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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 24.04.2015

FAZ

Das tut die deutsche Wirtschaft für Afrika

Der Sorgenkontinent Afrika kann auch anders: Viele deutsche Unternehmen produzieren dort mit großem Erfolg. Aber sie könnten noch mehr tun.

von Bernd Freytag, Rüdiger Köhn, Brigitte Koch, Christine Scharrenbroch, München

An normalen Tagen kann der Badausstatter Duravit im Dreischichtbetrieb 2000 Badewannen in seinem größten Werk in Kairo fertigen. Aber normale Tage sind für das mittelständische Unternehmen aus dem Schwarzwald, das fast 3000 Mitarbeiter in der Nil-Metropole beschäftigt, rar in Ägypten. Als vor drei Jahren die politische Krise eskalierte und in Kairo schwere Unruhen ausbrachen, hielt Duravit die Fabriken demonstrativ offen. Nicht, um die Produktion krampfhaft aufrechtzuerhalten. Es ging darum, den Beschäftigten ein Stück Normalität zu erhalten, wie der Vorstandsvorsitzende Frank Richter es einmal formulierte. Schließlich sei die Fabrik auch ein Ort der Begegnung, wo die Leute gerade in solchen Krisensituationen miteinander reden könnten.

Duravit hat viel auf die Karte Ägypten gesetzt: Mehr als die Hälfte der Belegschaft beschäftigt das Unternehmen aus dem beschaulichen Hornberg dort in zwei Werken, wo Designbäder von Philippe Starck neben den Acrylbadewannen des Unternehmens gefertigt werden. Der Großteil der dort gefertigten Duravit-Produkte wird exportiert. Ägypten und die angrenzenden Regionen sind aber auch wichtige Absatzmärkte. Neben dem Marktzugang in die Maghreb-Staaten gelten niedrige Energie- sowie Lohnkosten in Ägypten als Wettbewerbsvorteil. Hinzu kommen die Nähe zu Europa und die einfache Logistik. Schiffe transportieren Waren über das Mittelmeer nach Europa.

So ist der Autozulieferer Leoni aus Nürnberg zum wichtigsten privaten Arbeitgeber in Tunesien geworden, wo 13.000 Mitarbeiter Kabelsysteme herstellen. Nach der Autokrise 2009 und den damit verbundenen Entlassungen hat das Unternehmen inzwischen wieder 8000 neue Arbeitsplätze geschaffen; es hat in Nordafrika mit insgesamt 24.000 Menschen mehr Arbeiter auf der Lohnliste als vor der Krise mit 17.000 Menschen.

Auch Leoni hielt während der Arabellion seine Produktion in Tunesien aufrecht, von wo die Reformbewegung damals ausging. Aus demselben Grund wie Duravit fuhr das fränkische Unternehmen die Angestellten mit Bussen in die Werke, wo sie während der Ausgangssperre nicht nur arbeiten, sondern auch zusammenbleiben konnten - als Halt gewissermaßen.

Chancen auf einem wachsenden Absatzmarkt

Duravit und Leoni sind zwei Beispiele für starke Engagements deutscher Unternehmen in Nordafrika. Und bis zum Jahr 2020 will Siemens die Belegschaft in Ägypten von derzeit 500 auf dann 1500 Mitarbeiter ausweiten. Nachdem der Technologiekonzern jüngst spektakuläre Aufträge zum Bau von Kraftwerken über 4 Milliarden Euro erhalten hat, will er 1000 Arbeitsplätze in der Produktion von Rotorblättern für Windturbinen schaffen.

Die Engagements können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Afrika der Kontinent mit den vielen unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist. Nordafrika sei wegen der Nähe zu Europa interessant, sagt Bruno Wenn, Geschäftsführer der zur KfW gehörenden DEG (Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft). Sichere Rahmenbedingungen führen zur starken Präsenz von VW, BMW und Mercedes, aber auch von Siemens und Bosch in Südafrika. Unternehmen aus den Industrieländern würden auch in den Osten des Kontinents, etwa nach Tansania und Mosambik, oder wegen der Rohstoffe nach Westen, nach Nigeria und Ghana, ziehen. Zentralafrika jedoch fällt in der Entwicklung ab, weil es sich um Binnenländer ohne Zugang zu Häfen handelt und so die Rahmenbedingungen nicht die besten sind.

Die Deutschen seien in Afrika präsent, konstatiert der Afrikaverein der Deutschen Wirtschaft. Frankreich und die Vereinigten Staaten sind indes schon viele Jahrzehnte stark vertreten. Seit Anfang des Jahrtausends entdecken immer mehr Schwellenländer den Kontinent: China, Indien, Brasilien und die Türkei. Die deutsche Wirtschaft halte sich eher noch zurück. Nur 2 Prozent des deutschen Außenhandels würden mit Afrika abgewickelt, obwohl es einen Anteil an der Weltwirtschaftsleistung von 3 Prozent habe.

"Es ist leichter für uns, Kunden aus Asien und Lateinamerika bei deren Engagement in Afrika zu begleiten als Unternehmen aus Industrieländern", sagt DEG-Chef Wenn. "Die haben noch nicht die Chancen erkannt, die dieser wachsende Absatzmarkt bietet." Die Bemühungen vieler Länder goutiert er. "Es wird schon viel in Bildung investiert", betont Wenn. "Aber es fehlen die Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft, schließlich können die Menschen nicht alle in der Verwaltung untergebracht werden."

