Direkt zum Inhalt
Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 24.11.2015

Zürichsee-Zeitung

«Migration hat nicht nur mit Not zu tun»

Ruedi Küng hat jahrelang für Radio DRS über Afrika berichtet.

Gaby Schneider.

Welches Afrikabild wollen Sie vermitteln?
Ruedi Küng: Ich will, dass man mit einem nüchternen Blick auf den Kontinent schaut.

Warum?
Für die einen ist Afrika der Ort für alles, was schlecht ist und nicht funktioniert. Andere wiederum sehen alles in einem rosaroten Licht.

Afrika beschäftigt die EU. Am Gipfel in Malta wurde entschieden, fast 2 Milliarden Euro Entwicklungshilfe auszuschütten. Als Gegenleistung wurde ein Rückführungsabkommen für Migranten vereinbart. Der richtige Weg?
Die Migration innerhalb Afrikas ist viel grösser als diejenige nach Europa. Migration hat nicht nur mit Not zu tun.

Sondern ...
Mit der Lust am Leben und dem Wunsch, ein besseres Leben zu haben. Auch wenn die Menschen wissen, dass sie vielleicht wenig Chancen in Europa haben, sagen sie sich, ich will etwas riskieren. Die Rückschaffungen lösen das Problem letztendlich nicht. Die Leute oder andere kommen wieder.

Wie würden Sie das lösen?
(lacht) Zum Glück bin ich nicht Politiker. Im Versuch, Rückführungsabkommen zu vereinbaren, drückt sich eine gewisse Hilflosigkeit aus. Man wird gewisse Korrekturen zustande bringen, aber die Situation wird sich nicht wesentlich ändern. Das grosse Bevölkerungswachstum Afrikas impliziert ja die Migration.

Milliarden von der EU – besteht da nicht die Gefahr, dass ein Teil des Geldes im Sumpf der Korruption versickert?
Das passiert mit allen Geldern, die an Regierungen von Ländern gehen, wo das Volk wenig Kontrolle ausübt.

Ein Vorurteil sagt, Korruption sei in Afrika alltäglich.
Die gibt es überall – beispielsweise, wenn ein Polizist mit seinem Einkommen seine Familie nicht ernähren kann. Nicht, dass ich das gutheisse. Daneben gibt es die grosse Korruption, wenn Rohstofflizenzen vergeben werden und dafür Hunderte von Millionen fliessen; dazu kommen noch die Steuerfluchten. Diese sind mit unserer Wirtschaft und unserer Politik verflochten.

Die USA spielen in Afrika eine aktive Rolle, haben ein Überwachungsnetzwerk aufgebaut.
Die USA sind eines der wenigen Länder, die sich klar der aktuellen Gefahr des Islamismus stellen. All die islamistischen Gruppen von Mauretanien bis Somalia sind eine echte Bedrohung. Ich finde, man muss dem radikalen Islam etwas entgegenhalten.

Bombardements – so wie die Franzosen?
In Mali haben diese tatsächlich eine schlimme Entwicklung gestoppt. Aber was danach kommen muss, ist ein sehr schwieriger Prozess, wofür ich kein Rezept habe.

Was haben Sie von Afrika mitgenommen?
Gelernt im Sinne von Lebensweisheit habe ich nichts, höchstens, dass ich mich als Schweizer noch ein bisschen besser erkannt habe. Ich lernte die Schweiz und das gesellschaftspolitische System viel mehr schätzen. Ich bin gerne in Afrika, habe da viele offene Türen gefunden, gehöre aber nicht zu denjenigen, denen Kulturevents wie Afro-Pfingsten viel bedeuten. Allerdings liebe, kenne und fördere ich die afrikanische Literatur.

Gibt es auch einen Musterknaben unter den afrikanischen Staaten, der zu Hoffnung Anlass gibt?
Es hat in vielen Ländern interessante Entwicklungen. Ein Land, das ich sehr schätze, ist Botswana.

Weshalb?
Mehrere Regierungen nacheinander haben es geschafft, dass die Rohstoffe, das sind Diamanten, nicht nur gefördert werden, sondern der Mehrwert im Land bleibt. Verarbeitung und Verkauf finden in Botswana statt. Dass das Geld dem Land zugutekommt, sieht man an der verbesserten Infrastruktur.

Asylsuchende aus Eritrea sind hierzulande ein Politikum.
Wenn man in Eritrea nicht auf Regierungskurs ist, dann ist das Leben vermutlich nicht sehr angenehm, beispielsweise die sehr langen Militärdienste. Ich verstehe, dass die jungen Leute dann weg wollen.

Sind sie an Leib und Leben bedroht?
Nein, nur Einzelne, die es wagen, Opposition zu machen.

Von der Entwicklungshilfe würden mehrheitlich die Industrieländer profitieren, haben Sie gesagt.
Von den Geldern, die in der Entwicklungshilfe eingesetzt werden, bleibt über die Hälfte in den Geberstaaten. Das Equipment, um diese Infrastruktur aufzubauen, stammt aus dem Norden. Entwicklungshilfe ist eine Industrie geworden, wovon Tausende Menschen bei uns leben.

Macht Entwicklungshilfe Sinn?
Ich habe Dutzende Projekte angeschaut. Die sind nicht einfach schlecht, aber man darf nicht von ihnen erwarten, dass damit die Armut beseitigt wird. Auch wenn Hilfsprojekte eine Art Pflästerlipolitik sind, finde ich viele dieser Initiativen gut. Es ist viel guter Wille vorhanden. (zsz.ch)