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Beitrag vom 12.05.2016

FAZ

Eritreer in Deutschland

Von wegen Freiheit

Bis nach Deutschland reichen die Fesseln des eritreischen Regimes. Wer hier lebt, der bleibt trotzdem in Geiselhaft. Einblick in eine Parallelwelt.

von Morten Freidel

Eritrea beginnt hinter den Gleisen. In der Ottostraße in Frankfurt reihen sich eritreische Bars und Restaurants aneinander, die Türen vergittert, die Fenster verrammelt. Davor stehen Jugendliche und rauchen. Drinnen hocken sie in vernebelten Räumen, trinken Tee mit Zitrone, sprechen über Alltägliches, amüsieren sich. Frei aber sind sie nicht. Denn der lange Arm der Militärdiktatur reicht selbst bis hierhin. Auch in Deutschland stehen Eritreer unter Beobachtung, auch in Deutschland werden sie kontrolliert und schikaniert. Es ist ein blickdichtes System, gut geschützt gegen Neugier von außen. Kaum einer spricht offen darüber. Wer etwas gegen Machthaber Isayas Afewerki oder das Regime sagt, gerät nicht nur selbst in die Schusslinie, sondern muss auch befürchten, dass seine Verwandten in der Heimat verfolgt werden. So schweigen die meisten lieber. Inmitten des Bahnhofsviertels und seiner Zerstreuung hat sich die Angst eingenistet.

Anbessa, 49 Jahre alt, redet trotzdem. Er kann es sich eher leisten, Eritrea zu kritisieren, denn die meisten seiner Verwandten haben das Land inzwischen verlassen. Anbessa trägt Kinnbart, eine beige Jacke und ein beiges Käppi, er sieht aus wie ein gealterter Revolutionär. Seit 1986 lebt er in Deutschland. In den Wirren der eritreischen Befreiungskämpfe floh er in den Sudan und von dort weiter mit dem Flugzeug. Als Anbessa anfängt zu sprechen, wird es an den Nachbartischen des Cafés still. Alle hören mit. Ihn stört das nicht; er kommt gleich zur Sache. Sein wichtigster Kritikpunkt am Regime: die „Aufbausteuer“.

„Eritreer ist man immer“

Jeder Eritreer, der im Ausland lebt, muss zwei Prozent seines jährlichen Nettoeinkommens an den eritreischen Staat überweisen. Egal ob er einen Job hat oder Sozialhilfe bezieht. Egal ob er Bürger eines anderen Landes geworden ist oder nicht. „Eritreer“, sagt Anbessa, „ist man immer.“ Die Regierung will von jedem Geld. Und sie hat ein simples Druckmittel: Sobald jemand eine amtliche Bescheinigung aus der Heimat braucht - ein Abschlusszeugnis, eine Heiratsurkunde -, muss er nachweisen, dass er die Aufbausteuer bezahlt hat. Nicht mal ein Paket kann man sonst nach Eritrea schicken.

Anbessa weigerte sich zu zahlen, solange es ging. Er demonstrierte gegen Afewerki, besuchte Veranstaltungen der Opposition. Dann wurde er schwer krank. Er dachte: Wenn ich sterbe, dann in Eritrea. Dafür musste er allerdings seinen Pass verlängern lassen; und nun war auch er dran. Er musste für all die Jahre nachzahlen.

Das Geld stützt ein brutales Regime

Bis 2011 wurde die Aufbausteuer noch direkt in der eritreischen Botschaft in Berlin oder im Konsulat in Frankfurt bezahlt. Das ist inzwischen verboten, weil diplomatische Vertretungen keine Steuern eintreiben dürfen. Aber die Regierung hat andere Wege gefunden, um an das Geld zu kommen. Seine Beamten berechnen die Steuer in Berlin und Frankfurt nur noch; beglichen wird sie in Eritrea. Wer nicht selbst hinfahren will, muss einen Verwandten schicken. Ungefähr eine Million Eritreer leben im Ausland, 70 000 davon in Deutschland. Ihr Geld stützt ein Regime, dessen Machthaber seit über zwanzig Jahren autoritär über das Land herrscht, in dem keine Pressefreiheit existiert, Folter allgegenwärtig ist und selbst Frauen jahrelang im Militärdienst festhängen.