Gesundheits- und Pflanzenschutz in Krisenländern

Der Baustoffkonzern Heidelberg Cement investiert schließlich in Regionen, wo es nicht viele Deutsche hinzieht. Wer sonst ist in Benin, Burkina Faso, der Demokratischen Republik Kongo, Ghana, Liberia, Sierra Leone, Tansania und Togo aktiv? Im Herzen von Afrika, südlich der Sahara, mache kein Dax-Konzern einen größeren Umsatz, sagte Vorstandschef Bernd Scheifele einmal. 2014 waren es schätzungsweise rund 800 Millionen Euro, es sind mehr als 2000 Menschen in zwölf Werken beschäftigt. Die überwiegende Mehrheit der Afrikaner, so das Kalkül Scheifeles, lebt südlich der Sahara, die Bevölkerung dort wächst stark, zugleich ist der Zementverbrauch mit weniger als 100 Kilogramm je Kopf noch gering.

Scheifele setzt darauf, dass der Infrastrukturbau in Gang kommt und dann der Zementverbrauch wie in Nordafrika auf 600 Kilogramm pro Kopf wächst. Zum Vergleich: In Deutschland erreicht der Ersatzverbrauch nur rund 400 Kilogramm. Trotz der Ebola-Krise ist der Absatz abermals um durchschnittlich 6 Prozent gewachsen. Die Margen sind wegen der geringen Kosten deutlich höher als in Europa oder Nordamerika. Deswegen dringen trotz Risiken immer mehr Zementhersteller vor. Als Gabun etwa die Importrestriktionen senkte, kam in großen Mengen Zement aus China auf den Markt. Heidelcement zog sich daraufhin zurück.

Bayer hat seine Präsenz in den vergangenen Jahren in den bekannteren Regionen verstärkt. Derzeit arbeiten mehr als tausend Menschen in 13 afrikanischen Ländern in Nordafrika und in Ländern wie Nigeria, Ghana, Äthiopien oder Kenia. In Südafrika werden Pflanzenschutz- und Tiergesundheitsprodukte, in Marokko frei verkäufliche Gesundheitsprodukte produziert. Über sechs Jahre hinweg, von 2006 bis 2012 wuchs das Bayer-Geschäft auf dem Kontinent um durchschnittlich 10 Prozent auf rund 640 Millionen Euro.

Trotz der krisenhaften Lage in einigen Ländern Afrikas und der Herausforderungen in der Infrastruktur, Sicherheit und Handelsbedingungen, sieht der Konzern ein interessantes Wachstumspotential für seine Geschäfte im Gesundheits- und Pflanzenschutz. Wie der Düsseldorfer Henkel-Konzern: Er hat Afrika zu einer der strategischen Wachstumsregionen erklärt und produziert in Algerien, Tunesien, Ägypten, Kenia sowie in Südafrika, wo Henkel 2013 in Johannesburg ein Forschungszentrum eröffnete, um Haarpflegeprodukte für afrikanische Verbraucher zu entwickeln.

Arbeitsperspektiven: lokale Wirtschaft muss gefördert werden

Im Norden des Kontinents hat die Textilindustrie seit vielen Jahrzehnten einen Schwerpunkt in der Produktion - neben Asien. Marokko ist für das spanische Unternehmen Inditex mit Marken wie Zara oder Massimo Dutti wichtiger strategischer Fertigungsstandort. Benetton und van Laack setzen auf Tunesien. Der Hosenspezialist Gardeur aus Mönchengladbach produziert seine Ware überwiegend im eigenen Werk in Tunis.

Um Billiglohnländern in Asien Paroli zu bieten, punktet die Region vor allem mit der Nähe zum europäischen Markt. Chancen könnten sich auch für andere Länder des afrikanischen Kontinents eröffnen, wie eine gerade veröffentlichte Studie der Unternehmensberatung McKinsey ergeben hat. Immer mehr europäische und amerikanische Textilunternehmen seien an Subsahara Afrika als Einkaufsregion interessiert, sagt McKinsey-Partner Achim Berg. "Das Potential ist groß und noch unerschlossen."

Dominiert wird der Bekleidungsmarkt nach wie vor von China. Dort steigen nicht nur die Lohnkosten. Besteller wollen sich auch unabhängiger machen. Daher rücken für die befragten Einkäufer von 40 westlichen Textilkonzernen Länder wie Äthiopien und Kenia in den Blickpunkt. Allerdings bemängeln die Einkäufer das Fehlen eines gut ausgebildetem mittleren Managements in Kenia. In Äthiopien, wo etwa der britische Einzelhändler Tesco und der schwedische Modekonzern H&M Kleidung fertigen lassen, werden ineffiziente Produktion und die schwache Infrastruktur bemängelt.

DEG-Geschäftsführer Wenn sieht noch ein anderes Problem und spielt damit auf die aktuelle Lage an: "Für die Lösung der Flüchtlingsproblematik sind gar nicht einmal die Investitionen von Unternehmen aus den Industrie- und Schwellenländern das Entscheidende", sagt er. "Es geht darum, die lokale Wirtschaft und private Firmen vor Ort zu fördern." Nur so könnten nachhaltig Arbeitsplätze geschaffen und vor allem jungen Menschen Perspektiven gegeben werden.