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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 03.11.2015

Tagesanzeiger, Zürich

Der langsame Papa

Der Präsident von Nigeria, Muhammadu Buhari, hat fast ein halbes Jahr gebraucht, um eine Regierung zu bilden. Unterdessen hat er das Land selber regiert – und dabei ein paar wichtige Akzente gesetzt.

Johannes Dieterich
Korrespondent

Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hat ­Nigerias Präsident Muhammadu Buhari einen Weltrekord aufgestellt. Mehr als fünf Monate nach seiner Einführung zum Regierungschef wird Buhari erst dieser Tage die Besetzung seines Kabinetts bekannt geben: Fast ein halbes Jahr lang hat der 72-Jährige das bevölkerungsreichste afrikanische Land ganz alleine regiert. Manche fürchteten bereits, der Ex-General, der Nigeria schon einmal als Militärdiktator in den 80er-Jahren regierte, habe sich doch nicht zum Demokraten gewandelt.

Andere nahmen es gelassener und legten ihrem neuen Präsidenten den Spitznamen «Baba go slow» (der langsame Papa) zu. Unerschütterliche Fans beharrten indessen darauf, dass die lange Wartezeit Methode hatte: Der ­Korruptionsfeind habe sich auf diese Weise ausreichend Zeit genommen, seine Minister einer eingehenden Überprüfung zu unterziehen.

Wer nun lauter neue Besen in Buharis Team erwartet hatte, sieht sich allerdings enttäuscht. In der Liste der 36 Minister und ihrer Stellvertreter befinden sich auffallend viele, in jeder Hinsicht alte Gesichter. Darunter fünf ehemalige Gouverneure der 36 Bundesstaaten, vier Ex-Senatoren und zwei pensionierte Generäle. Fast alle gehörten dem politischen Establishment an, das Teil des nigerianischen Problems und nicht Teil seiner Lösung sei, wenden Kritiker ein. Einzige Überraschung in der mit nur sechs Frauen testosterontriefenden Mannschaft: Auch der Menschenrechtsanwalt Femi Falana wird ins Kabinett einziehen, den Militärdiktator Buhari in den 80er-Jahren in den Kerker werfen liess. Indiz dafür, dass der General seine politischen Überzeugungen doch einer Korrektur unterzogen hat.

Allerdings wurde Buhari nicht wegen seines demokratischen Leumunds gewählt, sondern weil nur ihm zugetraut wurde, der ausser Rand und Band ge­ratenen Korruption sowie der extre­mistischen Sekte Boko Haram etwas ­entgegensetzen zu können. Den mör­derischen Umtrieben der islamistischen Extremisten hatte Buharis Vorgänger Goodluck Jonathan nur tatenlos zu­geschaut.

Tatsächlich forcierte Baba go slow den Kampf gegen die Sekte ohne Verteidigungsminister: Er liess die Einsatzzentrale der Armee in den Unruhestaat Borno verlegen, wechselte die gesamte Führung der Streitkräfte aus und sorgte dafür, dass die Soldaten im Einsatz wieder mit Waffen, Munition und ihrem Sold versorgt wurden. Ob er sein Versprechen, die Sekte bis zum Jahresende zerschlagen zu haben, tatsächlich einhalten kann, ist angesichts der anhaltenden Umtriebe der Extremisten allerdings unwahrscheinlich.

Neuer CEO für Ölgesellschaft

Schon hoffnungsvoller nehmen sich die Initiativen des Solopräsidenten bei der Korruptionsbekämpfung aus. Bereits im Juni wechselte Buhari das Management der staatlichen Erdölgesellschaft NNPC aus. Er setzte den in Harvard ausgebil­deten einstigen ExxonMobil-Direktor Emmanuel Kachikwu als CEO ein, der wiederum gleich einmal die gesamte Führungsriege nach Hause schickte. Die NNPC ist das Sinnbild der nigerianischen Korruption schlechthin: Ihre 24?000 Beschäftigten sollen einer Revision von PricewaterhouseCoopers zu Folge allein zwischen Januar 2012 und September 2013 4,3 Milliarden Dollar unterschlagen haben. Der ehemalige Notenbankchef Lamido Sanusi geht sogar von 12,5 gestohlenen Milliarden aus.

Damit ist es allerdings nicht getan. Die NNPC müsse zerschlagen, neu strukturiert und unter strikte Kontrolle gebracht werden, sagen Experten. Kommt es tatsächlich so weit, wird Buhari, der das Monster einst als Erdölminister selbst geschaffen hatte, mit erheblichem Widerstand rechnen müssen: Denn ­Nigerias Elite wird ihren Selbstbedienungsladen nicht kampflos aufgeben. Buhari hat sich jetzt selbst zum Erdöl­minister berufen: Entweder ein Zeichen dafür, dass er es ernst meint oder dass er die Gelddruckmaschine lieber selbst beherrschen will.

Dabei war von Buharis grösster Herausforderung noch gar nicht die Rede. Der Preissturz des Erdöls auf ein Drittel seines einstigen Werts hat das Einkommen des grössten afrikanischen Ölproduzenten empfindlich reduziert. Das Land stolpert einer Rezession entgegen, Staatsdiener erhalten monatelang kein Gehalt, an die Erfüllung von Wahlversprechen wie einer allgemeinen kostenlosen Gesundheitsversorgung ist momentan gar nicht zu denken. Ausge­rechnet diese Krise ist jedoch Buharis Chance: Schafft er es, die fehlenden Einnahmen durch das Stopfen der Korruptionslöcher auszugleichen und Nigeria auf einen vom Erdöl unabhängigeren Pfad zu bringen, ist ihm ein Platz in den Geschichtsbüchern sicher.