Aber nicht nur deshalb wollte Anbessa keinen Cent bezahlen. Er hatte Angst, sich dem Regime auszuliefern. Denn die Aufbausteuer ist mehr als eine Steuer. Sie ist auch ein Werkzeug der Unterdrückung. Wer sie bezahlen will und Eritrea illegal verlassen hat, muss die „Taesa“ unterschreiben, ein umfassendes Schuldeingeständnis. Dieses Dokument ist ein Freibrief für den eritreischen Staat, seine Bürger so zu bestrafen, wie es ihm beliebt. Es gipfelt in dem Absatz: „Ich bestätige mit meiner Unterschrift, dass ich es bereue, eine Straftat begangen zu haben, weil ich meine nationalen Pflichten nicht erfüllt habe. Ich bin bereit, die dafür angemessene Strafe zu akzeptieren, sobald darüber entschieden wird.“ Wer das unterschreibt, begibt sich vollends in Geiselhaft. Alles, was er sagt, kann fortan gegen ihn verwendet werden. Und gegen seine Verwandten. Also besser den Mund halten. So werden Eritreer, die im Ausland leben, auf Linie gebracht.

Mit Glück gab es nur Stockhiebe

Für diesen Zweck hat die Regierung außerdem ihre Spitzel. Sie sitzen überall. Einmal war Anbessa in Italien, er besuchte einen Verwandten. Sie trafen sich in einem Restaurant, draußen dämmerte es. Ein Mann am Nachbartisch sagte zu Anbessa: „Ich kenne dich.“ Der antwortete: „Aber ich dich nicht.“ Das sei auch gut so, sagte der Mann. „Aber du sollst wissen, die Regierung weiß Bescheid.“ Ein anderes Mal, nach einer Demonstration in Berlin, rief Anbessas Vater an, der zu diesem Zeitpunkt noch in Eritrea lebte. Heute, sagte er, waren Soldaten bei mir und fragten mich, warum du ein Verräter bist. Er bat Anbessa, mit dem Protest aufzuhören.

So geht es vielen Eltern; sie müssen für das Verhalten ihrer Kinder büßen. Zum Beispiel die von Demsas, Locken, Chucks, schwarzes T-Shirt. Demsas ist 24, aber er guckt wie ein Mann, der das Leben hinter sich hat. Da ist kein Feuer, kaum eine Gemütsregung. Das Einzige, was brennt, sind seine Zigaretten, eine nach der anderen. Als Demsas 16 war, brachten ihn Soldaten in ein Militärgefängnis. Der Vorwurf: Er habe ins Ausland fliehen wollen. Anderthalb Jahre verbrachte er im Lager. Um 3 Uhr morgens wurde er geweckt. Dann musste er Geröll umschichten, ohne Grund. In der Mittagshitze zwang man ihn, barfuß auf heißen Steinen zu stehen, das Gesicht zur Sonne. Wenn den Wärtern danach war, und ihnen war oft danach, fesselten sie Demsas an Händen und Füßen und hängten ihn stundenlang daran auf, bis das Blut aus seinen Gliedmaßen entwichen war. Manchmal hatte er Glück und bekam nur Stockhiebe auf die Fußsohlen. In den Monaten, die er im Gefängnis verbrachte, wurde aus der Unterstellung, er wolle fliehen, Realität. Nach seiner Entlassung wurde Demsas zum Militärdienst eingezogen. Seinen ersten Besuch in seinem Heimatdorf nutzte er, um sich in den Sudan abzusetzen. Schon am nächsten Tag stürmten Soldaten das Haus seiner Mutter. Für die Flucht ihres Sohnes musste sie ins Gefängnis.

Nur noch ein Wunsch: Ruhe

Jede Frage nach dem Regime und seinen Methoden hierzulande blockt Demsas ab. Alles gut, kein Problem, kein Stress. Bloß nichts mehr riskieren. Nicht noch einen Verwandten ins Gefängnis bringen. Er vermittelt nur noch einen Wunsch: den nach Ruhe.

