisten Einwohner des Kontinents. Doch das Land ist entsprechend auf Öl und Gas angewiesen. Etwa 70 Prozent des Staatshaushalts stammen aus den Öleinnahmen.

Unruhe sorgt für Produktionsausfälle

Wie andere Förderländer auch, leidet Nigeria jedoch unter dem derzeit recht niedrigen Ölpreis. Dem Staat geht das Geld aus. Um eine Wirtschaftskrise zu vermeiden, verkündete die Regierung jüngst, die Sprit-Subventionen drastisch zu kürzen. Der Preis stieg dadurch um rund 70 Prozent.

Die Unruhe im Niger-Delta, dem rohstoffreichen Süden des Landes, reißt ein weiteres Loch in die Einnahmen des Staates. In den vergangenen Wochen fiel die Produktion auf ein 20-Jahres-Tief. Zum ersten Mal seit 1994 lag die Fördermenge Anfang Mai bei unter 1,7 Millionen Barrel am Tag, analysierte Bloomberg.

Die Wirtschaft wächst in diesem Jahr wohl nur um 2,3 Prozent. 2014 hatte es noch bei 6,3 Prozent gelegen. Die Rebellen fürchten die wirtschaftlichen Folgen ihrer Aktionen nicht. Sie würden sogar für ein Schrumpfen der Wirtschaft um 100 Prozent sorgen, teilten sie mit, wenn ihre Forderungen nicht bald erfüllt würden.