Beitrag vom 03.11.2015
NZZ
Indiens Aufholjagd in Afrika
Der Handel zwischen Indien und Afrika hat sich im letzten Jahrzehnt verzehnfacht. Delhi will auf dem Schwarzen Kontinent zu Peking aufschliessen, setzt dabei aber auf ein anderes Modell als China.
von Volker Pabst, Delhi
Der asiatische Tiger und der afrikanische Löwe brüllen dieser Tage im Gleichklang. Ein multilaterales Treffen, das jüngst in Delhi stattfand, stand ganz im Zeichen des Schwarzen Kontinents. Die beiden Grossregionen, die zu den vielversprechendsten Wachstumsmärkten der Welt gehören und in denen bis Mitte des Jahrhunderts fast jeder zweite Erdenbürger leben wird, wollen ihre Wirtschaftsbeziehungen ausbauen.
Einstieg verschlafen
Noch mehr als bei anderen Themen misst sich Delhi in Afrika an Peking. Der indisch-afrikanische Handel hat sich in den letzten zehn Jahren auf 72 Mrd. $ fast verzehnfacht; Delhi hofft auf eine weitere Verdopplung bis 2022. Dennoch liegt das chinesische Handelsvolumen mit Afrika in weiter Ferne; es betrug 2014 über 200 Mrd. $. So herrscht in Indien auch der Eindruck vor, den Einstieg verschlafen zu haben. Und dies, obwohl mit dem Osten des Kontinents ein jahrhundertealter Austausch besteht und es in mehreren ehemaligen britischen Kolonien grosse Diasporagemeinden gibt, insgesamt 2,7 Mio. Menschen.
Es gibt jedoch kein indisches Äquivalent zur chinesischen staatlich geplanten und geförderten Wirtschaftspräsenz in Afrika. Insbesondere im Ressourcenbereich dominiert China das Feld, obwohl Energie und Gold auch für Indien die wichtigsten afrikanischen Importprodukte darstellen. Rund 26% der Einfuhren an fossilen Energieträgern stammen aus Afrika. Zunehmend versuchen auch indische Unternehmen, sich Abbaurechte zu sichern, etwa in den südsudanesischen Erdölfeldern oder in Südafrikas Kohleminen.
Doch Delhi betont immer wieder, man strebe kein zweites chinesisches Modell an. Mit seinem Fokus auf den Abbau von Rohstoffen steht Peking in Afrika im Ruf eines «neokolonialen Ausbeuters». Delhi beruft sich politisch geschickt auf Nehrus Erbe, also Indiens Unterstützung im Prozess der Dekolonialisierung, und sieht sein wirtschaftliches Engagement in der Tradition der Süd-Süd-Kooperation. Zum Entwicklungsgedanken passen besonders gut jene Unternehmen, die im Landwirtschaftsbereich und in anderen für das rurale Leben wichtigen Sektoren günstige Technologien anbieten können.
Indische Firmen sind hier in der Tat konkurrenzfähig, nicht zuletzt, weil sie die Herausforderungen schlecht erschlossener Regionen mit sonnenreichem Klima und wenig zahlungskräftiger Bevölkerung aus dem Heimmarkt kennen. Die zur Shyam-Gruppe gehörende Vihaan Networks verkauft in Afrika kostengünstige, solarbetriebene Sendemasten für Mobilnetze. Apollo Hospitals, einer der führenden privaten Gesundheitsversorger Indiens, will sein Geschäft ausbauen, das in Regionen ohne medizinische Infrastruktur Fernberatungen anbietet. Bereits etabliert ist der Pumpenhersteller Kirloskar. In Ägypten, wo die Firma seit fünf Jahrzehnten präsent ist, werden umgangssprachlich Pumpen jeder Art mittlerweile nur noch Kirloskar genannt. Die beiden mit Abstand grössten indischen Betriebe in Afrika sind aber weiterhin der Industriekonzern Tata und das Telekommunikationsunternehmen Airtel.
Hohe Zollschranken
Für alle ausländischen Unternehmer stellt in Afrika die schwache Finanzkraft ein Problem dar. Grossprojekte werden nur selten über heimische Geschäftsbanken oder direkt aus dem öffentlichen Haushalt finanziert, wie etwa beim Prestigebau des Regierungsgebäudes in Ghana vom Mumbaier Konzern Shapoorji. Indien verfügt mit der Exim- Bank zwar, wie China auch, über ein Instrument zur Exportförderung, das ohne vergleichbare Zuschüsse aber viel höhere Zinsen (zirka 8%) erhebt. So verwenden indische Bauherren teilweise absichtlich chinesisches Material, um so Zugang zu günstigen chinesischen Krediten erlangen. Kenntnisse über Finanzierungskriterien der Weltbank und anderer Geldgeber sind wichtig. Die indische Regierung erwägt, die für Afrika zur Verfügung stehenden Mittel der Exim-Bank aufzustocken.
Wichtiger als zusätzliche staatliche Mittel ist für die Unternehmer die Verbesserung der Rahmenbedingungen. Die Verhandlungen mit der Zollunion im südlichen Afrika etwa sind noch nicht beendet. Für indische Einfuhren fallen fast viermal höhere Abgaben an als für europäische Produkte. Handelserleichterungen sind auf afrikanischer Seite nicht von höchster Priorität, weil kaum verarbeitete Produkte nach Indien exportiert werden. Man setzt vor allem auf steigende Investitionen. Die indischen Medien sind dieser Tage voll mit Anzeigen, welche die Investitionsanreize afrikanischer Staaten anpreisen. Mit 30 Mrd. $ hinkt Indien auch in diesen Belangen China hinterher. Bis 2020 will Peking laut eigenen Angaben 100 Mrd. $ in Afrika investieren.
Auch wenn dieser Wert angesichts des Schwächelns im Reich der Mitte nicht erreicht werden sollte, wird Indien China in absehbarer Zeit nicht den Rang ablaufen. Dafür hat die fünfmal kleinere indische Wirtschaft schlicht die nötigen Mittel nicht. Dennoch sind die indisch-afrikanischen Wirtschaftsbeziehungen auf einem Weg der Besserung. Eine vertiefte Partnerschaft hat auch politisches Potenzial, gerade gegenüber den etablierten Spielern im internationalen Konzert. Indien wirbt unter den Afrikanern um Sympathien für seine Position in den WTO-Verhandlungen werben. Auch in Fragen zur Reform des Uno-Sicherheitsrats sind gemeinsame Positionen möglich. Dabei wird sich Indien von heiklen Fragen nach Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten nicht gross ablenken lassen.