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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 10.03.2016

Finanz und Wirtschaft

Afrika – fruchtbare Menschen, furchtbare Politik

Wolfgang Drechsler, Kapstadt

Teile des Kontinents leiden unter einer Dürre. El Niño legt die hausgemachten Probleme offen: enormes Bevölkerungswachstum und unfähige Regierungen. Ein Kommentar von Wolfgang Drechsler.

Wieder einmal sind Millionen von Afrikanern akut vom Hunger bedroht. Die Bilder spindeldürrer Kinder mit ihren hohlen Wangen und leblosen Augen wecken Mitleid – und wenig gute Erinnerungen an die äthiopische Hungersnot vor dreissig Jahren, der damals rund 1 Mio. Menschen zum Opfer gefallen war. Äthiopien ist auch diesmal wieder betroffen, ähnlich heftig wie Somalia, Südsudan, Malawi und Simbabwe.

Ein Grund liegt gewiss in der Natur: Das Klimaphänomen El Niño, die starke Erwärmung des Meerwassers vor der Westküste Lateinamerikas, ist dort in diesem Jahr besonders stark ausgeprägt und hat die Dürre zwischen dem Horn von Afrika und dem Süden des Kontinents sicherlich noch verschärft. Mindestens bis zur Jahresmitte, so orakeln die Experten, soll es in dem Streifen weit weniger als sonst üblich regnen.

Doch Dürre ist nicht gleich Dürre: Vergrössert wird ihr Ausmass in allen betroffenen Ländern von einem anderen, menschengemachten Phänomen, das im Westen gerne ignoriert wird: dem enormen Bevölkerungswachstum gerade in den ärmsten Regionen Afrikas und den oftmals nur am eigenen Machterhalt interessierten Führungsschichten, von denen die wenigsten das Wort Gemeinwohl auch nur buchstabieren können.

Sechs oder mehr Kinder pro Frau

In dem von der Dürre besonders stark heimgesuchten Osten der Sahelzone liegt die Fruchtbarkeit im Schnitt noch immer bei über sechs Kindern pro Frau. Im Niger, einem Wüstenland, ist die Bevölkerung von 3,5 Mio. Menschen vor fünfzig Jahren auf nun über 20 Mio. gestiegen, was fast zwangsläufig in Not und Hunger münden muss. Im Schnitt gebärt jede Frau hier noch heute 6,7 Kinder.

Das einstige Hungerland Äthiopien ist mit fast 90 Mio. Einwohnern nach Nigeria inzwischen die bevölkerungsreichste Nation Afrikas – und wächst kräftig weiter. Zeitgleich verharrt die Landwirtschaft dort jedoch auf niedrigstem Niveau. Statt Mähdrescher oder Traktoren finden, wie im europäischen Mittelalter, hier noch immer Sense und Pflug Verwendung. Auch werden die Parzellen immer kleiner, je mehr Kinder geboren werden. Schliesslich ist privater Landbesitz in Äthiopien nach wie vor nur in Ausnahmefällen erlaubt. Folglich kann kein Kleinbauer sein Land auch nur beleihen, um die für eine Expansion oder Diversifikation nötigen Kredite zu erhalten.

Immerhin hat Äthiopiens Regierung, bei allen Versäumnissen, zuletzt weit besser vorgesorgt als in den Achtzigerjahren und hohe Geldsummen bereitgestellt. Damals steckte die brutale kommunistische Diktatur das zur Linderung der Not vom Ausland erhaltene Geld einfach in den Krieg gegen die Separatisten in der Nordprovinz Eritrea, die 1993 unabhängig wurde.

Simbabwe – vom Brotkorb zum Hungerleider

Auch anderswo auf dem Kontinent wird die Lage durch eine oft extrem kurzsichtige Politik der Eliten verschärft: In Simbabwe war es die von dem nun 92-jährigen Diktator Robert Mugabe verordnete massenhafte Enteignung und Vertreibung beinahe aller (weissen) Grossfarmer, die dort die einst blühende Landwirtschaft fast völlig ruiniert hat. Besonders hart betroffen sind in Simbabwe nun die ländlichen Gebiete, in denen die vielen schwarzen Kleinbauern auf minimen Flächen fast nur für den Eigenbedarf produzieren. Ihre allenfalls winzigen Überschüsse können sie zudem nur in der unmittelbaren Nachbarschaft verkaufen, aber nicht dort, wo sie womöglich dringender gebraucht werden.

Noch dramatischer ist die Lage jedoch im Südsudan, wo seit mehr als zwei Jahren ein erbitterter Bürgerkrieg zwischen den beiden grössten Stämmen des Landes tobt. Zwar ist in dem erst vor fünf Jahren unabhängig gewordenen Land nach einem vermeintlichen Friedensschluss zwischen Regierung und Rebellen nun vielleicht mal wieder ein Ende des sinnlosen Mordens in Sicht, doch kann dies nach den Erfahrungen mit früheren Vereinbarungen keineswegs als sicher gelten.

An den Aufbau nachhaltiger Strukturen in Politik und Landwirtschaft ist unter solchen Umständen nicht zu denken. Doch wo der Staat wie hier fehlt oder versagt, gibt es am Ende auch keine befestigten Strassen oder Eisenbahnen.

Familienplanung ist ein Muss

Bei einem Blick auf die von Dürre und Hunger besonders hart betroffenen Länder fällt auf, dass sie ausgesprochen stark unter dem fatalen Mix aus schlechter Führung und massiver Bevölkerungszunahme leiden – und sich schon seit längerem nicht mehr eigenständig versorgen können. Noch immer werden nur knapp 5% der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche in Afrika künstlich bewässert – verglichen mit über 40% in Südasien.

Unter solchen Voraussetzungen ist die nächste Hungernsnot hier auch ohne El-Niño-Effekt quasi programmiert. Doch statt ihre Unterstützung endlich an eine verantwortungsvollere Familienplanung zu koppeln, bohren westliche Helfer oft nur weiter neue Brunnen, was zwar die Kinderzahl steigen lässt, doch die vielen strukturell bedingten Probleme nicht wirklich löst.