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Beitrag vom 19.04.2016

FAZ

Cyberkriminalität - Afrikas neueste Bedrohung

Leichte Opfer: Das Internet erobert in hoher Geschwindigkeit den Kontinent

Von Lorenz Hemicker

ADDIS ABEBA, 18. April. An Lionel Messi kommt niemand vorbei. Barcelonas Wunderfußballer blickt in Übergröße auf die Menschen herab, die sich durch die zahlreichen Kontrollen am Flughafen der äthiopischen Hauptstadt schieben. Rechts von ihm prangt, in noblem Weiß, das jüngste Smartphone eines bekannten chinesischen Anbieters. Darüber wirbt das kleinere Plakat eines Konkurrenten mit einer namenlosen James-Bond-Imitation um die Aufmerksamkeit der Reisenden.

Solche Plakate werden für den Besucher auf der Fahrt durch die verstopften Straßen von Addis Abeba zum ständigen Begleiter. Zwischen den Stahlskeletten der aufstrebenden Metropole und den Slums in ihrem Schatten liefern sich die Händler des digitalen Zeitalters einen Wettbewerb, der nur Sieger zu kennen scheint. Das Internet hat begonnen, mit rasender Geschwindigkeit die analogen Gebiete Afrikas zu durchdringen. Nutzten seriösen Schätzungen zufolge im Jahr 2000 gerade einmal vier Millionen Menschen auf dem Kontinent das Netz, waren es Ende 2015 bereits 330 Millionen von inzwischen über 1,1 Milliarden.

Nach den Regierungen, dem Unternehmens- und Bankensektor ist der Besitz eines internetfähigen Handys zum wichtigsten Statussymbol in weiten Teilen der jungen Bevölkerung geworden. Jeder zweite Afrikaner ist heute unter 20. Wer sich auf legalem Wege keines leisten kann, findet andere Wege. Wer überprüft schon, ob die Geräte regulär gekauft wurden oder von jungen Dieben stammen, die sie entlang der Churchill Road, der Hauptschlagader der Stadt, unaufmerksamen Besuchern stehlen? Im Straßengewirr von Afrikas größtem Freiluftmarkt knacken Unlock-Shops die Sicherheitsbarrieren und löschen den Speicher der Geräte. "Connected" sein ist alles. Koste es, was es wolle.

Doch der digitale Heißhunger bringt Risiken mit sich. Und es sieht so aus, als ob Afrika einmal mehr in seiner Geschichte einen höheren Preis dafür zahlen könnte als der Westen. Cyberangriffe unterschiedlichster Intensität rollen über Afrikas Nutzer hinweg und richten Schäden an, die hier viel schlimmer wirken können als im Rest der Welt.

Die Zielrichtung der Angreifer ist unterschiedlich. Gewöhnliche Menschen werden Opfer von Dieben, die sich via Internet in die Smartphones hacken und über die im Afrika sehr beliebten mobilen Bezahlsysteme das Geld der Nutzer abheben. Ähnlich ergeht es kleinen und mittleren Betrieben, die zudem Opfer von Datendiebstahl werden. Afrikanische Banken können durch Hacker binnen Minuten Millionen verlieren. Da viele von ihnen kaum über Rücklagen verfügen, kann ein erfolgreicher Angriff für Bank und Kunden zur Existenzfrage werden.

Die Summen sind enorm, gerade angesichts des niedrigen Lohnniveaus. Einheitliche Erhebungen gibt es nicht. Doch bezifferte ein jüngst erschienener Cybersecurity-Report allein für Kenia die jährliche Summe, die durch Cyber-Kriminalität der dortigen Wirtschaft abhandenkommt, auf 146 Millionen Dollar. Damit nicht genug. Die südafrikanische "Sunday Times" stellte allein für den vergangenen Oktober fest, dass Hacker 6000 Angriffe unternahmen, die sich nicht nur gegen Unternehmen, sondern auch gegen Internetanbieter und Infrastruktur richteten.

Cybersicherheitsexperten gingen bereits vor Jahren davon aus, dass 80 Prozent der Computer Afrikas von Viren oder anderweitiger Schadsoftware infiziert waren. Der Wert dürfte sich kaum verbessert haben. Computernetzwerke gelten als schlecht geschützt, ebenso das Gros der Smartphones, welche die Märkte fluten. Bei der Software, die auf Rechner oder in Form von Apps auf Smartphones geladen wird, handelt es sich häufig um billige Raubkopien, die über keine automatischen Sicherheits-Updates verfügen - oder um regionale Produkte, die ein leichtes Fressen für versiertere Hacker sind.

Zwar ist die Bedrohung bei Ministern und Sicherheitsexperten afrikanischer Länder angekommen. Was sie hinter verschlossenen Türen bei Diskussionsveranstaltungen wie dem ersten afrikanischen Core Group Meeting der Münchner Sicherheitskonferenz dazu sagen, lässt jedoch wenig Hoffnung auf schnelle Lösungen für den gesamten Kontinent aufkommen. Zwar bekunden rund zehn Staaten mit einer eigenen Cyberabwehrstrategie inzwischen ihren Willen, sich des Problems anzunehmen. Für den Rest jedoch dürfte gelten, was ein ranghoher afrikanischer Teilnehmer auf den Punkt brachte: "Das Ziel in meinem Land ist, online zu sein - nicht die Bekämpfung von Cyberkriminalität."