Beitrag vom 22.04.2016
Tages-Anzeiger, Zürick
Süd-Sudan
«...dann ist der Zusammenbruch total»
Wieso der Bürgerkrieg im Südsudan wieder aufzuflammen droht.
Johannes Dieterich, Johannesburg
Der Protokollchef packt seine Flagge ein, die Kameramänner schieben ihre Stative zusammen, und die Frau mit den weissen Tauben hängt ihren Vogelbauer wieder zu und verschwindet. Tag für Tag in dieser Woche haben sie auf dem Flughafen der südsudanesischen Hauptstadt Juba auf die Maschine des Rebellenführers Riek Machar gewartet – allerdings vergeblich. Statt dass die Friedenstauben flögen, könnte es im Südsudan wieder zu Kämpfen kommen.
Einem im August des vergangenen Jahres unterzeichneten Friedensvertrag zufolge sollte Machar eigentlich schon Anfang dieses Monats nach Juba zurückkehren, um wieder als Vizepräsident eingesetzt zu werden. Seit Anfang dieser Woche stehen auch Flugzeuge in der äthiopischen Provinzstadt Gambella bereit, um den Rebellenchef mit seinem Tross nach Juba zu bringen. Doch diesen verweigert die Regierung in Juba die Landegenehmigung, weil Machars bewaffneter Tross zu zahlreich und seine Waffen zu schwer seien.
Maximal 1410 Rebellenkämpfer in Juba erlaubt
Präsident Salva Kiir beruft sich auf den Friedensvertrag, der den Rebellen höchstens 1410 Kämpfer in Juba erlaube, von denen 1370 bereits in der jüngsten Hauptstadt der Welt eingetroffen seien. Der Friedensvertrag sehe jedoch ausser Soldaten auch Polizisten aus dem Kreis der Rebellen vor, kontert Machar: Und dass sie ausser ihren Gewehren auch lasergesteuerte Raketen und Panzerfäuste mit sich führten, sei angesichts der Panzer und Helikopter, über die Kiir verfüge, von untergeordneter Bedeutung.
Wer recht hat, ist in solchen Fällen nebensächlich: Entscheidend ist, dass zwischen den Bürgerkriegsparteien noch immer jegliches Vertrauen fehlt. «Wir werden sie zurückkehren lassen», sagte Präsident Kiir kurz vor der geplanten Ankunft seines Widersachers: «Das bedeutet aber nicht, dass wir uns ihrem Willen nach einem Regimewechsel beugen.» Einen zumindest eingeschränkten Regimewandel sieht der Friedensvertrag allerdings durchaus vor, indem er neben der Wiedereinsetzung Machars als Vizepräsident auch die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit bestimmte.
Persönlicher Machtkampf und ethnische Differenzen
Machar war im Juli vor drei Jahren von Kiir seines Amtes enthoben worden, weil er die Frechheit besessen hatte, seine Kandidatur für die nächste Präsidentenwahl anzukündigen. Im Gegenzug warf Machar dem Präsidenten einen diktatorischen Regierungsstil vor: Daraufhin kam es in der regierenden Südsudanesischen Befreiungsbewegung (SPLM), der sowohl Kiir wie Machar angehörten, zu heftigen Zusammenstössen.
Neben dem persönlichen Machtkampf stehen hinter dem Streit auch ethnische Differenzen: Kiir gehört dem Mehrheitsvolk der Dinkas an, Machar ist ein Nuer. Spannungen zwischen den beiden Völkern hatten bereits im jahrzehntelangen Bürgerkrieg der Südsudanesen mit dem Nordsudan eine Rolle gespielt: Zeitweilig hatte sich Machar sogar mit dem Erzfeind im Norden, Omar al-Bashir, verbündet.
Unterhändler warnt vor «totalem Zusammenbruch»
Im Freudentaumel der Unabhängigkeit vom arabisch dominierten Norden im Juli 2011 wurden die ethnischen Spannungen zunächst beschwichtigt – doch nur, um vom Konflikt zwischen dem sturen Kiir und dem ehrgeizigen Machar noch heftiger entfacht zu werden. Als Kiir seinem ehemaligen Stellvertreter im Dezember 2013 vorwarf, einen Putsch vorzubereiten, und seine Soldaten in Juba gegen Machars Anhänger vorgehen liess, brach im jüngsten Staat der Welt erneut ein Bürgerkrieg aus: Ihm fielen bislang mindestens 50'000 Menschen zum Opfer, 2,3 Millionen Südsudanesen verloren ihre Heimat, mehr als sechs Millionen sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.
Einem kürzlich veröffentlichten UNO-Bericht zufolge begingen die Kämpfer beider Seiten unbeschreibliche Grausamkeiten: Sie vergewaltigten ungestraft Frauen, liessen Kinder für sich kämpfen und folterten, zerstückelten oder verbrannten ihre Gegner bei lebendigem Leib. Zu solchen Gräueltaten könnte es bereits in der nächsten Woche wieder kommen. «Wenn wir bis Samstag keine Einigung finden», warnt der Unterhändler der Afrikanischen Union (AU) und botswanische Ex-Präsident Festus Mogae, «dann ist der Zusammenbruch total.» (Tages-Anzeiger)