Wer sich nicht wie Demsas wegduckt, um den kümmert sich ein Verein namens „Eri-Blood“. Die meisten seiner Mitglieder kommen aus der „Sicherheitsbranche“. Regimekritiker sagen, Eri-Blood sei ein Schlägertrupp, der Oppositionelle mundtot macht und von Veranstaltungen fernhält. Es gibt ihn auch in Schweden und Italien. Inoffizielle Zentrale des Frankfurter Vereins ist das Restaurant Mosob, nicht weit von den Cafés der Oppositionellen entfernt. Dort hält sich Ermias Tewolde auf, den viele als heimlichen Chef von Eri-Blood bezeichnen. Zumindest seit der eigentliche Boss im Gefängnis sitzt.

Es gibt viele Vorwürfe gegen Eri-Blood

Tewolde selbst - breite Schultern, Bart, schwarzes Sakko - weist das zurück. Alle Entscheidungen treffe man gemeinsam, sagt er. Neben ihm sitzt ein Mann mit durchdringendem Blick, den Tewolde als ehemaligen Soldaten vorstellt. Die Tische im Mosob sind besetzt, aber sobald Tewolde spricht, herrscht auch hier Stille. Tewolde findet es unfair, dass immer alle auf dem Regime rumhacken. Immerhin habe das Land dreißig Jahre Krieg hinter sich. „Wir haben bei unter null begonnen.“ Deshalb hilft er der eritreischen Regierung gerne, und deshalb sichert er mit Eri-Blood Veranstaltungen, die ein regierungsnaher Kulturverein organisiert, manchmal auch das Konsulat. Tewolde behauptet, er arbeite in neunzig Prozent der Fälle ehrenamtlich. Nur wenn Eintritt genommen wird, verlange er auch eine Gage. Seine Arbeit diene ausschließlich der Sicherheit der Besucher, das wolle er gleich vorweg sagen. „Eri-Blood hat viele junge Mitglieder, Türsteher, Schränke wie ich, deshalb wurde das oft falsch verstanden.“ Auch im eritreischen Konsulat kennt man Tewolde gut. Fragen zu Eri-Blood will man nicht beantworten.

Es gibt viele Vorwürfe gegen die Gruppe. Zwei Beispiele: Am Valentinstag sang ein regimekritischer Sänger in Frankfurt. Konzertbesucher sagen, Mitglieder von Eri-Blood hätten versucht, den Auftritt zu verhindern. Sie setzten Musiker aus der Band unter Druck, drohten ihnen, nannten sie Verräter. Die ließen sich nicht einschüchtern. Es gehe um Musik, nicht um Politik, sagten sie. Später pöbelten Mitglieder von Eri-Blood Gäste an. Geht woandershin, verlangten sie. Als der Sänger auftrat, riefen sie dazwischen, forderten, er solle aufhören.

Keine Zeugen, nicht genug Beweise

Vier Jahre vorher bewachten Leute von Eri-Blood eine Diskussionsveranstaltung, die eine bekannte eritreische Lobbyistin moderierte. Ein paar Oppositionelle begehrten Einlass. Den verwehrten ihnen die Männer von Eri-Blood. Einer, der dabei war, sagt, die Männer hätten ihn gepackt und in eine Seitenstraße gezogen. Dort schlugen sie ihn mit Baseballschlägern zusammen. Er erstattete Anzeige bei der Polizei. Aber die Ermittlungen wurden eingestellt. Keine Zeugen, nicht genug Beweise.

Tewolde kann sich an die Sache mit den Baseballschlägern nicht mehr genau erinnern. Die Polizei habe aber alles aufgeklärt. Zum Konzertabend sagt er: „Wir würden niemals jemanden einschüchtern. Und wir können auch niemandem verbieten, hier aufzutreten.“ Die meisten Mitglieder von Eri-Blood seien damals ohnehin bei ihren Familien in Eritrea gewesen.

Später betritt ein Mann mit Glatze das Restaurant. „Ah, das ist mein Cousin“, sagt Tewolde. „Er ist auch bei Eri-Blood. Wir haben schon ein paar oppositionelle Arschlöcher verprügelt.“

Dann geht er nach draußen, eine rauchen. Es ist Nachmittag, die eritreischen Cafés füllen sich. Überall volle Tische und Gelächter. Man könnte meinen, wer hier sitzt, hat es geschafft, hat das Schlimmste hinter sich. Aber das täuscht. Denn Eritrea liegt nicht nur am Horn von Afrika. Sondern auch mitten in Frankfurt.

Namen der Oppositionellen geändert